Kipili, ein kleiner Ort am Ufer des Tanganjika-Sees. Foto: © Christiane Klingner

Sechs Wochen verbrachte eine afrikaerfahrene Hebamme aus dem Schwarzwald in einem Gesundheitsprojekt am Tanganjika-See in Tansania. Sie reiste in dieser Zeit in verschiedene Dörfer, um traditionelle Hebammen zu schulen. Dabei erfuhr sie viel über die Geburtshilfe in dieser ländlichen Region, die von Fischfang und Feldarbeit lebt. Die Wege ins nächste Krankenhaus sind in der Regel weit und beschwerlich. 

Durch Kontakte zu den VertreterInnen der dänischen und der deutschen Missionsgesellschaft meiner Kirche – der Herrnhuter Missionshilfe – bekam ich die Möglichkeit, als Hebamme Tansania zu besuchen. Für sechs Wochen arbeitete ich mit im Gesundheitsprojekt „Mradi wa afya ziwa Tanganjika”, das ist der tansanische Name für „Primary Health Care Tanganjika” in Kipili. Ich war schon mehrmals für einige Wochen oder Monate in Afrika, hatte aber noch nie Kontakt zu traditionellen Hebammen – den sogenannten TBAs, was für Traditional Birth Attendant steht. Deren Schulung ist ein Teil des Gesundheitsprojektes. Ich nahm vor allem Anschauungsmaterial mit, wie ein Becken mit Puppe, einen gestrickten Uterus und Plakate zum Geburtsablauf. Aus anderen Einsätzen in Tansania weiß ich, dass Schulungsmaterial selbst an Hebammenschulen fast nicht vorhanden ist.

Traditionelle Hebammen auf einer Insel im Tanganjika-See. Foto: © Christiane Klingner

Paradiesische Zustände, wenn nicht …

Kipili ist ein kleiner Ort mit etwa 2.000 Einwohnern am Ufer des Tanganjika-Sees. Das Projekt der Basisgesundheitsversorgung, bei dem ich mitarbeiten konnte, umfasst 34 Dörfer am tansanischen Ufer des Sees auf einer Länge von etwa 150 Kilometern. Über 120.000 Menschen leben hier in kleinen Dörfern fast ausschließlich von Fischfang und Feldarbeit. Das Land ist fruchtbar und sehr grün, es gibt viele Reis- und Maisfelder, außerdem wird Gemüse angebaut und es wachsen sehr stattliche Mangobäume. Jede Menge Ziegen und Hühner leben dort und zurzeit gibt es auch noch genügend Fische. Eigentlich paradiesische Zustände – solange man das Kunststück fertig bringt, nicht krank oder schwanger zu werden, keinen Unfall zu haben und keinem Krokodil zu begegnen.

Das Projekt beinhaltet Gesundheitsschulung der Dorfbewohner, den Bau von Brunnen und Toiletten, Impf- und Vorsorgeaktionen für Frauen, Schwangere und Kinder, Schulung von DorfgesundheitshelferInnen und traditionellen Hebammen und einzelne kleinere Programme, wie beispielsweise Bienenzucht.

Meine Aufgabe bestand zunächst in der Begleitung der Krankenschwestern-Hebammen – examinierte, staatlich geprüfte Krankenschwestern beziehungsweise Hebammen mit einer vier- bis fünfjährigen Ausbildung nach englischem Vorbild – bei ihren Einsätzen als „Mobile Clinic”. Meist mit dem Boot fuhren wir jeden Tag in ein anderes Dorf und wurden dort schon erwartet von einer Schar Müttern mit ihren kleinen Kindern, von Schwangeren und Frauen, die eine Beratung zur Familienplanung in Anspruch nahmen. Letztere bekamen von uns Verhütungsmittel, meistens die Dreimonatsspritze, die Pille oder ein Verhütungsstäbchen als Implantat. Leider wurden wenig Kondome gewünscht, was bei der hohen HIV-Rate eine wichtige Prophylaxe wäre.

Zu Beginn hielt eine der Krankenschwester-Hebammen des Projektes einen Vortrag zur Gesundheitserziehung. Es ging dabei um Hygiene und Impfungen. Dann wurden die kleinen Kinder unter großem Geschrei mit Hosenträgern oder Tüchern an einer Waage hängend gewogen und geimpft. In der Regel bekamen sie die Sechsfach-Impfung, so wie sie auch in Deutschland von der Ständigen Impfkommission empfohlen wird.

In den meisten Dörfern gibt es kleine staatliche Krankenstationen mit einer Krankenschwester-Hebamme, mit der eine gute Zusammenarbeit besteht. Allerdings können diese Kolleginnen keine Impfungen durchführen, da die Impfseren gekühlt sein müssen. Wir hatten die Medikamente in einem der wenigen Krankenhäuser geholt und auf der Reise in Boxen gekühlt.

Die Schwangerenvorsorge und die Impfaktionen werden parallel absolviert, Wiegen und Impfen geschieht im Freien. Für die Schwangeren wird ein Raum in einem Wohnhaus oder einer kleinen, vom Projekt gebauten Gesundheitsstation mit einem Vorhang abgetrennt und eine Matte auf den Fußboden gelegt.

Die Schwangeren kommen erst spät zu einer Vorsorge, oft sind sie schon im siebten oder achten Schwangerschaftsmonat. Der Gesundheitszustand der meisten von ihnen ist nicht schlecht: Es sind zähe, starke Frauen, aber sie sind zu häufig schwanger, oft erleben sie die sechste oder siebte Schwangerschaft – oder sie sind zu jung. Wir sahen einige 16-jährige Schwangere und sogar ein 15-jähriges, geistig behindertes, schwangeres Mädchen, das missbraucht worden war.

Schwangerenvorsorge fast ohne Hilfsmittel

Viele Schwangere leiden unter Anämie, die oft durch Malaria verursacht wird. Die Schwangerenvorsorge geschieht fast ohne Hilfsmittel: Eine Waage, ein Maßband und ein Pinard-Rohr sind alles, was es gibt. Entsprechend geschult müssen die Hände der Hebamme sein. Die Angaben der Frauen zur letzten Periode sind mehr als ungenau, werden aber zum Errechnen des Entbindungstermins (ET) herangezogen, was sehr abenteuerliche errechnete Schwangerschaftswochen ergibt. Mein Vorschlag, den geschätzten ET erst nach der körperlichen Untersuchung in die Mutterpasskarte einzutragen, wurde dankbar aufgenommen.

Das Blutdruckmessgerät war kaputt – so wie es aussah, schon eine ganze Weile – und das neue digitale Gerät hatte keine Batterien mehr. Dann wird eben kein Blutdruck gemessen, weder bei den Schwangeren noch bei den Frauen, die hormonell verhüten. Auch Untersuchungshandschuhe und Urinstics gab es nicht, so dass einige Werte nicht erhoben werden konnten.

Es war nicht einfach zu kalkulieren, wie viele Medikamente gebraucht wurden. Die Besuche fanden oft Tagesreisen vom nächsten Krankenhaus entfernt statt und man konnte nicht auf die Schnelle weitere Mittel holen. Impfstoffe hatten wir genügend mitgenommen, aber Verhütungsmittel wurden knapp.

Verbandswechsel bei einer 16 Jahre jungen Mutter, die ihr Kind per Sectio zur Welt brachte: Unter dem Verband ist die Naht zehn Zentimeter weit offen. Foto: © Christiane Klingner

Angewiesen auf Boote und gutes Wetter

Viele dieser Dörfer haben keinen Straßenanschluss und wenn doch, ist die Straße so schlecht befahrbar, dass nur ein- bis zweimal in der Woche ein Auto kommt. Aus diesem Grund gibt es auch keine Sendemasten für Mobiltelefone. Die Menschen sind gänzlich auf die Boote angewiesen und darauf, dass gerade kein Sturm ist.

Zwei Wochen lang war ich mit einem Team des Projektes auf einer besonderen Reise: Nach der ersten abgeschlossenen Fünf-Jahres-Phase sollten neue Dorfgesundheits-Komitees gewählt werden. Es gab große Dorfversammlungen, Treffen mit den TBAs und als Krönung ein Drama einer Laien-Schauspielgruppe über das Thema „Malaria”. Dieses wurde mit viel Slapstick und Situationskomik gespielt. Es hat großen Spaß gemacht zuzuschauen, und ist eine wunderbare Art, über Gesundheitsthemen zu informieren.

Trotz der kleinen Krankenstationen spielen die traditionellen Hebammen und auch traditionelle Heiler eine wichtige Rolle in den Dörfern. Bei der Zusammensetzung des Dorfgesundheits-Komitees wird auch darauf geachtet, dass VertreterInnen aller dieser Berufsgruppen mit dabei sind.

Die TBAs, meist schon recht betagte Frauen, wurden nach den von ihnen betreuten Geburten in der letzten Zeit befragt. Viele gehen mit „ihren” Frauen zur Geburt in die Krankenstation. Aber es gibt auch viele Geburten zu Hause, weil die Krankenstation zu weit weg oder nicht vorhanden ist, oder weil die Geburt zu schnell verläuft. Etwa 46 Prozent der Geburten finden zu Hause und 16 Prozent im Haus der TBA statt. Bei 60 Prozent aller Geburten half eine TBA – auch in den Krankenstationen.

Die tansanische Gesundheitspolitik möchte darauf hinwirken, dass jede Schwangere zur Geburt in ein Krankenhaus oder zumindest in eine Krankenstation geht. Allerdings ist nur in Krankenhäusern eine Sectio möglich – und davon gibt es in dem riesigen und unzugänglichen Gebiet gerade mal drei. Immerhin ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Müttersterblichkeit zu senken – wenn auch noch weit entfernt von europäischen Zahlen. Genaue Daten sind nicht bekannt, weil die Evaluation mit „exakten” Zahlen erstmalig im vergangenen Jahr stattfand.

Weite und schlechte Wege

Selbst im Dorf Kala, in dem es eine recht große Krankenstation gibt mit über 120 Geburten im Jahr, sagte uns der Arzt, dass es im Katastrophenfall, wenn eine Sectio nötig wäre, keine Hilfe gebe. Man kann niemanden anrufen, weil es kein Telefonnetz gibt. Die Straße ins 200 Kilometer entfernte Sumbawanga zum nächsten Krankenhaus ist so schlecht, dass fast kein Auto durchkommt. Und mit dem Boot zum nächsten Krankenhaus am Seeufer fährt man etwa acht bis zwölf Stunden, je nach Wind und Wellen.

Die Herausforderung ist, Schwangere, vor allem diejenigen, bei denen sich ein Problem abzeichnet, schon vor der Geburt in die Nähe eines Krankenhauses zu schicken. Oft können sie dort bei Verwandten die Geburt abwarten. Aber wann wird die Geburt sein? Wer kümmert sich in der Zeit um die anderen Kinder und um die Felder? Die Männer sind manchmal wochenlang auf Fischfang.

Die meisten TBAs, mit denen wir gesprochen haben, scheinen sehr verantwortungsbewusst zu handeln. Glücklicherweise kennen sie Wurzeln zur Stillung von postpartalen Blutungen und andere pflanzliche Heilmittel, da auch Medikamente nicht immer verfügbar sind. Inwieweit sie diese immer „richtig” anwenden, kann ich nicht beurteilen, aber in keinem der besuchten Dörfer sei im letzten Jahr eine Frau aufgrund der Geburt gestorben. Das ist schon ein riesiger Fortschritt!

Fragwürdige Traditionen

Es gibt aber auch noch sehr viele fragwürdige Traditionen, beispielsweise das Abdecken des Nabels mit Blättern, was eine Tetanusinfektion provozieren kann. Das Kolostrum wird häufig nicht gegeben, da „diese Milch dreckig ist”. Gegen diese Traditionen haben die bisherigen Schulungen der TBAs aber schon viel bewirkt.

Die Reanimation des Neugeboren ist im Prinzip bekannt – ein zusätzlicher Versuch ist noch, die (angenabelte) Plazenta in eine Schüssel mit warmen Wasser zu legen. Es kam die sehr ernsthafte Frage, ob das etwas nützen könne.

Dankbar war die tansanische Kollegin, die die Schulungen durchführte, für meinen Tipp, die Nabelschnur an der „Sollbruchstelle” abzunabeln, also dort, wo sie weiß wird. Das ist etwa zehn Zentimeter vom Körper entfernt – in diesem Abstand wird in Tansania immer abgenabelt. Sie sagte, es sei so schwierig, den TBAs zu erklären, wie viel zehn Zentimter sind. Viele können weder lesen noch schreiben.

Ein weiterer traditioneller Heilversuch beispielsweise bei vorzeitigen Wehen oder Rückenschmerzen sind „Scarifikationen” – Einritzungen der Haut, manchmal kombiniert mit dem Verreiben von Pulvern. Geritzt wird recht willkürlich einfach da, wo es weh tut oder ein erkranktes Organ ist, beispielsweise Scarifikationen am Hals bei einem Kropf (!).

Film zur Schulung der traditionellen Hebammen – gezeigt von der Autorin. Foto: © Christiane Klingner

Ich hatte meinen Laptop mitgenommen mit einem kurzen Film über die „Kängurupflege” von Früh- und Neugeborenen. Daraus ergaben sich sehr interessante Gespräche. Nebenbei habe ich versucht, den MitarbeiterInnen des Projektes ein paar Anregungen zur Gesprächsführung und Informationsweitergabe zu geben. Anfangs haben sie fast zwei Stunden nur geredet und die TBAs sind vor Müdigkeit fast von den Bänken gefallen. Wichtig war es auch, die TBAs zu Treffen untereinander zu ermuntern, zum Austausch von Erfahrungen und dazu, Schülerinnen anzulernen.

Multiplikatorinnen ausbilden

In näherer Zukunft ist geplant, für alle TBAs eines Dorfes ein Seminar zu geben. Bisher konnten aus Geldmangel nur zwei traditionelle Hebammen pro Dorf geschult werden. Diese sollten dann als Multiplikatoren fungieren, aber ob das so wahrgenommen wurde, lässt sich schwer feststellen. Es ist sicher besser, möglichst vielen die Teilnahme zu ermöglichen.

In meiner letzten Woche am Tanganjika-See konnte ich in einem Krankenhaus mitarbeiten, in dem die Hebammen des Projektes regelmäßig sind, um praktische Erfahrungen aufzufrischen. Hier fehlte das Stethoskop zum RR-Gerät, die Maske für den Baby-Ambubeutel (Mund-zu-Mund-Beatmung machen sie hier keinesfalls) und etliche andere Materialien.

Immerhin können HIV-Schnelltests und eine medikamentöse HIV-Behandlung gemacht werden. Wenn irgend möglich, sollte die Schwangere dazu ihren Mann mitbringen. Die Rate der HIV-Positiven liegt bei etwa zehn Prozent und die Ausbreitung ist ein riesiges Problem. Beim Verbandswechsel einer 16 Jahre jungen Mutter, die ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt brachte, sah ich, dass die Naht zehn Zentimeter weit offen stand. Schon seit einer Woche wurde Eiter ausgedrückt und mit Natriumchlorid getränkten Kompressen neu verbunden. Zu wenig Milch hatte sie auch – was nicht verwunderlich ist. Hier habe ich die Marmet-Massage gezeigt und zu direktem Hautkontakt ermuntert, was sonst in Tansania nicht üblich ist. Sie hatte dadurch sofort mehr Milch für ihr Kind.

Gemeinsam mit der Kollegin konnte ich eine wunderschöne Geburt in der Hocke statt in der üblichen Rückenlage begleiten. Die anderen Krankenhauskolleginnen waren sehr interessiert. Auch hier leisteten die mitgebrachten Anschauungsmaterialien gute Hilfe.

Wie immer in Afrika, war ich zutiefst beeindruckt von der Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit der Menschen, die trotz schwieriger Lebensumstände den Mut nicht verlieren und versuchen, für ihre Kinder eine gute Zukunft zu gestalten.


Hinweis: Ein ausführlicher Bericht kann bei der Autorin angefragt werden. Sie kommt auch gern zu einem Bildervortrag.


Spenden
Spenden zugunsten des Projektes an: Herrnhuter Missionshilfe, Stichwort: „Ausbildung TBA Kipili”, Kontonummer 415103, Evangelische Kreditgenossenschaft Kassel (EKK), BLZ 52060410.
Zitiervorlage
Klingner C: Gesundheitsprojekt in Tansania: Mangos, Boote und Babys am Tanganjika-See. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (8): 72–74
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