Die Justitia als personifizierte Gerechtigkeit, die in der linken Hand eine Waage, in der Rechten das Richtschwert hält: Nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage soll Recht gesprochen werden. Foto: © imago/imagebroker

Die aktuell vor dem Landgericht Dortmund andauernde Hauptverhandlung gegen eine Hebamme und Ärztin gibt Anlass, die rechtlichen Hintergründe solcher Strafprozesse und die Unterscheidung zu zivilrechtlichen Schadensersatzverfahren darzustellen und zu erläutern. 

Um die Bedeutung und den Ablauf einer strafrechtlichen Hauptverhandlung darzustellen, ist es zunächst erforderlich, zwischen den beiden Rechtsgebieten „Öffentliches Recht” und „Privatrecht” (auch „Bürgerliches Recht”, „Zivilrecht”) zu unterscheiden. Das „Öffentliche Recht” regelt die Rechtsbeziehungen des Einzelnen zum Staat beziehungsweise Trägern hoheitlicher Gewalt, wozu auch die Staatsanwaltschaft und das Strafgericht gehören. Das „Zivilrecht” dagegen regelt das Verhältnis Einzelner untereinander, zum Beispiel das Verhältnis der Hebamme zu der betreuten Frau.

Ein fraglicher Behandlungsfehler berührt regelmäßig beide Rechtsbereiche. Der Staat, in erster Linie handelnd durch die Staatsanwaltschaft, ermittelt im Rahmen des „Öffentlichen Rechts”, ob er einen Täter bestrafen kann und muss, was bei fraglichen Behandlungsfehlern in der Medizin üblich ist. Die Geschädigten müssen sich zivilrechtlich selbst um Schadensersatz und Schmerzensgeld kümmern. Dies nimmt ihnen der Staat nicht ab, sie können bestenfalls die Ermittlungsergebnisse aus dem Strafverfahren verwerten, um ihre Ansprüche geltend zu machen.

Vor diesem Hintergrund kann es durchaus dazu kommen, dass ein Strafrichter oder eine Strafrichterin von der Schuld des Täters überzeugt ist und ihn verurteilt, der Zivilrichter oder die Zivilrichterin jedoch Zweifel hat und dem Geschädigten keinen Schadensersatz zuspricht. RichterInnen sind unabhängig und in ihrer Beweiswürdigung frei. Beim Amtsgericht gibt es bezüglich der Zahl der auftretenden RichterInnen zwei Möglichkeiten: Der Strafrichter handelt als Einzelrichter oder das Schöffengericht als Gremium, besetzt mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen als Laienrichtern. Der Strafrichter darf bis maximal zwei Jahre Freiheitsstrafe verhängen, das Schöffengericht maximal vier Jahre. Alles darüber hinaus liegt in der Zuständigkeit des Landgerichts, das in der Regel mit drei BerufsrichterInnen und zwei SchöffInnen besetzt ist.

Daneben können für eine Hebamme bei einem möglichen Behandlungsfehler auch noch andere Rechtsbereiche berührt sein. Durch ein strafrechtlich relevantes Verhalten kann sich auch die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Hebammenberufs ergeben, was den Widerruf der Berufserlaubnis zur Folge hätte (§ 3 HebG). Oder es können arbeitsrechtliche Konsequenzen bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses drohen. Auch Verdachtskündigungen, bevor die Schuld gerichtlich festgestellt wurde, sind dabei möglich oder ein „vorläufiges” Berufsverbot. Während des Ermittlungsverfahrens kann es beispielsweise zu einem vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis kommen. Durch ein eventuell fehlerhaftes Verhalten kann sich die Hebamme somit in unterschiedlichen Gerichtssälen beim Straf-, Zivil-, Arbeits- oder Verwaltungsgericht wiederfinden.

Der Strafprozess

Sobald die Staatsanwaltschaft von einem möglicherweise strafbaren Verhalten erfährt, muss sie ermitteln. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn ein Neugeborenes tot zur Welt kommt oder unmittelbar bei seiner Geburt stirbt und man die Todesursache nicht kennt. In der Kommentierung zum Strafgesetzbuch (StGB) ist aber auch zu lesen, dass die Staatsanwaltschaft davon Abstand nehmen kann, da die Belastung für die Mutter sowieso schon so groß ist. Generell ermittelt der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Staatsanwalt der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft. Die Polizei ist lediglich Ermittlungsgehilfe der Staatsanwaltschaft und wird in der Regel auf Weisung des Staatsanwalts tätig. Das Gericht kann Polizeibeamte auch beauftragen, Hausdurchsuchungen und Befragungen von entfernt wohnenden ZeugInnen durchzuführen oder Unterlagen zu beschaffen.

Der Staatsanwalt oder die Staatsanwältin zieht möglicherweise die Polizei zur Ermittlung vor Ort hinzu, sonst auch Sachverständige, beispielsweise die Rechtsmedizin.

Am Ende des Ermittlungsverfahrens stehen regelmäßig entweder die Einstellung des Verfahrens, zum Beispiel wegen mangelnden Tatverdachts oder auch gegen Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Einrichtung bei geringer Schuld und Fehlen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung. Bezogen auf die Geburtshilfe fehlt möglicherweise ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gegen die Mutter eines Neugeborenen, wenn sie durch den Tod des Kindes schon genug „gestraft” ist. Bei einem Verfahren gegen eine Hebamme dürfte ein solches Interesse wohl nicht fehlen, da es um das (überragende) Rechtsgut der (Volks-)Gesundheit geht und aus generalpräventiven Gründen geklärt werden muss, ob die Hebamme künftig noch zuverlässig ist. Auch die Erhebung einer Anklage (beziehungsweise eines Antrags auf Erlass eines Strafbefehls im schriftlichen Verfahren) steht oftmals am Ende eines Ermittlungsverfahrens.

Im Falle einer Anklage muss das Strafgericht, sprich der Strafrichter beim Amtsgericht oder Landgericht, über die Eröffnung des Verfahrens bei Gericht entscheiden und gegebenenfalls die Anklage zur Hauptverhandlung zulassen. Ein Kriterium dabei ist, dass der Aufwand des Gerichtsprozesses gerechtfertigt, also die Verurteilung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Notwendigkeit, sich zu verteidigen, besteht daher schon im Ermittlungsverfahren, um eine Einstellung zu erreichen, was über einen entsprechenden Einstellungsantrag geschieht, oder im Zwischenverfahren, welches durch das zuständige Gericht geführt wird, bis über die Eröffnung entschieden ist, um zu erreichen, dass die Anklage nicht zugelassen wird.

Ratsam ist es, frühzeitig über einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin Akteneinsicht zu nehmen, damit überhaupt bekannt ist, was vorgeworfen wird oder welche Beweismittel schon vorhanden sind. Ein Strafverteidiger kann mit einem frühzeitigen Beweisantrag bestimmte Untersuchungen schon während der Ermittlungen gegen eine Hebamme beantragen. Das können beispielsweise gezielte Obduktionsuntersuchungen im beginnenden Ermittlungsverfahren sein, wenn im Totenschein „unklare Todesursache” vermerkt ist.

Gestaltung des Verfahrens

Wird die Anklage bei einem Strafgerichtsverfahren zugelassen, was normalerweise der Fall ist, wenn die Anklage nach Aktenlage zugelassen wurde, führt das Gericht die Hauptverhandlung nach den Regelungen der Strafprozessordnung (StPO) durch.

Der normale Ablauf beim Strafprozess ist folgendermaßen: Das Gericht stellt zu Beginn der Verhandlung die Anwesenheit aller Beteiligten fest. Danach werden die reinen Personalien des Angeklagten festgestellt. Darauf folgen die Verlesung der Anklage und die Belehrung, dass es dem Angeklagten freisteht, sich zu seinem Lebenslauf und dem Anklagevorwurf zu äußern. Nun kann er sich äußern oder eben nicht. Aus einem Schweigen dürfen ihm im späteren Urteil keine Nachteile entstehen. Danach wird in die Beweisaufnahme eingetreten, das heißt jetzt werden alle Beweismittel erschöpfend erörtert. Beweisanträge können nun gestellt werden und auch im weiteren Verlauf, bis die Beweisaufnahme abgeschlossen ist. Maximal drei Wochen sollten zwischen den einzelnen Hauptverhandlungstagen liegen, so § 229 (StPO). Abschließend erhalten zunächst die Staatsanwaltschaft und dann die Verteidigung Gelegenheit zu Schlussausführungen, den sogenannten Plädoyers. Der Angeklagte hat das letzte Wort. Zuletzt zieht sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündet danach „Im Namen des Volkes” das Urteil.

Will eine Hebamme im Strafverfahren die Auffassung der Staatsanwaltschaft, sie habe ein entsprechendes Delikt begangen, widerlegen, müssen sie oder ihr Verteidiger, wie oben bereits erwähnt, Beweisanträge stellen: wenn sie eine bestimmte Tatsache, die sie für verfahrensrelevant hält oder die sie entlastet, in das Gerichtsverfahren einführen will, ohne dass es das Gericht im Rahmen seiner allgemeinen Aufklärungspflicht selbst tut. Geeignete Beweismittel sind hierbei Urkunden oder Augenscheinobjekte wie Dokumentation und Gedächtnisprotokolle, Zeugen und Sachverständige. Die Verteidigung kann beliebig viele Beweisanträge stellen. Damit soll das Gericht „gezwungen” werden, dieser Tatsache nachzugehen: Es ist verpflichtet, dem nachzukommen, und eine Beweisaufnahme durchführen, die dann unter Umständen aufwändiger sein kann – es sei denn, es wären mutwillige und ausschließlich das Verfahren verzögernde Anträge (§ 244 StPO).

Auch im Rahmen einer Hauptverhandlung kann das Verfahren noch eingestellt werden. Häufiger sind jedoch entweder ein Freispruch, falls ein strafbares Verhalten nicht vorliegt, oder eine Verurteilung. Im Falle der Verurteilung drohen Geld- oder Freiheitsstrafe, die lediglich bis zu einer Höhe von maximal zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Gegebenenfalls kommt es zu Nebenfolgen wie Berufsverbot oder Entzug der Fahrerlaubnis.

Bedeutung des Protokolls

Die Hauptverhandlung wird von einem Urkundsbeamten protokolliert. Dem Protokoll kommt eine wichtige Bedeutung zu, da in ihm alle wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens festgehalten werden, wie auch Beweisanträge der Verteidigung und anderes. Sie können so durch ein Rechtsmittelgericht überprüft werden – das Gericht der nächsthöheren Instanz, das über das Rechtsmittel entscheidet. Alle Prozessbeteiligten können dabei Einsicht in das Protokoll und in alle Unterlagen nehmen. Beim Amtsgericht wird ein Inhaltsprotokoll angefertigt. Beim Landgericht, bei dem unter anderem auch Tötungsdelikte verhandelt werden, wird nur der Gang des Verfahrens protokolliert. Ausgeschlossen sind somit beispielsweise Inhalte von Zeugenbefragungen. Im Protokoll ist festzuhalten, ob es eine Verständigung (Absprache, „Deal”) zwischen den Beteiligten gegeben hat. Insbesondere in umfangreichen und (zeit-)aufwändigen Verfahren wird oftmals versucht, aus Gründen einer ökonomischen Verfahrensgestaltung eine solche Absprache zu erreichen. Im Rahmen einer Absprache kann eine Vereinbarung über das Strafmaß, also die Höhe der Strafe getroffen werden, nicht aber über den Schuldspruch, das heißt die Frage, wegen welcher Delikte bestraft wird. Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls. Handelt es sich um eine streitige Verhandlung, in der ein Freispruch erreicht werden soll, scheidet eine Verständigung in der Regel aus.

Endet das Verfahren mit einem Urteil, muss das Gericht nach der mündlichen Verkündung des Urteils am Ende der Hauptverhandlung in den darauffolgenden Wochen eine schriftliche Urteilsbegründung anfertigen. Diese wird den Beteiligten dann zugestellt. Vorher hat der Angeklagte allerdings die Möglichkeit, innerhalb einer Woche nach Verkündung Rechtsmittel, also Berufung beziehungsweise Revision gegen das Urteil einzulegen: Gegen ein Urteil des Amtsgerichts ist dies die Berufung beim Landgericht, gegen ein Urteil des Landgerichts die Revision beim Bundesgerichtshof (BGH). Im Urteil muss sich das Gericht zur Person des oder der Angeklagten äußern, zu seinem oder ihrem bisherigen Lebenslauf einschließlich möglicher Vorstrafen, dem festgestellten Sachverhalt mit der Beweiswürdigung und den Strafzumessungsgesichtspunkten, also den Umständen, die für die Höhe der konkreten Strafe maßgeblich waren. Dies sollte aus Sicht des Gerichts so sorgfältig geschehen, dass das Rechtsmittelgericht höherer Instanz darin keine Fehler findet und das Urteil nicht aufhebt. Sollte dies jedoch der Fall sein, wird das Verfahren neu „aufgerollt” und vor einem anderen Gericht von vorne verhandelt (mit allen Zeugen, Gutachtern und Beweismitteln). Wenn das Revisionsgericht, der BGH, feststellt, dass ein formaler Fehler vorliegt und der Revision stattzugeben ist, verweist er das Verfahren zurück an das Landgericht. Dort muss dann eine andere Kammer die gesamte Hauptverhandlung mit der vollständigen Beweisaufnahme nochmals durchführen.

Was bedeutet „Vorsatz"?
Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Verwirklichung einer Straftat. Dies ist auch schon der Fall, wenn der Täter die Folgen der Tat billigend in Kauf nimmt, das heißt ein Risiko sieht, damit rechnen muss, dass er eine Straftat begeht und trotzdem handelt. Wer einen anderen Menschen beispielsweise „nur” am Körper verletzen will und ihm hierzu ein Messer in die Brust sticht, nimmt – auch wenn er behauptet, nur Körperverletzungsvorsatz gehabt zu haben – den Tod des anderen Menschen billigend in Kauf, da jeder Täter in diesem Fall mit dem Tod des anderen rechnen muss. Stirbt das Opfer, würde die Staatsanwaltschaft nicht nur wegen Körperverletzung, sondern auch wegen eines Tötungsdelikts ermitteln.

Vorsatz oder Fahrlässigkeit

Wer verurteilt wird, hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Hierzu gehören Gerichts- und Anwaltskosten, aber auch die Kosten der Zeugen (Fahrtkosten, Verdienstausfall) und der Gutachter. Die Höhe der Kosten hängt vom konkreten Fall, dessen Umfang und der Art und Anzahl der beteiligten Personen ab. Meist müssen diese Kosten aus eigener Tasche gezahlt werden, da Rechtsschutzversicherungen normalerweise bei vorsätzlichen Delikten nicht zahlen. Vorsatz sieht das Gesetz bei fast allen Delikten vor, es sei denn im Gesetz steht ausdrücklich etwas anderes, wie in den Fällen der Fahrlässigkeit. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Straftat, Fahrlässigkeit bedeutet Nichtbeachtung der üblichen Sorgfalt. Fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung sind daher keine Vorsatzdelikte, weil im Gesetz „lediglich” Fahrlässigkeit vorausgesetzt wird. Die Kostenerstattung durch eine Rechtsschutzversicherung hängt aber von den jeweiligen konkreten Versicherungsbedingungen ab.

Bei den Delikten gegen die Person wird unterschieden zwischen „Straftaten gegen das Leben” und „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit” (Einfache Körperverletzung nach § 223 StGB, Gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB und Schwere Körperverletzung nach § 226 StGB). Eine Körperverletzung liegt vor, wenn eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt wird. Körperliche Misshandlung bedeutet ein übles, unangemessenes Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Schädigen der Gesundheit ist das Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch nur vorübergehenden pathologischen Zustands, unabhängig davon, ob das Opfer zuvor gesund war oder ob eine Vorschädigung bestand (Fischer – StGB, zu § 223, Rdnr. 3a ff.).

Bei „Straftaten gegen das Leben” handelt es sich um Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff. StGB), Aussetzung (§ 221 StGB) und die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB). Welches Gericht jeweils zuständig ist, hängt von der zu erwartenden Strafe ab. Tötungsdelikte werden normalerweise beim Landgericht verhandelt, Körperverletzung eher beim Amtsgericht. Eine fahrlässige Tötung im Straßenverkehr wird regelmäßig beim Amtsgericht mit einer Geldstrafe bestraft, da der Täter durch die Folgen der Tat unter normalen Umständen schon genug „gestraft” ist.

Mit Beginn der Geburt

Der strafrechtliche Schutz des Menschen (und nicht der ungeborenen Leibesfrucht, die durch die Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs geschützt ist) beginnt nach herrschender juristischer Auffassung mit Beginn des Geburtsakts, das heißt bei einem regulären Verlauf der Geburt mit Einsetzen der Eröffnungswehen (Fischer – StGB, vor § 211, Rdnr. 2, mwN). Bei atypischem Verlauf ist dies der Sprung der Fruchtblase beziehungsweise beim Kaiserschnitt die Eröffnung des Uterus, heißt es in der genannten Kommentierung. Die Rechtsfähigkeit des Menschen, das heißt die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können, beginnt im Zivilrecht „erst” mit der Vollendung der Geburt (so in § 1 BGB) und damit erst mit dem vollständigen Austritt aus dem Mutterleib. Insofern ist der strafrechtliche Schutz des Menschen vorverlagert. Es findet eine unterschiedliche Beurteilung im Öffentlichen Recht und im Privatrecht statt.

Ein Totschlag liegt immer dann vor, wenn jemand (vorsätzlich) einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein (§ 212 StGB). Eine solche Tat wird mit Freiheitsstrafe zwischen 5 und 15 Jahren bestraft. Mörder ist, wer einen Menschen aus Mordlust tötet, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken (§ 211 StGB). Das Erfüllen mindestens eines dieser Mordmerkmale macht den Totschläger zum Mörder beziehungsweise die Totschlägerin zur Mörderin. Mord wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

Aktives Tun oder Unterlassen

Beide Delikte können durch aktives Tun, aber auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Voraussetzung für eine Strafbarkeit durch Unterlassen ist eine sogenannte Garantenstellung des Täters. Jemand hat dabei rechtlich „als Garant” dafür einzustehen, dass eine strafrechtlich relevante Folge nicht eintritt, wie beispielsweise die Hebamme für die betreute Frau oder das Kind. Wenn die Hebamme daher Gefahren für Mutter und/oder Kind erkennt, aber nichts unternimmt, kann sie sich nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB), sondern, je nachdem, auch wegen einer Körperverletzung oder eines Tötungsdelikts strafbar machen.

Auch hier unterscheiden sich wieder die Verfahren: Im Strafverfahren müssen Staatsanwaltschaft und Gericht dem oder der Angeklagten nachweisen, dass er oder sie sich strafbar gemacht hat. Nachdem die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat, ist von Angeschuldigten, nicht mehr von Beschuldigten die Rede, wenn die Anklage zugelassen wurde, werden sie zu Angeklagten. Angeklagte können schweigen beziehungsweise müssen sich an der Aufklärung nicht beteiligen, was ihnen im Zweifel zugutekommt, weil ihnen möglicherweise dann die Staatsanwaltschaft mit den ihr zur Verfügung stehenden Beweismitteln die Tat nicht nachweisen kann. Sie können auch partiell schweigen. Ein Teil-Schweigen kann das Gericht aber im Gegensatz zum völligen Schweigen verwerten – zum Vor-, aber auch zum Nachteil. Die VerteidigerInnen können für ihre MandantInnen generell Aussagen machen, wenn von ZeugInnen Sachverhalte missverständlich oder anders dargestellt werden, als es die angeklagte Person erlebt hat.

Im Zivilverfahren trägt in der Regel die geschädigte Patientin die Beweislast dafür, dass der Behandler einen Fehler begangen hat. Kann die Staatsanwaltschaft bei einem Strafprozess den Tatnachweis nicht führen, muss das (Straf-)Gericht freisprechen; kann die Geschädigte die Voraussetzungen von Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld nicht nachweisen, muss das (Zivil-)Gericht die Klage abweisen.

Resümee

Der geschilderten Ablauf von Straf- und Zivilverfahren macht deutlich: Es ist für eine Hebamme erforderlich, bereits frühzeitig in einem Ermittlungsverfahren ihre Rechte zu kennen, Verteidigungsstrategien zu entwickeln und diese auch konkret und zielgerichtet umzusetzen.

Nachgefragt

Katja Baumgarten: Was bedeutet der Mündlichkeitsgrundsatz bei einem Strafprozess?

Matthias Diefenbacher: Der Strafprozess ist – im Gegensatz zum Zivilprozess – ein im vollen Umfang unmittelbarer und mündlicher Prozess, das heißt alle Umstände, die ermittelt wurden, müssen mündlich im Gerichtssaal nochmals erläutert werden. Deshalb muss zum Beispiel auch jeder Zeuge „neu” aussagen und kann nicht lediglich auf seine polizeiliche Vernehmung Bezug nehmen. Nur selten, in sehr umfangreichen Verfahren können Schriftstücke in einem sogenannten Selbstleseverfahren – zum Beispiel Bände mit Telefonüberwachungsprotokollen – außerhalb der Hauptverhandlung durch die Richter und die Schöffen und alle anderen Prozessbeteiligten „für sich” gelesen werden. Der Zivilprozess wird zwar auch mündlich geführt, in der Verhandlung wird aber im Wesentlichen auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Zivilprozess wird daher schriftlich vorbereitet und im Gerichtstermin werden nur noch die vorbereiteten Anträge gestellt.

Arbeitet das Gericht mit der Staatsanwaltschaft zusammen oder komplett unabhängig?

Das Gericht ist von der Staatsanwaltschaft unabhängig. Es nutzt die bisherigen Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft, ist darauf aber nicht beschränkt, sondern muss alles ermitteln, was für die Entscheidung von Bedeutung ist. Wenn das Gericht etwas übersieht, bedarf es unter Umständen eines Beweisantrags der Verteidigung. Und auch die Staatsanwaltschaft kann Beweisanträge stellen, wenn während der Verhandlung neue Gesichtspunkte offenbar werden.

Welche Rolle spielen Befangenheitsanträge? Gegen wen können sie gestellt werden?

Gegen das Gericht und in seltenen Fällen auch gegen Sachverständige oder Dolmetscher, wenn Misstrauen gegen die Unparteilichkeit besteht, so §§ 24 ff. Strafprozessordnung (StPO).

Welche Rolle spielen Gutachter?

Sie sind eines der möglichen und zulässigen Beweismittel. Ihre Auswahl trifft das Gericht nach eigener Erfahrung und dem Fachgebiet eines Sachverständigen. Die Verteidigung kann auch eigene Gutachter einbringen. Alle Gutachter sind dann gleichberechtigt.

Welches Gewicht haben die Zeugenaussagen?

Sie sind auch „nur” ein Beweismittel, wahrscheinlich das schlechteste, das wir haben. Es ist eben nun mal so, dass sich Zeugen oftmals nur sehr schlecht und gerade nicht mehr an die im konkreten Fall erforderlichen Details erinnern.

Wie wird juristisch eine über Jahre zurückliegende Erinnerung bewertet, die ja auch durch die Forschung als häufig wenig „belastbar” eingestuft wird?

Im Rahmen der Beweiswürdigung muss das Gericht darauf Rücksicht nehmen. Ein solcher Zeuge ist dann „nicht so viel wert”.

Können ZeugInnen nachträglich ihre Aussage noch schriftlich ergänzen, wenn sie nach wichtigen Details nicht gefragt wurden und sie deshalb nicht äußern konnten?

Nein, wegen des oben erwähnten Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatzes müssen Zeugen selbst mündlich vernommen werden. Es müsste ein neuer Beweisantrag auf ergänzende Vernehmung gestellt werden. Für die Seite der Geschädigten können die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger ebenfalls Beweisanträge stellen.

Können Personen, die (noch) nicht in den Prozess einbezogen sind, zur Ermittlung beitragen, indem sie sich selbst an das Gericht wenden?

Das ist möglich. Sie würden vernommen werden, wenn das Gericht der Auffassung wäre, sie im Rahmen der allgemeinen Aufklärungspflicht zu benötigen (§ 244 Abs. 2 StPO). Sonst müsste auch diesbezüglich ein Beweisantrag auf Vernehmung durch die Verteidigung gestellt werden.

Wann wird ein Eid abgenommen?

In der Praxis so gut wie nie. Es müsste ein Antrag durch einen Beteiligten gestellt werden, worauf jedoch meistens verzichtet wird. Meist möchte ein Verteidiger nicht, dass eine (Belastungs-)Zeugenaussage als besonders wertvoll, weil beeidet, dargestellt wird. Und eine günstige Zeugenaussage wird in der Regel nicht alleine deshalb wertvoller, nur weil sie beeidet wurde.

Werden einem Beschuldigten bei einem Freispruch die eigenen Aufwendungen wie Anwaltskosten, Kosten für selbst in Auftrag gegebene Gutachten oder Untersuchungen, Fahrtkosten, Kosten der Recherche etc. erstattet?

Ja (§ 467 StPO).

Was passiert bei einer Verurteilung? Muss der oder die Verurteilte die Strafe sofort antreten?

Er oder sie wird nach Rechtskraft des Urteils zeitnah, etwa binnen eines Monats, durch die Staatsanwaltschaft (die auch Vollstreckungsbehörde ist) bei Geldstrafe eine Zahlungsaufforderung, bei Freiheitsstrafe eine Ladung zum Strafantritt in einer Justizvollzugsanstalt erhalten.

Wie viele Fälle sind Ihnen in Deutschland bekannt, wo ein Urteil wegen Totschlags gegen Geburtshelfer – eine Hebamme oder einen Arzt/eine Ärztin ausgesprochen wurde?

In einem Fall hat zum Beispiel das Amtsgericht Augsburg entschieden, dass eine Hebamme wegen fahrlässiger Tötung eines Säuglings verurteilt wurde, weil sie eine Steißlage nicht als solche erkannt hat und nach Erkennen der Steißlage versäumt hat, rechtzeitig einen Notarzt hinzuzuziehen (Urteil vom 21.04.2008, Az.: 9 Cs 400 Js 130015/06). Der Säugling war aufgrund der Steißlage während der Geburt längere Zeit von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten und erstickt. In ähnlichen Situationen drohen vergleichbare Ermittlungsverfahren.

Vielen Dank, Herr Diefenbacher!

Zitiervorlage
Diefenbacher M: Der Strafprozess: Wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (7): 58–62
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