Alessandra M. Scheede: War es schon lange ein Berufswunsch von dir, Hebamme zu werden, oder hast du dich spontan dazu entschieden?
Ceres Burkart: Etwas von beidem. Ich wollte schon immer »was mit Menschen« machen. Als ich bei einer Berufshochschulmesse war, stellte sich ein Hebammenstudiengang vor und hat mich ziemlich überzeugt.
Wie hast du dir das Studium vorgestellt und was ist in Wirklichkeit daraus geworden?
Das lässt sich ja im Nachhinein nicht mehr so gut sagen, aber ich habe ziemlich naive Vorstellungen gehabt im Vorfeld. Das duale Studium ist eine deutliche Doppelbelastung, das ist spürbar – das habe ich vorher total ausgeblendet. Die Intensität dieses Studiums habe ich unterschätzt, es ist deutlich umfangreicher, als ich erwartet habe. Ich hätte nicht gedacht, dass man so viel lernen kann, um Hebamme zu werden. Inhaltlich hat mich das positiv überrascht, weil ich alles sehr spannend finde, aber gerechnet habe ich damit nicht.
Wie hast du dir den Kreißsaal und die Geburten vorgestellt?
Ich habe mir das alles vorher nicht wirklich vorgestellt. Ich hatte keinerlei Erfahrungen in Krankenhäusern und war dann von meiner ersten Geburt und dem Setting dort weder positiv noch negativ überrascht.
Du bist bei den JuWeHen, ehemals dem Bundesrat WeHen, wie bist du dazu gekommen?
2019 im Sommer war an unserer Hochschule das WeHen-Sommertreffen. Die zwei Vorsitzenden haben den Rat vorgestellt und ihre Situation geschildert. Sie seien in einer Sackgasse und müssten bald aufhören, würden es aber gerne an uns weitergeben. In unserer Studiengruppe ist dann große Motivation aufgekommen, das Projekt wieder anzuschieben. Ich finde es wichtig, dass wir vernetzt sind als werdende Hebammen und deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet.
Die JuWeHen gibt es erst seit diesem Jahr. Sie sind die Fusion aus dem Bundesrat WeHe und dem Deutschen Hebammenverband. Möchtest du ein wenig über das Konzept berichten?
Im Januar 2021 ist der Bundesrat WeHen endgültig mit dem DHV fusioniert – wir sind dem DHV offiziell beigetreten. Der Bundesrat war schon seit seiner Gründung finanziell vom DHV abhängig und nach einigen Überlegungen haben wir uns für die Zusammenkunft und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten entschieden.
Jetzt nennen wir uns JuWeHen, und sind die offizielle Jugendorganisation des DHV. Das heißt, es können nicht nur werdende Hebammen Teil davon sein, sondern auch Hebammen im Berufseinstieg.
Das primäre Ziel ist es, Austausch zu ermöglichen und somit Missstände oder grobe Unterschiede in der Ausbildung aufzudecken und ein Sprachrohr für Verbesserung zu haben. Hierfür haben wir einige Arbeitsgruppen und viele Pläne, um den Austausch und die Lern- und Arbeitssituation zu verbessern. Mehr Informationen gibt es unter > https://www.hebammenverband.de/beruf-hebamme/junge-werdende-hebammen-im-dhv-juwehen/.
Was ist gut und was ist weniger gut an der Akademisierung?
Was ich nicht wirklich gut finde ist, dass einige Menschen eine Spaltung der Berufsgruppe herbeiführen wollen. Manche finden die Akademisierung gar nicht gut und fühlen sich benachteiligt, das finde ich schade und da sehe ich ein negatives Potenzial, da die Spaltung sich für mich künstlich anfühlt.
Positiv finde ich die Möglichkeiten, die das Studium mit sich bringt. Es ist gut, dass die Lehre insgesamt angeglichen und vereinheitlicht wird – das ist wichtig. Durch das Studium gibt es gewisse Kriterien an die Ausbildung, die alle Hochschulen erfüllen müssen, das sichert eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Es ist auch wichtig und interessant, mit Forschungsergebnissen und Studien umgehen zu können.
Die Selbstreflexion spielt im Studium eine große Rolle, was absolut an der Zeit ist. In jedem Semester suchen wir uns eine Situation aus der Praxis und gehen diese noch einmal gemeinsam durch, schauen, was wir für ein Fehlerpotenzial bei uns sehen und suchen nach einer Lösung. Dabei beziehen wir auch aktuelle Literatur ein.
Die Diskussion um die Übernahme gewisser Hebammenfelder von anderen Berufsgruppen sehe ich sehr problematisch, und ich denke, die Akademisierung kann es Hebammen ermöglichen, die Betreuungsfelder zu behalten. Was die Vorsorge beispielsweise betrifft, kann ich mir vorstellen, dass die Akzeptanz von Hebammenvorsorge gegenüber ärztlichen Kolleg:innen wächst, wenn wir den gleichen Abschluss haben.
Gibt es Kritik an deinem Modellstudiengang, was die Strukturierung von der Ausbildung zum Studium angeht?
Ja, das Verhältnis von Praxis und Theorie ist ein wichtiger Punkt. Die Anzahl der Praxisstunden plus die Zahl der Theoriestunden ist zusammengerechnet extrem hoch. Manchmal habe ich das Gefühl, die Praxis wird mir zu viel. Es ist zu viel Inhalt in zu wenig Zeit. Super ist die Praxisanleitung – in diesen Einheiten kann man sich theoretisches Wissen in der Praxis nochmal ganz genau erklären lassen und lernt dabei unheimlich viel.
Habt ihr an eurer Hochschule einen Fachschaftsrat, also eine etablierte Gruppe an der Hochschule, die die Interessen der Studierenden vertritt?
In gewissem Sinne ja. Ich bin auch Semestersprecherin und gemeinsam mit einer Kommilitonin nehme ich an Semestersprecher:innen-Konferenzen Teil. Hier haben wir die Möglichkeit, uns mit Studierenden der anderen Studiengänge auszutauschen und auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Ein Problem ist, dass unsere Semesterplanung durch die Praxisphasen von derjenigen der anderen Studiengänge abweicht. Dadurch ist es nicht immer möglich, an Terminen teilzunehmen.
Im Moment wird unser Gebäudeteil der Hochschule renoviert und ein Skills Lab für die Hebammen eingerichtet. Das ist eine positive Entwicklung, da wir häufig das Gefühl hatten, von der Hochschulleitung nicht gesehen zu werden. Besonders in Bezug auf die räumlichen Möglichkeiten und den immer größer werdenden Studiengang, ist das sinnvoll.
Wie ist es während Corona mit den Theoriephasen geregelt?
Seit März 2020 sind wir nur in der Online-Lehre. Bis auf die Klausuren im fünften Semester war ich nicht mehr an der Hochschule. Neben den Nachteilen, die das mit sich bringt, ergibt sich für viele auch eine notwendige Flexibilität. Die Präsenz- und Fehlzeitenregelung ist relativ strikt an unserer Hochschule, was besonders für Kommilitoninnen mit Familie eine Belastung war. Jetzt ist es möglich, Vorlesungen aufzuzeichnen und sie nachträglich anzuschauen und Probleme wie Kind-Krank-Tage entfallen. Die Perspektive ist auch, dass die Lehre nach Corona zu gewissen Anteilen online bleibt.
Wie läuft die Kooperation der Lehre an der Hochschule mit der Lehre in der Praxis?
Ich habe das Gefühl, bei diesem Thema wird sich viel Mühe gegeben. Im Endeffekt ist es dennoch so, dass es häufig nicht zueinander passt. Teilweise ist es schwer, die Lernziele vernünftig in die Praxis umzusetzen. Ein Problem ist auch, wenn ich ein Lernziel habe und in meinem Praxiseinsatz einfach keine passende Situation entsteht – man muss da wirklich Glück haben. Wenn ich nie die Möglichkeit habe, im zweiten Semester einen Katheter zu legen, weil keiner gebraucht wird, dann entsteht eine große Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, da ich dieses Lernziel dann mit ins nächste Semester zu den neuen Lernzielen nehme.
Ist es dir auch schon anders herum passiert – dass du in Situationen gebracht wurdest, die deine Kompetenz überfordert haben?
Ja, das passiert auch. Ich war schon bei Geburten anwesend, bei denen die Hebamme kaum mit im Raum war. Ich war dann unsicher, weil ich nicht das Gefühl hatte, die Situation allein zuverlässig einschätzen zu können und die Hebamme nicht wusste, was im Geburtszimmer passiert – ich habe mich etwas alleingelassen und überfordert gefühlt. Es hätte sein können, dass etwas Pathologisches passiert, es mir aber einfach nicht auffällt und es dann niemand mitbekommt.
Was vermutest du, woran es liegt, dass du alleingelassen wurdest?
Ich weiß es nicht genau. Es kann sein, dass die Hebammen einfach denken: Da ist ja jetzt jemand bei der Frau, die wird schon Bescheid sagen, wenn etwas ist. Was stimmt, aber wenn ich die Komplikation nicht kenne (theoretisch), kann ich sie auch nicht erkennen. Das zugrunde liegende Problem ist, denke ich, der Betreuungsschlüssel. Wir Student:innen betreuen diese eine Familie und bekommen nicht mit, dass die Hebamme gleichzeitig womöglich eine zweite betreuen muss. Das Problem löst sich schon etwas, wenn wir aus den großen Krankenhäusern in kleineren eingesetzt sind.
Du sagtest »Krankenhäuser«. Seid ihr für eure Praxiseinsätze in verschiedenen klinischen Einrichtungen?
Wir sind relativ viele Studierende, da ja mehrere Semester parallel laufen. Damit nicht zu viele von uns in einem Kreißsaal eingesetzt sind, weichen die höheren Semester auf kleinere Krankenhäuser aus, die nicht immer Studierende mitnehmen können, aber zeitweise einige für ihre Praxiseinsätze aufnehmen.
Wie ist es, dann auf einmal in einem fremden Team zu sein?
Ich finde es schön und anstrengend. Es ist toll, sich verschiedene Arbeitsweisen anzuschauen und gerade in den kleinen Krankenhäusern gibt es eine andere Struktur und einen anderen Workload. In den kleinen Krankenhäusern habe ich mich wohler gefühlt. Es ist aber auch anstrengend, sich in ein neues Team und eine neue Organisationsstruktur einzuarbeiten: wieder neue Wege, wieder ein neues Lager, in dem man sich merken muss, was in welcher Schublade ist.
Das bedeutet auch, du hast keine Person, die beständig in der Praxis für dich da ist und als Ansprechpartnerin fungiert.
Ja, so ist es. Eine Mentorin würde ich mir schon sehr wünschen. In meinem Einsatzort ist dies nicht möglich, in anderen werden uns für das letzte Ausbildungsjahr Mentorinnen zur Seite gestellt.
An wen wendest du dich dann, wenn in einem Praxiseinsatz etwas schief geht?
An unsere Praxiskoordinatorinnen von der Uni. Bevor wir in die Online-Lehre gegangen sind, hatten wir jedes Semester einige Stunden, in denen wir Student:innen uns über belastende und positive Erlebnisse in der Praxis austauschen konnten. Das war sehr wertvoll und ist einer der größten Verluste der Online-Lehre würde ich sagen.
Wir haben Praxislerneinheiten. An diesen Tagen kommen Anleiter:innen von der Hochschule in unsere Praxiseinsätze und gehen gezielt Situationen mit uns durch, wie beispielsweise eine U1. Das bringt sehr viel und ist lehrreich.
Was würdest du dir für deine Praxiseinsätze wünschen?
Das ist eine schwierige Frage. Es ist meist ein Wechselbad der Gefühle, da es eine sehr intensive und anstrengende Zeit ist. Ich glaube, das ist den Hebammen oft nicht so klar. Wir stehen unter Lern- und Leistungsdruck und möchten gleichzeitig unserem Anspruch von empathischer Betreuung der Familien gerecht werden. Ich finde es eine schwierige Frage, da es auf so vielen Ebenen eine Herausforderung für uns Studierende ist. Das heißt, es gibt nicht die eine Sache, die den Unterschied macht.
Aber wenn ich mich festlegen müsste, wäre mein größter Wunsch »mehr Zeit«. Sowohl zum Lernen neuer Dinge als auch für das Eingewöhnen in ein komplett neues Arbeitsumfeld.
Hat sich dein »Wunschdenken« im Laufe deiner Ausbildung verändert?
Ich habe das Gefühl, dass ich mich jetzt, im letzten Ausbildungsjahr, besser entfalten kann. Im ersten und zweiten Jahr ist es schwierig, seinen Platz im Kreißsaal und in der Geburtsbegleitung zu finden, da wir noch nicht alles gelernt haben und noch nicht alles können.
Anfangs fühlte ich mich ein bisschen wie die Schwangere, die während der Eröffnungsphase nur auf die Wehen reagieren kann. Jetzt in der Austrittsphase kann ich das Ganze aktiver mitgestalten.
Wie nimmst du die Zusammenarbeit der Hebammen und Ärzt:innen wahr?
Eigentlich relativ gut. Die Ärzt:innen haben zwar das letzte Wort, aber ich habe das Gefühl, dass sie schon auch auf die Hebammen hören und ihre Meinung respektieren.
Wie viel Kontakt hast du in deinen Praxiseinsätzen zu den Ärzt:innen?
Relativ wenig – an sich läuft das meiste über die Hebammen. Bei unserem Einsatz in der Schwangerenambulanz sind wir bei den Risikosprechstunden dabei, da ist dann ärztliches Personal anwesend. Und in der Lehre unterrichten uns die Oberärzt:innen. In der Praxis im Kreißsaal haben wir wenig mit den Ärzt:innen zu tun, dort besprechen wir uns nur mit den Hebammen. Ab dem Fünften Semester ändert sich das. Dann wird die Kommunikation mit den Ärzt:innen auch unsere Aufgabe. In dem kleineren Krankenhaus konnte ich auch bei den ärztlichen Visiten mitlaufen und sie haben mir vieles erklärt. Ich konnte dabei viel lernen und gleichzeitig ihren Blickwinkel kennenlernen.
Zurzeit bist du im Externat. Wie nimmst du dort die Zusammenarbeit von Hebammen und Ärzt:innen wahr?
In den Vorsorgen wird schon häufig den Frauen gegenüber thematisiert, ihrem Gynäkologen oder der Gynäkologin besser nicht zu erzählen, dass sie im Geburtshaus gebären wollen. Sie sollen davor bewahrt werden, dass Ärzt:innen, die der außerklinischen Geburt negativ gegenüberstehen, sie »verrückt machen«. Es ist sowohl ein Problem mit den niedergelassenen Ärzt:innen als auch mit der Klinik. Auch im Krankenhaus habe ich das Gefühl, dass es nicht immer gern gesehen wird, wenn eine Frau aus dem Geburtshaus kommt. Es gibt aber auch Praxen, die gut mit dem Geburtshaus zusammenarbeiten. Und in der Kooperation mit den Krankenhäusern liegt es vermutlich auch daran, dass bei Verlegungen meist eine Geburt mit pathologischem Verlauf in der Klinik landet.
Hast du das Gefühl, durch die Theorie und die Praxis, die du im Rahmen deines Studiums erlebst, gut auf deine Abschlussprüfungen und den Beruf vorbereitet zu werden?
Teilweise macht es mir schon ein wenig Angst, wenn ich mir bewusst mache, dass ich in einem Jahr meine Prüfungen habe. Dann denke ich, ich habe eigentlich noch viel zu wenig gelernt. Das ist aber wahrscheinlich ein Gefühl, das ich auch noch in meinem ersten Berufsjahr haben werde. Eigentlich fühle ich mich schon ganz gut gewappnet für den Beruf. Mir fehlt aber noch mehr Praxis, um das Gelernte auch wirklich umzusetzen, aber theoretisch fühle ich mich gut vorbereitet.
Kannst du dir vorstellen, nach deinem Studium als Hebamme zu arbeiten?
Definitiv! Auch in der Geburtshilfe. Allerdings mit dem Ziel, in die außerklinische Geburtshilfe zu gehen, nachdem ich im Krankenhaus noch ein wenig Erfahrungen gesammelt habe.
Kannst du dir vorstellen, einen Masterstudiengang zu belegen?
An sich kann ich es mir vorstellen, aber wenn ich examiniert bin, möchte ich erst einmal arbeiten.
Hast du einen großen Wunsch für alle Hebammenstudierenden in der Zukunft?
Ja! Ich wünsche mir, dass die Theorie durch die Akademisierung einheitlicher und strukturierter wird und dass wir für die Praxiseinsätze im Kreißsaal eine Mentorin bekommen – das würde uns, glaube, ich emotional entlasten. Auch wünsche ich mir, dass es einen guten Austausch zwischen den Semestern an den Hochschulen – aber auch allgemein – gibt, und dass die Studierenden trotz der hohen Belastung den Spaß und die Zuversicht nicht verlieren. Es ist ein gutes Studium und ein toller Beruf. Ich würde es wieder anfangen, wenn ich nochmal die Wahl hätte, auch wenn es mich an meine Grenzen bringt.
Vielen Dank für diese spannenden Einblicke und alles Gute für dein Studium!