Im Auslandspraktikum in Kapstadt hat eine junge Hebamme aus der Schweiz eine andere Geburtshilfe kennengelernt. Das hat ihren Blick geschärft auf die Vor- und Nachteile der Hebammenarbeit zu Hause. Ihre Vision verbindet das Beste aus beiden Welten.
Die Autorin Lara Burkart mit ihrer Kollegin Martina, Hebammenstudentin aus der Schweiz Fotos: © Lara Burkart
Im Auslandspraktikum in Kapstadt hat eine junge Hebamme aus der Schweiz eine andere Geburtshilfe kennengelernt. Das hat ihren Blick geschärft auf die Vor- und Nachteile der Hebammenarbeit zu Hause. Ihre Vision verbindet das Beste aus beiden Welten.
Es ist ein schöner Frühlingtag in Südafrika. Circa 30 Kilometer östlich von Kapstadt liegt das öffentliche Spital Helderberg.
Vor dem Eingang bildet sich wie jeden Morgen eine Menschenschlange. Bis zu 100 Personen, Alt und Jung, Schwangere, kranke Kinder, Neugeborene im Tragetuch der Mütter, warten Stunden vor dem Gitter des Eingangs. Die Zeit steht still, als Schweizer Hebammenstudentin nenne ich es die afrikanische Slow Motion. Bei keinem der Angestellten ist eine Spur von Stress zu spüren, sei es der Securitas auf seinem Campingstuhl, der sich den Schweiß abtupft, oder die Empfangsdame Lucy. Alle PatientInnen stehen ruhig in der Schlange, bekommen eine Nummer auf das Handgelenk und setzen sich im Innern des Spitals auf ein Stühlchen.
In der Gebärabteilung ist einiges los heute. Im hintersten Zimmer tummeln sich bereits bis zu 15 Frauen auf ihren Pritschen. Alle stehen unter der Geburt. Die einen stöhnen, andere massieren sich gegenseitig, einige spazieren im Zimmer auf und ab. Im düsteren Gang davor sitzen bereits die nächsten Frauen mit ihren dicken Bäuchen, die noch auf ein Bett hoffen. Ja, man steht Schlange zum Gebären in Südafrika. Die einzigen Geräusche, die durch den Gebärsaal fegen, sind die Töne der Stöckelschuhe der Stationsleitung Ani. Sie hat die Station mit ihren Angestellten im Griff und dies in einem durchaus forschen Ton.
Vaginal untersucht wird wenig bis gar nicht. Das einzige CTG der Station funktioniert nicht. Der Ausguss gleicht dem in einer Metzgerhalle.
Ela, eine Erstgebärende aus Zimbabwe, sucht mit ihren Rehaugen im Zimmer der Schwangeren verzweifelt nach Anerkennung. Ihre beiden Bettnachbarinnen stöhnen leise vor sich hin. Schreien wird nicht toleriert.
Ela wird verlegt in das hintere Gebärzimmer. Sie legt sich auf das Bett in eine Rückenposition, zack, sind schon wortlos die Finger der Hebamme am Untersuchen. Es gibt keine Kommunikation, keine Empathie, kein Miteinander. Ela wird zum Pressen angeleitet von einer stämmigen Hebamme. Wenige Minuten später wird ein kleines schwarzes Baby geboren. Kein Gratulieren, keine Dankbarkeit, kein Innehalten. Schon landet das Kleine auf der Waage, kriegt ein Namenschild, wird vermessen und eingewickelt in ein Frottiertuch.
Ein Geburtenset gibt es heute nicht, denn es ist Monatsende und die Lieferung ist aufgebraucht. Keine fünf Minuten später ist nach einer Injektion von Syntocinon auch die Plazenta geboren. Die Frau wird angewiesen, das Gebärbett zu verlassen und sich zu duschen. Sie begibt sich anschließend in das übervolle Wochenbettzimmer. Dort herrscht reges Treiben. Es wird gestillt, geplappert und getanzt. Nach einer kurzen Visite der Assistenzärztin verlässt Ela mit ihrem Baby nach vier Stunden das Spital und fährt mit dem öffentlichen Taxi nach Hause zu ihrer Familie.
Heute, in dieser Frühschicht sind 15 Babys geboren. Zwei Hebammen sind neben der Stationsleitung im Dienst mit ein paar Pflegehilfen und Putzfrauen. Und wir, zwei Hebammenstudentinnen aus der Schweiz.
Zehn Wochen hatten wir die Chance, über den Tellerrand der kleinen schweizerischen Geburtshilfe zu gucken. Ich studiere Hebamme an der ZHAW in Winterthur und stehe kurz vor dem Abschluss. Für das praktische Jahr ging ich mit meiner Hebammenkollegin aus demselben Jahrgang für zehn Wochen nach Kapstadt.
Die Geburtenrate in Südafrika ist mit 2,34 Kindern pro Frau (2015) noch gemäßigt im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern. Die Behandlung in den öffentlichen Spitälern ist kostenlos. Das heißt, dass wir vor allem Frauen aus den Townships begleiteten. Sie tragen löchrige und schmutzige Kleider und besitzen oftmals kein Geld, um ihren Neugeborenen Windeln zu kaufen. Manche Schwangere sind erst 14, andere schon 40 Jahre alt. Die Hälfte von ihnen ist HIV-positiv.
Das Neugeborene wird von der Mutter Anton getauft. Wegen der »schweizerischen Geburtshilfe« musste es ein typischer Schweizer Name sein. Fotos: © Lara Burkart
Schwangere gebären in Südafrika teils wie im letzten Jahrhundert. Die Frauen kämpfen um eine menschenwürdige Betreuung. Die Interaktion zwischen Hebammen und Gebärenden ist rückständig. Es besteht ein großer Mangel an gut ausgebildetem Personal. Von den Geldsorgen, der Armut und den Ausstattungen in den Spitälern ganz zu schweigen.
Doch eines können die Südafrikanerinnen ausgezeichnet: interventionsfrei und sehr natürlich gebären. Komplikationen waren sehr selten zu beobachten. Es wurden Kinder im Minutentakt geboren. Die Hebammen arbeiten sehr selbstständig und mit viel Intuition und Tradition.
Kurz nach meiner Rückkehr in die Schweiz begann ich mein nächstes Praktikum im Universitätsspital in Zürich. Es war ein Zurückkommen in eine hochtechnisierte und ausgezeichnet organisierte Spitalwelt. Jede Hebamme in Südafrika sehnt sich nach unseren Bedingungen in der Schweiz. Wir haben hier eine Geburtsmedizin mit Qualitätsparametern, die sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Ja, es ist ein Grund zum Feiern! Unsere Spitäler sind modern, bedürfnisgerecht und freundlich gestaltet.
Unsere Hebammen und ÄrztInnen sind qualifiziert und arbeiten auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Und doch bin ich kritisch. Denn letztlich geht es um weitaus mehr als um einen nüchternen medizinischen Vorgang.
In der Schweiz müssen Schwangere und ungeborene Kinder oft erstmal beweisen, dass sie keine Pathologie entwickeln. Gestationsdiabetes, verkürzter Gebärmutterhals, vorzeitige Wehen, Stress, die Perzentile, die nicht mehr entlang der Linie wächst, Diagnosen um Diagnosen. Unsere höchst technologische Betreuung, die unter ärztlicher Kontrolle häufig zu invasiven, teuren und gefährlichen Interventionen führt, macht mir oft Angst.
Eines wurde mir sehr schnell bewusst in Südafrika: Den Hebammen sind wir einen großen Schritt voraus. Wir bemühen uns ständig, uns zu verbessern und weiterzuentwickeln. Wir reflektieren unsere Arbeit täglich. Unsere vierjährige Bachelorausbildung war wissenschaftlich fundiert, vielseitig und sehr praxisorientiert. Wir alle lernten mit Kopf, Herz und Hand zu arbeiten. Die Ansprüche in der Praxis an die Hebamme sind hoch. Es wird eine große soziale Kompetenz verlangt, viel Flexibilität, Verantwortungsbewusstsein und ein manuelles Geschick. Wir alle haben Potenzial. Und dies sollte genutzt werden! Durch unsere akademische Ausbildung wurde uns ein Sprungbrett geschaffen. Und doch hat man im Spitalalltag nicht immer die Möglichkeit, das Wissen umzusetzen.
Wie wäre es, wenn wir während unserer Ausbildung mit den AssistenzärztInnen zum Beispiel Skills-Unterricht hätten? Es wäre ein Lernen und Profitieren auf beiden Seiten und würde so manches erleichtern in der Praxis.
Lara Burkart betreut eine Erstgebärende in der Eröffnungsphase. Fotos: © Lara Burkart
Ja, ich möchte eine Hebamme sein, an die sich die Frauen später noch erinnern. Ich möchte ihnen Sicherheit und Kraft vermitteln, ihnen helfen, an sich zu glauben. Ich möchte fähig sein, die Frauen und ihre Familie vor, während und nach der Geburt zu begleiten und sie auch in schwierigen Momenten zu unterstützen.
Ich wünsche mir, dass wir die Gesundheit im Ganzen wieder stärker fördern. Ich möchte mich nicht darauf beschränken, das Auftauchen von Symptomen zu überwachen, sondern aktiv die Gesundheit fördern. Und wenn ich dazu beitragen kann, dass sich die Frauen zu selbstbewussten Müttern entwickeln, so stärke ich damit die Familie und unsere Gesellschaft insgesamt.
Wenn ich mit meinen Mitstudierenden zusammensitze bei einem Kaffee und wir über unsere Zukunft als junge Hebammen philosophieren, kommen viele Wünsche und Träume zutage.
Unser Wunsch ist, die Frauen ganzheitlich und kontinuierlich zu begleiten. Wir wollen, dass sich die Schwangeren frühzeitig bei der Hebamme melden. Es sollte eine flache Hierarchie zwischen ÄrztInnen und Hebammen bestehen. Wir wollen nicht mit den ÄrztInnen kämpfen und uns gegenseitig verdrängen, sondern einander in der Betreuung von Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen unterstützen. Das Wissen beider Professionen soll verschmelzen. Wir wünschen uns ein achtsames Miteinander. So könnte man zusammen ein geburtshilfliches Gesamtkonzept aufbauen, das mit großer Wahrscheinlichkeit zu komplikationsärmeren Geburten verhelfen würde.
Wir möchten nur dann in den naturgegebenen Geburtsverlauf eingreifen, wenn es für diese Handlung eine evidenzbasierte Begründung gibt und eine sorgfältige Risiko-Nutzenabwägung erfolgt.
Der junge Hebammennachwuchs freut sich auf die Zukunft. Wir wollen engagiert für die Belange der Familien und den Hebammenstand einstehen.