In Japan gibt es in der Mythologie eine Vorstellung, wo die fehlgeborenen Kinder sind, wohin sie gehen, wie ihr Wesen ist. Rituale können helfen, Abschied zu nehmen. Wie stellt man sich die »Wasserkinder« vor?
Jizo-Statuen für fehlgeborene und früh verstorbene Kinder auf Friedhöfen aufzustellen, ist in Japan ein verbreitetes Ritual. Illustration: © Birgit Heimbach
In Japan gibt es in der Mythologie eine Vorstellung, wo die fehlgeborenen Kinder sind, wohin sie gehen, wie ihr Wesen ist. Rituale können helfen, Abschied zu nehmen. Wie stellt man sich die »Wasserkinder« vor?
Fehlgeburt beschreibt einen nicht seltenen Prozess, doch für das Lebewesen, das dabei stirbt, gibt es in der deutschen Sprache keinen eindeutigen und für alle stimmigen Begriff. Für manche Frauen ist der Begriff Baby passend, aber für viele ist er auch zu emotional oder medizinisch nicht korrekt genug, handelt es sich bei einer sehr frühen Fehlgeburt doch eher um einen Embryo oder Fetus. Neue Begriffe wie Sternenkinder bürgern sich ein.
In Japan gibt es dagegen schon lange ein Wort für diese zu früh gestorbenen Kinder: »Wasserbabys« oder »Wasserkinder«, auf Japanisch »mizuko«. Auf Friedhöfen gibt es auch in Japan eigene Areale, wo Eltern um fehlgeborene, ungeborene und früh verstorbene Kinder trauern können. Hier stellen sie für ihr Wasserbaby eine Figur namens Jizo auf. Dieser kindliche buddhistische Mönch mit kahl geschorenem Schädel dient als Schutzpatron.
In der japanischen Mythologie sind die Seelen der Wasserbabys unfähig, den mythologischen Fluss Sanzu auf dem Weg zur Unterwelt zu überschreiten, sie bleiben in einer Art Zwischenwelt. Jizo soll die verstorbenen Seelen finden und über den Fluss bringen. Daher werden die Jizo-Figuren mit Opfergaben bedacht. Die kleinen Statuen – meist aus Beton – tragen zum Teil rote Schals oder Lätzchen. Das soll es Jizo ermöglichen, die Kinder anhand des persönlichen Geruchs zu identifizieren. So lange müssen die Kinder am Grenzfluss warten und Steine aufeinanderschichten. In der Edo-Zeit um das 17. Jahrhundert wurde den Müttern eine siebentägige Trauerzeit nach dem Tod eines Kindes gegönnt (auch bei »mabiki«, dem Töten eines weiblichen Säuglings). Danach mussten sie die Sachen des Kindes, Lätzchen und Spielzeug, bei Jizo gewissermaßen abgeben und die Trauerzeit war damit vorüber. Die Mutter musste wieder arbeiten und ihre Pflichten in der Gemeinschaft erfüllen.
Die mit den Wasserkindern verbundenen Rituale nennt man mizuko kuyo. Sie sind vor allem seit den 1970er Jahren verbreitet, seitdem es in Japan offiziell Schwangerschaftsabbrüche gibt. Auf vielen Friedhöfen gibt es so große Statuengruppen, dass sie sentai Jizo (tausend Jizo) oder Jizo-Armeen genannt werden. Berühmte Friedhöfe für die Wasserkinder mit den entsprechenden Jizo-Armeen gibt es beispielsweise im Tempel Hasedera in Kamakura, in Oganomachi im Norden Tokyos, wo mitunter alle Statuen beleuchtet werden, oder auf dem großen Friedhof des Tempelbergs Koya südlich von Nara. Um den Berg Iwaki-san in Nordjapan werden verstorbene Kinder zu ihrem 20. Geburtstag sogar verheiratet. Die Tempel verkaufen dafür etwa 50 cm große Puppen von Braut und Bräutigam.
Auf das japanische Ritual nach einer Fehlgeburt werden immer mehr betroffene Frauen in westlichen Ländern aufmerksam. Oftmals wird ihnen bewusst, dass sie sich keiner eigenen Trauerrituale bedienen können.
Birgit Heimbach: Derzeit entwickeln sich in Deutschland einige neue Rituale für fehlgeborene Kinder. Sie selbst hatten ein Projekt zusammen mit der Design-Aktivistin Virginic Gailing, einer der InitiatorInnen vom Re.Designing Death movement (#ReDeath), die Menschen auf der ganzen Welt mobilisieren möchte, neue Perspektiven und Praktiken in Bezug auf den Tod zu etablieren. Dabei ging es auch um neue Formen der Kinderbestattung. Sie haben zudem einen Einblick in die Bestattungskultur in den Niederlanden gewonnen, wo Sie eine Weiterbildung zur Bestatterin absolviert haben. Wie gefällt Ihnen etwa der Brauch in Japan, fehlgeborene Kinder zu betrauern? Können wir etwas davon lernen?
Lea Gscheidel: Bräuche rund um den Tod spiegeln immer sehr stark wider, wie wir als Gesellschaft das Leben des gestorbenen Menschen sehen, also nicht individuell, sondern als Kohorte. Wie stehen wir zu Gruppen wie Selbstmördern, Fehlgeborenen, Andersgläubigen? Daran gekoppelt ist auch das Recht auf die dazugehörige Trauer. Und es hat viel mit den Notwendigkeiten zu tun, die sich lokal aus Klima, Familienstruktur, Verpflichtungen oder Glauben ergeben. Ich finde es daher immer schwierig, einen Brauch zu beurteilen, der in eine Kultur und örtliche Gegebenheiten eingebunden ist, die ich nicht kenne. Ich kann nicht beurteilen, ob dieser Brauch für die verwaisten Eltern und eventuell für die Geschwisterkinder hilfreich ist oder nicht. Und das wäre meine Richtschnur.
Hier in Berlin bin ich dankbar, dass heutzutage Kinder, egal welchen Alters, getauft und ungetauft, auf dem Friedhof bestattet werden können und so auch einen sichtbaren und ehrenvollen Platz in unserer Gesellschaft bekommen. Diese Haltung, dass auch die ganz Kleinen dazugehören, spiegelt sich in der Beurkundung und auch innerhalb der Familien wider. Es ist eine Entwicklung und sie ist noch nicht überall angekommen. Aber die Richtung ist deutlich und ich habe den Eindruck, dass diese mögliche Sichtbarkeit den Familien hilft in ihrer Trauer.
Sie planten vor fünf Jahren, einen Verein zu gründen namens »Hallo Tod«. Gibt es eine Zusammenarbeit mit www.hallo-tod.com? Dahinter steht eine Vereinigung aus Kulturschaffenden in Zürich, die im vergangenen Jahr ein Projekt gestartet hat, das Ende Mai mit einem Festival enden soll.
Nein, da gibt es keine Zusammenarbeit. Ich habe vor fünf Jahren versucht, mit einem Dutzend anderer jüngerer Menschen, die professionell mit dem Tod zu tun haben – also Palliativpflege, Gestaltung, Trauerbegleitung, Bestattung, Sterbebegleitung – einen Verein zu gründen. Wir mussten aber feststellen, dass wir das ehrenamtlich neben unseren sehr fordernden Berufen einfach nicht schaffen konnten. Daher gibt es dieses Projekt nicht mehr.
Allerdings habe ich mich gerade selbstständig gemacht, um vieles, was wir geplant hatten, so vielleicht umsetzen zu können: Bestattungsberatung, Vorsorgegespräche, Informationsmaterial, Weiterbildungen für Privatmenschen, aber auch für spezielle Berufsgruppen wie Hebammen, Palliativpflegekräfte, Seelsorge, Polizei.