Voraussetzung für einen geringen Energieumsatz post partum ist, dass das Neugeborene warmgehalten wird, keinen Sauerstoff­mangel erleidet und unnötiger Trennungsstress vermieden wird. Foto: © Katharina Bau

Nach der Geburt muss der Körper des Neugeborenen seinen Stoffwechsel ohne die Hilfe der Plazenta regulieren. Mutter und Kind sind dafür in der Regel gut aufeinander abgestimmt. Hebammen können dafür sorgen, dass dieser physiologische Prozess nicht gestört wird, wenn keine medizinischen Indikationen dagegen sprechen. Jedes Kind sollte innerhalb von zwei Stunden nach der Geburt Kolostrum erhalten.

Das Neugeborene ist durch hormonelle Steuerung optimal auf die Geburt vorbereitet. Intrauterin wird es von der Mutter mitversorgt: Durch die Plazenta bekommt es eine konstante Infusion an Glukose, Fettsäuren und Proteinen. Bereits früh in der Schwangerschaft beginnt das Kind, hepatische Glykogenspeicher anzulegen, die in der unmittelbaren Postnatalperiode als Energielieferanten zur Verfügung stehen. Vor der Geburt ist der Stoffwechsel anabol (siehe Glossar). Die Glukoseversorgung des Neugeborenen durch die Plazenta endet mit der Durchtrennung der Nabelschnur, gleichzeitig steigen die Spiegel von zirkulierendem Adrenalin und Noradrenalin (Kimura 1883; Riley 2017).

Der Stoffwechsel ist nun katabol. Damit steigt Glukagon an und der Insulinspiegel sinkt (siehe Glossar). Der katabole Stoffwechsel sorgt durch den Abbau von energieliefernden Nährstoffen für die kontinuierliche Energieproduktion von Glukose durch Glykogen-Abbau und Lipolyse.

Erst zwölf Stunden nach der Geburt kommt es zur Glukoneogenese (siehe Glossar). Die Neubildung von Glukose in der Leber beträgt 4–6 mg pro kg Körpergewicht pro Minute. Sie beträgt allerdings nur noch etwa 2 mg pro kg Körpergewicht pro Minute, wenn das Insulin ansteigt, nach einer unphysiologischen Nahrungsaufnahme – also durch zusätzliche Gabe von Nahrung zum Kolostrum. Denn durch diese Veränderungen werden die Glukoneogenese und die Mobilisation der Glykogenspeicher in der Leber stimuliert, dem Kind steht weniger Glukose zur Verfügung.

Bei Neugeborenen wird der tiefste Glukosespiegel etwa 30–90 Minuten nach der Geburt erreicht. Danach ist normalerweise eine Stabilisierung des Glukosehaushalts durch die Mobilisation der Glykogenspeicher der Leber und eine Glukoneogenese gewährleistet. Bei Risikokindern könnte dieser tiefe Wert allerdings auf einen zu niedrigen Wert abfallen.

Wie viel Glukose braucht der Körper?

Frühes Zufüttern von Nahrung zusätzlich zum Kolostrum behindert den Stoffwechselablauf, denn dadurch ausgelöste hohe Insulinspiegel verhindern die Lipolyse (siehe Glossar). Zusätzlich entsteht ein erhöhter Energieverbrauch durch die Umstellung auf einen anabolen Stoffwechsel. Deshalb ist ein Zufüttern in den ersten 72 Lebensstunden bei reifen und gesunden Neugeborenen normalerweise nicht erforderlich. Der reichliche Milchfluss (mit der Laktogenese 2 beginnend) kann in diesem Zeitraum in der Regel abgewartet werden (AWMF-Leitlinie 2012).

Ein sehr hohes Risiko für eine neonatale Hypoglykämie haben Kinder diabetischer Mütter, Neugeborene mit verminderten Glykogenspeichern (SGA-Kinder und frühgeborene Kinder), schwer kranke Kinder beziehungsweise Neugeborene mit Fettstoffwechselstörungen. Diese Kinder profitieren von einer Frühfütterung mit Kolostrum 30 Minuten nach der Geburt, um den physiologisch niedrigsten Blutzuckerwert eine Stunde post partum abzupuffern, der bei ihnen zu niedrig sein könnte. Das menschliche Gehirn braucht aufgrund seiner enormen Größe und seines energetisch außerordentlich hohen Bedarfs eine gute Versorgung, um gegebenenfalls bleibende kognitive Störungen zu verhindern.

Bei älteren Feten und Neugeborenen beansprucht das Gehirn über 60 % des gesamten Basalstoffwechsels des Körpers, obwohl es nur 13 % der Körpermasse einnimmt. Bei Erwachsenen nimmt das Gehirn mit 2 % der Gesamtkörpermasse immer noch 20 % des gesamten Körperstoffwechsels in Anspruch. Darauf sind sowohl die Größe und Leistungsfähigkeit der menschlichen Plazenta ausgerichtet, als auch die Ausbildung des subkutanen Fettgewebes beim gesunden Neugeborenen. In der Regel verbraucht das Gehirn nur Glukose, in der Situation nach der Geburt kann es aber über 75 % seines Stoffwechsels aus Ketonkörpern decken, die aus dem Fettgewebe mobilisiert werden können (Girard et al. 1992).

Den Energiebedarf decken

Beim Neugeborenen sind Energieverbrauch für Wachstum und Verluste über das Mekonium in den ersten drei Tagen zu vernachlässigen, während Grundumsatz und Aktivität in dieser Zeit deutlich reduziert sind. Für die ersten drei Lebenstage lässt sich daher ein Energiebedarf von 35–50 kcal pro Kilogramm Körpergewicht und Tag ermitteln. Entsprechend ist auch der Sauerstoffverbrauch in dieser Zeit noch reduziert. Voraussetzung für diesen anfangs noch geringen Energieumsatz ist allerdings, dass das Neugeborene warmgehalten wird, keinen Sauerstoffmangel erleidet und ein unnötiger Trennungsstress vermieden wird. Ununterbrochenes Bonding nach der Geburt, wie es die »10 Schritte zum erfolgreichen Stillen nach WHO und Unicef« vorgeben, sind eine hervorragende Handlungsempfehlung, dies zu ermöglichen.

Beim wachsenden Säugling hingegen beträgt der Energiebedarf im ersten Lebensvierteljahr etwa 120 kcal pro Kilogramm Körpergewicht und Tag: Der Energieumsatz ist die Summe vom Grundumsatz (45 %), Wachstum (35–40 %), Aktivität (5–10 %) und Ausscheidung (10 %).

Die reichliche Milchbildung beginnt erst mit einer gewissen Verzögerung, angepasst an die zunehmende Verdauungskapazität des kindlichen Magen-Darm-Traktes (NSK 2001).

Glossar

Der anabole Stoffwechsel umfasst alle Synthesevorgänge, die für das Wachstum der Zellen und ihre Erhaltung erforderlich sind.

Der katabole Stoffwechsel sorgt durch den Abbau von Nährstoffen für die kontinuierliche Energieproduktion und den ausreichenden Vorrat an einfachen organischen Molekülen, unter anderem zur Blutzuckerstabilität.

Glukagon ist ein Peptidhormon, es wirkt als Gegenspieler des Hormons Insulin. Glukagon steigert den Blutzuckerspiegel, indem in der Leber Glykogen abgebaut (Glykogenolyse) und Glukose gebildet wird.

Glykogen ist ein Vielfachzucker. In dieser Form speichert der menschliche Organismus Kohlenhydrate, um sie kurz- bis mittelfristig als Energieträger Glukose bereitzustellen. Glykogen wird vor allem in den Zellen der Leber gespeichert. Die Speicherkapazität ist begrenzt.

Glukoneogenese ist ein Stoffwechselweg zur Neusynthese von Glukose aus Stoffwechselprodukten. Sie findet vorwiegend in der Leber und den Nieren statt. Das Nervensystem, die Erythrozyten und das Nierenmark sind auf Glukose als Energielieferanten angewiesen. Daher muss auch im Fall der Nahrungskarenz ein Weg zur Bereitstellung von Glukose vorliegen.

Lipolyse ist die hydrolytische Spaltung von Fetten im Fettgewebe zur Energiegewinnung. Sie wird maßgeblich durch Insulin und Katecholamine wie Adrenalin gesteuert. Dabei wirkt das Insulin anabol (Hemmung der Lipolyse) und das Adrenalin katabol (Steigerung der Lipolyse). Dem Neugeborenen dient sie zur Energiegewinnung, bevor es durch reichliches Stillen die Energie aus der Muttermilch gewinnt.

Ketonkörper entstehen bei absolutem oder relativem Kohlenhydratmangel als Nebenprodukt der Fettverbrennung in den Leberzellen, zum Beispiel bei Hungerzuständen. Für den Gehirnstoffwechsel ist die Bildung von Ketonkörpern wichtig, da sie neben Glukose die einzige Energiequelle darstellen. Unmittelbar nach der Geburt ist die Lipolyse und die Bildung von Ketonkörpern physiologisch.

Birgit Heimbach


Hinweis:

Tipps für die Praxis

  • Der Hautkontakt sollte nach der Geburt möglichst ununterbrochen sein, mindestens eine Stunde lang oder bis das Baby das erste Mal gestillt wurde. Die Routinen im Kreißsaal sollten dahingehend angepasst werden.
  • In dieser Zeit sollten Neugeborene die Möglichkeit des selbstgesteuerten Anlegens haben. Gegebenenfalls bekommen die Mütter Unterstützung beim Anlegen.
  • Vor Verlegung aus dem Kreißsaal sollten alle Neugeborenen Kolostrum erhalten haben – durch Anlegen oder durch per Hand gewonnenes und gefüttertes Kolostrum.
  • »Risikokinder« sollten nach 30 Minuten eine Zufütterung von Kolostrum bekommen, das gegebenenfalls schon präpartal gewonnen wurde.
  • Jegliches Zufüttern bedarf einer ärztlichen Indikation.

Zitiervorlage
von der Ohe G: Der Stoffwechsel des Neugeborenen: Kleines Kraftwerk. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (10): 54–57
Literatur

AWMF-Leitlinie: Betreuung von gesunden reifen Neugeborenen. 2012

Kimura RE, Warshaw JB: Metabolic adaptations of the fetus and newborn. J Pediatr Gastroenterol Nutr 1983. 2 Suppl 1: S12–5

Riley M: Perinatale Physiologie. MSD Manual. Ausgabe für medizinische Fachkreise. Letzte Überarbeitung Juli 2017

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