Die Angeklagte berät sich mit ihrem Strafverteidiger und dem Gutachter der Verteidigung.
Zeichnung: © Nikolaus Baumgarten
Ein viel beachteter Strafprozess gegen eine freiberufliche Hebamme wegen »grob fahrlässiger Tötung« fand am 17. Februar in Wien statt. Verhandelt werden sollte über den tragischen Fall der Geburt der kleinen Charlotte. Ein schicksalhaftes Geschehen aufgrund der mangelentwickelten Plazenta? Hatte die Hebamme die Risiken bei Zustand nach Kaiserschnitt korrekt eingeschätzt?
Die Mutter der verstorbenen Charlotte hatte sich in ihrer zweiten Schwangerschaft für eine selbstbestimmte Geburt zu Hause entschieden, nachdem sie 2020 die Geburt ihres ersten Kindes im Krankenhaus als traumatisch erlebt hatte. Diese hatte mit einem Kaiserschnitt geendet. Drei Monate später war eine Saugkürettage notwendig geworden, um Plazentareste zu entfernen.
Die Wiener Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Strafantrag der angeklagten Hebamme zur Last gelegt, sie habe entgegen den Bestimmungen des Österreichischen Hebammengesetzes sowie entsprechender Empfehlungen eine Hausgeburt durchgeführt, die weder in der Planung noch Durchführung lege artis erfolgt sei. Auch sei die Entscheidung zur Verlegung ins Krankenhaus weder zeit- noch sachgerecht getroffen worden. Dadurch sei das Neugeborene »bei einer längerfristig vorbestehenden Gewebsschädigung der Plazenta« an den Folgen eines Sauerstoffmangels während der Geburt mit Aspiration von Mekonium und Organschädigung des Gehirns und innerer Organe an einem Herz-Kreislauf-Versagen fünf Tage später in der Kinderklinik gestorben (siehe Kasten).
Verlauf nach der Dokumentation der Hebamme und der Klinik
Charlottes Geburt
Am 29. September 2023 soll die Geburt eines kleinen Mädchens zu Hause stattfinden. Um 4.15 Uhr bekommt die Hebamme eine Nachricht, dass nachts gegen 1 Uhr die Fruchtblase gesprungen sei, klares Fruchtwasser. Inzwischen Wehen alle 15 Minuten. Gegen 6 Uhr ein Anruf mit der Bitte, die Hebamme möge nun kommen, die Wehen kämen alle drei Minuten. Gegen 6.30 Uhr trifft die Hebamme bei der Gebärenden ein, die zweite Hebamme kommt kurz vor 8.30 Uhr. Zunächst verläuft alles unauffällig, im Geburtsprotokoll sind alle Details vorbildlich dokumentiert: Das Fruchtwasser ist immer klar. Die regelmäßig mit Dopton auskultierten Herztöne liegen im normalen Spektrum zwischen 125 und 155 Schlägen pro Minute (spm). Die Mutter kommt im Pool mit ihren Wehen gut zurecht, hört Meditationsmusik. Gegen 9.30 Uhr ist der Muttermund auf acht Zentimeter eröffnet, zwei Stunden später gegen 11.30 Uhr noch eine Muttermundslippe zu tasten. Langsamer Geburtsfortschritt ist im Partogramm vermerkt. Die Wehen sind etwas schwächer und kürzer. Um 12.10 Uhr ist der Muttermund verstrichen, der Kopf hat die Interspinalebene erreicht. Nach einer Fußreflexzonenmassage hat die Wehentätigkeit gegen 13.30 Uhr wieder zugenommen.
13.45 Uhr kommt es erstmals zu einer Dezeleration – nach der Wehe, zehn Sekunden lang bis 107 spm. 13.48 Uhr Lagewechsel. Trotz Erholung auf 125–130 spm nach der nächsten Wehe wieder eine Dezeleration auf 98 spm. Vaginale Untersuchung: der Kopf zwischen Interspinalebene und Beckenboden, kein Pressdrang. Sofort entschließen sich die Hebammen zum Transfer in die Klinik.
Die zweite Hebamme ruft um 13.54 Uhr Rettung und Notarzt – parallel legt die andere einen venösen Zugang, Tokolyse wird verabreicht – die Herztöne haben sich wieder stabilisiert bei 120–130 spm. Um 13.58 Uhr erneut eine späte Dezeleration bei 100 spm – zehn Sekunden lang. Die Klinik wird angerufen, um über die anstehende Verlegung zu informieren.
14.10 Uhr Ankunft des Rettungsteams. 14.17 Uhr zügige Abfahrt. Während die zweite Hebamme nach Hause fährt, macht sich erste Hebamme mit ihrem Auto auf den Weg zur Klinik, trifft drei Minuten vor der Gebärenden dort ein und informiert das bereitstehende Team einschließlich Chefarzt über den Geburtsverlauf, auch der Kinderarzt war gerufen worden.
14.30 Ankunft der Gebärenden im Kreißsaal, Umlagerung aufs Gebärbett. Per Ultraschall wird festgestellt, die Herztöne sind bradycard bei 63 spm. Der Chefarzt entscheidet, das Kind mit Forcepsextraktion von Beckenausgang und Kristellerhilfe zu entwickeln.
Um 14.40 Uhr wird das kleine Mädchen geboren – mit schwerer Asphyxie bei grünem Fruchtwasser, schlaff ohne Reflexe, mit Apgar-Werten von 1 / 2 / 5, arteriellem Nabelschnur-pH von 6,63, venösem von 6,87.
Die Eltern geben ihrer neugeborenen Tochter den Namen Charlotte. Sie ist mit Reifezeichen am Termin geboren, wiegt 2.800 g bei einer Länge von 53 cm, Kopfumfang 36,5 cm.
Vom neonatologischen Team wird sie sofort erstversorgt und reanimiert: Stimulation, Herzdruckmassage, Absaugen von viel mekoniumhaltigem Sekret, nasale Intubation, Sauerstoffgabe.
Um 15 Uhr wird sie auf die Neonatologische Intensivstation verlegt, gekühlt und beatmet. Immer wieder kommt es zu Krämpfen.
Fünf Tage später, am 4. Oktober 2023 um 15.18 Uhr stirbt Charlotte an den Folgen eines Sauerstoffmangels. Weil bei Charlotte keine Hirnaktivität festzustellen und ihre Prognose infaust war, haben sich ihre Eltern mit dem Ärzt:innenteam für die Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen und für eine palliative Versorgung entschieden.
Charlottes Plazenta war mit einem Gewicht von 266 g nur halb so groß wie üblich und damit zu klein und mangelhaft entwickelt. Sie wies ausgedehnte Gitterinfarkte auf. Ihre Funktionsstörung wird von den Gutachter:innen als grundsätzliche Ursache für die Hypoxie mit Mekoniumaspiration am Ende der Geburt angesehen.
Laut Staatsanwaltschaft habe die Hebamme durch ihre Vorgehensweise »das Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Absatz 1 des Strafgesetzbuches begangen«. Dieser Paragraf besagt: »Wer grob fahrlässig (§ 6 Absatz 3) den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.«
Die 42-jährige Hebamme weist die Vorwürfe zurück. Sie war schon im Vorfeld des Prozesses gemeinsam mit der Mutter des verstorbenen Kindes an die Presse herangetreten. Die beiden hatten auch gemeinsam einen Podcast zu dem tragischen Fall veröffentlicht (siehe Link). Die Mutter ist von der Unschuld ihrer Hebamme und der Schicksalhaftigkeit des Todes ihrer Tochter überzeugt. Sie kämpft an der Seite ihrer Hebamme für deren Freispruch.
Großes Interesse
Bereits eine Stunde vor Prozessbeginn hat sich am Eingang des Landesgerichts für Strafsachen eine lange Schlange gebildet. Unter den zahlreichen Interessierten sind Hebammen und Doulas. Es wird eine Herausforderung, der Verhandlung zu folgen: Ohrenbetäubender Baulärm klingt fast so, als würden Bohrhämmer durch die Rückwand eindringen. Viele Details der Verhandlung sind kaum zu verstehen.
Zu Beginn der Hauptverhandlung, die um 9.30 Uhr unter Vorsitz des Einzelrichters Mag. Martin Kampitsch startet, werden die Personalien der angeklagten Hebamme abgeglichen. Gegen die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern lägen bisher keine Verurteilungen vor, stellt der Richter fest. Sie habe den Strafantrag vom 26. November 2024 erhalten, bestätigt diese.
An einem langen Tisch auf der rechten Seite des Saales sitzen eine Gutachterin und zwei Gutachter: Dr. Barbara Maier, Professorin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Sigmund Freud Universität Wien und ehemalige Chefärztin an der Klinik Ottakring des Wiener Gesundheitsverbundes, sowie Prof. Dr. Horst Steiner, Facharzt an der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus St. Josef in Braunau am Inn, und der Wiener Gerichtsmediziner Dr. Wolfgang Denk. Links sitzen der Staatsanwalt Mag. Andreas Isep und der Strafverteidiger Dr. Matthias Cernusca. Der Gutachter der Verteidigung, Dr. Sven Hildebrandt aus Dresden, Professor für Hebammenwesen an der Hochschule Fulda, sitzt rechts neben dem Verteidiger. Zur Saalmitte hin befinden sich an den Außenseiten der Tische zwei lange Bänke. Die Angeklagte hat dort Platz zu nehmen, ihren Strafverteidiger und den Staatsanwalt im Rücken, die Gutachter:innen vor sich. Bis auf die Gutachter:innen des Gerichts, die jenseits des Rentenalters sind, scheinen alle Prozessbeteiligten in einem mittleren Alter um die 40 Jahre oder jünger zu sein.
Der Strafverteidiger
Anders als in Deutschland trägt der Staatsanwalt zu Beginn seine Anklage nicht öffentlich vor, sondern Strafverteidiger Cernusca verliest direkt die Entgegnung der Verteidigung zum Strafantrag: »Die Angeklagte bekennt sich nicht schuldig«, beginnt er, ein objektiver Sorgfaltsverstoß liege nicht vor. In Österreich existiere kein generelles Verbot von Hausgeburten bei einem Zustand nach Sectio. Ein erhöhtes Risiko gelte dabei, wenn überhaupt, nur für die Mutter. Im vorliegenden Fall sei die erste Geburt eingeleitet worden. Das habe zu einer Interventionskaskade und damit zum Kaiserschnitt geführt.
»Meine Mandantin ist eine ausgewiesene Expertin. Sie ist auch gerichtlich beeidete Sachverständige für Hebammenwesen«, fährt er fort. Sie habe bereits viele Hausgeburten aufgrund der Umstände der Einzelfälle abgelehnt, weil sie diese als zu riskant eingeschätzt habe.
Aus der Ex-ante-Sicht habe sie bei dieser Hausgeburt keine Hinweise auf Gefahren erkennen können. Es habe auch keinen Geburtsstillstand und keine protrahierte Geburt gegeben, wie von Gutachterin Maier behauptet. Aus der sorgfältigen Dokumentation seiner Mandantin sei nachzuvollziehen: »Leitlinien waren weit davon entfernt, dass sie hier nicht erfüllt waren.« »Ich wäre froh, wenn ich immer so eine gute Dokumentation hätte«, setzt er hinzu.
Ein erstes »Destruktivitätszeichen« sei mit einem Abfall der Herztöne auf etwa 100 Schläge pro Minute (spm) um 13.45 Uhr aufgetreten. Sofort hätten sich die Hebammen zu einer Verlegung ins Krankenhaus entschlossen. Unstrittig sei, dass die Plazenta unterentwickelt und deshalb Ursache für die Komplikationen gewesen sei. Bei den Sorgfaltsverstößen müsse geprüft werden, ob tatsächlich objektive Verstöße vorlagen. »Die Hausgeburt ist ein kontroverses, emotionales Thema«, gibt er zu bedenken. Hier sei es wichtig, dass man die persönliche Ansicht zurücknehme und sich auf objektive Fakten beschränke.
Die Angeklagte sagt aus
Nun wird die Angeklagte vernommen. Sie antwortet jeweils klar und ohne zu zögern, beschreibt differenziert ihre Arbeitsweise. Sie sei seit 2007 Hebamme, Hausgeburten betreue sie seit 2008, 30 bis 40 pro Jahr – bislang etwa 500 Geburten, davon 150 bei Zustand nach Sectio. Mit der Mutter von Charlotte sei sie 2023 beim Erstgespräch die Geschichte ihrer ersten Geburt genau durchgegangen. Die Schwangere sei sehr gut informiert gewesen, habe da schon ihre Masterarbeit gelesen zum Thema »Hausgeburt nach Kaiserschnitt – eine Diskursanalyse«. Sie hätten auch den OP-Bericht zur Sectio besprochen und den Bericht zur späteren Saugkürettage. Sie habe kein spezielles Risiko für diese Geburt gesehen, dem sie nicht präventiv hätte entgegentreten können.
Richter Kampitsch fragt nach dem Risiko, dass die alte Sectionarbe wieder aufreiße. So ein Notfall trete in 0,5 bis 0,8 % der Fälle auf, erläutert die Hebamme. »Das wird forciert durch Wehenmittel, was wir in der Hausgeburtshilfe nicht verwenden. Dadurch ist das Risiko noch geringer.« Dass sich die Plazenta nicht in der Region der Narbe angesiedelt habe, habe die Schwangere bereits beim Organultraschall kontrollieren lassen. »Das Krankenhaus hat von einer Hausgeburt abgeraten, haben Sie das gewusst?«, fragt der Richter. »Ja«, antwortet sie. Es sei üblich, dass in der Klinik von einer Hausgeburt abgeraten werde. Die Schwangere habe das gewusst und dennoch den Wunsch nach einer Hausgeburt gehabt.
Auf den möglicherweise bestehenden Schwangerschaftsdiabetes der Frau angesprochen, erläutert sie, diese habe den Glucusetoleranztest abgelehnt und von Anfang an engmaschig Blutzuckertagesprofile erstellt. Wie in der ersten Schwangerschaft habe sie eine zuckerfreie Diät eingehalten. Auffällige Werte seien niemals aufgetreten. Das sei ausreichend, besage die Leitlinie. Sie habe die Frau gemeinsam mit der Gynäkologin in einer dualen Schwangerenvorsorge betreut. »Die Gynäkologin war darüber informiert und hat ihr Okay gegeben, so vorzugehen.«
Zunächst unauffälliger Verlauf
Zur Geburt schildert sie, dass die Herztöne des Kindes um 13.45 Uhr nach unauffälligem Verlauf zum ersten Mal suspekt gewesen und nach einer Wehe auf 107 spm abgesunken seien. Sie habe sofort untersucht und die Gebärende zu einem Lagewechsel veranlasst. »Wie wurden die Herztöne überprüft?«, fragt der Richter. »Mittels Dopton«, antwortet die Hebamme, laut Studien sei dies gleichwertig zu einer CTG-Überwachung. Der Richter spricht einen Eintrag im Partogramm an: »Um 11.30 Uhr ist dokumentiert, langsamer Fortschritt, das Fruchtwasser ist klar.« Die Hebamme erklärt: »Das Nachlassen der Wehen zwischendurch ist ganz normal. Der Geburtsfortschritt war deutlich zwischen acht Zentimeter Muttermunderöffnung und bis auf Saum vollständig.« Die Herztöne seien alle 15 bis 30 Minuten kontrolliert worden. Um 13.45 Uhr seien die Wehen stärker gewesen als vorher. »Warum wurde kein Dauer-CTG geschrieben?« »Wenn ich ein CTG brauche, ist das ein Grund für die Verlegung in die Klinik«, erläutert die Angeklagte. Der Gutachter Prof. Steiner fordere auch bei protrahierter Geburt ein CTG, sagt der Richter. »Dies war keine protrahierte Geburt«, stellt die Hebamme klar. In der Eröffnungsperiode habe sich der Muttermund innerhalb von zwei Stunden mindestens einen Zentimeter weiter eröffnet. Auf die Plazenta angesprochen, schildert sie, sie haben wissen wollen, wo die Plazenta lokalisiert sei, um auszuschließen, dass sie sich im Narbengewebe angesiedelt habe.
» Zum Transfer in die Klinik gefragt, schildert die Hebamme, sie habe den Entschluss bei der zweiten Dezeleration gefasst. «
Längere Sauerstoffunterversorgung
Prof. Steiner spreche in seinem Gutachten von einer Sauerstoffunterversorgung des Kindes von mindestens einer Stunde. Es müsse längerfristige Herzton-Alterationen gegeben haben, merkt der Richter an. Die Hebamme erwidert: »Ich gehe davon aus, dass Charlotte chronisch unterversorgt war. Kinder halten Stress normalerweise gut aus. Hier muss ein längerer hypoxischer Zustand bestanden haben. Mich wundert, warum es keine Anzeichen gegeben hat.«
Anschließend stellt Staatsanwalt Andreas Isep Fragen, unter anderem, ob eine CTG-Überwachung bei Hausgeburten generell nicht eingesetzt werde oder ob nur sie darauf verzichte. Eine CTG-Überwachung sei bei Hausgeburten generell unüblich. In einem Krankenhaus sei der Schwangeren von einer Hausgeburt abgeraten worden, fragt der Staatsanwalt weiter: »… in einer anderen Klinik sogar ›dringend abgeraten‹ worden.« »Der Befund stand mir nicht zur Verfügung«, entgegnet die Hebamme. Prof. Steiner habe bemängelt, in diesem Setting hätte der Transfer in die Klinik früher erfolgen müssen, konfrontiert Isep die Hebamme. »Es gab früher keinen Grund zur Sorge«, erläutert die Geburtshelferin.
»Gab es in der Schwangerschaft Gründe, dass die Schwangere die Klinik aufgesucht hat und es zum Bericht im Krankenhaus gekommen ist?«, fragt nun ihr Strafverteidiger. »Ja«, antwortet die Hebamme. Als das Kind eine Zeit lang in Beckenendlage gelegen habe, habe sich die Schwangere vorsorglich in der Klinik angemeldet. Die BEL sei für gefährlich gehalten und der Frau zu einem primären Kaiserschnitt geraten worden. »Hätten Sie bei einer Beckenendlage keine Hausgeburt betreut?« »Nein.« »Waren Sie immer der Überzeugung, dass Sie die rechtlichen Bestimmungen einhalten?«, fragt ihr Verteidiger. »Ja«, ist die klare Antwort.
Zuckerfrei – fraglicher Gestationsdiabetes
Gutachter Prof. Steiner fragt, wie das Blutzuckertagesprofil durchgeführt worden sei. Die Hebamme schildert, die Schwangere habe sich von Anfang an zuckerfrei ernährt. In einer App habe sie die Werte dokumentiert. »Warum wurde kein Zuckerbelastungstest durchgeführt?«, hakt der Gutachter nach. »Die Frau wollte nicht 75 g Glucose einnehmen, wenn sie weiß, dass sie eine Prädisposition für Gestationsdiabetes hat.«
Zum Transfer in die Klinik gefragt, schildert die Hebamme, sie habe den Entschluss bei der zweiten Dezeleration gefasst. Steiner bemerkt, in der Klinik erwarte man eine E-E-Zeit – die Spanne vom Entschluss bis zur Entbindung – von 20 Minuten. Hier habe es eine längere Transportzeit gegeben. »Das ist mir bewusst und es war auch der Frau bewusst.« Sie habe deshalb ein Medikament zur Tokolyse verabreicht. Hebammen seien geschult, in Notfällen zu reagieren. In diesem Fall sei die Verkehrssituation besonders ungünstig gewesen, so dass die Verlegung 36 Minuten ab Notruf gedauert habe. Die Klinik liege eigentlich nicht weit entfernt.
Gutachterin Prof. Maier weist auf internationale Leitlinien zur E-E-Zeit von 20 Minuten hin bei Zustand nach Sectio. Die Angeklagte erwidert: »Es gibt Studien, die anders lauten, beispielsweise eine neuseeländische Studie.« Es gehe dabei um das Risiko der Uterusruptur: »Das Problem war hier nicht gegeben.« Die chronische Plazentainsuffizienz wäre durch eine Dauer-CTG-Überwachung erkannt worden, insistiert die Gutachterin. Die Hebamme bezweifelt das: Eine chronische Plazentainsuffizienz werde durch ein CTG häufig nicht erkannt.
Obduktion
Nun berichtet der Sachverständige Gerichtsmediziner Dr. Wolfgang Denk von der Obduktion sechs Tage nach dem Tod von Charlotte. Er hatte festgestellt, dass Charlotte »an den Folgen eines Sauerstoffmangels im Herz-Kreislauf-Versagen gestorben« sei. Das Kind sei 2.300 g schwer gewesen bei einer Länge von 53 cm und einem Kopfumfang von 36,6 cm, Reifezeichen seien vorhanden gewesen: Die Fingernägel hätten die Fingerkuppen erreicht, die Zehennägel die Zehenkuppen. In der Lunge habe sich Kindspech befunden. Am Gehirn, das sich bereits in Autolyse befunden habe, habe er Zeichen von Sauerstoffmangelversorgung festgestellt.
Der Staatsanwalt möchte von ihm wissen, wie viel Anteil er der Hausgeburt am Tod des Neugeborenen zuschreibe und wie viel der Plazenta. »Das würde ich mich aus dem Obduktionsbefund nicht abzuleiten getrauen«, gesteht der Gerichtsmediziner ein.
Die Mutter im Zeugenstand
Um 10.30 Uhr wird Charlottes Mutter als Zeugin vernommen. Zunächst wird sie aufgeklärt, dass sie bei einer Falschaussage bestraft werden könne. Der Richter beginnt zu fragen: »Sie haben im Ermittlungsverfahren eine Stellungnahme geschrieben. Sie machen Ihrer Hebamme keinen Vorwurf. Wie sind Sie miteinander in Kontakt gekommen?« Sie habe im Frühjahr 2023 versucht, eine Wahlhebamme für eine Klinikgeburt zu finden. Obwohl sie erst in der achten Woche schwanger gewesen sei, habe sie nur Absagen erhalten, da alle ausgebucht gewesen seien. Wahlhebammen in Österreich sind vergleichbar mit Beleghebammen in Deutschland, allerdings arbeiten sie ohne Kassenvertrag. Die Mutter fährt fort, im Freundeskreis sei sie auf die Möglichkeit einer Hausgeburt aufmerksam gemacht worden – und auf ihre spätere Hebamme, die auch Hausgeburten nach einem Kaiserschnitt übernommen habe.
»Was hat die Angeklagte über Hausgeburten gesagt? Wurden Sie aufgeklärt?«, fragt der Richter. »Ich hatte mich vorher informiert und habe Unterlagen der ersten Geburt zum Erstgespräch mitgenommen«, schildert die Mutter. Zur Saugkürettage drei Monate nach ihrer ersten Geburt habe die Hebamme angemerkt, es sei unwahrscheinlich, dass sich das wiederhole. »Hat die Hebamme Sie über Leitlinien aufgeklärt, was hat sie dazu gesagt?«, fragt der Richter. »Dass Leitlinien bei Zustand nach Sectio eine Geburt im Krankenhaus empfehlen.« »Sie haben sich trotzdem für die Hausgeburt entschieden?« »Ja«, antwortet die Mutter.
»Haben Sie über ein Dauer-CTG gesprochen?«, möchte Richter Kampitsch wissen. Die Mutter weiß es nicht mehr. Der Richter fragt weiter: »Und am Geburtstag selbst, als die Wehen einsetzten?« Die Mutter: »Wie üblich bei Hausgeburten wurden die Herztöne mit dem Dopton abgehört.« Abschließend fragt der Richter: »Sie können sich dem Verfahren anschließen, um wegen Trauergeld zu klagen. Ich nehme an, Sie möchten das nicht tun, weil Sie der angeklagten Hebamme keinen Vorwurf machen.« Die Zeugin bejaht das.
Weitere Fragen an die Mutter
Staatsanwalt Andreas Isep fragt die Mutter nach der Entscheidung zur Hausgeburt. Eine Erfahrung wie bei der ersten Geburt habe sie nicht noch einmal machen wollen. »Wenn Ihre Hebamme von einer Hausgeburt abgeraten hätte, wären Sie in den Kreißsaal einer Klinik gegangen?« »Ja«, antwortet die Mutter. »Ärzte haben von einer Hausgeburt abgeraten«, merkt der Staatsanwalt an. »Klinikärzte haben ja generell von einer Hausgeburt abgeraten, sie sind nicht auf mich und meine Geschichte eingegangen. Meine Hebamme hat sich mit mir auseinandergesetzt.« Etwas später sagt sie aus: »Ich wüsste nicht, wann meine Hebamme mich während der Geburt eher hätte in die Klinik verlegen sollen. Es gab keinen Geburtsstillstand, ich habe immer gearbeitet.«
Nun schaltet sich die Gutachterin Prof. Dr. Maier ein: Bei der ersten Geburt seien die Herztöne auffällig gewesen, was die Indikation zur Sectio gewesen sei. Ob sie nicht besorgt gewesen sei, dass sich so etwas wiederhole, fragt Gutachterin Maier. Nach einem Blasensprung sei damals nach 24 Stunden die Geburt gegen ihren Wunsch eingeleitet worden. Es habe einen Wehensturm gegeben, sie habe Schmerzmittel benötigt, auch eine PDA und habe die Kontrolle verloren. Ihr Unterleib sei ihr nicht mehr bewusst gewesen. »Einen solchen Kontrollverlust habe ich in meinem Leben noch nie erlebt«, erinnert sie sich. Der Kaiserschnitt sei damals keine Notsectio gewesen.
Sie habe bei dieser Geburt den Wunsch zu einer Eins-zu-eins-Betreuung gehabt. Ihre Tochter sei nicht wegen ihrer Hebamme gestorben, sondern wegen der fehlgebildeten Plazenta. Das habe man vorher nicht erkannt. »So etwas muss man doch im Ultraschall erkennen!«, bemerkt die Mutter. »Ich glaube, wir belassen es dabei. Sie sind hier als Zeugin, nicht als Sachverständige«, beendet der Strafverteidiger die Befragung der Mutter.
» Nach dem Plädoyer des Verteidigers zieht sich der Richter für fünf Minuten zurück. Als er seinen Platz wieder eingenommen hat, verliest er zügig, monoton und nachlässig seinen Urteilsspruch. Das Urteil: Schuldig. «
Gutachten von Professorin Maier
Als Charlottes Mutter wieder im Zuschauerraum Platz genommen hat, erläutert Prof. Maier Details ihres Gutachtens. Die erste Klinik, die die Schwangere damals aufgesucht habe, habe ihr nicht nur für den Fall einer Beckenendlage, sondern auch bei Schädellage dringend von einer Hausgeburt abgeraten. Aus dem Arztbrief der zweiten Klinik liest sie vor: »Patientin möchte die Schwangerschaft nicht ›pathologisieren‹. Patientin berichtet, dass sie eigentlich bei Status nach Sectio eine Hausgeburt gewünscht habe. Patientin hat sehr spezifische, individualisierte Vorstellungen und Wünsche zu ihrer Geburt. Der Patientin wird dargelegt, dass bei Zustand nach Sectio eine Hausgeburt aus unserer Sicht nicht verantwortbar erscheint. Es wird ihr dringend davon abgeraten.«
Richtig sei, dass das Hebammengesetz die Hausgeburt bei Zustand nach Sectio nicht verbietet. Hier sei aber einiges zusammengekommen: eine mögliche Plazentationsstörung durch die Kürettage, dann die Geburtsstillstandsproblematik. »Ich würde von protrahiertem Verlauf sprechen«, urteilt die Gutachterin. Dann habe die Verlegung in diesem Fall fast eine Stunde gedauert. »Es gibt Grenzen des eigenverantwortlichen Handelns der Hebamme.«
»Die Geburt ist viel zu lange im Hausgeburtssetting toleriert worden. Es hätte Wehenmittel bedurft.« Der Geburtsstillstand der ersten Geburt, der zur Sectio geführt habe, sei relevant für die nächste Geburt. Auf Nachfrage von Richter Kampitsch betont Maier, ein Dopton sei kein adäquater Ersatz für ein CTG. »Ab welchem Zeitpunkt hätte verlegt werden müssen?«, möchte der Richter wissen. »11.30 Uhr wäre ein guter Zeitpunkt gewesen«, antwortet Maier, »als die Herztöne absanken.« Ab 13.45 Uhr sei das dokumentiert, wendet der Richter ein: »Erst da gab es Auffälligkeiten.« »Wir haben ja nichts in den Händen. Keinen CTG-Streifen«, beklagt Maier.
»Die Plazentastörung – entlastet das die Hebamme?«, fragt der Richter weiter. »Ja, aber die Kompensation des Kindes wird auffällig durch das CTG.« »Hätte das Kind in der Klinik überlebt?« Maier schätzt: »Sehr wahrscheinlich«, und ergänzt: »Leitlinien haben eine große Empfehlungskraft.« »Wenn Leitlinien missachtet werden, wird dann der Tod wahrscheinlich?«, fragt der Richter weiter. »Darauf würde ich mich nicht versteifen«, entgegnet Maier.
Der Verteidiger schaltet sich ein: »Sie sagten, um 11.30 Uhr hätte die Verlegung in die Klinik erfolgen sollen. Aus welchem Grund? Dass es bei der Geburt Phasen gibt, die produktiver und weniger produktiv sind, ist normal.« »Es wäre um 11.30 Uhr klug gewesen in die Klinik zu verlegen, weil es das CTG zu Hause nicht gibt.«
Gutachter Professor Steiner
Prof. Steiner kommt auf den fraglichen Gestationsdiabetes zurück. Ein Tagesprofil hätte man jeden Tag erstellen müssen. Möglicherweise hätten durch einen Diabetes Gefäße in der Plazenta zerstört werden können, die vaskuläre Problematik sei bekannt. Eine Infektion als Ursache für die mangelhaft entwickelte Plazenta sei nicht dokumentiert. Er unterstützt Gutachterin Maier in ihrer Forderung nach CTG-Überwachung: »Funktionsstörungen der Plazenta sind kaum oder schwer zu erkennen. Der letzte Ultraschall war in Schwangerschaftswoche 35+5. Das ist nicht schwarz oder weiß. Je geringer das Wachstum, bei Abfallen der Wachstumskurve auf den Perzentilen besteht Verdacht auf Hypoxierisiken«, erläutert Steiner. »Eine chronische Hypoxie erkennt das CTG nicht, aber eine akute.«
Der Vorsitzende möchte vom Gutachter wissen, was die wahrscheinlichen Ursachen für den Tod waren. Steiner urteilt: »Bei der Geburt wurden Probleme nicht erkannt. Selbst bei niedrigem Risiko hätte in der Situation kontinuierlich überwacht werden müssen.« Richter Kampitsch: »Mit dem Dopton?« Steiner entgegnet: »Das war hier nicht ausreichend, weil es nicht Niedrig-Risiko war.« Kampitsch fragt weiter: »Wenn man eine CTG-Überwachung gehabt hätte, hätte das Kind überlebt?« Prof. Steiner schätzt: »Wenn man ab 11.30 Uhr mit einem CTG überwacht hätte – sehr wahrscheinlich!«
Der Strafverteidiger spricht seine Mandantin noch einmal zur Frage an, ob es sich um eine protrahierte Geburt gehandelt habe. »Es war eine langsame Geburt, sie war nicht protrahiert! Es ist immer weiter gegangen, nie ›idem‹ gewesen. Auch der Kopf ist bis kurz vor der Verlegung immer tiefer getreten, die ganze Zeit gab es einen Geburtsfortschritt«, schildert die Angeklagte. »Können Sie die Einschätzung, dass die Geburt protrahiert verlaufen sei, nachvollziehen?«, fragt ihr Verteidiger weiter. »Nein, sonst hätte ich sie eher verlegt.«
Kein Mündlichkeitsgrundsatz
In Deutschland herrscht bei Gericht der Mündlichkeitsgrundsatz: Im Urteil darf lediglich das in der Hauptverhandlung »gesprochene Wort« verwertet werden. Das ist hier im Wiener Gerichtssaal anders. Schriftliche Dokumente, wie die Geburtsdokumentation, Gutachten oder Stellungnahmen der Verteidigung kommen, wenn überhaupt, stark zusammengefasst zur Sprache. Als Zuschauer:in kann man Aussagen der Gutachter:innen zu den geburtshilflichen Umständen nicht unbedingt nachvollziehen, weil die Dokumente dazu nicht verlesen werden.
Da die angeklagte Hebamme mir Einblick in ihre Prozessunterlagen gewährt hat, bemerke ich immer wieder eine Diskrepanz zwischen dem, was ich im Original gelesen hatte und wie hier die gutachterlichen Einschätzungen sind. Beispielsweise im Vergleich mit dem Partogramm, ob die Hausgeburt als protrahiert einzuschätzen und damit eine zeitigere Verlegung zur Dauer-CTG-Überwachung zwingend gewesen sei.
Während ich in Schnellschrift alles in einem großen Heft mitschreibe, arbeitet die Journalistin neben mir ihren Text direkt in ihr Laptop in eine Layout-Maske der »Kronen-Zeitung« ein. Auch ein Handyfoto der Angeklagten, das sie morgens vor Verhandlungsbeginn aufgenommen hat, ist bereits eingepflegt und ein Titel in fetten schwarzen Lettern. Dort prangt schon die Überschrift: »15 Monate bedingt – Hebamme nach fataler Hausgeburt verurteilt«, bevor der Richter das Urteil verkündet hat.
Bevor Richter Kampitsch 20 Minuten Pause bis 12.25 Uhr anordnet, stellt Strafverteidiger Cernusca mehrere Beweisanträge: Erstens, das Gutachten eines Fetalpathologen einzuholen, um zu klären, wie lange der hypoxische Gehirnschaden vorbestanden habe, wie häufig es im Krankenhaussetting zu Todesfällen bei Plazentainsuffizienz komme, sowie zur Erstellung einer genauen Fetalpathologie mit Genetik – gegebenenfalls auch anhand noch vorhandener Organproben. Dies solle klären, ob die Hausgeburt überhaupt das Risiko gegenüber einer Geburt in der Klinik erhöht habe. Zweitens beantragt er, die zweite Hebamme als Zeugin zu laden, die gemeinsam mit der Angeklagten die Geburt geleitet hatte. Dies solle beweisen, dass die Hausgeburt sorgfältig durchgeführt worden und dass die Entscheidung zur Verlegung rechtzeitig erfolgt sei. Drittens solle der Pathologe Prof. Dr. Richard Arnold als Zeuge geladen werden, der die Plazenta begutachtet habe.
Zügiges Ende
Nach der Pause geht es überraschend schnell: Der Richter lehnt die Beweisanträge ab. Staatsanwalt und Verteidiger sollen ihre Plädoyers halten. Der Staatsanwalt beginnt und plädiert auf »schuldig«: Die Gutachter:innen Prof. Dr. Maier und Prof. Dr. Steiner seien im Einklang mit der Literatur der einhelligen Meinung gewesen, dass im konkreten Fall von Charlotte die Reaktion ihrer Hebamme zu langsam gewesen sei und die Geburt, wenn sie frühzeitig ins Krankenhaus übergeleitet worden wäre, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gut ausgegangen wäre. Auch wenn er sich nicht anmaßen wolle, sich in die Mutter hineinversetzen zu können, welche traumatischen Umstände sie bei der ersten Geburt erlebt habe und was bei einer Geburt Selbst- und Fremdbestimmung sei: Im Fall dieser Hausgeburt sei die Mutter durch die angeklagte Hebamme fremdbestimmt gewesen.
»Das sagt sich alles so leicht im Nachhinein«, meint der Strafverteidiger: »Ärzten aus großen Kliniken nehme ich es nicht einmal übel, dass sie gegen Hausgeburten sind. Aber hier geht es um jedes Detail, weil es für die angeklagte Hebamme um viel geht, auch für den Hebammenberuf generell. Ich verstehe nicht, wie man auf der gewählten Vorgehensweise beim möglichen Diabetes so herumreiten kann. Die Gynäkologin war in die Schwangerenvorsorge einbezogen – sie hat das Thema abgeklärt und abgehakt. Es gibt auch kein Verbot einer Hausgeburt nach Kaiserschnitt, sonst müsste man das Gesetz ändern. Hier wurde bei der Planung über Risiken aufgeklärt.«
Er führt Widersprüche an: »Die Gutachter haben gesagt, ab 11.30 Uhr hat eine protrahierte Geburt vorgelegen. Die angeklagte Hebamme hat aber gesagt, es ist immer vorangegangen mit regelmäßigem Geburtsfortschritt.« Die Mutter habe das bestätigt. Sich hinzustellen und im Nachhinein festzustellen, dass die Sorgfaltspflicht nicht erfüllt sei, weil kein CTG geschrieben worden sei. … Der Verteidiger schließt vehement: »Es gibt Leitlinien, die das Auskultieren der Herztöne zulassen. Es fehlt die Kausalität, dass ein CTG erforderlich gewesen ist. Die angeklagte Hebamme war sich bewusst, dass sie die Leitlinien eingehalten hat. Der Staatsanwalt unterstellt, dass die Mutter fremdbestimmt gewesen sei. Das stimmt nicht! Die Angeklagte darf nicht strafrechtlich verurteilt werden, dementsprechend ist sie freizusprechen.«
Das Urteil
Nach dem Plädoyer des Verteidigers zieht sich der Richter zurück. Anschließend verliest er zügig, monoton und nachlässig sein Urteil: Schuldig. Es folgt der Anklage des Staatsanwalts und den Bewertungen der Gutachter:innen. »15 Monate Haftzeit bedingt« – was dem deutschen Strafrecht »auf Bewährung« entspricht – wegen »grob fahrlässiger Tötung«.
Man habe die Sorgfaltsverstöße gehört: Die Gutachter hätten es als Fehler gewertet, eine Geburt nach Sectio und Kürettage ohne CTG zu betreuen. Damit hätte man rechtzeitig Gefahren erkannt. Auch sei ein oraler Glucosetoleranztest nicht ordnungsgemäß gemacht worden. Bei der Geburtsplanung hätte die Distanz zum Krankenhaus ins Kalkül gezogen werden müssen. Das Kind wäre sonst nicht verstorben.
Bis zu drei Jahren Haftzeit hätte er verhängen können, erklärt der Richter. Die Hebamme sei bislang straffrei. Sie wolle das Wohl der Mütter, aber im konkreten Fall habe sie nicht mit Sorgfalt gearbeitet und dafür müsse sie die Konsequenzen tragen. Ob sie das Urteil annehme, wendet er sich an die Hebamme: »Wenn Sie sich zu Unrecht verurteilt fühlen, haben Sie drei Tage Bedenkzeit, um das Urteil zurückzuweisen. Besprechen Sie das mit Ihrem Verteidiger.« Gegen 12.45 Uhr schließt die Verhandlung.
Die Hebamme hat Berufung eingelegt. Das Urteil ist somit noch nicht rechtskräftig.