Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod (FpK): www.fpk.ch
Die Skulptur der Bildhauerin Beatrice Charen steht seit 1999 auf dem Gedenkplatz für nicht beerdigte Kinder in Ohlsdorf (Hamburg). © Susanne Nissen (vormals Schniering), www.kindergedenkplatz.de
Wenn mit der pränatalen Diagnostik Fehlbildungen oder chromosomale Aberrationen entdeckt werden, ist dies für werdende Eltern eine außerordentliche Belastung. Die Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Schwangerschaft und die damit verbundenen Folgen für das Kind und die Eltern machen das Warten auf die nächsten Entscheidungen und das Festlegen des weiteren Prozedere zu einer Zerreißprobe. Aus dieser Not heraus äußern Eltern oft den Wunsch nach einer sofortigen Beendigung der Schwangerschaft (Frauenklinik Bern 2006, S. 6).
Anders als in Deutschland ist es in der Schweiz erlaubt, eine Schwangerschaft noch am Tag der Diagnose abzubrechen. Damit Betroffene mit der Entscheidung nicht alleine gelassen werden, wurde an der Frauenklinik vor mehr als 15 Jahren ein Verlustkonzept entwickelt. Es soll die Betreuungslücke schließen zwischen der Diagnosestellung und der Entscheidung, ob eine Schwangerschaft weitergeführt wird.
Die Umsetzung dieses Konzepts im Klinikalltag ist allerdings nicht immer einfach. Die Hebammen, Lebens- und Trauerbegleiterinnen Ursula Burren und Monique von Graffenried achten darauf, dass das Konzept angewendet und die Bedürfnisse der Betroffenen abgedeckt werden. Mit Erfolg: Die Rückmeldungen aus der Belegschaft aber auch von Seiten der Betroffenen sind mehrheitlich positiv.
Ursula Burren und Monique von Graffenried, angestellte Hebammen an der Frauenklinik, stehen täglich in Kontakt mit Frauen, die sich aufgrund einer bestimmten pränatalen Diagnose plötzlich entscheiden müssen, wie und ob sie die Schwangerschaft weiterführen. Mehrheitlich sind es Frauen, die über eine externe geburtshilfliche Praxis für eine Zweitmeinung zur Frauenklinik überwiesen werden.
„Wenn ich das erste Mal auf die zukünftigen Eltern treffe, stehen diese unter Schock und sehen den Ausweg nur noch im sofortigen Abbruch“, sagt Ursula Burren. Die Lebens- und Trauerbegleiterin sieht ihre Aufgabe darin, den Betroffenen Wege aufzuzeigen, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen können. „Damit keine voreiligen Entscheidungen getroffen werden, ist die Botschaft wichtig, dass sich das Paar für die Entscheidungsfindung Zeit nehmen darf.“ Entschleunigung nennt sie das. „Damit Betroffene entscheiden können, müssen sie alle Optionen kennen und sich bewusst werden, dass dieses ungeborene Kind immer ihr Kind bleiben wird – unabhängig davon, wie sie sich entscheiden“, sagt sie. „Dabei unterstützt eine kontinuierliche Begleitung der Lebens- und Trauerbegleiterin die Entscheidungsfindung“. Ursula Burren kommt meist früh in Kontakt mit betroffenen Eltern. Ein bis zwei Tage nach Diagnosestellung erfährt sie durch die Ärztin, Hebamme oder die Eltern selbst von den Umständen. Möglichst schnell, in der Regel innerhalb von 24 Stunden, vereinbart sie ein Erstgespräch. „Nicht zu wissen, wie es weitergehen soll, ist für viele Betroffene das Schlimmste“, sagt sie. „Die Entscheidung zwischen den Möglichkeiten, das Kind auszutragen oder die Schwangerschaft abzubrechen, empfinden die Frauen als unerträglich.“ Als Fachperson könne sie den Eltern in dieser schwierigen Phase professionell beistehen.
Als Anbieterin von pränataldiagnostischen Dienstleistungen sieht sich die Frauenklinik in der Pflicht, den werdenden Eltern nicht nur während der Befunderhebung beizustehen, sondern auch bei der Verarbeitung der Diagnose. In seinem Kern trägt das Verlustkonzept dieser Verantwortung gegenüber den Klientinnen Rechnung: „Die heute üblichen Screening-Untersuchungen … ermöglichen es, die Mehrzahl der Fehlbildungen und chromosomalen Aberrationen … festzustellen. Dadurch werden Eltern und Betreuende in die Lage versetzt, über das Schicksal des ungeborenen Kindes zu entscheiden.“ (Frauenklinik Bern 2006, S.6) Ziel des Konzepts ist es nun, den Eltern und ihrem Kind eine Betreuung und Begleitung anzubieten, „die auf ihre persönliche Situation abgestimmt ist und individuelle, kulturelle und religiös-spirituelle Bedürfnisse berücksichtigt.“ (Frauenklinik Bern 2006, S.12)
So können Betroffene, sofern sie dies wünschen, auf die Unterstützung einer professionellen Lebens- und Trauerbegleiterin zählen, die nicht nur ein offenes Ohr für ihre Befürchtungen und Ängste hat, sondern auch über Erfahrungen mit den möglichen Optionen verfügt. Dazu gehören:
Ursula Burren und Monique von Graffenried stützen ihre Arbeit einerseits auf die im Verlustkonzept festgehaltenen Prozesse, andererseits auf ihren breiten Erfahrungshorizont. Indem sie Mitarbeitende bei Lebens- und Trauerbegleitungsprozessen unterstützen und im Rahmen der betriebsinternen Weiterbildung unterrichten, nimmt das Wissen darüber stetig zu. Dadurch kann sich intern eine Lebens- und Trauerbegleitungskultur etablieren, die den Eltern zugutekommt. Sämtliche Hebammen und Pflegende besuchen die interne Weiterbildung der Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod (FpK) „Familienbegleitung beim frühen Tod ihres Kindes“ (siehe Link und Seite 36). Somit können sie im Bedarfsfall auch ohne die Lebens- und Trauerbegleitung einen ersten Beistand leisten.
Das Verlustkonzept der Frauenklinik schließt mit dem Angebot der Erstberatung eine Lücke in der Betreuung von Eltern mit kranken, sterbenden oder verstorbenen Kindern. Durch die rasche Vermittlung an die im Haus angestellten Lebens- und Trauerbegleiterinnen kann den Betroffenen unmittelbar nach einer Diagnose, die eine Entscheidung verlangt, Hilfe angeboten werden. Schwangere erfahren durch die zeitnahe Kontaktaufnahme sofortigen Beistand und professionelle Unterstützung.
Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod (FpK): www.fpk.ch