Die soziale Beziehung zählt
Einige der Tabuzonen waren nicht überraschend. Frauen würden sich an den meisten Stellen ihres Körpers unwohl fühlen, wenn sie dort von fremden Männern berührt würden. Männer wollten nicht von Verwandten, egal welchen Geschlechts, an ihren Genitalien berührt werden. BritInnen fühlen sich generell unwohler bei Berührungen von anderen Menschen als FinnInnen, RussInnen, ItalienerInnen und FranzösInnen.
Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass es vor allem von den sozialen Beziehungen abhängt, wer wen wo berühren darf. Je enger die Beziehung, desto größer die Körperfläche, die berührt werden darf.
Die Stellen am Körper, die berührt werden dürfen, stehen im engen Zusammenhang mit dem Behagen, das durch die Berührung an der Stelle ausgelöst wird. „Je größer der Genuss, der durch die Berührung ausgelöst wird, desto ausgewählter sind die Personen, die diese Körperregionen berühren dürfen”, fasst Juulia Suvilehto von der Aalto University in Tampere ihre Ergebnisse zusammen.
Es zeigten sich aber auch unerwartete Ergebnisse: Italienerinnen mögen es weniger, angefasst zu werden als Russinnen, während die Finninnen sich mit körperlicher Berührung am wohlsten fühlten. Erstaunlicherweise verändert sich das Ergebnis im Altersverlauf nicht, körperliche Grenzen scheinen über das Alter hinweg konstant zu bleiben.
Der Psychologe Prof. Robin Dunbar von der Oxford University sagt: „Die Beziehung ist entscheidender als die räumliche Nähe. Ein Freund, den wir lange nicht gesehen haben, darf uns immer noch an den gleichen Stellen anfassen wie früher, während KollegInnen, die wir täglich sehen, das niemals dürften.”
Die gleiche Berührung kann von einem Freund als angenehm, vom eigenen Partner als sehr willkommen und von einem Fremden als besonders unangenehm wahrgenommen werden.
Berührung ist universell. Die Kultur moduliert nur, wie wir bestimmte Berührungen empfinden, die Reaktion auf Berührung ist aber immer gleich. Gerade in Zeiten mobiler Kommunikation und sozialer Medien, ist Berührung nach wie vor ein wichtiges Kommunikationsmittel, um Beziehungen zwischen Menschen zu knüpfen und zu vertiefen.
Begegnen Schwangere, Gebärende oder Wöchnerinnen ihren Hebammen oder GeburtshelferInnen, sind diese zunächst Fremde für sie. Die Betreuenden überschreiten bei vielen Untersuchungen die beschriebenen Tabuzonen. Auch vaginale Untersuchungen und Dammschutz werden bisweilen in der Literatur oder bei Vorträgen auf Kongressen als Machtdemonstration an der gebärenden Frau beschrieben. Immer wieder kann man auch von Klagen gegen Pfleger oder Ärzte lesen, weil eine Untersuchung, Behandlung oder Berührung als Grenzüberschreitung empfunden wurde. Überwiegend richten sich diese Klagen von Frauen gegen Männer. Umgekehrt treten die Übergriffe weniger deutlich in Erscheinung, was nicht heißt, dass sie nicht stattfinden.