Katja Baumgarten: Wie geht es Ihnen?
Bärbel Basters-Hoffmann: Ich hatte jetzt eine richtige Krise. Nach Monaten des dauernden Kämpfens haben sie vor drei Tagen die Neonatologische Intensivstation in meiner Klinik zugemacht und wir konnten direkt in den Kreißsaal marschieren und eine Frau mit Zustand nach zweimaliger Sectio, die Antiepileptika einnahm, hinaus komplementieren und in die Universitätsfrauenklinik zur primären Sectio verlegen. Sie hatte ihr Kind bei uns spontan zur Welt bringen wollen. Da haben wir‘s live erlebt, wie die neue Welt jetzt funktioniert. Dass in der heutigen Zeit erwachsene Frauen nicht selbstbestimmt sagen dürfen, wo und wie sie ihre Geburt leben wollen. Ich kann das überhaupt noch nicht fassen.
Wie kam es dazu?
Noch 2018 wurde unsere Kinderklinik in einem Festakt mit Minister:innen und vielen Menschen hier groß gefeiert: »100 Jahre Kinderkrankenhaus St. Hedwig in Freiburg«. Aber schon ab 2010 liefen Gespräche: Wie kann für Freiburg das Konzept der Zukunft sein? Die Universitätsklinik brauchte dringend einen großen Neubau ihrer Kinderklinik – was unbestritten ist. Die Politik vertrat damals die Position, zwei Kinderkliniken an einem Standort – das ist nicht sinnvoll. Jahrelang wurden dann Gespräche geführt mit unserem Orden als Träger, mit den zuständigen Ministerien der Landesregierung und mit der Universitätsklinik. 2014 einigte man sich auf einen Vorvertrag, der festlegte: Der Versorgungsauftrag für Kinder und Jugendliche des Kinderkrankenhauses St. Hedwig geht an die Universitätsklinik über, einschließlich der Kinder-Notfallambulanz. Als Gegenleistung betreibt die Universitätskinderklinik künftig als Außenstelle hier im St. Josefskrankenhaus weiter eine Neonatologische Intensivstation auf dem Niveau eines Perinatalzentrums, die bisher vom St. Hedwig Kinderkrankenhaus unterhalten worden war. Das besagte auch der Vertrag, der im November 2015 geschlossen wurde. Es hieß außerdem: »Dieser Vertrag ist nicht einseitig aufkündbar.« Über die Modalitäten müsse noch verhandelt werden.
Dann hat man verhandelt, verhandelt und verhandelt. Der damalige Chefarzt der Kinderklinik St. Hedwig, Prof. Dr. Johannes Forster, ging im Januar 2016 in den Ruhestand. Von da an hat die Ärztliche Direktorin der Universitäts-Kinderklinik, Prof. Dr. Ute Spiekerkötter, hier die Leitung für die gesamte Kinderklinik übernommen. Damit hatte das Krankenhaus schon einen Teil seiner Autonomie abgegeben.
Das Einzige, was wir bekommen haben, war die Zusicherung, die Neo läuft weiter. Wir haben kein Geld bekommen. So ein vollständig funktionierendes Kinderkrankenhaus mit allen Abteilungen müsste man eigentlich für Millionen verkaufen. Die Nonnen hatten sich gewünscht, dass in der neuen Kinderklinik eine Station den Namen »Sankt Hedwig« erhält. Das kriegen sie jetzt auch nicht – das ist traurig.
Wann bekam das St. Josefskrankenhaus einen neuen Träger?
2021 ist die Artemed-Gruppe hier eingestiegen. Sie haben viel renoviert und neue Geräte angeschafft. Bei den Verhandlungen mit der Universitätsklinik haben sich die Fronten sukzessive verhärtet. Unser Träger hat noch im Dezember 2023 gesagt, jetzt sei ein Vertragsentwurf auf dem Weg, sie hätten es geschafft. Ende Januar dieses Jahres hieß es von der Universitätsklinik, nein, sie hätten kein Interesse mehr, weiter zu verhandeln. Unser Träger hatte der Universität über 70 Vertragsentwürfe vorgelegt, die von ihren Anwälten geprüft wurden. Nach Wochen kamen dann wieder und wieder Ablehnungen, bestimmte Punkte müssten noch geändert werden.
Also wirklich kein Interesse?
Nein. Die Universitätsklinik hatte wohl intern irgendwann beschlossen, sie gestalten den Neubau anders und machen Platz für mehr Neonatologie-Betten. Wir haben darauf vertraut, dass es einen Vertrag gibt – darauf, dass nicht eine Seite alles gibt und die andere alles nimmt.
Ist das juristisch haltbar?
Eine Klage konnte man erst in dem Moment auf den Weg bringen, als dieser Vertragsverstoß vollzogen war.
Das kostet alles Zeit.
Bis dahin hat man alle gut funktionierenden Strukturen zerschlagen. Das ist so brutal: Wir haben uns hier in den letzten Jahren etwas erarbeitet, dass wir wirklich auf Augenhöhe arbeiten – nicht nur untereinander, sondern auch mit den Frauen und Familien. Nichts Patriarchalisches, keine Hierarchien. Gemeinsam für jede Frau ganz individuell anschauen, welche Wege möglich sind – auch wenn sie 44 Jahre alt ist oder zwei oder drei Kaiserschnitte hatte oder ein Kind in Beckenendlage oder Zwillinge nach Kaiserschnitt oder Zwillinge mit Beckenendlagen oder was auch immer. Man guckt halt, was geht. Daran haben natürlich alle gelernt und immer mehr Zutrauen gekriegt. Das lief jetzt wunderbar, die Frauen kamen sogar aus Ravensburg, Rottweil oder Offenburg und vom Hochrhein, weil sie das hier bekamen. Die Expertise hier ist bundesweit außergewöhnlich. Jetzt können wir sie nicht mehr abrufen, weil die Struktur klar unterscheidet zwischen Level 1, Level 2, Level 3 und Geburtskliniken. Wir sind jetzt nur noch eine Geburtsklinik, vorher waren wir eine Level-2-Klinik.
Es gibt immer weniger Krankenhäuser oder auch Geburtshelfer:innen, die sich intensiv mit dem geburtshilflichen Handwerk auseinandersetzen und sich nicht gleich für einen Kaiserschnitt entscheiden.
Als ich 2019 hier anfing, war hier auch ein System mit über 40 % Kaiserschnitten, niemals spontane Geburten bei Zustand nach Sectio. Es war nicht einfach, die Menschen mitzunehmen und zu überzeugen. Jetzt hatten wir es geschafft, mit einem voll besetzen Team, vielen Bewerbungen und alle mit Herzblut dabei. Jetzt dürfen wir nicht mehr.
Haben Sie über einen Wechsel in ein anderes Haus nachgedacht, wo Sie ihr Potenzial besser entfalten können?
Ich habe tatsächlich daran gedacht, die Geburtshilfe ganz hinzuschmeißen. Jetzt so arbeiten zu müssen, eine Frau vor sich zu haben und ihr zu sagen: »Wir könnten schon, aber wir dürfen halt nicht mehr – es bleibt eben nur der Kaiserschnitt.« Wie soll man das aushalten?
Ich habe 25 Jahre in einem Level-4-Haus vaginale Beckenendlagen-Geburten geleitet, aber man exponiert sich so, man ist angreifbar und am Ende gibt es genug, die nur darauf warten, dass man Probleme bekommt. Das mache ich nicht mehr.
Es gab eine Petition, die Ihre Klinik unterstützt hat. Hat das alles nichts geholfen?
Für die Petition gab es fast 6.000 Unterschriften, mehr als 2.000 wertschätzende Kommentare zu unserer Arbeit. Am Ende interessiert das keinen. Eine Abgeordnete der Grünen hat eine Anfrage an die Landesregierung gerichtet – da müsste dann einmal jemand antworten. Ich habe Briefe an die Landesregierung nach Stuttgart geschrieben, habe monatelang nichts gehört, erst am Tag der Demo, am 31. Juli, haben sie sich gemeldet und eine Juristin aus dem Stab von Minister Manne Lucha hat immerhin gesagt, das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration wolle sich jetzt in den Prozess einbringen, aber leider hätten sie keine Befugnisse, sich in Verträge zwischen zwei Kliniken einzumischen. Vertreter:innen der Landesregierung waren damals bei dieser Vertragsschließung dabei. Das interessiert sie aber jetzt nicht mehr.
Gibt es von den Frauen, von den Eltern aus der Region Unterstützung und Rückhalt?
Nein, eher wenig – da bin ich tatsächlich ein bisschen enttäuscht. Das ist vielleicht unsere Zeit, das Konsumdenken, wenig Verantwortung für sich selbst übernehmen – eher die Haltung »Mach mal für mich«.
Manche verstehen auch die Problematik nicht. So beispielsweise die besagte Vertreterin des Sozialministeriums, der ich die Sachlage geschildert und argumentiert habe, im Koalitionsvertrag stehe etwas von Wahlfreiheit und von individueller Geburtshilfe, interventionsarm mit niedrigen Kaiserschnittraten – original das würden wir doch liefern und uns damit von anderen Abteilungen unterscheiden. Dementsprechend würde die Wahlfreiheit in der Freiburger Region verschwinden, wenn sie die Struktur zerschlagen. Darauf antwortete sie mir, das würde sie nicht verstehen: Jede Frau habe doch die Wahl zwischen einer Geburt außerklinisch oder in der Klinik. Sie hat das Problem nicht erfasst: Eine Frau mit einem mittleren Risiko hat nicht die Wahl, ihr Kind zu Hause zur Welt zu bringen.
Wenn die Universitätsklinik das geburtshilfliche Handwerk anbieten würde, könnte man vielleicht nachvollziehen, dass man in der Region dieses Angebot aus wirtschaftlichen Gründen bündeln möchte. Aber wenn sich das Level-1-Haus gar nicht darum bemüht und es keine geburtshilfliche Alternative zur Sectio gibt …
Wir waren ein funktionierendes System. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirtschaftlich ein entscheidender Unterschied ist, ob man zehn Betten hier oder zehn Betten dort betreibt in anderthalb Kilometern Luftlinie Entfernung. Man braucht so und so viele Ärzt:innen und so und so viel Pflegepersonal.
Unser Träger hat sogar zugesagt, wir tragen die Kosten für die Ärzt:innen und das Pflegepersonal selbst, obwohl es anders vereinbart ist. Aber wir brauchen einen Kooperationspartner, sonst dürfen wir das nicht, weil wir den Versorgungsauftrag abgegeben haben. Selbst das bieten sie uns nicht.
Geht es um Machtfragen?
Ich lehne mich jetzt aus dem Fenster: Klar geht es auch um Macht. Wir haben inzwischen mehr Geburten als die Uniklinik. Vielleicht versteht man dort nicht, woher das kommt – dass es hier eine andere Prämisse gibt: Die Frauen können gebären und Kinder können geboren werden. Wir sind gar nicht mal in erster Linie so wichtig, sondern wir stellen den geschützten Raum zur Verfügung und machen das Back-up mit unserer Expertise. Das ist natürlich ganz anders als diese Hochleistungsmedizin, die sagt, Geburt ist ein potenziell gefährliches Ereignis und es braucht uns, weil es sonst wahrscheinlich schiefgehen wird. Das ist ein grundsätzlich anderer Ansatz.
Alle sollten so arbeiten wie Sie mit Ihrem Team.
Wir sind »babyfriendly«, wir engagieren uns dafür, dass die Frühgeborenen gestillt werden und dass Zwillinge voll gestillt werden können. Wir haben viele Still- und Laktationsberaterinnen und einfach ein gutes System. Und jetzt?
Eigentlich ist es eine Körperverletzung, wenn eine gesunde Frau, deren Kind beispielsweise in Beckenendlage liegt, einen Kaiserschnitt nur deshalb erhält, weil ihre Geburtshelfer:innen ihr Handwerkszeug nicht beherrschen.
Es wäre wünschenswert, wenn man das Konkurrenzdenken überwinden könnte und eine Universitätsfrauenklinik sagt: »Gut, wir profitieren jetzt von den Strukturanforderungen, aber wir wollen, dass die Frauen die besten Möglichkeiten haben. Könnten wir da einmal einen Austausch machen? Eine Oberärztin hier und ein Assistent da …?« Aber in erster Linie herrscht Konkurrenz, jede Klinik arbeitet völlig voneinander abgeschottet. Vielleicht wurde es bereits als Angriff gesehen, dass alle anderen Kliniken Geburten verloren haben, wir aber gewachsen sind. Und dass Dinge funktionieren, von denen man selbst behauptet, das darf nicht sein.
Die Geburtshilfe scheint aktuell auseinander zu driften: Auf der einen Seite fordert beispielsweise die S3-Leitlinie »Vaginale Geburt am Termin« eine frauzentrierte Geburtshilfe. Auf der anderen Seite lehnen offenbar viele große Perinatalzentren den Geist dieser Leitlinie ab.
Genau, und bei der Zentralisation ist die Geburtshilfe ein Spezialthema. Es ist nämlich nicht bewiesen, dass mehr Volumen zu einem besseren Outcome führt. Studien zeigen, dass das Outcome mit der 24-Stunden-Anwesenheit von Kinderärzt:innen korreliert, nicht mit der Geburtenzahl. Das scheint aber ohne Bedeutung zu sein. Wie kann man immer von evidenzbasierter Medizin reden, ohne sich darum zu kümmern, was die Leitlinien sagen? Natürlich darf ich vaginale Geburten bei Beckenendlagen oder Zustand nach zweimal oder dreimal Sectio ermöglichen. So etwas spielt in vielen Häusern aber keine Rolle. Auch die vielen Einleitungen vorm Termin haben nichts mit Leitlinien zu tun.
Mich ärgert auch dieser Versuch der Volksverdummung: Allen Ernstes wird behauptet, die Versorgung für Freiburg und die Region werde nun auf ein höheres Niveau gesetzt. Es ist ein Riesen-Rückschritt, weil viel mehr Kinder ohne 24-Stunden-Kinderarzt-Back-up dastehen und viel mehr Kinder von ihren Müttern getrennt werden müssen. Denjenigen, die in der Uniklinik liegen, steht eine moderne Kinderklinik zur Verfügung. Aber für die Versorgung der Region ist das ein Scherz.
Die Geburtshilfe, die Sie bis jetzt angeboten haben, kommt manchen Frauen entgegen, die trotz Risiken sonst vielleicht eher unsichere Modelle wählen würden, weil sie sich mit der interventionsreichen Geburtshilfe nicht gut aufgehoben fühlen.
Die interventionsreiche Geburtshilfe verspricht eine trügerische Sicherheit. Jeder Kaiserschnitt birgt viel Risiko für kommende Schwangerschaften und Geburten, das verschiebt man einfach oder macht halt wieder einen Kaiserschnitt. Das ist frauenverachtend.
Es kann doch nicht sein, dass diese Leute glauben, dass sie es besser machen auf diese Weise? Dann ist das Thema doch Macht, dass man Frauen erklärt, wie sie‘s gefälligst zu tun haben.
Kommen junge Ärzt:innen zu Ihnen, um von Ihrer Geburtshilfe zu lernen?
Es gibt junge Ärzt:innen, die diese Geburtshilfe erlernen möchten. Gleichzeitig hat die neue Generation eine andere Beziehung dazu, Verantwortung zu übernehmen, als wir das früher hatten. Damals habe ich mich nach Verantwortung gesehnt: Ich wollte selbst entscheiden, selbst machen und meinem Gewissen und meiner Überzeugung folgen dürfen. Heute hält man sich lieber in zweiter Reihe und muss auch den Kopf nicht hinhalten.
Das beobachten Sie?
Ja, ganz eindeutig. In der Geburtshilfe exponierst du dich nonstop. Nicht nur in juristischer Hinsicht. Man exponiert sich auch in einer geburtshilflichen Community und ist angreifbar. Das musst du dann auch aushalten.
Eigentlich sollte es in großen Perinatalzentren eine Sache der Ehre sein, dass man das geburtshilfliche Können beherrscht, auch einer Frau nach zwei Kaiserschnitten bei einer gesunden Spontangeburt zu helfen.
Es heißt: »Der Fisch sieht nicht das Wasser, in dem er schwimmt.« Wenn man in einer bestimmten Weise sozialisiert ist, hat man seine eigene Wahrheit.
Wenn man das Fach Geburtshilfe wählt und die Beschreibungen in historischen Fachbüchern liest, was man mit seinen Händen tun kann und mit seinem Verstand …
… und noch mehr mit all den Zwischentönen: mit seiner Intuition, mit diesem Sich-Einfühlen – diese Mischung aus Wissen und Erfahrung und Gefühl, das ist Geburtshilfe. Das ist das Urweibliche, das ist ein emotionales Wissen. Hebammen wissen eigentlich, was uns Frauen wirklich ausmacht. Wir stehen aber nicht dazu, weil wir immer die Erfahrung gemacht haben, dass man uns an dem Punkt nicht ernst nimmt. Wir müssen jetzt über die männliche Argumentationsebene kommen, müssen Studien vorweisen und alles beweisen und können uns selbst nicht mehr vertrauen.
Komplexe Zusammenhänge können Studien nicht unbedingt erfassen.
Studien sind häufig ein- oder zweidimensional. Nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich als Medizinstudentin gedacht: »So darf es nicht sein!« Um dann den Weg zu ändern, musst du erst einmal alles infrage stellen, was bis dahin wahr und richtig war, was du geglaubt hast und was du auch vertreten hast. Es ist nicht einfach, seine Rolle selbst umzudefinieren: Ich bin nicht so wichtig, ich »mache« keine Geburten, ich entbinde hier nicht. Sondern ich bin Geburtshelferin im wahren Sinne – »obstetrix« bedeutet Beistand.
Wie ist die Haltung Ihrer Abteilung? Wie verhalten sich die Kolleg:innen zu der Situation?
Sie sind so sozialisiert, dass sie bisher bei einem Kind mit Tachypnoe oder einem pH von 7,1 den anwesenden Kinderarzt im Haus gerufen haben. So wurde uns das ja auch immer eingebläut. Die jungen Kolleg:innen sind gewöhnt, an dem Punkt sofort die Verantwortung abzugeben. Wir hatten jetzt teure, ausgiebige Schulungen zur Notfallversorgung, da stehen wir gut da. Aber was mache ich mit einem Kind auf Station, wenn ich seinem Zustand nicht so ganz traue? Wie weit trage ich das? Das wird jetzt schwieriger, das wird spannend – denn jetzt müsste es in die Universitätskinderklinik verlegt werden. Es ist eine Gratwanderung, darauf zu vertrauen, dass ein Kind auch seine Immunologie hat und etwas mitbringt, dass ihm Kolostrum hilft und so weiter.
Ihre Bedingungen hier waren bisher ideal. Ich habe in jungen Jahren in einem Krankenhaus gearbeitet, wo schon 1980 den Frauen eine weitgehend selbstbestimmte Geburt ermöglicht wurde. Das ist so lange her, aber immer noch gibt es Geburtshelfer:innen, die an solchen Selbstverständlichkeiten zweifeln.
Noch immer gibt es Frauen, die in Steinschnittlage gebären müssen oder wo man auf die Uhr schaut: »Jetzt ist sie schon zwei Stunden vollständig.«
Diese Unterstützung für Frauen, beispielsweise vaginale Geburten bei Zustand nach mehreren Kaiserschnitten zu ermöglichen, ist nicht das Übliche.
Wir hatten mal eine Frau, die nach vier Kaiserschnitten hier ihr fünftes Kind spontan geboren hat und danach noch zwei weitere Kinder spontan. Es geht um einzelne Biografien. Unser Highlight war gerade eine Kinderärztin, ihr Mann auch Kinderarzt, 44 Jahre alt, aus einer anderen Stadt, von wo sie einen Weg von zwei Stunden hatte. Zustand nach zweimal Sectio. Dann haben wir über Möglichkeiten und Grenzen gesprochen und sie wollte sich das nochmal überlegen. Fünf Tage vor dem erwarteten Termin hat sie sich in Freiburg eingemietet und kam regelmäßig zur Kontrolle. Schließlich hat sie ET+6 ihr Kind spontan geboren und ist anschließend wieder nach Hause gefahren. Das ist schön, oder?
Auch was das für das weitere Leben dieser Frau bedeutet, dass sie diese Geburt so vollbracht hat.
Es freut mich so für sie und dass sie diese Stärke hatte. Ihr Mann ist nicht mitgekommen – dass sie das so für sich entschieden und für sich dann durchgezogen hat, finde ich grandios. Und wer bin ich, dass ich ihr den Weg verstelle? Sie ist dann hier und normalerweise merken wir ja rechtzeitig, wenn etwas nicht guttut. Dann steigen wir halt aus. Man kann alles machen, wenn man aufpasst.
Wie oft müssen Sie sich dann doch für eine Sectio entscheiden?
Die Frauen mit Zustand nach zwei- oder dreimal Sectio, die wirklich so entschlossen sind, die schaffen es meistens.
Bei meinen Geburten hatte ich das Gefühl, ein Kern meiner Autonomie darf nicht verletzt werden. Meine Kinder sind zu Hause geboren. Diese Erfahrungen haben mich immunisiert gegen spätere Herausforderungen.
Das habe ich verpasst, ich habe den Überblick nicht gehabt. Darüber bin ich auch wirklich traurig. Andererseits habe ich aus jeder Geburt für meine Arbeit sehr viel mitgenommen, nach dem Motto: »So darf es eigentlich nicht sein. Pass auf!«
Die Frauen in meiner Familie haben viel von ihrem Frauendasein erzählt, auch von ihren Geburten. Diese schönen und die dramatischen Erfahrungen haben mich ausgerichtet, dass ich bestimmte Sachen einfach nicht erleben, sondern die Kontrolle über die Rahmenbedingungen für meine Geburtsarbeit behalten wollte: meinen Raum zu schützen, zu wissen, wer zur Tür reinkommt.
Die Geburt muss wieder in die Lebensrealität geholt werden durch Gespräche mit anderen Frauen, damit sie zu einem Teil der weiblichen Identität werden kann. Das ist aktuell nicht der Fall.
Verglichen mit meinen jungen Jahren gibt es heute mehr Räume, die Frauen sich erobert haben. Aber an diesem zentralen Punkt, was ihre Fruchtbarkeit angeht, sehe ich es eher gegenteilig.
Ich erlebe junge Frauen heute nicht in der Power, wie ich sie von meiner Generation kenne. Frauen haben jetzt viele Möglichkeiten – auch mit Kinderbetreuung, freien Tagen, wenn das Kind krank ist, oder mit Elternzeit. Dennoch erlebe ich sie oft überfordert. Einerseits sind viele Frauen sehr angestrengt von ihrer Mutterrolle, andererseits lassen sie ihre Kinder nicht los.
Es ist auffällig, wie viele Frauen in die Sprechstunde kommen, wo ich denke: Sie ist 36, erwartet ihr erstes Kind und wirkt irgendwie verschreckt – kein Selbstverständnis, kein Selbstbewusstsein, keine Eigenverantwortung.
Deshalb schmerzt umso mehr, dass Ihr Konzept der maßgeschneiderten, individuellen Geburtshilfe angegriffen und teilweise zerstört wird. Eine gesunde Frau, die ein gesundes Kind zur Welt bringt, braucht eine gute Unterstützung. Noch viel wichtiger ist, dass auch Frauen mit besonderen gesundheitlichen Schwierigkeiten für eine möglichst gesunde Geburt Hilfe mit bestmöglicher Expertise erhalten.
… um Anschluss an ihre Kraft, an ihre Möglichkeiten, an ihre Potenz zu bekommen.
Es ist vielleicht der Geist Ihrer Geburtshilfe hier, der Ihre Gegenspieler angreift, nicht unbedingt die Konkurrenz um die Geburtenzahlen.
Es ist für sie nicht greifbar, sie verstehen nicht, warum wir hier so punkten und sie nicht. Wir haben ein anderes Rollenverständnis. »Meine Frau macht nicht gut mit«, solche sprachlichen Auswüchse haben wir hier ausgemerzt.
Gibt es noch eine Chance, dass das Problem mit der Kinderklinik gelöst werden könnte?
Mit der Uniklinik gibt es dazu keine Gespräche mehr. Ich habe mich sehr um Rückhalt aus der Öffentlichkeit bemüht, habe abgehoben auf den Verlust an Versorgungsqualität. Hätte ich das nicht gemacht, wäre längst alles im Sande verlaufen. Andererseits möchte ich nicht, dass das zu Verunsicherung führt, ob es bei uns überhaupt noch Geburtshilfe gibt und ob wir der Notfallversorgung von neugeborenen Kindern noch gewachsen sind. Daher halte ich mich nun zurück und berichte auf Social Media allenfalls von den schönen Geschichten aus unserem Kreißsaal. Der Ball liegt beim Sozialministerium und wir hoffen sehr, dass sie uns dort, im Sinne ihrer eigenen Beschlüsse zur Geburtshilfe, einen kleinen eingeschränkten Versorgungsauftrag für unsere Neugeborenen zugestehen.
Sie würden die Verantwortung ohne Neonatologie im Hintergrund bei Geburten mit gewissen Risiken nicht auf sich nehmen?
Das kann ich im Moment nicht machen. Ich muss dem Team jetzt Zeit geben, sich zu finden in der neuen Situation. Ich persönlich sehe gleich wieder Ausnahmen. Aber jetzt in der aktuellen Situation muss man konsequent sein.
Es sollten auch nicht Einzelne den Kopf hinhalten und eine so ungelöste Situation auf sich nehmen. Das geburtshilfliche System muss gefordert werden. Wenn es vor die Wand fährt an diesem Punkt, dann muss das sichtbar werden.
Ja, genau. Es geht um Frauen, um Familien, um Anfänge.
Diese Art von Geburtshilfe ist Ihr Lebenswerk.
Ja, für diese Geburtshilfe bin ich eingestanden seit der Geburt meines ersten Sohnes, als ich gedacht habe, so nicht!
Danke für Ihre Einblicke in die dramatischen Veränderungen der geburtshilflichen Situation in Ihrem Haus.