Vor etwa 15 Jahren fuhr ich an einem sonnigen Tag mit der S-Bahn, als eine Frau mit ihrem Kinderwagen Schwierigkeiten beim Einsteigen hatte. Ich half ihr und setzte mich dann wieder neben einen freundlichen Mann in hohem Alter. Der wandte sich an mich und erzählte, dass er in den 1930er Jahren zum ersten Mal Vater geworden sei. Damals habe er gerade seine Frau geheiratet, weil er jüdische Vorfahren gehabt und er sich damit Schutz vor einer Verfolgung erhofft hatte.
Bald nach der Eheschließung sei ihr erster Sohn unterwegs gewesen, auf den sich beide wahnsinnig gefreut hätten. Das Kind sei ohne Komplikationen in der Klinik zur Welt gekommen. Sie gaben ihm den Namen »Peter«.
Allerdings trug die Hebamme den kleinen Jungen sofort aus dem Zimmer und erklärte den werdenden Eltern, er sei tot geboren worden. Seine Frau und er seien sehr verzweifelt gewesen, aber die Hebamme habe das Kind nicht mehr herausgegeben und sei auch sehr unfreundlich mit ihnen umgegangen. Ich fragte ihn, ob sie ihr damals geglaubt hätten, dass Peter gestorben sei. Er meinte, den beiden sei sofort klar gewesen, dass das eine Lüge war. Es sei bekannt gewesen, dass jüdische Neugeborene schlechte Chancen gehabt hätten zu überleben. Sie hätten nach dem Krieg noch zwei Mädchen bekommen, aber das habe den Schmerz über den gewalttätigen Verlust des ersten Kindes nicht besänftigen können.
Da saßen wir in der Bahn im Sonnenschein, während dieser zerbrechliche alte Herr sich unter Tränen an seinen Sohn erinnerte. Ich berührte seine Hand, während ich seine Geschichte anhörte. Ich spürte seinen Schmerz und seine Trauer, aber auch seine Angst um das eigene Leben. Er selbst hatte mit Glück den Nationalsozialismus überlebt.
Sein Sohn Peter wäre jetzt selbst ein alter Mann, vielleicht wäre er selbst Vater und Großvater geworden. Die Hände der Hebamme haben ihm dieses Leben genommen.