Sie feiern die Welt­erbe-Urkunde (v.l.n.r.): Prof. Dr. Christoph Wulf (Vizepräsident der Deutschen UNESCO-
Kommission), Ulrike Geppart-Orthofer, Deike Terruhn, 
Friederike Hansel (Auswärtiges Amt), 
Lisa von Reiche, 
Ilona Strache, Justine 
Ablavi Boguslawski. Fotos: © Birgit Heimbach

Auf seinem Kongress in Köln feierte der Bund freiberuflicher Hebammen sein 40-jähriges Bestehen und die Anerkennung der Hebammenkunst als Immaterielles Weltkulturerbe. Zur Weiterentwicklung und Stärkung der Hausgeburtshilfe folgten hochkarätige Vorträge, lehrreiche Workshops und rege Diskussionen.

Es war der Vorabend des Kongresses vom Bund freiberuflicher Hebammen (BfHD), genannt HausGeburtsTage, der am 5. und 6. Oktober stattfand. Voller Freude begrüßte Reinhild Bohlmann, ehemalige erste Vorsitzende des BfHD und Leiterin von dessen Fortbildungsakademie, die wenigen geladene Gäste im Bürgerzentrum Engelshof in Köln-Porz.

Rund 120 Personen, etwa Hebammen, engagierte Eltern und Unterstützer:innen des UNESCO-Antrages, waren gekommen, um die Übergabe einer ganz besonderen Urkunde zu feiern: Am 6. Dezember 2023 hatte die Generaldirektorin der UNESCO, Audrey Azoulay, sie unterzeichnet, um das Hebammenwesen weltweit als ein Immaterielles Kulturerbe der Menschheit zu benennen. Es wäre schön gewesen, mit viel mehr Menschen dieses Ereignis zu teilen. »Midwifery: knowledge, skills and practices« steht als Adressat in der Mitte der Urkunde in großen Lettern. Zu den Mitstreiterinnen für die Verleihung dieser Urkunde gehörten Lisa von Reiche als Vertreterin des Vereins »Hebammen für Deutschland« sowie Vertreterinnen der beiden deutschen Hebammenverbände – neben Vertreterinnen aus sieben weiteren Ländern, darunter Togo und Zypern, die nun nicht anwesend waren. Stellvertretend für den Deutschen Hebammenverband (DHV) war auch dessen Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer in den Engelshof gekommen. Vom BfHD war der ganze Vorstand anwesend.

Initiator:innen und Bewerbungsfilme

Zu den Vortragenden des Abends gehörte Prof. Dr. Christoph Wulf, seit Juni 2008 Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission. Er unterstützte die Hebammen intensiv bei den Anträgen und Verfahrensprozessen. Der Anthropologe und Erziehungswissenschaftler erklärte in seiner Rede, dass ursprünglich nur Baudenkmäler als Weltkulturerbe aufgelistet wurden, darunter die Chinesische Mauer und die Akropolis in Griechenland. Ohne Handwerker:innen und menschliche Expertise gäbe es aber solche außerordentlichen Bauten nicht, so dass man übereinkam, auch immaterielle Kulturgüter in die Liste aufzunehmen.

Zwei Filme zeigten die Bedeutung der Hebammen und die der Urkunde: Einer dokumentierte die Verleihung der Urkunde durch das Intergovernmental Comitee, wo die kolumbianische Hebamme Liceth Quiñonez eine mitreißende Rede über die Aufgaben und Leistungen der Hebammen gehalten hatte. Zu sehen waren auch Ausschnitte des wundervollen Bewerbungsfilmes »Midwifery« von der österreichischen Hebamme und Filmemacherin Karin Berghammer. Er bot viele Einblicke in die Arbeit von Hebammen in den acht Ländern, die sich gemeinsamen beworben hatten.

Zunächst wurde das Hebammenwesen auf das intensive Betreiben einer engagierten Mutter, Deike Terruhn, in das deutsche Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Nach den Geburten ihrer drei Kinder war die Verhaltensbiologin der betreuenden Hebamme als stetige Wegweiserin so dankbar, dass sie unbedingt alle Hebammen gewürdigt wissen wollte. Diese seien wichtig für den Weltfrieden, würden sie doch Familien wesentlich dabei unterstützen, emotional gut gesättigte Kinder mit der Fähigkeit zu stabilen, gesunden Beziehungen in die Welt zu entlassen. In ihrer flammenden Rede hielt sie ein Loblied auf die Hebammen: »Ihr seid großartig«, bestärkte sie die Zuhörenden und ermunterte sie, die Urkunde sichtbar an ihren Praxen aufzuhängen. Tatsächlich wurde am Ende der Veranstaltung den anwesenden Hebammen eine laminierte Kopie der Urkunde überreicht, was mit großer Begeisterung aufgenommen wurde.

Die Originalurkunde blieb am Ende der Veranstaltung in den Händen der Hebamme Lisa von Reiche, Begründerin des Verbandes »Hebammen für Deutschland«, die mit Terruhn die Aufnahme in das deutsche Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes erwirkt hatte. Anschließend kämpfte sie mit Verbündeten aus den sieben weiteren Ländern dafür, dass es zusätzlich in das weltweite Verzeichnis aufgenommen wird. Insgesamt hatten sich die Prozesse über zehn Jahre hingezogen.

Ilona Strache, erste Vorsitzende des BfHD, bei einem Vortrag vor einem großen Foto von Dorothea Kühn, der 2017 verstorbenen ­Hebamme und ehemaligen Vorsitzenden.

Zehn Thesen an der Kreißsaaltür

Am Samstag startete in denselben Räumlichkeiten der von vielen Mitgliedern lang ersehnte Kongress des BfHD. Der Verband hatte viele Arbeitsstunden eingesetzt, darunter sehr viele ehrenamtliche, um dieses Event zu organisieren. Neu im Vorstand dabei war Sabine Hubatsch, seit Juni 2024 die zweite Vorsitzende. Es war – teils wegen der Corona-Pandemnie – der erste BfHD-Kongress seit 2015, und seit 2009 das erste Mal wieder im Engelshof – einem Gebäude, das um 1850 als Gutshof angelegt wurde und nun dem Bürgerzentrum e.V. für verschiedene Veranstaltungen dient.

Gefeiert wurde mit dem Kongress auch die Gründung des BfHD vor 40 Jahren. Die erste Vorsitzende Ilona Strache begrüßte den ersten Referenten, Dr. Wolf Lütje. Auch er begründete vor 40 Jahren seine Zeit als Geburtshelfer. Nun ist der ehemalige Chefarzt aus Hamburg als Geburtscoach tätig. Er plädierte für eine Geburtshilfe ohne Angst. Mit seinem charmanten Hang zu gut gesetzten Übertreibungen kündigte er mit ausgefeilter Rhetorik an, dass er, wie einst Luther, zehn Thesen an die Türen deutscher Kreißsäle hämmern wolle, die er – nicht immer ganz scharf voneinander abgetrennt – den Zuhörenden ausbreitete.

In seinem Glaubensbekenntnis mahnte er zunächst zur Entkatastrophisierung, die den Handlungsspielraum im Gebärraum unwahrscheinlich erweitern würde. Er schilderte das Beispiel einer Frau nach drei Sectiones, die als Zwillingsschwangere eine Spontangeburt in seiner Klinik angestrebt hatte und der er diesen Wunsch tatsächlich und mit bestem Outcome ermöglichte – abgesichert mit OP-Bereitschaft, in Eins-zu-eins-Betreuung durch die leitende Hebamme und auf der Basis großer Zuversichtlichkeit. Sein Credo dabei: High Risk, Low Touch. Das bedeute: je mehr Risiko, desto weniger Anfassen, sprich Interventionen. Alles sei wunderbar gelaufen, gegen keine Leitlinie sei verstoßen worden. Warum dem Hohlorgan Uterus nicht vertrauen, wie den anderen Hohlorganen des Körpers? Es gehe um nichts anderes, als sich zu füllen und zu leeren, was doch eigentlich immer gut klappe.

Personalisierte Konzepte seien nötig, die bei jeder Frau immer wieder neu justiert werden müssten. Eine emotionale Asphyxie auf ihrer Seite müsse genauso verhindert werden wie eine Asphyxie beim Kind nach Luftnot. Nicht das Nicht-Machen, sondern auch das Zu-viel-Machen könne heute Grund der Anklage werden, mit Recht. Und für manche unerlässliche, aber unangenehme medizinische Behandlung müsse man sich auch mal entschuldigen können. Für Lütje gebe es »magische 5 Es«: Erklären, Erlaubnis, Evidenz, Ethik, Empathie.

Auf die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatik in Frauenheil­kunde und Geburtshilfe (DGPFG) hat Lütje als deren Präsident einen Leitfaden zum »Respektvollen Umgang mit Patient:innen in Praxis und Klinik in der Gynäkologie und Geburtshilfe« gestellt. Es gibt auch eine Langfassung, die ausführlicher darstellt, wie er sich die Umstände wünscht (DGPFG, 2023). Er erinnerte zum Schluss seines Vortrags an den Psychoanalytiker Michael Balint (1896–1970), der sagte, dass Geburt die Urform der Liebe sei. Und diese bedingungslose Liebe sei gut als Bollwerk gegen alles Negative in der Welt zu nutzen, so Lütje.

Martina Knapp erläutert Hebammen in ihrem Workshop die Anwendung des ­Ultraschalls.

Wissen zur Plazenta

Die leitende Kinderpathologin der Uniklinik Köln Prof. Dr. Anette Müller erläuterte in ihrem Vortrag ihr Spezialgebiet, die Plazentapathologie. Kurz erklärte sie die Entwicklung der Plazenta, etwa dass der Trophoblast zunächst wie Krebszellen wachse, aber damit aufhöre, sobald er ausgebildet sei. Sie betonte, dass die Bezeichnung Plazenta vom ersten Moment der Einnistung an gelte. Es sei durchaus sinnvoll, das Gewebe nach einer Fehlgeburt genauer zu untersuchen, weil sich daraus Informationen für Folgeschwangerschaften ergeben könnten. Wenn gewünscht, könne das Gewebe in der Pathologie untersucht werden. Auch der Embryo könne äußerlich, auf schriftlichen Wunsch der Eltern auch innerlich, auf etwaige Fehlbildungen histopathologisch begutachtet werden.

Zur neuen S2k-Leitlinie »Früher Schwangerschaftsverlust im 1. Trimenon« gehört daher erstmalig ein Infoblatt für betroffene Frauen. Darin wird ihnen erklärt, dass das Gewebe bei einer Fehlgeburt zu Hause möglichst schnell in ein verschlossenes Gefäß bei Kühlschranktemperatur gelangen und dann zeitnah an die betreuende Hebamme oder Praxis weitergeleitet werden sollte. Diese füllen das Gefäß mit Formalin auf und senden es weiter an eine Pathologie oder Kinderpathologie. Die Kosten der Untersuchung trägt die gesetzliche oder private Krankenkasse.

Müller führte aus, dass rund 70 % der Fehlgeburten genetisch bedingt seien, etwa bei der Partialmole, bei der im Gegensatz zur Blasenmole zwar ein Embryo vorhanden sei, allerdings gebe es für ihn keine Chance zur normalen Entwicklung, weil bei der Verschmelzung von Eizelle und Spermium drei Chromosomensätze entstanden seien, deren Aufteilung ganz unterschiedlich sein könne. Auch Entzündungen könnten eine Rolle spielen, wie bei der Graft-Versus-Host-Reaktion, die mit einer maternalen Autoimmunerkrankung assoziiert sei. Durch mütterliche Antikörper komme es zu Entzündungen im Intervillosum und die Zotten würden geschädigt. Je häufiger eine davon betroffene Frau schwanger werde, desto stärker sei die Ausprägung der Schädigung, am Ende führe diese zu 100 % zu einer Fehlgeburt. Es wäre also gut, diese seltene Erkrankung frühzeitig festzustellen.

Benjamin Kühne, Funktionsoberarzt ­Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin von der Uniklinik Köln, zeigt die Reanimation eines Neugeborenen.

Streptokokken könnten zu einer akuten Vilitis führen, die auch ohne Chorioamnionitis auftreten könne. Durch die Infiltration würden die Zotten zerstört, die Feten hätten zu 75 % einen positiven Blutbefund, was zu einem niedrigen APGAR führen könne.

Anhand von vielen Dias erläuterte Müller verschiedene Fehlanlagen und Erkrankungen der Plazenta. Sie zeigte auch eine Plazenta nach einer Geburt am Termin, in deren Oberfläche ein Fetus papyraceus zu erkennen war: ein hauchdünner, mehr embryoähnlicher verstorbener Zwilling inmitten der Dezidua. Müller wies noch darauf hin, dass die lange erwartete S2k-Leitlinie »Pathomorphologische Untersuchung der Plazenta« aufgrund von Bedenken einer einzigen Fachgesellschaft immer noch nicht veröffentlicht worden sei. Sie selbst habe die Leitlinie vor zwei Jahren angemeldet, um Entscheidungshilfen zu geben, wann eine Plazenta eingesandt werden sollte.

Schaden heißt nicht gleich Haftung

Seit 20 Jahren arbeitet die Rechtsanwältin Patrica Morgenthal für den BfHD: »Ich arbeite sehr gern für Hebammen.« Lange Zeit war ihre Kanzlei sogar direkt über einem Geburtshaus. Die Anwältin ist Prozessbevollmächtigte, nimmt auch an Gebührenverhandlungen teil oder berät bei beruflichen Zusammenschlüssen.

In ihrem Vortrag ging es um Begrenzung von Schadensfällen durch eine gute Dokumentation. »Nur was dokumentiert ist, ist gemacht!« Eine lange Geburt erfordere zwangsläufig eine lange Dokumentation und man sollte auch Dinge aufschreiben, von denen man zunächst glaubte, dass sie nicht entscheidend seien. Dazu gehöre auch manchmal, die allgemeine Situation im Kreißsaal zu schildern.

Sie berichtete von einem Fall, bei dem ein Kind durch eine unentdeckte vorzeitige Plazentalösung zu Schaden kam, nachdem man fälschlicherweise von einer stärkeren Zeichnungsblutung ausgegangen war. Hier wäre es für die angeklagte Beleghebamme gut gewesen, wenn sie der Wahrheit entsprechend gleich dokumentiert hätte, dass kein Kreißsaal frei war und die Umstände für eine korrekte Befunderhebung sehr ungünstig waren. Im Nachgang konnte sich niemand mehr so richtig an den Ablauf erinnern.

Ein Schaden bedeute eben nicht direkt eine Haftung. Es müsse ein grober Behandlungsfehler nachgewiesen werden, der zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit geführt hat. Dafür ursächlich seien Diagnosefehler, Befunderhebungsfehler und fehlende Indikationen. In einem Gerichtsverfahren würde meist rein nach Aktenlage geurteilt, selten werde ein Kind dafür untersucht. Die Dokumentation solle unbedingt gut lesbar sein und keine Mängel enthalten: etwa fehlende Einträge, kein Nachweis von ärztlichen Kontrollen, trotz Erwägen keine durchgeführten Maßnahmen oder kein Eintrag besonders hoher Anforderungen. Zu vermeiden seien Wertungen, wenn es beispielsweise mit einem betreuten Paar zu keiner guten Kommunikation oder Kooperation kam. Insgesamt könne so lange nachdokumentiert werden, bis es zu einem Rechtsstreit komme, danach würde es sich um eine Urkundenfälschung handeln.

Praxisnahe Vorträge von Hebammen

Die Hebamme Laura Mann aus Wiesbaden erläuterte die Intermittierende Auskultation und die unterschiedlichen Interpretationen eines CTG innerhalb der verschiedenen Leitlinien, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der französischen Internationalen Vereinigung für Gynäkologie und Geburtskunde (FIGO), dem britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE), des australischen und neuseeländischen College of Obstetricians and Gynaecologists (RANZCOG) und der kanadischen Society of Obstetricians and Gynaecologists (SOGC).

Die Hebamme Susanne Quernheim vom Geburtshaus Idstein hielt einen sehr übersichtlichen und anschaulichen Vortrag über die Bedeutung des Simulationstrainings, das sie seit 2019 für Hebammen anbietet. Es sei unbedingt nötig, Abläufe bei Notfällen gut einzustudieren und sich im Team Handlungsabläufe zu verinnerlichen. Selbst wenn es im Team 80 % Fachwissen gebe, aber die Zusammenarbeit nur bei 20 % liege, sei der Wert des Behandlungserfolgs nur 16 %. Wäre dagegen das Wissen zu 70 % gegeben, aber die Zusammenarbeit funktioniere zu 100 % gut, würde sich der Behandlungserfolg auf 70 % verbessern.

Sie erläuterte die 15 Leitsätze des Crew Ressource Managements (CRM), das aus der Luftfahrt übernommen wurde. Dazu gehöre zum Beispiel: »Fordere Hilfe an, lieber zu früh als zu spät«, »Habe Zweifel, prüfe nach«, »Setze Prioritäten dynamisch«. Wichtig sei es, sich mit anderen rückzukoppeln, also geschlossene Gesprächskreise zu praktizieren: »Close the Loop.«

Ein wunderbaren Vortrag hielt die Hebamme Kick van Walbeek zum abwartenden Management bei Fehlgeburten. Seit 30 Jahren arbeitet sie im häuslichen Umfeld südlich von München und hat inzwischen reichlich Erfahrung dazu gesammelt. Sie sei enttäuscht gewesen, dass die S2k-Leitlinie »Früher Schwangerschaftsverlust im 1. Trimenon« ohne die Mitwirkung der Hebammen verabschiedet wurde. Gleichwohl habe sie Vorschläge für bessere Formulierungen übermittelt. Die Revision sei für 2029 geplant.

Sie mahnte, zum abwartenden Verhalten gehöre auch von Seiten betreuender Hebammen, nicht verschiedene Maßnahmen wie Tees oder Globuli einzusetzen, weil sich die Frauen dann oft unter Zugzwang fühlten. Mitunter könne der Abgang der Frucht immerhin vier Monate dauern. Es gebe oft eine Latenzphase über Tage und Wochen. Die meisten Frauen verspürten schmerzhafte Kontraktionen. Sowie das Fruchtbläschen geboren sei, würden aber Blutung und Schmerz schnell nachlassen.

Wichtig zu wissen sei auch, dass die Plazenta im zweiten Trimenon meist getrennt von der Frucht komme, oft auch nicht spontan, dann müsse die Frau in die Klinik verlegt werden. Auf die Nachfrage einer Hebamme aus dem Auditorium kam ihr Hinweis: Kolleginnen mit einer Berufshaftpflichtversicherung ohne Geburtshilfe sollten vorher abklären, ob die Begleitung von Fehlgeburten davon abgedeckt wird.

Worte zum Sonntag

Fesselnde und begeisternde Vorträge von drei Hebammen gab es am Sonntag. Zunächst sprach Dr. Nancy Stone zu ihrem Forschungsprojekt zu Geburtsgeschichten: Geschichten hätten die Fähigkeit, uns zu fesseln und unser Interesse zu wecken. Junge examinierte Hebammen würden die ersten selbst betreuten Geburten so intensiv und so ergriffen erleben, dass ihre Berichte, die das Wunderbare einer Geburt in einem geschützten Umfeld hervorheben, eine tiefgreifende Wirkung auf andere hätten. Die Geburtsgeschichten könnten im Kollektiv als kulturelles Erbe geteilt werden und so nachhaltig in den Herzen anderer weiterleben. Es gebe dabei einen zukunftstragenden Welleneffekt. Stone hat viele Geburtsgeschichten gesammelt, um sie zu erforschen, und einige mit dem Auditorium geteilt, so dass die besondere Art der Ergriffenheit wohl alle erfasste.

»ASK a Midwife« heißt ihr Forschungsprojekt. Mit dem Zusatz: Erwerb von Fertigkeiten und Kenntnissen von neuqualifizierten Hebammen in Geburtshäusern. ASK steht für: Acquisition of Skills and Knowledge of Midwives. Die Erhebung wurde unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (siehe auch DHZ 8/2024, Seite 38ff.).

Die blumigen Geschichten drückten zwar keine Wahrheit in Zahlen aus, stünden aber wie die römische Göttin der Wahrheit Aletheia für Unverborgenheit. Für den Philosophen Martin Heidegger (1889–1976), auf den sich Stone hin und wieder bezog, bedeutete Alethia die Aufdeckung des Seienden. Die Wahrheit erschloss sich für ihn am grundlegendsten durch unser alltägliches In-der-Welt-Sein und die Sprache sei das Haus des Seins.

Lisa von Reiche warf ein, dass es auch auf der Webseite der Erzählcafés die Möglichkeit gebe, Geschichten von Hebammen zu sammeln. Ein lustiger Einwurf kam noch von Ilona Strache, die sich an ihre erste Geburt als Praktikantin bei Reinhild Bohlmann erinnerte: »Werde zur Tapete und staune.« Man kam überein, dass junge Hebammen als stille Beiwohnerinnen von gelingenden Geburten enorm profitieren würden.

Die Hebamme und Klimaaktivistin Anja Lehnertz-Hemberger mahnte in ihrem Vortrag zum guten Umgang mit Ressourcen sowie Mülltrennung in Kliniken (siehe auch Seite 44ff.). Sie wünschte sich die Aufnahme des Themas Nachhaltigkeit und Klimaschutz in das Curriculum der Studierenden. Sie machte auf die Organisation »Midwives for Future« aufmerksam, die sich für klimasensible Gesundheitsversorgung einsetzt. Wichtig sei auch die Einführung einer »Desaster-Hebamme«, die bei Klimakatastrophen Konzepte für die Versorgung beispielsweise von Schwangeren bereitstellt. Manche Zuhörende fühlten sich von den vorgestellten Zusatzaufgaben überfordert.

Cornelia Enning referierte über ihr Spezialgebiet, die Wassergeburt, und erzeugte mit ihren Filmen von wunderbaren Geburten im Wasser große Ergriffenheit. Sie brachte auch eine Reihe von theoretischen Ausführungen: Die Füllhöhe einer Gebärwanne sollte bei rund 80–100 cm liegen. Bis 3 cm Muttermundsweite fördere Wärme die Wehen. Die Eröffnungsphase könne man auch die »Rote Phase« nennen, denn die Wirkung von rotem Licht im Wasser passe zu diesem Zeitpunkt des Wehenprozesses. Die Stimulierung der Wehentätigkeit durch visuelle und taktile Wärme könne in der Latenzphase die Gesamtdauer einer Wassergeburt erheblich verkürzen.

Ab einer Muttermundsweite von 3 cm könne man die schmerzstillende Wirkung der Hypothermie nutzen – dann würde mit der Geburtsdauer auch die Wassertemperatur sinken, was gut sei, da es den Gebärenden während der Wehen schnell zu warm werde. Und die niedrigere Wassertemperatur bewirke auch eine deutliche Verlängerung der Wehenpausen, was der Erholung von Mutter und Kind diene.

Auch erläuterte sie das Aquabreathing, bei dem man über der Wasseroberfläche ein- und dann unter Wasser wieder ausatmet. Der Wasserwiderstand helfe dabei, dass die Frau nicht hyperventiliere. Enning, die sich in der Elterninitiative Wasserbabys engagiert, betonte auch die fördernde Wirkung des Wassers auf Babys, beispielsweise auf den Pupillenreflex: Unter Wasser verengten sich die Pupillen, da Wasser einen anderen Brechungsindex als Luft habe, dadurch werde die Tiefenschärfe größer. Laut Enning nutzen Neugeborene diesen Unterwasser-Pupillenreflex zur Interaktion mit der Mutter.

Workshops und Diskussionen

Trotz vorherigem nächtlichen Kreißsaaldienst war Hon.-Prof. Dr. Holger Maul, Leiter von drei geburtshilflichen Stationen in Hamburg, in Köln erschienen. Sein Vortrag und Workshop zum Thema Celoxtamponade sollte den teilnehmenden Hebammen diese schnell wirksame Stillung von Blutungen vermitteln (siehe auch DHZ 11/2024, Seite 20ff.). In Absprache mit einer Frau, die wegen einer Atonie ihren Uterus zu verlieren drohte, hatte er 2011 das Mittel erstmalig angewendet. Mit großem Erfolg. Seitdem konnte er die Rate an Hysterektomien deutlich senken und der Einsatz des Medizinproduktes wurde in vielen Kliniken eine Standardmethode.

Holger Maul erklärt im Workshop die ­Anwendung der Celoxtamponade bei starken Blutungen.

Obwohl Maul seine Vorbehalte gegenüber Hausgeburten immer wieder äußert, fand er es sinnvoll, den freiberuflichen Hebammen die Anwendung zu erläutern und mit ihnen am Simulationsmodell eines weiblichen Unterleibs zu erproben. Vor allem die Anwendung bei Geburtsverletzungen sei sinnvoll, denn jeder Blutverlust sei weitgehend zu vermeiden. Schon bei 200–400 ml Blutverlust solle man reagieren. Sonst gingen wichtige Sauerstoffträger verloren, wertvolle weiße Blutkörperchen und Immunglobuline und mehr.

Es entspann sich noch eine rege Diskussion mit den anwesenden Hebammen, die nach der Anwendung von Tranexamsäure fragten, ein hochwirksames Antifibrinolytikum, das die normalen Regelkreise von Blutgerinnung und Fibrinolyse durchbricht und dafür sorgt, dass das, was geronnen ist, auch geronnen bleibt. Maul war erstaunt, dass Hebammen dieses Mittel nicht geben dürfen, das jeder Rettungssanitäter beispielsweise bei Polytraumen sofort verabreiche. Für dieses Mittel werde es hoffentlich bald eine gute Regelung geben (siehe auch DHZ 11/2024, Seite 42ff.).

Es gab noch weitere gute Workshops, etwa von Martina Knapp, die den hoch­interessierten Hebammen an Modellen die Anwendung des Ultraschalls näherbrachte, um die Rolle der Hebamme in der Schwangerenvorsorge zu stärken. Auch der Workshop von der Heilpraktikerin für Psychotherapie, Sandra Brökel, mit Hinweisen zum Umgang mit akuten Krisensituationen wurde begeistert aufgenommen.

Und in einem Zirkeltraining konnten die Teilnehmerinnen an verschiedenen Stationen das Legen von Braunülen oder die Reanimation von Neugeborenen und Erwachsenen üben. An der Station der Hebamme Daniela Zahl vom Gemeinschaftskrankenhaus Klinik Havelhöhe in Berlin übten sie das Gutschwager-Manöver, die Anwendung des Rebozo-Tuches und die Psoasdehnung.

Am Samstag waren rund 150 Teilnehmerinnen vor Ort, am Sonntag 120. Viele von ihnen genossen am Abend die Musik der dreiköpfigen Band »Caro Kiste Kontrabass« aus Kassel . Eines ihrer Alben heißt »In der Nähe der Zufriedenheit«. Dementsprechend könnte man die Befindlichkeit der Abreisenden nach den erfolgreichen GeburtsHausTagen beschreiben, jedoch mit einer Steigerung: »In der Nähe sehr großer Zufriedenheit!«

Zitiervorlage
HausGeburtsTage: Für eine Geburtshilfe ohne Angst. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (12), 78–82.
Literatur
DGPFG. (2023). Langfassung des Leitfadens zum »Respektvollen Umgang mit Patient:innen in Praxis und Klinik in der Gynäkologie und Geburtshilfe« auf der Homepage der DGPFG: https://dgpfg.de/wp-content/uploads/2023/11/Langfassung-Leitfaden-zum-respektvollen-Umgang-download.pdf

Heimbach, B. (2015). Vom Lazarett in den Kreißsaal: https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/vom-lazarett-in-den-kreisssaal/

https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png