Foto: © Marija Behrend/stock.adobe.com

Zur Nachahmung empfohlen: Ein Kinderorthopäde und Manualmediziner beschreibt eine standardisierte Untersuchung, mit der bei Säuglingen motorische Auffälligkeiten, Fehlstellungen oder Störungen zu finden sind. Eine mögliche Ursache dafür kann eine Beckenendlage sein. Deshalb sollten Hebammen bei Kindern nach BEL-Geburt aufmerksam werden, wenn sich entsprechende Symptome zeigen. 

Wenn wir ein neugeborenes Kind vor uns haben, ist in der Regel die »Krankenakte« noch ein unbeschriebenes Blatt. Es hat sich sehr bewährt, eine strukturierte und standardisierte Untersuchung durchzuführen, um die größtmögliche Chance zu wahren, nichts zu übersehen, und da, wo wir es selbst nicht genau wissen, zumindest eine weiterhin zu klärende Frage zu formulieren. Der folgende bewährte Untersuchungsgang ist zur Nachahmung zu empfehlen. Denn gerade aufgrund der oft lange währenden »Stressposition« Beckenendlage (BEL) ist es sinnvoll und notwendig, eine durchzuführen, die einerseits Übersicht verschafft, andererseits detailgenau ist und somit hilft, Formbesonderheiten und Funktionseinschränkungen frühzeitig zu erkennen (siehe Kasten rechts).

Mit dem gelben U-Heft steht ein Rahmen für standardisierte Untersuchungen des Neugeborenen zur Verfügung, um frühzeitig Auffälligkeiten zu erkennen. Gerade in gleichartig durchgeführten Untersuchungsschritten steckt die Chance, schnell Routine zu entwickeln und den eigenen Beobachtungen einen Maßstab und damit eine Bewertungsmöglichkeit zu verleihen.

Kinderorthopädie
Fehlstellungen der Füße, Knie und Hüfte
Aus kinderorthopädischer Sicht ist die Beckenendlage eine mögliche Ursache oder zumindest beteiligt an der Entwicklung von Fehlformen und -funktionen am Bewegungsapparat. Infolge der intrauterinen Zwangshaltung kann es zu pathologischen Veränderungen kommen, vor allem bei den unteren Extremitäten. Diese sollten möglichst frühzeitig erkannt werden, damit Therapien gut wirken.

Als Folge der Beckenendlage können Fehlformen der Füße vorkommen:

  • Sichelfüße mit ihrer charakteristischen Vorfußadduktion
  • Kletterfüße weisen in extremer Supinationsstellung (Auswärtsdrehung) mit den Fußsohlen zueinander
  • Hackenfüße sind gleichsam an die Schienbeinvorderkante »hochgeklappt«.

Füße mit einer Kombination aus Supination und Varusstellung werden unter dem Begriff Klumpfuß zusammengefasst. Bei allen Fußfehlerformen ergibt sich der Grad ihres Behandlungsbedarfs aus der Rigidität. Sind also die Füße in der jeweiligen Gegenrichtung passiv frei zu mobilisieren, genügt als Behandlung manuelles Redressieren, also sanfte Massagegriffe, die man den Eltern anleitet. So ist gewährleistet, dass möglichst häufig »behandelt« wird.

Alle rigiden Formen sollten kinderorthopädischen Fachärzt:innen mit Expertise in der Fußbehandlung vorgestellt werden. Es wird dann abgewogen, welche therapeutischen Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Das Spektrum reicht von der »dreidimensionalen Fußtherapie bei kindlichen Fußfehlstellungen« nach Barbara Zukunft-Huber, die mit manuellen Redressionen und Anregungen reflektorischer Gegenbewegungen arbeitet, bis zur Klumpfußbehandlung nach Ponseti beziehungsweise nach Bonnet Dimeglio, einer Kombinationsbehandlung aus manuellen Redressionen, Fixierung im Gips und operativen Maßnahmen, wie Achillessehnen-Tenotomie und späterer Schienenbehandlung (siehe auch Hayn & Schwarz-Dennier: Ganzheitliche Therapie für den Klumpfuß. DHZ 2/2019, Seite 58ff.).

Eine weitere Folge der BEL kann eine Überstreckbarkeit der Kniegelenke sein: Genua recurvata. Normalerweise zeigt sich eine Streckfähigkeit bis auf etwa 10°, ab circa 15° Überstreckbarkeit beginnt die pathologische Situation. Man kann zunächst zwei bis vier Wochen zuwarten, ob sich eine Überstreckbegrenzung einstellt, wenn außerhalb des Mutterleibes die Stresshaltung wegfällt. Wenn nicht, muss der Säugling kinderorthopädisch untersucht werden.

Aus dem Blickwinkel der Orthopäd:innen darf nach einer BEL-Geburt der Hinweis auf die Notwendigkeit und den Sinn der Untersuchung der Hüftgelenke des Neugeborenen nicht fehlen! Einzig die Säuglings-Hüftsonografie nach Graf ergibt hierbei die sichere Zuordnung, ob eine Beugebehandlung indiziert ist. Diese führt in den allermeisten Fällen zu guter Reifung der Hüftgelenke und hilft, ein lebenslanges Leiden zu verhindern. Bei der Beugebehandlung werden die Beine in eine Hüftbeugeposition von 100° mit leichter Abspreizung von maximal 30–35° gebracht und in dieser Position gehalten, beispielsweise mit der Tübinger Beugeschiene (TBS) oder Pavlik-Bandage.

Damit ist auch die Frage beantwortet, welchen Stellenwert die Pofaltenasymmetrie hat. Seit mehr als zehn Jahren wissen wir, dass Spreizbehandlungen das Risiko der Minderdurchblutung der kleinen Hüftköpfe bergen (drohende Hüftkopfnekrose). Damit gehören breites Wickeln, Spreizwindeln oder Spreizhosen ins medizinhistorische Museum.

Auffälligkeiten oder Pathologien der oberen Extremitäten wie postpartale Claviculafraktur, Erb’sche Lähmung, Schulterdystokie oder Klumphand sind nicht unbedingt klassische Folgen der Beckenendlage. Sie müssen aber Beachtung finden und gegebenenfalls fachkundig behandelt werden.

Erstes Screening in der U3

In meiner kinderorthopädischen und manualmedizinischen Praxis sehe ich Säuglinge häufig anlässlich der Hüftsonografie im Rahmen der U3. Dabei hat sich im Laufe vieler Jahre ein Untersuchungsmodus etabliert, der in kurzer Zeit Normales von Beachtenswertem unterscheidbar macht. Den Eltern erkläre ich vorab die Reihenfolge der Untersuchungsschritte, die sie als Ergänzung der kinderärztlichen Untersuchung verstehen sollen, frei nach dem Motto: »Vier Augen sehen mehr als zwei«.

Die vierte bis sechste Lebenswoche ist ein idealer Zeitraum für ein erstes Screening auf Auffälligkeiten am Bewegungssystem des neuen Erdenbürgers. Einleitend wird eine gründliche Anamnese erhoben. Dazu gehören Fragen nach Besonderheiten während der Schwangerschaft, wie verordnete Ruhephasen, Schwangerschaftsdiabetes und Präeklampsie, äußere Wendungen aus BEL, besondere Lage des Kindes im Mutterleib wie die BEL. Bei der Schilderung des Geburtsvorganges interessieren uns Art und Dauer, Erstgebärende, externe Unterstützungsmaßnahmen wie Saugglocke, Zange oder Kristellern und Sectio caesarea, ungeplant oder geplant. Fragen nach dem Stillen, nach Problemen im Handling, nach Besonderheiten in der Anpassung und nach dem Bindungsverhalten runden die Anamnese ab.

Hüftsonografie nach Graf
Frühesdiagnostik für eine bestmögliche Ausheilung
Die Methode des Orthopäden Prof. Dr. Reinhard Graf ist technisch anspruchsvoll und setzt hohe fachliche Anforderungen an die Untersucher:in voraus, weshalb schon kleine Fehler bei der Anwendung eine große Wirkung auf die Ergebnisqualität haben können. Bedenkt man zudem, dass die Formdifferenzierung und knöcherne Pfannendachentwicklung (enchondrale Ossifikation) mit exponentieller Wachstumspotenz in den ersten 6 Lebenswochen sehr hoch ist, bis zur 12. bereits abflacht und sich um die 6. Lebenswoche auf ein proportionales Größenwachstum von Hüftkopf und Pfanne einpendelt, dann ist eine Frühestdiagnostik für eine bestmögliche Ausheilung zu fordern. So gelingt es, eine defizitäre beziehungsweise dezentrierte Hüfte unter Ausnutzung des postpartal enorm hohen Verknöcherungspotenzials mit konsequenter biomechanischer Behandlung bereits bis zum 3. Lebensmonat zur Ausheilung zu bringen. Insofern weist auch das Konsensusstatement des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland in den Leitlinien von 1996 darauf hin, dass eine sonografische Untersuchung bei positiven anamnestischen Daten (wie familiäre Hüftdysplasie oder Geburt aus Beckenendlage) oder einem auffälligen klinischen Befund (wie Stellungsanomalie, Fehlbildung, Instabilität, Abspreizhemmung) bereits anlässlich der U2, also unmittelbar postpartal, erfolgen sollte

Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung: Praxiswissen spezial: Sonografie der Säuglingshüfte. KBV 2018. 5

Beine und Füße, Arme und Hände

Es folgt das Entkleiden und Beobachten des Säuglings. Abhängig von der Situation ist es sinnvoll, wenn ich den Säugling selbst ausziehe. Die Lagesicherung auf dem eigenen Schoß kann mögliche Unruhe vermeiden helfen. Zur Beobachtung der Spontanbewegungen sollte der Säugling dann auf der Untersuchungsliege auf dem Rücken liegen.

Das Beobachtungssystem der Prechtl-Methode zur Analyse der General Movements (GM) ist eine gute diagnostische Methode, um die funktionelle Integrität des Nervensystems zu beurteilen. Dabei werden die Spontanbewegungen des Säuglings über wenige Minuten beobachtet und dokumentiert, beispielsweise über ein Video auf dem Smartphone. Dabei lassen sich, Übung vorausgesetzt, sehr frühzeitig Auffälligkeiten erkennen, die auf neurologische Schäden, speziell zentralnervöse Probleme hindeuten können. Sehr zu empfehlen sind die Lernkurse bei Prof. Christa Einspieler aus Graz (https://akademie-ottenstein.de/).

Jetzt folgt die Hüftsonografie in den Standards des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Dr. Reinhard Graf (siehe Kasten). Auswertung, Winkelmessung und Dokumentation erfolgen EDV-gestützt.

Nun wird geturnt! Der Säugling liegt vor mir, so dass wir uns ansehen. Ich fasse beide Unterschenkel, beuge passiv in Hüften und Knien, vollführe Hüft-Innen- und Außenrotation, dann Hüft-Abduktion unter weichem Federn. Stellt man eine auffällige Längendifferenz der beiden Oberschenkel in der Hüftbeugeposition fest, kann dies ein Hinweis auf eine Hüftluxation sein.

Die Prüfung der Beuge- und Streckfunktion der Kniegelenke beinhaltet auch die Palpation der Patellae (Kniescheiben). Eine Fehlstellung oder sogar eine Aplasie (Fehlen) der Kniescheiben sollte in einer kinderorthopädischen Untersuchung nicht übersehen werden. Hier würde auch eine Überstreckbarkeit oder Beugehemmung auffallen. Da die Beine bei BEL eher in den Kniegelenken überstreckt liegen, kommt dies in dieser Kindslage nicht häufiger vor.

Die Beurteilung der Füße beginnt mit der Betrachtung von Form und Haltung. Fallen sie spontan in eine Sichelform, klappen sie nach innen, wie beim Kletterfüßchen? »Kleben« sie hochgeklappt am Schienbein wie beim Hackenfüßchen, prüfen wir die passive Beweglichkeit in alle physiologischen Richtungen. Wenn dabei spannungsarme Freiheit vorliegt, besteht zunächst kein Grund zur Sorge. Die Prüfung der aktiven Beweglichkeit wird durch Auslösen von Reaktionen auf Bestreichen des Fußaußenrandes, des Fußrückens und durch Daumendruck plantar auf die Mittelfußreihe eingeleitet (Greifreflex).

Zudem werden der Leib, Rumpf und Thorax untersucht, ob es über dem Abdomen Abwehrspannung oder auffällige Resistenzen gibt. Die Untersuchung der oberen Extremitäten beginnt mit der Palpation der Schlüsselbeine. Dann untersuchen wir jeden Arm für sich, beginnend von der Schulter, die in Rotation, Abduktion und Elevation geprüft wird. Am Ellenbogen fassen wir mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger einer Hand die Epicondylen des Humerus – die beiden Knochenvorwölbungen des unteren Oberarmknochens am Ellenbogen – und das Olecranon (die Ellenbogen), was ein gleichseitiges Dreieck ergibt. Mit der anderen Hand nimmt man den Unterarm am Handgelenk und kann auf diese Weise die Scharnierbewegung des Gelenkes prüfen. In jeder Beugestellung kann die Drehbewegung des Unterarmes geprüft werden. Wenn diese Umwendbewegung des Unterarms nicht frei gelingt, könnte dem eine Fehlstellung im Ellenbogengelenk zugrunde liegen, wie das bei einer Radiusköpfchen-Subluxation der Fall ist. Abschließend werden Hand und Finger durchbewegt und inspiziert, damit man keine Fehlbildung übersieht.

Reflexe prüfen

Die Untersuchung der Hände geht fließend über in die Auslösung von frühkindlichen Reaktionen, die einen guten Eindruck in die Funktionstüchtigkeit des Bewegungssteuerungssystems geben können.

An den äußeren Handkanten lösen wir durch ein schnippendes Loslassen einen initialen Moro-Reflex aus: Die Langfinger öffnen sich synchron in der Moro-Reaktion, einer reflexartigen Lagesicherung des Kindes.

Gleich anschließend berühren wir mit dem Daumen die offenen Handflächen und lösen so den Greifreflex aus. Der Säugling hält den Daumen fest und wir können so das Hochziehen andeuten – damit ist die Synchronität der Traktion gut beurteilbar.

Nun lege ich meine Hand auf den Leib und hebe mit der anderen den Säugling an und drehe ihn um, so dass er bäuchlings auf der Hand liegt. Das ist die Voraussetzung zur Beurteilung der Landau-Reaktion. Normal ist, wenn das Kind versucht, den Kopf anzuheben und bei sanftem Druck auf den Hinterkopf in Richtung Anteflexion der Halswirbelsäule komplett die Körperspannung verliert, so dass es wie ein nasses Handtuch auf der Untersucherhand liegt. Auffällig ist, wenn der Säugling schon in der Ausgangsstellung stark überstreckt, den Kopf hoch und die Beine in die Luft streckt, dabei fast herunterzufallen droht und sich durch den sanften Druck auf den Hinterkopf diese Hochspannung nicht auflösen lässt. Dies kann beispielsweise auf eine Kopfgelenk-Funktionsstörung hindeuten.

Immer noch bäuchlings auf der Untersucherhand lösen wir den Galant-Reflex aus durch Bestreichen des Rückens paravertebral mit dem Fingernagel. Üblicherweise wird das zuerst rechts und dann links geprüft. Die Reaktion ist ein mehr oder weniger starkes reflektorisches Kontrahieren der Rückenstreckmuskulatur und damit ein kesses oder galantes Heben des Popos zu der bestrichenen Seite. Es gibt dazu die Vorstellung, dass es sich um eine im System angelegte Geburtshilfe-Funktion handelt. Wenn man beide Seiten gleichzeitig anregt, kommt es zu einer synchronen Aufrichtreaktion, die im Geburtskanal zu einer aktiven Bewegung führt, wenn der Rücken vom Damm bestrichen wird. So hilft das Kind aktiv bei seiner eigenen Geburt in der Austreibungsphase.

Sind Kopf und Hals beweglich?

Nun greife ich dem Säugling mit beiden Händen um die Hüften und den unteren Rumpf, neige ihn langsam nach rechts und im Anschluss nach links. Für eine normale Labyrinth-Stell-Reaktion (LSR) genügt es in diesem Alter, wenn das Kind den Kopf angedeutet anhebt. Später, also ab vier Monaten können die Kinder den Kopf so anheben, dass die Augenachse unabhängig vom Neigungsgrad horizontal ist.

Im Anschluss setze ich mir den Säugling in den Schoß, was einen beruhigenden weil lagesichernden Effekt hat. So können die Form des Kopfes und die Beweglichkeit der Halswirbelsäule beurteilt werden. In aufrechter Position sollten die Rotation in beide Richtungen und die Retroversion kein Problem sein. In maximaler Beugung prüfen wir die Rotationsfähigkeit der oberen Halswirbelsäule. Eine einseitige Einschränkung stellt eine segmentale Funktionseinschränkung der Kopfgelenke dar. Kommen weitere Auffälligkeiten hinzu, sprechen wir von KiSS – der Kopfgelenk-induzierten Symmetrie-Störung.

In orthopädischen Praxen sehen wir häufig Kinder mit diesen Problemen. Wenn es indiziert ist, behandeln wir mit der sogenannten HIO-Technik (»hole in one«) nach Gutmann, von der zum Beispiel die Atlastherapie nach Arlen abgeleitet ist. Zur Behandlung der Halswirbelsäule ist in einigen Fällen eine Röntgenaufnahme erforderlich, um Fehlbildungen auszuschließen und die Therapierichtung zu bestimmen. An den oberen Halswirbeln werden Säuglinge grundsätzlich nur mit einem streng seitlichen und somit ungefährlichen Impuls behandelt und nach dem minimalistischen Prinzip: In der Regel sollte eine Behandlung ausreichen.

Wünschenswert ist ein Netzwerk von Hebammen, Pädiater:innen und Physiotherapeut:innen, die einander kennen und vertrauen. Bevor »drauflos« behandelt wird, ist die Vorstellung bei erfahrenen Manualmediziner:innen sinnvoll.

Zitiervorlage
Temme, S. (2021). Fehlstellungen nach Steißgeburt erkennen. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (8), 48–51.
https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png