Geburtshilfliches Simulationstraining
Der Kreißsaal des Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikums (AVK) in Berlin führt seit 2018 in kleinen Gruppen alle zwei Monate ein Simulationstraining durch. Dabei wird der Geburtssimulator »Mama Natalie« zusammen mit einer Simulationspatientin eingesetzt, um ein möglichst realitätsnahes Szenario zu erzeugen. Da es sich um simulierte schwere Notfälle handelt, geraten die Teilnehmer:innen erkennbar in Stress, der sich zum Beispiel in hektischen Flecken oder Schweißperlen zeigen kann. Die Instruktor:innen haben daher zwei wesentliche Aufgaben, damit die Lernziele tatsächlich erreicht werden:
Das Szenario muss immer gut enden. Ein Trauma (zum Beispiel durch den Eindruck von Unfähigkeit) darf nicht entstehen! Die Instruktor:innen müssen durchgehend achtsam sein und die Simulation in einen positiven Ausgang lenken – etwa durch das »Auftauchen von besonders qualifizierten Personen«, die den Notfall abwenden (die »Rettenden« wissen dabei, dass es sich um eine Simulation handelt).
In der Nachbesprechung, dem Debriefing, erörtern die Teilnehmer:innen unter der Leitung der Instruktor:innen ihre Lernerfahrungen, identifizieren ihre Fehler und entwickeln Strategien zur Fehlervermeidung. Dadurch wird ein hohes Engagement der Teilnehmer:innen erreicht, die das Erlebte und Erfahrene unmittelbar auf den Alltag übertragen können (Clark et al. 2010).
Ein wesentlicher Schritt zu einer höheren Patient:innensicherheit besteht darin, zu erkennen und akzeptieren, dass Fehler unvermeidbar sind – mit Fehlern muss immer gerechnet werden. Auch sind Fehler von Schuld zu trennen, um eine »Culture of Blame« zu verhindern. Damit wird der Weg zu einer wirklichen Analyse von Zwischenfällen ermöglicht (Rall et al. 2002). Die wichtigste Frage ist also nicht: »Wer hat was falsch gemacht?«, oder gar: »Wer ist schuld?« Sondern: »Was machen wir anders (also besser), wenn diese Komplikation morgen wieder eintritt?« Im Debriefing zeigt sich regelmäßig, dass fast alle Teilnehmer:innen dazu Vorschläge haben. Die Erfahrung, dass diese tatsächlich gehört und erörtert werden, stärkt den Zusammenhalt im Team erheblich.
Die Instruktor:innen brauchen eine fachliche Expertise mindestens auf Augenhöhe mit den Trainierenden. Daneben benötigen sie besondere Kompetenzen bei der praktischen Vermittlung der CRM-Regeln. Sie müssen nicht nur Kommunikationsexpert:innen sein, sondern auch souverän das Debriefing leiten.
SBTT findet bei den Teilnehmer:innen hohe Akzeptanz (Störr et al. 2017). Sie betonen die Praxisrelevanz des Trainings, fühlen sich auf Stress und Notfallsituationen besser vorbereitet und sind sich der Bedeutung des menschlichen Faktors bewusst – wie beispielsweise der Team-Kommunikation (Klauber et al. 2014). Fast alle Teilnehmer:innen sind der Ansicht, dass ein Simulationstraining die dafür aufgebrachte Zeit wert ist. Sie erwarten, dass sie im Anschluss daran praktische Verbesserungen vornehmen werden.
Die eigene Rolle neu definieren
In einem Simulationstraining wurde am Vivantes AVK mit folgendem Szenario gearbeitet: Nach bisher unauffälligem Geburtsverlauf einer Erstgebärenden im Kreißsaal werden pathologische fetale Herztöne im CTG erkannt. Die Hebamme erkennt die Pathologie sofort, nimmt einen Lagewechsel der Gebärenden vor und ruft die Fachärztin. Diese verlangt Handschuhe, Desinfektionsmittel, alle Materialien zum Legen eines Venenverweilkatheters, in NaCl aufgezogenes Partusisten, eine Trage zum Transport in den OP sowie die kontinuierliche Ableitung der kindlichen Herztöne. Im Debriefing ist die Hebamme unglücklich: Sie sei einfach nicht schnell genug gewesen. Die Ärztin betont, das sei auch sonst ihre Erfahrung. Die Hebammen würden ihr recht langsam zuarbeiten, obwohl ihre ärztlichen Ansagen schnell und klar seien. Im Nachgespräch – unterstützt durch die Videoaufzeichnung – erkennt die Fachärztin, dass sie selbst untätig neben dem Bett sitzt, während sie auf die Anreichungen wartet. Hebamme und Ärztin vereinbaren eine bessere Verteilung der Aufgaben: Während die Hebamme den Venenzugang legt, kann die Ärztin die Trage holen – oder umgekehrt.
Dies entspricht zwei wichtigen CRM-Regeln: Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen; verteile die Arbeitsbelastung. Die Bereitschaft, solche Anpassungen tatsächlich gemeinsam vorzunehmen, erfordert gegenseitiges Vertrauen der Team-Mitglieder – das besonders in einem wertschätzenden Debriefing aufgebaut werden kann.
Organisatorische Schwächen erkennen
Simulationstraining kann dabei helfen, organisatorische Schwachstellen im Umfeld des Kreißsaals zu erkennen und zu beheben, bevor diese zu einer realen Störung mit eventuell weitreichenden Folgen werden. Simuliert wurde zu diesem Zweck eine fetale Bradykardie bei unreifem vaginalem Befund. Die Diagnose zur Notsectio wurde von der beteiligten Ärztin sofort gestellt. Allerdings war der Sectio-OP belegt – diese Störung war ein geplanter Aspekt des Szenarios. Im Team wurde schnell und einvernehmlich entschieden, den gynäkologischen OP eine Etage höher zu nutzen. Der Fahrstuhl fuhr allerdings – den vorigen Anfragen aus dem Haus entsprechend – zuerst ins Untergeschoss (Tür auf, Tür zu), dann ins erste Stockwerk (Tür auf, Tür zu) und erst danach ins dritte Stockwerk. Dort kam das Team nass geschwitzt und sehr gestresst an.
Seitdem ist der privilegierte Fahrstuhlschlüssel neben dem Notfallknopf erreichbar. Die Erkenntnisse aus dem Simulationstraining waren ein überzeugendes Argument dafür, dass sofort ein mobiles Narkosegerät angeschafft wurde, um eine Notsectio vor Ort durchführen zu können. Weitere strukturelle Verbesserungsmöglichkeiten wurden im SBTT erkannt und zügig umgesetzt: Ein Notfallwagen wurde eingerichtet und wird vor dem Gebärraum bereitgestellt, sobald bei einer Gebärenden Risikofaktoren festgestellt werden. Dadurch ist die notwendige Ausstattung sofort greifbar und kann sogar mit auf die Station genommen werden. So hat die Ärztin bei einer Eklampsie ihr essenzielles Arbeitsumfeld bei sich. Auch wird der potenzielle Notfall für alle Team-Mitglieder erkennbar.
Vertrauen ermöglicht Kritik
Simulationsbasiertes Team-Training unterstützt verlässliche Abläufe und gibt Sicherheit durch Routine bei seltenen Vorfällen. Das Erlernen und Üben einer klaren Kommunikation beugt Risiken durch Missverständnisse vor und hilft dabei, die Entscheidungsmuster der beteiligten Berufsgruppen nachvollziehen zu können. Schwächen in der Team-Performance erkennen die Teilnehmer:innen im Debriefing selbst, und sie erarbeiten gemeinsam Verbesserungsvorschläge.
Vertrauen wird aufgebaut, indem einerseits Kritik und Selbstkritik im geschützten Rahmen geübt und andererseits positive Aspekte ausdrücklich betont werden. Dies schafft eine respektvolle Arbeitsatmosphäre und fördert die Arbeitszufriedenheit der Hebammen (Bode et al. 2016). Ein solches Training entfaltet seine Wirkung am besten, wenn es regelmäßig wiederholt wird. Dann hat es weite Anwendungsbereiche:
- Simulation von geburtshilflichen Notfällen
- Einführung neuer Verfahren oder Änderungen (Change-Management)
- Wiederholung und Auffrischen bereits etablierter Verfahren
- Ausbildung und Weiterbildung.
Ab jetzt zusammen
Ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Einführung des geburtshilflichen Simulationstrainings am Vivantes AVK war der interne Support und speziell der Rückenwind durch die Klinikleitung. Chefärztin PD Dr. Mandy Mangler hat sowohl den Aufbau der notwendigen Qualifikation im Haus gefördert wie auch für die notwendigen zeitlichen Ressourcen gesorgt, damit die Trainingseinheiten regelmäßig durchgeführt werden können. Es sind auch andere Formate denkbar, wie In-House-Simulationstraining durch externe Expert:innen-Teams oder das Entsenden des Teams in ein externes Trainingszentrum. Auch Kombinationen sind machbar. In jedem Fall gilt der Aufruf: »Dream teams are made – not born. Train together and work together – now!« (Rall & Oberfrank 2013).