Diesen Schemata liegen Daten aus Großbritannien, Finnland, Russland, Italien und Frankreich zugrunde. Jede Figur zeigt die Antworten in Bezug auf die Person, die den eigenen Körper auf der Vorder- und Rückseite berühren darf. Die blau eingerahmten schwarzen Areale sind Tabuzonen. Hellere Areale zeigen die Abstufungen der Körperregionen, die berührt werden dürfen. Abbildung: © Juulia T. Suvilehto et al. PNAS 2015; 112:13811-13816; National Academy of Sciences 2015

Berührung ist ein kraftvolles Instrument für die Übertragung positiver Emotionen. Hebammen berühren Schwangere und Gebärende überall. Aber der Körperkontakt kann auch als übergriffig und missbräuchlich empfunden werden. Manchmal liegen dem einfach Missverständnisse, manchmal Machtdemonstrationen zugrunde. Gibt es „no touch areas“ für Hebammen?

Im Herbst 2015 bekam eine internationale Studie öffentliche Aufmerksamkeit. Sie beschäftigte sich mit den Körperregionen des Menschen, die andere nicht berühren sollten. ForscherInnen der Universitäten Tampere in Finnland und Oxford in Großbritannien erstellten Karten des Körpers mit all den Regionen, die von Familienmitgliedern, FreundInnen, KollegInnen oder Fremden berührt werden können, ohne die persönlichen körperlichen Grenzen zu übertreten. 1.368 Männer und Frauen aus fünf europäischen Ländern wurden gebeten, auf Umrissen von menschlichen Körpern die Stellen einzuzeichnen, an denen sie einer anderen Person unter Umständen erlauben würden, sie zu berühren, und welche Stellen tabu wären. Sie unterschieden dabei zwischen PartnerIn, FreundIn, Eltern, Geschwistern, Onkel/Tante, Cousin/Cousine, Bekannten und Fremden. Diese Schablonen wurden übereinandergelegt. In Abhängigkeit vom Geschlecht und von der Beziehung stellten sich nun unterschiedliche Tabuzonen dar (siehe Abbildung).

Die soziale Beziehung zählt

Einige der Tabuzonen waren nicht überraschend. Frauen würden sich an den meisten Stellen ihres Körpers unwohl fühlen, wenn sie dort von fremden Männern berührt würden. Männer wollten nicht von Verwandten, egal welchen Geschlechts, an ihren Genitalien berührt werden. BritInnen fühlen sich generell unwohler bei Berührungen von anderen Menschen als FinnInnen, RussInnen, ItalienerInnen und FranzösInnen.

Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass es vor allem von den sozialen Beziehungen abhängt, wer wen wo berühren darf. Je enger die Beziehung, desto größer die Körperfläche, die berührt werden darf.

Die Stellen am Körper, die berührt werden dürfen, stehen im engen Zusammenhang mit dem Behagen, das durch die Berührung an der Stelle ausgelöst wird. „Je größer der Genuss, der durch die Berührung ausgelöst wird, desto ausgewählter sind die Personen, die diese Körperregionen berühren dürfen”, fasst Juulia Suvilehto von der Aalto University in Tampere ihre Ergebnisse zusammen.

Es zeigten sich aber auch unerwartete Ergebnisse: Italienerinnen mögen es weniger, angefasst zu werden als Russinnen, während die Finninnen sich mit körperlicher Berührung am wohlsten fühlten. Erstaunlicherweise verändert sich das Ergebnis im Altersverlauf nicht, körperliche Grenzen scheinen über das Alter hinweg konstant zu bleiben.

Der Psychologe Prof. Robin Dunbar von der Oxford University sagt: „Die Beziehung ist entscheidender als die räumliche Nähe. Ein Freund, den wir lange nicht gesehen haben, darf uns immer noch an den gleichen Stellen anfassen wie früher, während KollegInnen, die wir täglich sehen, das niemals dürften.”

Die gleiche Berührung kann von einem Freund als angenehm, vom eigenen Partner als sehr willkommen und von einem Fremden als besonders unangenehm wahrgenommen werden.

Berührung ist universell. Die Kultur moduliert nur, wie wir bestimmte Berührungen empfinden, die Reaktion auf Berührung ist aber immer gleich. Gerade in Zeiten mobiler Kommunikation und sozialer Medien, ist Berührung nach wie vor ein wichtiges Kommunikationsmittel, um Beziehungen zwischen Menschen zu knüpfen und zu vertiefen.

Begegnen Schwangere, Gebärende oder Wöchnerinnen ihren Hebammen oder GeburtshelferInnen, sind diese zunächst Fremde für sie. Die Betreuenden überschreiten bei vielen Untersuchungen die beschriebenen Tabuzonen. Auch vaginale Untersuchungen und Dammschutz werden bisweilen in der Literatur oder bei Vorträgen auf Kongressen als Machtdemonstration an der gebärenden Frau beschrieben. Immer wieder kann man auch von Klagen gegen Pfleger oder Ärzte lesen, weil eine Untersuchung, Behandlung oder Berührung als Grenzüberschreitung empfunden wurde. Überwiegend richten sich diese Klagen von Frauen gegen Männer. Umgekehrt treten die Übergriffe weniger deutlich in Erscheinung, was nicht heißt, dass sie nicht stattfinden.

Resümee

Was akzeptieren Frauen wohlwollend bei einer Hebamme und was empfinden sie als unangenehm oder übergriffig? Auf die Frage, an welchen Stellen Hebammen sie besser nicht anfassen sollten, antworteten mehrere Frauen, während der Geburt sei das völlig egal. Hebammen dürften während der Geburt alles berühren. Das ist weder das Ergebnis einer repräsentativen Erhebung, noch legitimiert es die ungefragte Berührung aller Körperteile.

Aber es scheint kein großes Problem in der Betreuung rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett darzustellen. Dennoch sollte jede Hebamme sich selbst fragen: Wünscht sich die Frau das Streicheln auf der Innenseite der Oberschenkel, die zu den Zonen zählt, die nur vom Partner oder der Partnerin gut akzeptiert werden, oder ist es das Bedürfnis der Hebamme? KinderpsychologInnen definieren körperliche Übergriffe immer dann als Missbrauch, wenn derjenige, der den anderen berührt, damit seine eigenen Bedürfnisse befriedigt und nicht die des Berührten. Das scheint auch für das Hebammenwesen ein gutes Maß. Eine genauere Untersuchung wäre dazu aber bestimmt anzustreben, um auch unbeabsichtigten Übergriffen aus dem Weg zu gehen.

Zitiervorlage
Seehafer P: Fünf-Länder-Studie: Tabuzonen. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (2): 22–23
Literatur
Suvilehto JT et al.: Topography of social touching depends on emotional bonds between humans. PNAS 2015. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1519231112
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