Beine und Füße, Arme und Hände
Es folgt das Entkleiden und Beobachten des Säuglings. Abhängig von der Situation ist es sinnvoll, wenn ich den Säugling selbst ausziehe. Die Lagesicherung auf dem eigenen Schoß kann mögliche Unruhe vermeiden helfen. Zur Beobachtung der Spontanbewegungen sollte der Säugling dann auf der Untersuchungsliege auf dem Rücken liegen.
Das Beobachtungssystem der Prechtl-Methode zur Analyse der General Movements (GM) ist eine gute diagnostische Methode, um die funktionelle Integrität des Nervensystems zu beurteilen. Dabei werden die Spontanbewegungen des Säuglings über wenige Minuten beobachtet und dokumentiert, beispielsweise über ein Video auf dem Smartphone. Dabei lassen sich, Übung vorausgesetzt, sehr frühzeitig Auffälligkeiten erkennen, die auf neurologische Schäden, speziell zentralnervöse Probleme hindeuten können. Sehr zu empfehlen sind die Lernkurse bei Prof. Christa Einspieler aus Graz (https://akademie-ottenstein.de/).
Jetzt folgt die Hüftsonografie in den Standards des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Dr. Reinhard Graf (siehe Kasten). Auswertung, Winkelmessung und Dokumentation erfolgen EDV-gestützt.
Nun wird geturnt! Der Säugling liegt vor mir, so dass wir uns ansehen. Ich fasse beide Unterschenkel, beuge passiv in Hüften und Knien, vollführe Hüft-Innen- und Außenrotation, dann Hüft-Abduktion unter weichem Federn. Stellt man eine auffällige Längendifferenz der beiden Oberschenkel in der Hüftbeugeposition fest, kann dies ein Hinweis auf eine Hüftluxation sein.
Die Prüfung der Beuge- und Streckfunktion der Kniegelenke beinhaltet auch die Palpation der Patellae (Kniescheiben). Eine Fehlstellung oder sogar eine Aplasie (Fehlen) der Kniescheiben sollte in einer kinderorthopädischen Untersuchung nicht übersehen werden. Hier würde auch eine Überstreckbarkeit oder Beugehemmung auffallen. Da die Beine bei BEL eher in den Kniegelenken überstreckt liegen, kommt dies in dieser Kindslage nicht häufiger vor.
Die Beurteilung der Füße beginnt mit der Betrachtung von Form und Haltung. Fallen sie spontan in eine Sichelform, klappen sie nach innen, wie beim Kletterfüßchen? »Kleben« sie hochgeklappt am Schienbein wie beim Hackenfüßchen, prüfen wir die passive Beweglichkeit in alle physiologischen Richtungen. Wenn dabei spannungsarme Freiheit vorliegt, besteht zunächst kein Grund zur Sorge. Die Prüfung der aktiven Beweglichkeit wird durch Auslösen von Reaktionen auf Bestreichen des Fußaußenrandes, des Fußrückens und durch Daumendruck plantar auf die Mittelfußreihe eingeleitet (Greifreflex).
Zudem werden der Leib, Rumpf und Thorax untersucht, ob es über dem Abdomen Abwehrspannung oder auffällige Resistenzen gibt. Die Untersuchung der oberen Extremitäten beginnt mit der Palpation der Schlüsselbeine. Dann untersuchen wir jeden Arm für sich, beginnend von der Schulter, die in Rotation, Abduktion und Elevation geprüft wird. Am Ellenbogen fassen wir mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger einer Hand die Epicondylen des Humerus – die beiden Knochenvorwölbungen des unteren Oberarmknochens am Ellenbogen – und das Olecranon (die Ellenbogen), was ein gleichseitiges Dreieck ergibt. Mit der anderen Hand nimmt man den Unterarm am Handgelenk und kann auf diese Weise die Scharnierbewegung des Gelenkes prüfen. In jeder Beugestellung kann die Drehbewegung des Unterarmes geprüft werden. Wenn diese Umwendbewegung des Unterarms nicht frei gelingt, könnte dem eine Fehlstellung im Ellenbogengelenk zugrunde liegen, wie das bei einer Radiusköpfchen-Subluxation der Fall ist. Abschließend werden Hand und Finger durchbewegt und inspiziert, damit man keine Fehlbildung übersieht.
Reflexe prüfen
Die Untersuchung der Hände geht fließend über in die Auslösung von frühkindlichen Reaktionen, die einen guten Eindruck in die Funktionstüchtigkeit des Bewegungssteuerungssystems geben können.
An den äußeren Handkanten lösen wir durch ein schnippendes Loslassen einen initialen Moro-Reflex aus: Die Langfinger öffnen sich synchron in der Moro-Reaktion, einer reflexartigen Lagesicherung des Kindes.
Gleich anschließend berühren wir mit dem Daumen die offenen Handflächen und lösen so den Greifreflex aus. Der Säugling hält den Daumen fest und wir können so das Hochziehen andeuten – damit ist die Synchronität der Traktion gut beurteilbar.
Nun lege ich meine Hand auf den Leib und hebe mit der anderen den Säugling an und drehe ihn um, so dass er bäuchlings auf der Hand liegt. Das ist die Voraussetzung zur Beurteilung der Landau-Reaktion. Normal ist, wenn das Kind versucht, den Kopf anzuheben und bei sanftem Druck auf den Hinterkopf in Richtung Anteflexion der Halswirbelsäule komplett die Körperspannung verliert, so dass es wie ein nasses Handtuch auf der Untersucherhand liegt. Auffällig ist, wenn der Säugling schon in der Ausgangsstellung stark überstreckt, den Kopf hoch und die Beine in die Luft streckt, dabei fast herunterzufallen droht und sich durch den sanften Druck auf den Hinterkopf diese Hochspannung nicht auflösen lässt. Dies kann beispielsweise auf eine Kopfgelenk-Funktionsstörung hindeuten.
Immer noch bäuchlings auf der Untersucherhand lösen wir den Galant-Reflex aus durch Bestreichen des Rückens paravertebral mit dem Fingernagel. Üblicherweise wird das zuerst rechts und dann links geprüft. Die Reaktion ist ein mehr oder weniger starkes reflektorisches Kontrahieren der Rückenstreckmuskulatur und damit ein kesses oder galantes Heben des Popos zu der bestrichenen Seite. Es gibt dazu die Vorstellung, dass es sich um eine im System angelegte Geburtshilfe-Funktion handelt. Wenn man beide Seiten gleichzeitig anregt, kommt es zu einer synchronen Aufrichtreaktion, die im Geburtskanal zu einer aktiven Bewegung führt, wenn der Rücken vom Damm bestrichen wird. So hilft das Kind aktiv bei seiner eigenen Geburt in der Austreibungsphase.
Sind Kopf und Hals beweglich?
Nun greife ich dem Säugling mit beiden Händen um die Hüften und den unteren Rumpf, neige ihn langsam nach rechts und im Anschluss nach links. Für eine normale Labyrinth-Stell-Reaktion (LSR) genügt es in diesem Alter, wenn das Kind den Kopf angedeutet anhebt. Später, also ab vier Monaten können die Kinder den Kopf so anheben, dass die Augenachse unabhängig vom Neigungsgrad horizontal ist.
Im Anschluss setze ich mir den Säugling in den Schoß, was einen beruhigenden weil lagesichernden Effekt hat. So können die Form des Kopfes und die Beweglichkeit der Halswirbelsäule beurteilt werden. In aufrechter Position sollten die Rotation in beide Richtungen und die Retroversion kein Problem sein. In maximaler Beugung prüfen wir die Rotationsfähigkeit der oberen Halswirbelsäule. Eine einseitige Einschränkung stellt eine segmentale Funktionseinschränkung der Kopfgelenke dar. Kommen weitere Auffälligkeiten hinzu, sprechen wir von KiSS – der Kopfgelenk-induzierten Symmetrie-Störung.
In orthopädischen Praxen sehen wir häufig Kinder mit diesen Problemen. Wenn es indiziert ist, behandeln wir mit der sogenannten HIO-Technik (»hole in one«) nach Gutmann, von der zum Beispiel die Atlastherapie nach Arlen abgeleitet ist. Zur Behandlung der Halswirbelsäule ist in einigen Fällen eine Röntgenaufnahme erforderlich, um Fehlbildungen auszuschließen und die Therapierichtung zu bestimmen. An den oberen Halswirbeln werden Säuglinge grundsätzlich nur mit einem streng seitlichen und somit ungefährlichen Impuls behandelt und nach dem minimalistischen Prinzip: In der Regel sollte eine Behandlung ausreichen.
Wünschenswert ist ein Netzwerk von Hebammen, Pädiater:innen und Physiotherapeut:innen, die einander kennen und vertrauen. Bevor »drauflos« behandelt wird, ist die Vorstellung bei erfahrenen Manualmediziner:innen sinnvoll.