Wenn die Dolmetscherin per Video zugeschaltet wird, entfallen Organisationsaufwand und Reisekosten. Foto: © SAVD
Kommunikation ist die Grundlage für eine zielführende Behandlung. MigrantInnen mit mangelnden Sprachkenntnissen, aber auch Menschen mit Hör- oder Sprachbeeinträchtigung können sich dem Gesundheitspersonal oft nur eingeschränkt mitteilen. Umgekehrt sind wichtige Details zu Betreuungsmaßnahmen, Diagnose oder Therapie für sie schwer verständlich. Das kann zu Missverständnissen, Fehleinschätzungen und zusätzlichen Kosten führen. Eine verständliche Information über die Behandlung in einem persönlichen Gespräch ist ein PatientInnenrecht. Wird die Aufklärungspflicht und damit der Behandlungsvertrag verletzt, kann das Haftungsfolgen nach sich ziehen.
Laut einer Studie an Tiroler geburtshilflichen Abteilungen von der Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Barbara Schildberger, Hermann Leitner und Willy Oberaigner aus dem Jahr 2014 betrug der Anteil der Mütter mit schlechten oder fehlenden Deutschkenntnissen bis zu 30 Prozent (Schildberger et al. 2014). Migrantinnen fühlen sich oft nicht ausreichend informiert und berichten von Kommunikationsproblemen. Trotzdem wurden nur für zehn Prozent der Übersetzungsleistungen professionelle DolmetscherInnen eingesetzt. In 90 Prozent der Fälle stehen die Ehemänner oder erwachsene Begleitpersonen zur Verfügung, minderjährige Begleitpersonen und ÄrztInnen kommen auf jeweils 20 Prozent. Jede zehnte Übersetzung übernehmen jeweils Hebammen, medizinisches Personal von anderen Stationen und nicht medizinisches Personal (Mehrfachnennungen möglich). In zehn Prozent der Fälle gibt es keine Kommunikationsunterstützung. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass ein erheblicher Bedarf an Übersetzungsleistungen in den geburtshilflichen Abteilungen besteht.
Unter Videodolmetschen versteht man die Kommunikation via Audio- und Videoübertragung zwischen DolmetscherInnen und Gesundheitspersonal oder PatientInnen. Videodolmetschen wird schon seit Längerem von Institutionen wie Arbeits- und Sozialämtern, Asyleinrichtungen, Feuerwehr, Gerichten, Haftanstalten, Polizei, Rettung, Sozialversicherungen, Städten und Gemeinden verwendet. Im Gegensatz zu einem persönlich anwesenden Dolmetschdienst ist es nicht notwendig, dass dieser erst organisiert werden muss – oft mit erheblichem Aufwand, denn die Person muss gleichzeitig mit dem Betreuungsteam verfügbar sein und es fallen Kosten für die An- und Abreise an.
Videodolmetschen wird in Österreich und seit vergangenem Herbst auch in Deutschland von der Firma SAVD angeboten. Man zahlt eine monatliche Grundgebühr plus ein nach Zeit gestaffeltes Gesprächshonorar. 15 Minuten Dolmetschen kostet 30 Euro. Videodolmetschen funktioniert auf nahezu jedem Endgerät, also auf fix installierten Computern und auf Tablet-Computern über WLAN.
In Kalifornien gibt es seit einigen Jahren ein Health Care Interpreter Netzwerk, das ÜbersetzerInnen per Video in 45 Krankenhäuser vermittelt. In Österreich startete das Videodolmetschen im Gesundheitswesen im Mai 2011 mit der Arbeitsgruppe „Umgang mit nicht deutschsprachigen PatientInnen”, eingerichtet vom ExpertInnenforum „Österreichische Plattform Patientensicherheit” in Kooperation mit dem Ministerium für Gesundheit. Im November 2011 folgte eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „Wie viel Deutsch braucht man, um gesund zu sein? Migration, Gesundheit und Übersetzung”. Danach konzipierte die Plattform Patientensicherheit in Kooperation mit dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin, dem ServiceCenter ÖGS.barrierefrei und dem Zentrum für Translationswissenschaft das Pilotprojekt „Videodolmetschen im Gesundheitswesen”. Es startete im Oktober 2013 und wurde evaluiert.
Im Wiener St. Anna Kinderspital und in mehreren Arztpraxen wird Videodolmetschen inzwischen seit längerem sowohl in der Ambulanz als auch in der Krankenstation eingesetzt. In Deutschland startete das Angebot im Herbst vergangenen Jahres im Helios Klinikum in Berlin-Buch. Auch hier hat man das Potenzial erkannt.
Über SAVD sind 750 qualifizierte DolmetscherInnen mit einem translationswissenschaftlichen Studium oder einer einschlägige Ausbildung im Einsatz. Folgende Sprachen sind an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr innerhalb von maximal zwei Minuten verfügbar:
Andere Sprachen müssen vorher angemeldet werden. Es ist auch möglich, eine weibliche Übersetzerin anzufragen, wenn die Patientin es wünscht.
Die leitende Hebamme Lydia Liebhart berichtet von den Erfahrungen bei der Patientinnenaufklärung im Landeskrankenhaus Villach: Je nach Situation sind zum Gespräch mit der Frau alle Personen wie Angehörige, Arzt oder Ärztin, Hebamme, Sekretärin und eventuell ein Anästhesist oder eine Anästhesistin zum vereinbarten Termin in einem Raum, in dem es einen Flat-Screen gibt. Im Kreißzimmer, auf der Station oder für Untersuchungen wird ein Tablet Computer verwendet. Bei der körperlichen Untersuchung von Flüchtlingsfrauen kann das Gerät für die Übersetzung auch ohne eingeschalteten Bildschirm verwendet werden, um die Schamgrenzen zu wahren, denn die Videos geben auch Einblick in den gesamten Raum und auf die Personen.
Das Team erkennt immer öfter, dass mit dem Videodolmetschen eine Arbeitserleichterung verbunden ist, es wird inzwischen gerne angenommen. Es gab einen Fall, bei dem zwei Tage lang mit Händen und Füßen versucht wurde, einer Wöchnerin nach der Sectio Informationen zum Stillen zu vermitteln. Nach dem Gespräch mit der Videodolmetscherin konnte sie viel besser stillen. Auch bei einer Frau mit einer Mehrlingsschwangerschaft erwies sich diese Form der Übersetzung als hilfreich. Das vorläufig bis März 2016 begrenzte Projekt, das von der Internen Abteilung mit zentraler Notaufnahme ausgegangen ist, hat sich bisher sehr bewährt. Derzeit ist noch offen, ob es weiter geht.
Die leitende Hebamme Beate Lamprecht hat sich für das Pilotprojekt an den Häusern der Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft stark gemacht. Im Gesundheitszentrum für Kinder, Jugendliche und Frauen im Klinikum Klagenfurt, wo sie für die Abteilungsleitung Pflege zuständig ist, sind die Diabetesaufklärung mit allen Fachkräften und die Schulung mit Videodolmetschen schon gut etabliert.
Im Bereich der Kreißsäle gab es auch schon technische Verbindungsprobleme. Und leider funktioniert es nicht immer mit der Verlässlichkeit bei vereinbarten Terminen in der Schwangerenambulanz: Das medizinische Personal ist schon versammelt, aber der Transport aus der Flüchtlingsunterkunft verspätet sich. Manchmal beschweren sich andere Schwangere, die lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, während eine Flüchtlingsfamilie gleich an der Reihe ist. Das sind einige praktische Probleme, doch dafür gibt es Lösungen.
Das ExpertInnenforum „Österreichische Plattform Patientensicherheit” und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien waren Träger des anderthalbjährigen Pilotprojekts „Videodolmetsch”. Sein Ziel war es, dem Gesundheitspersonal ein Tool zur Verfügung zu stellen, das die professionelle Behandlung von PatientInnen mit wenigen bis keinen Deutschkenntnissen oder eingeschränkter verbaler Kommunikationsfähigkeit ermöglicht beziehungsweise vereinfacht. Medizinisches und organisatorisches Personal, Freunde und Familienangehörige der PatientInnen oder andere PatientInnen, die bisher für Dolmetschertätigkeiten herangezogen wurden, sollten entlastet und geschützt werden. Zudem sollte neben der Verbesserung der Arbeitssituation der MitarbeiterInnen mehr Rechtssicherheit im Umgang mit schwierigen Situationen geschaffen werden.
Die ÜbersetzerInnen vermittelt die SAVD Videodolmetschen GmbH mit Sitz in Wien, Berlin und Zürich. Das Unternehmen stammt aus der Wissenschaft. Es arbeitet für Kliniken, Kommunen, Justizvollzugsanstalten, Arbeitsagenturen und Asyleinrichtungen. Mehr als 750 ausgebildete Dolmetscher können innerhalb von 120 Sekunden zugeschalten werden.
Hinweis: Bei dem Artikel handelt es sich um einen Nachdruck des Artikels von Dorothea Rüb unter dem Titel „Videodolmetschen – ein vielversprechendes Instrument” aus der Österreichischen Hebammenzeitung (ÖHZ) 1/2016, Seite 18ff. Er wurde für die DHZ redaktionell überarbeitet. Herzlichen Dank an die ÖHZ für die freundliche Abdruckgenehmigung.
Österreichische Plattform Patientensicherheit/Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien: Endbericht „Qualitätssicherung in der Versorgung nicht-deutschsprachiger PatientInnen – Videodolmetschen im Gesundheitswesen” 2015. Ein Pilotprojekt der Österreichischen Plattform Patientensicherheit und des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.
Österreichische Plattform Patientensicherheit: Endbericht „Gesundheitsförderung via Videodolmetschen” bei niedergelassenen ÄrztInnen 2015. http://www.plattformpatientensicherheit.at/download/themen/Endbericht_FGOE.pdf
Schildberger B, Leitner H, Oberaigner, W: Interkulturelle Kommunikation in der geburtshilflichen Betreuung. Eine Analyse zur Kompensation von Sprachbarrieren an geburtshilflichen Abteilungen in Tirol. In: Wissenschaftsforum 2014. Beilage des Hebammenforums 1: 5–10