Die Frau führt und ihr Partner muss lernen, ihrer Führung zu folgen – ein nonverbales Geschehen, das auch die Hebamme wortlos begleiten kann. Foto: © Katja Baumgarten

Stille. Offenheit. Hingabe in die Situation der Geburt. Und dies auf beiden Seiten – bei der Frau und bei der Hebamme. Da ist manchmal jedes Wort zu viel und zerstört die besondere Aura im Raum. Die Trance der Gebärenden und das tiefe aufeinander Einschwingen, eher einem Tanz gleich.

Einige der besten Ideen meiner Hebammentätigkeit wurden aus der Stille heraus geboren – wenn das Gespräch schwieg. Auf die erste Geburt, die ich beobachtete, trifft das mit Sicherheit zu. Ich sollte erwähnen, dass bei dieser Geburt keine Hebamme zugegen war, da sie zu einer Zeit (1970) stattfand, als es in US-amerikanischen Krankenhäusern keine Hebammen gab. Da die werdende Mutter zuvor eine traumatische Geburt im Krankenhaus erlebt hatte, hatte sie entschieden, dass diesmal ihr Ehemann die Rolle der Hebamme übernehmen sollte. Als sie jedoch tatsächlich Wehen bekam, wurde dieser nervös und war mit der von ihm übernommenen Verantwortung überfordert, weshalb er um Hilfe bat. Es drängte mich sehr, seiner Frau zu helfen, obwohl ich keinerlei Ausbildung oder Erfahrung mit Geburtsbegleitung hatte. Ich wollte Hebamme werden und dachte mir, ein guter erster Schritt bestünde darin, eine Geburt zu beobachten.

Als ich den kleinen Raum, in dem sie sich aufhielt, betrat (sie lebten in einem ausgebauten Schulbus), überwältigte mich ihr Anblick, wie schön sie aussah! Nichts hatte mich darauf vorbereitet, dass eine Frau unter der Geburt so großartig aussehen könnte. Die Geburt schritt rasch voran und ich merkte sofort, dass es ihr gut tat, mir in die Augen zu sehen. Sie muss darin Staunen und Bewunderung gesehen haben, denn beides fühlte ich. Ich erinnere mich deutlich, dass ich mir keine Sorgen darüber machte, was schief gehen könnte. Dennoch musste ich so langsam und tief wie möglich atmen, um die mich durchflutende Energie zu bewältigen, die ich spürte, wenn sie wehte. Sie stellte mir keine Fragen, weshalb ich keinen Grund sah, ihr von mir aus Informationen anzubieten. Ich glaube nicht, dass es ihr geholfen hätte, wenn ich kundgetan hätte, dass ich noch nicht einmal eine Abbildung, ein Foto oder sonst irgendetwas von einer Geburt jemals gesehen hatte, geschweige denn einmal bei der Geburt eines Tieres dabei gewesen war. Wenn ich irgendeine dieser Informationen preisgegeben hätte, hätte es sie wahrscheinlich eher verunsichert als ihr geholfen. Ich hatte nicht das Gefühl, das es helfen würde, irgendetwas zu ihr zu sagen, außer es wäre eindeutig freundlich, hilfreich und unbedingt nötig. Ihr Sohn wurde etwa eine Stunde, nachdem ich im Bus eingetroffen war, geboren. Diese Geburt hat mich etwas wirklich Wertvolles gelehrt: Dass manchmal die beste Unterstützung einer Gebärenden, wenn überhaupt, nur weniger Worte bedarf.

Die nötigen Worte

In der folgenden Zeit, als ich wieder gebeten wurde, Geburten zu begleiten, lernte ich schnell, dass Worte während der Geburt nötig sind und dass beruhigende oder anleitende Worte einer Gebärenden große Erleichterung verschaffen können, wenn sie darunter leidet, dass die Geburtswehen rascher aufeinander folgen oder intensiver sind, als sie es erwartet hat. Es gibt viele Situationen, in denen eine Gebärende Zuspruch dankbar annimmt, oder in denen sie Informationen gebrauchen kann, die sie davor bewahren, in Panik zu verfallen. Sie kann von Vorschlägen, wie tiefer oder langsamer zu atmen, profitieren, oder dadurch eine Position für sich finden, in der Körper und Geist Ruhe finden. Worte können nötig sein, um zu erklären, warum die eine Gebärposition besser sein könnte als die andere, wenn es darum geht, dass der Kopf des Kindes sich nicht in der bestmöglichen Weise ins Becken senkt, oder um einer Erstlingsmutter zu helfen zu verstehen, dass ihr neugeborenes Kind die Brust nicht ablehnt, wenn es beim ersten Anlegen den Kopf vor und zurück bewegt.

Wenn allerdings bei einer langen und schwierigen Geburt der Frustpegel steigt, finde ich, ist es das Beste, für eine Weile still zu sein und darauf zu warten, dass eine gute Idee auftaucht, bevor ich voraussetze, sofort zu wissen, was hilfreich für die Gebärende sein wird. Wenn der Frust im Raum zu spüren ist, kann Smalltalk die Situation noch verschlimmern. Unter diesen Umständen ist Schweigen Gold.

In der Stille können die Gedanken, Luftblasen gleich, an die Oberfläche meines Bewusstseins steigen, wobei ich sie gründlich prüfe, bevor ich entscheide, ob ich mit ihnen weiter arbeite oder nicht. Ich habe eventuell drei oder vier nicht so gute Ideen zu verwerfen, bevor mir die richtige in den Sinn kommt. So war es, als ich das erste Mal entschied, eine Gebärende auf ihre Füße zu stellen, um die Geburt ihres Kindes zu erleichtern. Das war in den frühen 70er Jahren, lange bevor ich etwas über aufrechte Gebärhaltungen gelesen hatte, und jede Frau zuvor war in der Lage gewesen, in aufrechter Rückenlage Wehen zu verarbeiten und ihr Baby herauszuschieben. In diesem Fall war das Kind zwar ISP +3, was den Höhenstand des Kopfes in Bezug zur Interspinalebene betraf, aber die Frau war nach langer anstrengender Geburtsarbeit körperlich erschöpft. Würden wir weiter machen wie bisher, würde sie es nicht schaffen, ihr Kind herauszuschieben, soviel war mir klar. Nachdem ich ihr bei einigen weiteren Wehen ohne Geburtsfortschritt zugesehen hatte, sah ich mich gezwungen, sie irgendwie auf die Füße zu stellen, obwohl sie im Stehen gestützt werden musste. Ihr Ehemann konnte sie glücklicherweise während der nächsten Wehen, in denen sie mitschob, aufrecht halten. Mit der Schwerkraft auf ihrer Seite senkte sich das Baby und bald wurde sein Köpfchen sichtbar. An diesem Punkt konnte sie sich zurücklehnen, um den Austritt des Köpfchens zu verlangsamen und ich war in der Lage, ihr zu helfen, langsam genug zu gebären, so dass ihr Damm nicht verletzt wurde.

Selbst auferlegtes Schweigen

Ein anderer früher Fall war eine Erstgebärende, die nach mehreren Stunden intensiver Wehen einen fast vollständig eröffneten Muttermund hatte. Die Intensität der Wehen hatte merklich nachgelassen und sie war sichtlich müde. Ich wusste, das wehende Frauen in den 1960er und 70er Jahren im Krankenhaus nicht schlafen durften, aber ich begann mich zu fragen, ob das Verbot in Wirklichkeit irgendetwas mit Sicherheit zu tun hat. Mein Geburtshilfehandbuch lieferte mir keinen Hinweis: Dass Frauen nach Wehenbeginn ein Schläfchen halten könnten, fand keine Erwähnung. Nachdem ich eine Weile im Stillen darüber nachgedacht hatte, kam ich endlich zu dem Ergebnis, dass Schlaf der beste Weg sein könnte, die Geburt des Babys zu fördern. Schlaf ist erholsam und entspannend. Warum sollte er das während der Geburt nicht sein? Es erschien mir nicht sinnvoll, meine Gedankengänge mit der Gebärenden zu erörtern. Stattdessen sagte ich ihr einfach, es würde ihr sicher gut tun zu schlafen, wenn sie könne, nachdem ich für mich entschieden hatte, dass ich sie jederzeit wecken könne, um die Herzfrequenz des Kindes zu überprüfen, sollte ich mir um den Zustand des Kindes Sorgen machen. Wir schliefen beide eine Weile, sie erwachte mit guter Wehentätigkeit, vollständig eröffnet und effektiv mitschiebend. Wäre ich auf die Idee gekommen, Schlaf unter der Geburt sinnvoll zu finden, wenn ich entschlossen plaudernd versucht hätte, uns beide wach zu halten, statt still und leise die Möglichkeiten abzuwägen? Ich bezweifle es. Ich glaube, ich brauchte das selbst auferlegte Schweigen zum Nachdenken und wirklichen Analysieren der Situation.

Angehende Hebammen, besonders jene, die Geburten in sehr geschäftigen Situationen, in denen es eher laut zugeht, erleben, sollten verstehen lernen, dass Wehenarbeit ohne Medikamente bedeutet, dass die Frau sich in eine Art Trance begibt. Sie muss sich sicher fühlen, um einen solchen Bewusstseinszustand zu erreichen, und sie braucht eine Atmosphäre, die von ablenkenden Routinen und Gespräch frei ist.

Ich habe beobachtet, dass manchmal Leute um des Redens willen reden, vielleicht brauchen sie Smalltalk für ihre eigene Entspannung. Aber wenn eine Hebamme das tut – mit einer wehenden Frau sprechen, um ihre eigene Anspannung los zu werden, wird alles, was sie tut, wahrscheinlich eher kontraproduktiv sein, egal wie gut ihre Absichten auch sein mögen. Es ist besser für die Hebamme, selbstberuhigende Strategien zu haben (Gebet oder Bauchatmung), die keine unbeabsichtigte Auswirkung auf die werdende Mutter haben.

„Lass sie fliegen”

Stille kann besonders hilfreich sein, wenn wir einer werdenden Mutter beistehen, deren Muttersprache eine andere ist als unsere. In dieser Situation gebrauchen wir am besten so viel nonverbale Kommunikation wie möglich: Berührung, Gesten, Lächeln und andere körpersprachliche Ausdrucksmöglichkeiten.

Frisch examinierte Hebammen mögen sich manchmal fragen, woran sie merken, ob eine Frau verbale Konversation braucht oder nicht. Ich beantworte das, indem ich den Hebammen rate, sich so gut es geht in die Frau einzufühlen: Beobachte sie so genau, dass du beginnst zu spüren, wie sie fühlt. Versuche mit allen Mitteln, ihre Fragen zu beantworten. Wenn sie aber mit Wehen gut zurecht kommt, ohne Fragen zu haben, maße dir nicht an, ihr zu erklären, was Geburtsarbeit ist. Sie gleitet eventuell ohne jegliche verbale Hilfe in eine Trance hinein. Wenn, dann wäre es ein Jammer, diesen Prozess dadurch zu unterbrechen, dass man etwas kommentiert, was sie bereits von ganz alleine tut. Lass sie fliegen, ohne sie mit Worten in eine eher gewöhnliche Bewusstseins­ebene zurück zu zerren.

Ich denke, eine wehende Frau lässt dich normalerweise wissen, wenn sie Stille braucht. Wenn sie gerade eine Wehe hat, ist es sowieso am besten, gar nichts zu sagen. Mach ihr, so gut du kannst, das Verhalten, welches ihr helfen kann, vor, ohne dabei ihre Aufmerksamkeit auf dich zu lenken. Warte nach jeder Wehe auf ihr Zeichen, bevor du sprichst, es sei denn du willst sie loben. Das kann durchaus hilfreich sein. Sobald ihre Aufmerksamkeit nachlässt, ihre Augenlider sich flatternd schließen, ist es gut, still zu sein, um erkennen zu können, ob Stille das ist, was sie wirklich braucht. Versuche vor allem nicht, sie in die Realität zurückzuholen.

Die richtigen Worte

Manchmal jedoch kann Schweigen unangenehm sein, dann sollten wohl die richtigen Worte gesprochen werden. Ich lernte diese wichtige Lektion bei den ersten zehn Geburten, die ich als frischgebackene Hebamme begleitete. Bei zwei Geburten eröffnete die werdende Mutter bis zu einer Muttermundsweite von sieben Zentimetern, dabei blieb es. Obwohl die Wehen kräftig und regelmäßig waren, blieb der Muttermund hartnäckig unnachgiebig, solange bis die richtigen Worte ausgesprochen waren.

In einem Fall kam ein Freund der werdenden Mutter vorbei, um zu fragen, ob die Gebärende bereits von ihrer Mutter berichtet habe. Die Frage erzeugte bei mir ein Kribbeln im Bauch, das mir ihre Bedeutung klar machte, und der Freund der Mutter erklärte, dass sie als Neugeborenes adoptiert worden war, so dass sie glaubte, ihre leibliche Mutter sei bei ihrer Geburt gestorben. Ab diesem Moment wurde der Muttermund weiter und ihr Kind war bald geboren.

Im zweiten Fall hatten wir eine ähnliche Situation mit einem noch längeren Stillstand bei einer Muttermundsweite von sieben Zentimetern, obwohl die werdende Mutter und ich uns redlich Mühe gaben.

Es stellte sich heraus, dass ihr Mann und sie ihr Eheversprechen erneuern mussten. Nachdem ihr Versprechen aufgefrischt und gestärkt war, konnte sich der Muttermund der Wehenkraft nicht mehr widersetzen und bald schon schob sie ihr Baby heraus. Was ich bei diesem Prozess zu tun hatte, war, meine Worte so sorgfältig zu wählen, um nicht etwas zu sagen, was das Paar davon abgehalten hätte, die richtigen Worte zueinander zu sagen.

Ich denke, manchmal hilft es, bei der Geburtsarbeit eher an einen Tanz als an ein Gespräch zu denken. Die wehende Frau führt in dem Tanz und ihr Partner, Ehemann. Freund oder wer auch immer muss lernen, ihrer Führung zu folgen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass sie mit ihren Geschlechtsorganen gebärt, und dass sie ihrem Bewusstsein erlauben muss, sich aus dem normalen Raum- und Zeitempfinden zu entfernen, sich weg zu bewegen vom analytischen Denken der linken Hirnhälfte, um sich auf eine Gefühlsebene mit Akzeptanz des Hier und Jetzt zu begeben.

Meine Kolleginnen und ich haben zuweilen bei gläubigen MuslimInnen Geburten begleitet. Dabei erinnerte man uns öfters daran, dass nach islamischem Brauch das Neugeborene als erstes ein von seinem Vater gesprochenes Gebet hören soll. Solch ein Wunsch passt gut zu der Erkenntnis, dass es normalerweise am besten ist – solange mit Mutter und Kind alles in Ordnung ist – die Hebamme überlässt sämtliche Schallwellen der jungen Familie.

Lehrreiche Videos

Für Hebammenstudentinnen, deren einzige Erfahrung mit Geburt bisher im geräuschvollen Klinikalltag stattfand, in dem sie gezwungen sind, bestimmte Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt zu tun, kann es nützlich sein, zu beobachten, wie andere Säugetiere ihre Geburt selbstständig bewältigen. Auf youtube.com kann man gut sehr lehrreiche Videos finden. „The dramatic struggle of life” zeigt einen Elefanten bei der Geburt, bei der die Elefantenmutter es fertig bringt, das neugeborene Elefantenkalb wiederzubeleben.

Viele Frauen, die diese bemerkenswerte Geburt gesehen hatten, waren besonders davon beeindruckt, dass die Elefantenmutter von selbst genau die richtigen Maßnahmen ergreift, um ihr Kalb zu reanimieren, als sie merkt, dass ihre ersten immer verzweifelter werdenden Versuche es zum Atmen zu bringen, nicht gelingen.

Eine andere wunderbare auf YouTube zu findende Geburt ist „chimp birth attica zoo”. Hier sehen wir eine Schimpansin in einem griechischen Zoo, die in Begleitung ihrer eigenen Mutter ihr Kind gebiert. Die Mutter nimmt die Rolle der Doula ein. Die Interaktion der beiden ist erhellend und lehrreich: Die werdende Großmutter berührt ihre Tochter zwar nie, ist aber stets bereit, ihr zu helfen. Ihre Art der nonverbalen Kommunikation und Körpersprache zeigt die Art Aufmerksamkeit, die auch den Mitgliedern unserer Spezies hilft, unsere Art der Geburtsbegleitung  zu optimieren.

Ich habe noch ein persönliches Lieblingsvideo auf YouTube: „happybirth.mp4″. In diesem ist eine Französin  zu sehen, die ihr Kind bekommt. In der stillen Kommunikation zwischen ihr und ihrer Hebamme ist eine sehr schöne Interaktion zu sehen. Ich kenne kein besseres Video, um die Angst vor der Geburt zu verbannen. Es macht überhaupt nichts, dass die Geburt in den 70er Jahren stattfand. In mancherlei Hinsicht ist Geburt immer dasselbe und das macht sie so besonders.

Die Übersetzerin

Elke Fleischer ist Hebamme. Sie hat zehn Jahre im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke gearbeitet und ist seit 2011 Leitende Hebamme im Evangelischen Krankenhaus Hagen-Haspe. Sie studierte Architekturgeschichte und Englisch am College of Charleston, South Carolina, USA.

Kontakt:  elkefleischer@gmx.net

Buchtipp
Ina May Gaskin: Die selbstbestimmte Geburt: Handbuch für werdende Eltern. Mit Erfahrungsberichten. Kösel-Verlag. 7. Auflage (2004)
Zitiervorlage
Gaskin IM: Eher ein Tanz als ein Gespräch. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (7): 48–50
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