Geburtsstillstand über Stunden
Martha hatte in der 40+3 Schwangerschaftswoche eine zügige aktive Muttermundseröffnung innerhalb von drei Stunden. Sie zeigte ein ausgesprochen gutes Coping mit ihren Wehen. Im Nachgespräch beschrieb sie die Wehenarbeit als erstaunlich gut machbar und „nicht schlimm”.
Bei vollständig eröffnetem Muttermund blieb in den folgenden zwei Stunden das Tiefertreten des Kopfes aus. Die kindliche Kopfhaltung war regelrecht in vorderer Hinterhauptshaltung mit guter Flexion des Köpfchens und gutem Druck nach unten. Wir „turnten” mit ihr das normalerweise erfolgversprechende Programm: Vierfüßler, Stehen beziehungsweise Knien mit asymmetrisch aufgestellten Beinen, strenge Sims-Lagerung. Letztere unterstützt die Beugung des kindlichen Köpfchens. Die Frau liegt dabei streng rechts oder links, entgegengesetzt der Seite, auf der sich der kindliche Rücken befindet. Das untere Bein der Frau ist gestreckt, das obere Bein maximal angewinkelt. Weiter ging es im Programm: Beckenschütteln, Visualisieren des Tiefertretens, Entspannung und Versuch des Angstabbaus wegen des zu erwartenden „großen Kindes”.
Alles blieb ohne Erfolg. Nach einer weiteren Stunde war das Köpfchen auf I -2 (Interspinalebene -2) zu tasten, aber tiefer trat es nicht. Martha verspürte zunehmenden Pressdrang, konnte das Kind jedoch nicht weiter nach unten bringen. Sie war erschöpft und schließlich mit einem PDA-Versuch einverstanden. Nach liegender PDA, inzwischen vier Stunden vollständig eröffnetem MM und Wehentropf blieb der Kopf weiter bei I -2. Der Weg in den OP schien unvermeidlich. Martha, ihrer Hebamme und den Ärzten dämmerte es, dass das Kind wohl doch zu groß sein müsse. Das Kind hatte seine eigenen Bewegungen, vor allem den guten Druck nach unten inzwischen eingestellt. Es rührte sich schlichtweg nicht mehr. Es schien ebenfalls aufgegeben zu haben. Eine letzte Möglichkeit der Kehrtwende ist uns Hebammen dann aber noch eingefallen: die kürzlich erlernte tiefe Beckenbodenmassage.
Die Lösung?
Die tiefe Beckenbodenmassage ist eine für die Gebärende teilweise unangenehme Massage der tiefen Beckenbodenmuskulatur. Sie bewirkt eine reflexartige Entspannung der tiefen Muskeln im Beckenboden. Entwickelt hat sie Verena Schmid. Sie hat sie aus osteopathischen Ansätzen und Aspekten der Polarity nach Dr. Randolph Stone, einer Methode der körperbezogenen Energiearbeit, abgeleitet und in ihrer geburtshilflichen Tätigkeit über Jahre hinweg eingesetzt (siehe Link).
Die Massage sollte als Ultima Ratio eingesetzt werden, immer dann, wenn alle anderen sanfteren Maßnahmen, wie angenehme Massagen, Entspannung und Visualisierung nicht zum Erfolg führen. Angewendet wird sie bei mangelndem Tiefertreten des kindlichen Köpfchens und zur Korrektur von kindlichen Deflexionshaltungen im Beckeneingang. Außerdem kann sie bereits in der Eröffnungsphase bei spürbar hypertoner Beckenbodenmuskulatur angewendet werden.
Diese Massage nach Verena Schmid wird ausschließlich in den Wehenpausen durchgeführt. Die Frau liegt optimalerweise auf der Seite oder befindet sich im Vierfüßlerstand. Von außen wird die Steißbeinspitze mit dem Mittelfinger aufgesucht. Von diesem Punkt aus wird etwa einen Zentimeter beidseits lateral (rechts und links) der Steißbeinspitze mit tiefem Druck – allerdings mit deutlich weniger Druck als man bei einer Rückenmassage anwenden würde – punktförmig massiert. Dabei tastet sich das Lig. anococcygeum mit dem M. iliococcygeus. Außerdem wird so auch der darunter liegende M. levator ani erreicht (Schmid 2011).
Zu Beginn der Behandlung ist die Muskulatur für die Behandlerin oft verhärtet zu tasten, entspannt sich aber recht schnell. Für die Frau sind die einzelnen Punkte bei Verhärtung schmerzhaft und bei Entspannung zügig weniger schmerzhaft zu spüren.
Oft reicht eine Behandlung von etwa ein bis zwei Minuten. In den meisten Fällen sind die vorhandenen Myogelosen (Muskelverhärtungen) dann bereits aufgelöst.
Der zweite Teil ist eine Erweiterung der tiefen Beckenbodenmassage nach Schmid. Sie ist eine von mir erprobte Massage, um vor allem den ventralen Anteil der Muskulatur zu erreichen. Sie erfolgt von vaginal in Richtung Foramen obturatum, also nach vorne in einer Fläche von circa zwei mal zwei Zentimetern. Mit dem Mittelfinger erreicht man hier vor allem die endopelvine Faszie. Die Massage erfolgt beidseitig in kreisenden Bewegungen. Die Frau kann hierfür entweder auf dem Rücken oder auch auf der Seite liegen. Auch hier ist eine Dauer von ein bis zwei Minuten zumeist ausreichend.
Bei dieser Anwendung muss die Frau vorher sehr gut aufgeklärt werden. Immerhin handelt es sich um eine vaginale Behandlung, der sie explizit zustimmen muss.
Die Frau hat außerdem das Recht, die Behandlung jederzeit abbrechen zu dürfen, wenn sie sich nicht wohl fühlt.