Wenn nach einer langen Austreibungsphase nichts mehr geht, könnte eine tiefe Beckenbodenmassage die „Lösung“ sein. Foto: © Esther Mauersberger

Fünf Stunden Austreibungsphase und eine ermattete Frau, die alles versuchen will, um die Sectio zu vermeiden. Im Helios-Klinikum Pforzheim findet das Hebammenteam durch eine Abwandlung der tiefen Beckenbodenmassage nach Verena Schmid einen Weg zur natürlichen Geburt.

Martha kam zu uns ins Helios-Klinkum Pforzheim für die Geburt ihres ersten Kindes. Im Vorfeld war sie unschlüssig, ob sie ihr Kind spontan gebären sollte. Ärztlicherseits war ihr ein „großes Kind” prognostiziert worden. Mindestens 4.000 Gramm! Martha selbst war 178 Zentimeter groß mit kräftiger Statur. In unserem hausinternen Anmeldegespräch konnten wir sie von den Vorteilen des spontanen Geburtsbeginns für das Kind überzeugen, bei dem es „mit vollgepacktem (Ressourcen-) Koffer” seine Reise auf die Welt starten würde.

Wir legten einen für sie stimmigen salutophysiologisch ausgerichteten Betreuungsplan fest, der es ihr ermöglichen sollte, die Geburt möglichst aus eigener Kraft zu schaffen. Für den Fall, dass „Krisen” unter der Geburt auftreten sollten, besprachen wir mit ihr Unterstützungsmöglichkeiten auf allen Ebenen – mental, kognitiv und physisch.

Diese Art der Vorbereitung für die Schwangeren ist inzwischen typisch für unsere Art, orientiert an der Salutophysiologie zu arbeiten. Dadurch stellen wir sicher, dass unsere Frauen und ihre Kinder ganzheitlich und allumfassend individuell begleitet werden können.

Geburtsstillstand über Stunden

Martha hatte in der 40+3 Schwangerschaftswoche eine zügige aktive Muttermundseröffnung innerhalb von drei Stunden. Sie zeigte ein ausgesprochen gutes Coping mit ihren Wehen. Im Nachgespräch beschrieb sie die Wehenarbeit als erstaunlich gut machbar und „nicht schlimm”.

Bei vollständig eröffnetem Muttermund blieb in den folgenden zwei Stunden das Tiefertreten des Kopfes aus. Die kindliche Kopfhaltung war regelrecht in vorderer Hinterhauptshaltung mit guter Flexion des Köpfchens und gutem Druck nach unten. Wir „turnten” mit ihr das normalerweise erfolgversprechende Programm: Vierfüßler, Stehen beziehungsweise Knien mit asymmetrisch aufgestellten Beinen, strenge Sims-Lagerung. Letztere unterstützt die Beugung des kindlichen Köpfchens. Die Frau liegt dabei streng rechts oder links, entgegengesetzt der Seite, auf der sich der kindliche Rücken befindet. Das untere Bein der Frau ist gestreckt, das obere Bein maximal angewinkelt. Weiter ging es im Programm: Beckenschütteln, Visualisieren des Tiefertretens, Entspannung und Versuch des Angstabbaus wegen des zu erwartenden „großen Kindes”.

Alles blieb ohne Erfolg. Nach einer weiteren Stunde war das Köpfchen auf I -2 (Interspinalebene -2) zu tasten, aber tiefer trat es nicht. Martha verspürte zunehmenden Pressdrang, konnte das Kind jedoch nicht weiter nach unten bringen. Sie war erschöpft und schließlich mit einem PDA-Versuch einverstanden. Nach liegender PDA, inzwischen vier Stunden vollständig eröffnetem MM und Wehentropf blieb der Kopf weiter bei I -2. Der Weg in den OP schien unvermeidlich. Martha, ihrer Hebamme und den Ärzten dämmerte es, dass das Kind wohl doch zu groß sein müsse. Das Kind hatte seine eigenen Bewegungen, vor allem den guten Druck nach unten inzwischen eingestellt. Es rührte sich schlichtweg nicht mehr. Es schien ebenfalls aufgegeben zu haben. Eine letzte Möglichkeit der Kehrtwende ist uns Hebammen dann aber noch eingefallen: die kürzlich erlernte tiefe Beckenbodenmassage.

Die Lösung?

Die tiefe Beckenbodenmassage ist eine für die Gebärende teilweise unangenehme Massage der tiefen Beckenbodenmuskulatur. Sie bewirkt eine reflexartige Entspannung der tiefen Muskeln im Beckenboden. Entwickelt hat sie Verena Schmid. Sie hat sie aus osteopathischen Ansätzen und Aspekten der Polarity nach Dr. Randolph Stone, einer Methode der körperbezogenen Energiearbeit, abgeleitet und in ihrer geburtshilflichen Tätigkeit über Jahre hinweg eingesetzt (siehe Link).

Die Massage sollte als Ultima Ratio eingesetzt werden, immer dann, wenn alle anderen sanfteren Maßnahmen, wie angenehme Massagen, Entspannung und Visualisierung nicht zum Erfolg führen. Angewendet wird sie bei mangelndem Tiefertreten des kindlichen Köpfchens und zur Korrektur von kindlichen Deflexionshaltungen im Beckeneingang. Außerdem kann sie bereits in der Eröffnungsphase bei spürbar hypertoner Beckenbodenmuskulatur angewendet werden.

Diese Massage nach Verena Schmid wird ausschließlich in den Wehenpausen durchgeführt. Die Frau liegt optimalerweise auf der Seite oder befindet sich im Vierfüßlerstand. Von außen wird die Steißbeinspitze mit dem Mittelfinger aufgesucht. Von diesem Punkt aus wird etwa einen Zentimeter beidseits lateral (rechts und links) der Steißbeinspitze mit tiefem Druck – allerdings mit deutlich weniger Druck als man bei einer Rückenmassage anwenden würde – punktförmig massiert. Dabei tastet sich das Lig. anococcygeum mit dem M. iliococcygeus. Außerdem wird so auch der darunter liegende M. levator ani erreicht (Schmid 2011).

Zu Beginn der Behandlung ist die Muskulatur für die Behandlerin oft verhärtet zu tasten, entspannt sich aber recht schnell. Für die Frau sind die einzelnen Punkte bei Verhärtung schmerzhaft und bei Entspannung zügig weniger schmerzhaft zu spüren.

Oft reicht eine Behandlung von etwa ein bis zwei Minuten. In den meisten Fällen sind die vorhandenen Myogelosen (Muskelverhärtungen) dann bereits aufgelöst.

Der zweite Teil ist eine Erweiterung der tiefen Beckenbodenmassage nach Schmid. Sie ist eine von mir erprobte Massage, um vor allem den ventralen Anteil der Muskulatur zu erreichen. Sie erfolgt von vaginal in Richtung Foramen obturatum, also nach vorne in einer Fläche von circa zwei mal zwei Zentimetern. Mit dem Mittelfinger erreicht man hier vor allem die endopelvine Faszie. Die Massage erfolgt beidseitig in kreisenden Bewegungen. Die Frau kann hierfür entweder auf dem Rücken oder auch auf der Seite liegen. Auch hier ist eine Dauer von ein bis zwei Minuten zumeist ausreichend.

Bei dieser Anwendung muss die Frau vorher sehr gut aufgeklärt werden. Immerhin handelt es sich um eine vaginale Behandlung, der sie explizit zustimmen muss.

Die Frau hat außerdem das Recht, die Behandlung jederzeit abbrechen zu dürfen, wenn sie sich nicht wohl fühlt.

Wie es weiter ging …

Martha erhielt eine tiefe Beckenbodenmassage. Aufgrund der zufriedenstellend wirkenden PDA konnte sie die Massage gut aushalten, wenngleich sie die Verspannungen der Muskulatur noch spürte und sich „durchaus Angenehmeres vorstellen konnte”, wie sie später sagte. Nachdem der Muttermund etwa fünf Stunden vollständig eröffnet war, hatte Martha plötzlich starken Pressdrang. Die erneute vaginale Untersuchung zeigte das Köpfchen auf +1. Was für ein Erfolg! Wir mobilisierten die wirklich abgekämpfte Martha nochmals, baten sie aufzustehen, zu knien und letztlich zu hocken. Ihr Baby bahnte sich den Weg weiter mühsam bis +2.

Dort angekommen, versicherte uns Martha glaubhaft, nun wirklich nicht mehr zu können. Das von ihr humorvoll bezeichnete „Dickerle” könne sie irgendwie nicht rausschieben. Martha hat nach insgesamt sechs Stunden Austreibungsperiode per KIWI-Vakuumextraktion einen gesunden kräftigen Jungen mit 4.320 Gramm und 36 Zentimetern Kopfumfang geboren. Sie war abgekämpft, aber auch stolz, es doch geschafft zu haben.

Unter der Geburt kann die endopelvine Faszie – einer der neuen Begriffe für das Diaphragma urogenitale – massiert werden.

Rechts und links der Steißbeinspitze können das Lig. anococcygeum, der M. iliococcygeus und der darunter liegende M. levator ani manuell gelockert werden.

Einordnung und Ausblick

Die geburtshilfliche Arbeit im Helios-Klinikum Pforzheim setzt keine starren zeitlichen Grenzen für die Dauer der einzelnen Geburtsphasen. Dennoch ist die lange Austreibungsphase von Martha die Ausnahme. Bei dieser Geburt war vor allem Marthas Motivation spontan zu gebären der Hauptgrund dafür, die Geburt nicht früher und damit per Sectio zu beenden.

Wir finden es schwierig, mit letzter Sicherheit zu sagen, weshalb manche Geburtsverläufe so langwierig verlaufen. Sicher sind es oft multifaktorielle Gründe für so manche Stagnation in den Geburten. Im Fall von Martha ist im Nachgespräch das Problem der Information „großes Kind” zu identifizieren gewesen. Diese Prognose hat sie in ihrem eigentlichen positiven Grundgefühl erschüttert, ein Kind eigenständig und ohne Probleme gebären zu können.

Aus salutophysiologischer Sicht ist es ungünstig, Ängste oder Unsicherheiten in den Frauen zu erzeugen, denn Ängste gehen immer mit Stress einher und erzeugen Stresshormone. Diese wirken kontrahierend auf die Muskulatur. Im schlimmsten Fall führt dies zu einem muskulären Hypertonus, der sich für die Geburt nachteilig auswirken kann. Selten erscheint uns das knöcherne Becken dafür verantwortlich, dass der kindliche Kopf nicht ins Becken ein- oder im Becken tiefertreten kann. Vielmehr scheint es die hypertone Muskulatur zu sein, die diesen Widerstand erzeugt.

Die tiefe Beckenbodenmassage zählt neben viel Bewegung unter der Geburt, wohltuenden Massagen, dem Gutschwager-Manöver (siehe DHZ 1/2017, Seite 50ff.) und Entspannungsmethoden zum festen Tätigkeitsrepertoire der Hebammen im Team. Mit viel Engagement für das einzelne Mutter-Kind-Paar und dem hohen Anspruch an eine individuelle Betreuung arbeiten wir inzwischen sehr erfolgreich in der salutophysiologischen Geburtsbetreuung. Das führt nicht nur zu deutlich mehr vaginalen Geburten und somit zu mehr Geburten, die Frauen aus eigener oder zumindest überwiegend eigener Kraft schaffen, sondern auch zu einer größeren Arbeitszufriedenheit der Hebammen.

Aus Sicht der Hebammen hat der Blick auf die Vulnerabilität des Beckenbodens und seine langfristige Integrität einen hohen Stellenwert. Lange Geburtsverläufe, Kinder mit hohem Geburtsgewicht und vaginal-operative Geburtsbeendigungen stehen im dringenden Verdacht, strukturelle Schäden der Beckenbodenmuskulatur zu begünstigen.

Um sicherzustellen, dass die tiefe Beckenbodenmassage entweder durch ihre Anwendung an sich oder aber durch die reflexartige Entspannung keinen zusätzlichen nachteiligen Effekt für die Beckenbodenmuskulatur hat, könnten postpartale urogynäkologische Untersuchungen hilfreich sein. Für die Zukunft wären langfristige Nachuntersuchungen von Frauen und ihrer Beckenbodenstrukturen sicherlich wertvoll.

Zitiervorlage
Scheurer C: Die tiefe Beckenbodenmassage: Muskeln lockern. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (2): 44–46
Literatur

Hartmann R: Das Gutschwager-Manöver: Lösung in der Kerze. DHZ 2017. 69 (1): 50–52

Scheurer C: Persönliche Aufzeichnungen aus dem Studiengang „Salutophysiologie für Hebammen” 2012. FH Salzburg

Schmid V: Schwangerschaft, Geburt und Mutterwerden. Ein salutogenetisches Betreuungsmodell. Elwin Staude Verlag 2011

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