Der Tastsinn ist der erste menschliche Sinn, der sich im Mutterleib entwickelt – die Haut das größte Sinnesorgan. Hier kann menschliches Wohlbefinden entstehen. Foto: © Esther Mauersberger

Hände können eine Menge Gefühle vermitteln. Therapeutisch eingesetzt, können sie Angst und Depression vermindern, den Geburtsschmerz lindern, die Frühgeborenenrate reduzieren und diese Neugeborenen schneller reifen lassen. Studien belegen erstaunliche Effekte der Massage bei Frauen vor, während und nach der Geburt. 

Schon im Mutterleib entwickeln wir als ersten aller Sinne unseren Tastsinn. Wir „fühlen” also, schon lange bevor wir auf der Welt sind. Und wenn wir geboren sind, „be-greifen” wir die Welt um uns herum und uns selbst. Das Neugeborene hat bereits viel haptischen Input erfahren: Lange bevor es die Welt versteht, fühlt es sie. Die Tradition der Babymassage ist Jahrtausende alt, vor allem aus Südindien ist sie zu uns gekommen (Pauling & Reichert 2015).

Damit wir gesund heranwachsen, brauchen wir Berührung. Studien beweisen, dass wiederholte Reize auf der Haut die Entwicklung des Gehirns und die Ausschüttung von Wachstumshormonen fördern. Sanfte Berührungen wie Streicheln lösen auch bei Erwachsenen die Ausschüttung von Hormonen aus, die das Wohlbefinden steigern, den Blutdruck senken und die emotionale Bindungsfähigkeit zwischen Mutter und Kind fördern.

„Das ist ein sensationeller Befund”, sagt Dr. Volker Soditt, Leiter der Kinderklinik in Solingen in einer Sendung auf Arte, „dass eine verhältnismäßig einfache Maßnahme die Sterblichkeit der Frühgeborenen reduziert.” (siehe Link)Diese einfache Maßnahme heißt: Hautkontakt. In Känguru-Settings werden die Frühchen bis zu drei Stunden täglich auf die Brust der Mutter oder des Vaters gelegt. Dieser intensive Körperkontakt führt zu einer besseren Entwicklung durch die gestärkte Beziehung zwischen Kind und Eltern.

Der Effekt einer Berührung ist in mancher Situation stärker als eine verbale Zuwendung. Über sanfte Streicheleinheiten und wohltuende Massagen empfangen wir heilende Energie. Der Körper bremst die Produktion von schädlichen Stresshormonen und schüttet vermehrt positive Botenstoffe aus, zum Beispiel Oxytocin. Dieses Schlüsselhormon wirkt beruhigend und senkt das Schmerzempfinden. Allerdings spielt dabei die Streichelfrequenz eine wichtige Rolle: Entscheidend sei eine Reizhäufigkeit von etwa 40 Mal in der Minute, erklärt die schwedische Physiologin Kerstin Uvnäs-Moberg vom Stockholmer Karolinska-Institut. Das ist in etwa die gleiche Frequenz, mit der wir instinktiv eine Katze kraulen.

Den Menschen für eine bessere Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren und das Vertrauen in den Sinn seiner eigenen körperlichen Regungen zu stärken, ist ein wichtiger Aspekt von Körpertherapien.

Auch in der Psychotherapie bekommt Berührung immer größeren Stellenwert, denn die Verbindung von Körperarbeit mit emotionalen Prozessen führt zu weit besseren – und nachhaltigeren – Ergebnissen. Die Berührung ist ein wichtiges Kommunikationsmittel. Sie schafft ein Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen, in dem sich emotionale Blockaden leichter lösen.

Massage vor, während und nach der Geburt

Der Hebammenberuf ist ein primär händischer. Und die Hebamme kann therapeutische Berührung beziehungsweise sanfte Massagen prä- und postpartal einsetzen. Oder sie kann durch professionelle Berührung Angst, Schmerzen und Depressivität bei den ihr anvertrauten Frauen lindern. Dies wird durch rund 50 internationale wissenschaftliche Studien belegt beziehungsweise wahrscheinlich gemacht – darunter leider sehr wenige deutsche Untersuchungen (vgl. www.amt.org.au). Trotzdem gilt nach wie vor, dass die Schwangerschaft für kräftige, auf die Muskulatur fokussierte Massagen in den meisten Lehrbüchern eine relative Kontraindikation darstellt (Reichert 2015).

Massage vor der Geburt

Tiffany Field, die Leiterin des Touch Research Institute in Miami (USA), hat sich mit Massagen vor der Geburt und insbesondere deren psychischen Wirkungen seit Jahrzehnten wissenschaftlich beschäftigt (Field 2010; Müller-Oerlinghausen 2015). Sie beobachtete eindrucksvolle Ergebnisse bei Schwangeren, die von PhysiotherapeutInnen oder auch ihren Angehörigen über fünf Wochen jeweils nur 20 Minuten pro Woche oder über 16 Wochen zweimal wöchentlich massiert wurden: weniger Depressivität und Angst, weniger Bein- und Rückenschmerzen und vor allem eine geringere Rate an Frühgeburten. Es kam zu keiner Frühgeburt, dagegen gab es elf Prozent in der Vergleichsgruppe ohne Massage (Field et al. 2006, 2009, 2012).

Hier könnte ein wichtiger Zusammenhang bestehen, denn bei depressiven Müttern kommen häufiger Frühgeburten vor (Orr et al. 2002). Regelmäßige Massagebehandlungen über 36 Schwangerschaftswochen kann auch das Schmerzempfinden während der Geburt verringern (Nabb et al. 2006).

Massage während der Geburt

Eine größere Zahl von Veröffentlichungen ist dem angst- und schmerzlindernden Effekt von Massagen während der Geburt gewidmet. In einer Studie wurden beispielsweise die gebärenden Frauen per Zufall der Gruppe mit 30 Minuten Rückenmassage oder der Kontrollgruppe nur mit einem Gespräch mit dem Physiotherapeuten zugeteilt. Die Ergebnisse zeigten einen deutlichen analgetischen Effekt auf einer sogenannten Thermometerskala (VAS = Visuelle Analog-Skala), wobei der Geburtsvorgang in der Massagegruppe rund eine Stunde länger dauerte (Silva Gallo et al. 2013). Das gilt auch für eine ältere Studie von Tiffany Field, in der Massage aber mit kürzerer Geburtsdauer und kürzerem Krankenhausaufenthalt korreliert war (Field et al. 1997).

In China ist Massage während der Geburt sehr verbreitet und wird offiziell gefördert. Eine Arbeitsgruppe aus Taiwan berichtet über analgetische Effekte. Außerdem weisen die Autoren auf die günstigen psychologischen Wirkungen hin, wenn die Ehemänner die Massagen durchführen, wozu chinesische Krankenhäuser spezielle Massageräume eingerichtet haben (Chang et al. 2002).

Schließlich kann offenbar professionelle Massage auch den Vätern dabei helfen, psychische Störungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und der Geburt sowie der veränderten psychischen Situation der Mutter zu überbrücken (Rominov et al. 2016).

Wirkung von Massage auf die postpartale Depression

Die postpartale Depression ist eine der häufigsten „Geburtskomplikationen”. Sie wird bei 6 bis 13 Prozent der Frauen beobachtet (Steward & Vigon 2016). Besonders gefährdet sind Frauen, die bereits während der Schwangerschaft an (unbehandelten) Angst- und Depressionssymptomen litten. Etwa ein Fünftel der betroffenen Frauen leidet noch ein Jahr später an einer Depression. Regelmäßige Massagetherapie während der Schwangerschaft kann bei Frauen mit Depressivität die Häufigkeit postpartaler depressiver Symptome reduzieren (Field et al. 2009).

Aber auch eine Fußreflexzonenmassage einmal täglich über drei Tage postpartal zeigt antidepressive Effekte (Choi & Lee 2015). Ebenso konnte die psychophysisch entspannende Wirkung einer 20-minütigen Rückenmassage am ersten Tag nach der Geburt gezeigt werden (Nakakita Kenyon 2015).

Freilich wird in verschiedenen systematischen Literatur­übersichten kritisch angemerkt, dass die wenigen bislang vorliegenden Studien mit teilweise zu geringen Fallzahlen nicht geeignet seien, die postnatale oder auch pränatale Wirksamkeit alternativer Verfahren wie der Massage oder Akupunktur mit hinreichender Sicherheit zu belegen. Es sei dringend mehr qualifizierte Forschung auf diesem Gebiet nötig (Kimber et al. 2008; Dennis & Allen 2008; Simkin & Bolding 2004; Deligiannidis et al. 2014).

Wirkungsmechanismen

Im Hinblick auf die psychischen und biologischen Wirkungen von Massage erscheint der Befund besonders interessant, dass ab dem dritten Trimenon die Blutspiegel von Oxytocin besonders niedrig sind bei Frauen, die postpartal eine Depression entwickelten (Skrundz et al. 2011). Allgemein scheinen niedrigere Oxytocin-Blutspiegel mit vermehrter Angst und Depressivität korreliert zu sein (Ozsoy et al. 2009).

Gerade für die sanften psychoaktiven Massagen kommt als hochinteressante biologische Erklärung auch die Rolle spezifischer „C-taktiler” Rezeptoren und Fasern ins Spiel, die nur auf leichte rhythmische Berührung reagieren und direkt ins limbische System projizieren. Sie dürften eine Bedeutung für das spezielle Wohlgefühl haben, dass derartige Massagen bei den meisten Menschen auslösen. Darüber hinaus vermitteln sie vermutlich angstlösende und schmerzlindernde Effekte und spielen eine generelle Rolle für das psychophysische und soziale Wohlbefinden (Ackerley et al. 2014; Liljencrantz & Olausson 2014).

Resümee und Ausblick

Positive psychische Effekte durch psychoaktive Massagen, deren Zielorgan vornehmlich die Haut ist, also unser ältestes und größtes Sinnesorgan, sind bereits in vielen Studien mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen (Baumgart et al. 2011; Müller-Oerlinghausen 2015). Für den Nutzen von sanfter Massage in der Geburtshilfe sprechen ebenfalls mehrere internationale Studien. Dem immer häufiger geäußerten Wunsch vieler Frauen nach alternativen, insbesondere also nicht-medikamentösen Methoden zur Linderung von Angst, Depression und Schmerzen darf und sollte also Rechnung getragen werden. Schwangere sollten auch auf die Möglichkeit der perinealen Selbstmassage hingewiesen werden, um das Risiko von Dammrissen und anderen Geburtsverletzungen zu reduzieren (Beckmann & Stock 2013). Mehr qualifizierte Forschung auf diesem Gebiet ist nötig, insbesondere in deutschen Landen.

Hände und ihre Wirkung

Jede unserer Hände hat fünf Finger, 27 Knochen, 36 Gelenke, 39 Muskeln und über 17.000 Rezeptoren.

„Berührungs-Berufler” wie MasseurInnen, PhysiotherapeutInnen, OsteopathInnen, aber auch Hebammen oder Menschen in pflegenden Berufen sind im Prinzip in der Lage, die Geschichte eines individuellen Körpers auf den verschiedensten Ebenen wahrzunehmen und mit ihren Händen psychophysische Effekte auszulösen.

Zitiervorlage
Kiebgis GM, Müller-Oerlinghausen B: Ich fühle, also bin ich. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (2): 18–21
Links
Soditt V. ARTE Xenius: Berührung – Tastsinn. https://www.youtube.com/watch?v=E8DZ9JMN-A4
Literatur

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