Offene Neuralrohrdefekte werden heute meist bereits während der Schwangerschaft diagnostiziert. Für die Geburt und die Erstversorgung von Kindern mit einem »offenen Rücken« ist ein sorgfältiges, interdisziplinäres Management wichtig, um Infektionen und andere Folgeschäden zu vermeiden. Jede Spina bifida aperta sollte möglichst frühzeitig operativ verschlossen werden.

Der Begriff Spina bifida kommt aus dem Lateinischen und bedeutet »gespaltener Dornfortsatz«. Er gilt als Sammelbegriff für alle angeborenen Spaltbildungen der Wirbelsäule. Sie zeigen sich meist im Lumbal- oder Sakralbereich und sind auf einen unvollständigen Verschluss des Neuralrohrs während der Embryonalentwicklung in der vierten Schwangerschaftswoche zurückzuführen. Unterschieden werden geschlossene (Spina bifida occulta) von offenen Formen, dem sogenannten »offenen Rücken« (Spina bifida aperta).

Bei der Spina bifida occulta handelt es sich um eine von außen nicht sichtbare Spaltbildung, in der Regel mit normaler Anlage und Funktion der neuralen Strukturen. Sie stellt meist einen asymptomatischen Zufallsbefund ohne Therapiebedarf dar. Hinweise können eine abnorme Behaarung, Pigmentierung, ein Dermalsinus, ein subkutanes Lipom oder kapilläres Hämangiom im betroffenen Bereich sein.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Spina bifida aperta um einen offenen (Haut-)defekt mit Fehlbildung der Rückenmarkshäute (Meningozele) oder sogar des Rückenmarks (Myelomeningozele), bis hin zur Myelochisis beziehungsweise Myelozele. Dabei handelt es sich um besonders schwere Befunde, bei denen das Nervengewebe völlig freiliegt und nicht von Hirn-Rückenmarkshäuten oder sonstigem Gewebe umgeben ist. Es kommt zur Ausbildung einer sogenannten Plakode – dem freiliegenden neuralen Gewebe mit vorhandenen Umhüllungen. Intrauterin kommt es dann zu einem Kontakt des freiliegenden Nervengewebes mit dem Fruchtwasser, was zu einer Schädigung der neuralen Strukturen führt. Die betroffenen Anteile des Rückenmarks werden zunehmend geschädigt, was einen Untergang der Neurone zur Folge hat. So werden auch axonale Verbindungen unterbrochen und verlieren ihre Funktion (Stiefel et al. 2007). Je nach Höhe des Defektes entwickeln sich neurologische Defizite bis hin zu kompletten Querschnittsschädigungen.

Normale Wirbelsäule: Dargestellt sind die fünf Lenden­wirbel. Bei der Geburt endet das Rückenmark noch auf Höhe des dritten Lendenwirbels im Markkegel, bei Erwachsenen zwischen dem ersten und zweiten Lendenwirbel. Illustration: © Birgit Heimbach

Spina bifida occulta: Der Wirbelbogen eines Lendenwirbels ist unvollständig geschlossen, der Dornfortsatz ist gespalten beziehungsweise zweigeteilt (bifida), der Stachel (Spina) oder Dornfortsatz fehlt. Die neuralen Strukturen sind meist in Ordnung. Mitunter deutet ein Hämangiom auf die Besonderheit hin.

Regionale Verteilung

Am häufigsten ist die Myelomeningozele (MMC). Damit ist sie klinisch die relevanteste Form der Spina bifida aperta. Weltweit wird die Häufigkeit dieser angeborenen Fehlbildung auf 1/1.000 Lebendgeburten geschätzt, wobei es erhebliche regionale Unterschiede gibt. Beispielsweise wird in den USA und Europa die Prävalenz mit 0,2–0,8/1.000 Lebendgeburten angegeben (Copp et al. 2015). In einigen Teilen Chinas dagegen wird mit einem hundertfach häufigeren Auftreten von 20/1.000 Geburten gerechnet (Li et al. 2006). Mädchen scheinen drei- bis siebenmal häufiger betroffen zu sein als Jungen (Mitchell et al. 2004; Sahni & Ohri 2019).

Wo liegen die Ursachen?

Die Ursachen für die Entstehung sind vielfältig, aber in den meisten Fällen unbekannt. Man nimmt eine multifaktorielle Genese an und unterscheidet im Wesentlichen genetische von nicht-genetischen Faktoren.

Eine positive Familienanamnese ist einer der größten Risikofaktoren. Das Risiko für ein Geschwisterkind, auch eine Spina bifida zu entwickeln, liegt bei 3 bis 8 % und ist somit deutlich höher als in der allgemeinen Bevölkerung (Mitchell et al. 2004). Nur ein geringer Anteil von weniger als 10 % kommt im Rahmen von Syndromen vor wie beispielsweise einer Trisomie 13 oder 18 (Copp et al. 2015). Mittlerweile ist eine Vielzahl von Genen bekannt, deren Defekt mit einem Neuralrohrdefekt in Zusammenhang stehen könnte. Hierzu zählen vor allem Gene, die am Folsäure-Homocystein-Stoffwechsel beteiligt sind (Copp et al. 2015; Mitchell et al. 2004).

Unter den nicht-genetischen Risikofaktoren ist der bekannteste und wichtigste, dass die Mutter vor der Schwangerschaft zu wenig Folsäure aufgenommen hat. Eine adäquate Folsäure-Aufnahme der Mutter vor der Befruchtung kann das Risiko für eine Spina bifida erfolgreich reduzieren.

Als weitere Risikofaktoren für das Auftreten von Neuralrohrdefekten gelten bei der Mutter Übergewicht, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum, Rauchen, Einnahme des Antiepileptikums Valproinsäure und/oder Carbamazepin (Antikonvulsiva), Hyperthermie durch Fieber oder externe Hitzeeinwirkung wie in der Sauna (in den ersten vier Wochen der Schwangerschaft), Infektionen, niedriger sozioökonomischer Status, Pestizid-Exposition, Belastung durch organische Lösungsmittel und anderes (Copp et al. 2015; Mitchell et al. 2004; Sahni & Ohri 2019).

Diagnostik und Therapie

In den meisten Fällen wird eine Spina bifida aperta wie eine Myelomeningozele bereits während der Schwangerschaft diagnostiziert. In der Vergangenheit wurden Screening-Untersuchungen durch laborchemische Bestimmungen von Alpha-Fetoprotein im Serum und/oder Fruchtwasser durchgeführt. Durch technische Verbesserung der Sonografie ist die Screening-Methode der Wahl heutzutage jedoch die Ultraschall-Untersuchung im zweiten Trimester. Sie bietet eine größere Sicherheit mit höherer Sensitivität und Spezifität. Bei eingeschränkten Schallbedingungen wird auch weiterhin der Alphafetoprotein-Gehalt im Serum zum Screening herangezogen, zum Beispiel bei stark übergewichtigen Müttern oder Lageanomalien des Kindes.

Ergeben sich im initialen Screening Hinweise auf eine Myelomeningozele, folgen weitere Untersuchungen wie ein fetales MRT, genetische Untersuchungen mit Karyogramm und die Suche nach anderen Anomalien. Bestätigt sich der Verdacht auf einen offenen Neuralrohrdefekt, gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten:

  • Austragen der Schwangerschaft mit anschließender postpartaler Therapie
  • Schwangerschaftsabbruch
  • intrauteriner Verschluss des Defektes.

Bei einem intrauterinen Verschluss wird bei der Mutter eine Hysterotomie durchgeführt und der Fetus so positioniert, dass die Myelomeningozele einsehbar und zugänglich ist. Dann werden die neuralen von den kutanen Strukturen getrennt, mobilisiert und der Defekt mit einer mehrschichtigen Naht verschlossen (Heuer et al. 2015).

In der Literatur gibt es Hinweise auf einen Vorteil dieser Therapie. In einer prospektiven Multicenterstudie (Management of Myelomeningocele Study oder MOMS) wurden die Ergebnisse des intrauterinen mit denen des postpartalen Verschlusses der Myelomeningozele verglichen. Bei statistisch signifikant besseren Ergebnissen des primären und zum Teil auch des sekundären Outcomes in der Gruppe der pränatal operierten Kinder wurde die Studie vorzeitig abgebrochen. Beispielsweise konnten in der Gruppe der Kinder mit pränatalem intrauterinen Neuralrohrdefektverschluss eine geringere postpartale Shunt-Rate nach zwölf Lebensmonaten sowie ein besseres neurologisches Outcome nach 30 Lebensmonaten beobachtet werden. Allerdings wurde in dieser Gruppe auch eine erhöhte Rate von Frühgeburten, intrauterinen Komplikationen und uterinen Narbendefekten verzeichnet (Adzick et al. 2011). Auch endoskopische Operationsmethoden sind möglich.

Die intrauterine Fetalchirurgie ist in Deutschland nur wenigen speziellen Zentren vorbehalten. Daher gilt aktuell der postnatale Verschluss des Defektes als Therapie der Wahl. Zurzeit können keine evidenzbasierten Empfehlungen ausgesprochen werden. Entsprechende Zentren befinden sich beispielsweise in Bonn, Gießen, Hamburg und Mannheim, die meistens in Kooperation mit anderen europäischen Zentren, die fetale Chirurgie anbieten.

Ab der Diagnose stellt die Myelomeningozele eine interdisziplinäre Herausforderung dar, spätestens aber ab der Geburt. Die betroffenen Kinder müssen ihr Leben lang medizinisch behandelt werden.

Spina bifida aperta mit Meningozele: Es wölbt sich eine mit Liquor gefüllte Blase (Hydrops) durch den Spalt im Lendenwirbel vor, die umhüllt ist von den Meningen. Meist ist die Haut intakt.

Spina bifida aperta mit Myelomeningozele: Im Hydrops befinden sich Teile vom Pferdeschwanz (Cauda eqina) beziehungweise vom Rückenmark. Zusätzlich gibt es einen Defekt in der Haut.

Die Geburt und das postpartale Management

Wird bei einem Kind im Mutterleib eine Myelomeningozele diagnostiziert und die Schwangerschaft ausgetragen, kommt das Kind durch eine geplante Sectio kurz vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt. So werden eine Druckwirkung und eine bakterielle Besiedlung des offenen Defektes verhindert. Diese Risiken sollten auch in der Erstversorgung vermieden werden. Die postpartal direkt beteiligten Fachrichtungen sind PädiaterInnen und NeurochirurgInnen. Sie sollten vorab informiert werden und in Bereitschaft zur Verfügung stehen.

Nach der Erstversorgung sollte das Kind auf den Bauch oder zumindest auf die Seite gelegt werden, damit man den Defekt und sein Ausmaß sorgfältig untersuchen kann. Die Myelomeningozele sollte dann steril abgedeckt werden, damit sie vor mechanischen und mikrobiologischen Einflüssen geschützt ist und um einen Wärme- und Flüssigkeitsverlust darüber zu vermeiden. Eine Antibiotikaprophylaxe sollte direkt erfolgen.

Insgesamt empfiehlt es sich, von Anfang an auf eine latexfreie Umgebung zu achten, da bis zu 78 % der MMC-PatientInnen eine Latex-Allergie entwickeln. Cave: Handschuhe! Als Ursache der Allergie wird eine häufige und frühe Exposition gesehen. Studien haben gezeigt, dass eine Vermeidung von Latex-Expositionen von Beginn an als Primärprophylaxe das Auftreten einer Allergie vermindern kann (Cremer et al. 1998/2002).

Peripartales Management
  • geplante Sectio
  • PädiaterInnen und NeurochirurgInnen vorher informieren
  • Druckwirkung auf offenen Defekt vermeiden
  • Bauch- oder Seitenlage
  • steriles und feuchtes Abdecken des Defektes
  • Antibiotikaprophylaxe
  • Latex-Exposition vermeiden
  • Wundversorgung
  • regelmäßige Katheterisierungen bei Blasenentleerungsstörungen
  • operative neurochirurgische Deckung der Myelomeningozele, gegebenenfalls mit Shintimplantation

Postnatale Operation

Jede Spina bifida aperta sollte möglichst frühzeitig verschlossen werden, um eine Infektion zu vermeiden. Die Prinzipien der Operation bestehen im Wesentlichen darin, die Epidermisanteile (Plakode) von der Dura (harte Hirnrückenmarkshaut) zu lösen, die Dura wasserdicht zu verschließen und anschließend die Haut zu schließen (Greenberg et al. 2010).

Der genaue Zeitpunkt der Operation wird immer wieder diskutiert. Grundsätzlich ist ein möglichst früher Verschluss anzustreben, gleichzeitig muss aber ein erfahrenes anästhesiologisches und neurochirurgisches Team zur Verfügung stehen. Zur Deckung des offenen Defektes sollte ein operativer neurochirurgischer Verschluss innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden post partum angestrebt werden.

Die Operation kann neurologische Funktionen nicht wiederherstellen oder verbessern, sondern soll eine Kolonisierung und konsekutive Infektion der Myelomeningozele verhindern. Hauptziel ist es somit, Folgeschäden zu vermeiden.

Falls das Kind bereits bei der Geburt einen Hydrocephalus hat, ist die Implantation eines Shuntsystems in derselben Operation indiziert. In der Regel wird ein ventrikuloperitonealer Shunt eingesetzt. Die Ergebnisse einer endoskopischen Hydrocephalus-Therapie sind in der Frühphase meist eher ernüchternd, so dass die Endoskopie keine wirkliche Alternative zur Shunt-Implantation bei Neugeborenen darstellt.

Bei der direkten postoperativen Nachsorge ist auf eine saubere und trockene Wundumgebung zu achten. Insbesondere bei lumbosakralen Myelomeningozelen kann das durch Kontakt mit Stuhlgang erschwert sein. Um das postoperative Schmerzmanagement sollten sich PädiaterInnen kümmern, obwohl aufgrund des mit der Fehlbildung einhergehenden Sensibilitätsdefizites nicht von einer vermehrten Schmerzbelastung auszugehen ist. Meist ist mit der Myelomeningozele eine Blasenentleerungsstörung verbunden. Deshalb sollte das Kind von Beginn an einen Blasenkatheter bekommen.

Spina bifida im OP vor dem Verschluss. Das Neugeborene ist gelagert und das OP-Gebiet desinfiziert.

Neurologische Begleiterkrankungen

Bis zu 85 % der betroffenen Kinder entwickeln einen Hydrocephalus: Durch eine Erweiterung der Hirnwasserkammern erhöht sich der intrakranielle Druck. Bei circa 80 % geschieht das innerhalb der ersten sechs Lebensmonate. Nur 5 bis 10 % der betroffenen Kinder haben den Hydrocephalus bereits bei der Geburt.

In den meisten Fällen kommt es erst nach operativem Verschluss der Myelomeningozele zur Ausbildung eines signifikanten Hydrocephalus. Um ihn frühzeitig zu erkennen, sollten der Kopfumfang engmaschig gemessen und die Fontanelle abgetastet werden.

Zur Therapie ist die Implantation eines Shunt-Systems indiziert, meist ventrikuloperitoneal. In ausgewählten Fällen ist eine endoskopische Ventrikulozisternostomie bei Obstruktivhydrocephalus, einem Hydrocephalus durch eine Engstelle oder Verschluss der Liquorwege möglich.

Eine Myelomeningozele ist in den meisten Fällen mit einer Arnold Chiari II Malformation assoziiert, einer Anomalie vor allem der hinteren Schädelgrube. Dabei kommt es zu einem Tiefstand der Kleinhirntonsillen unterhalb des Foramen magnum (Hinterhauptsloch), einer zu klein angelegten hinteren Schädelgrube und zu tief liegenden anderen Strukturen des kraniozervikalen Übergangs.

Andere zusätzliche Befunde können eine Hypoplasie der Hirnsichel (Falx), eine Mikrogyrierung (abnorm kleine Hirnwindungen), ein obstruktiver Hydrocephalus oder eine basiläre Impression sein – eine Einengung des Foramen magnum durch Impression durch den Dens des zweiten Halswirbels. Die Symptome sind auf die Kompression des Hirnstamms und Beeinträchtigung der kaudalen Hirnnerven zurückzuführen. Die betroffenen Kinder zeigen beispielweise Schluckstörungen mit Aspirationen, Apnoephasen, Stridor (krankhafte Atemgeräusche durch verengte Luftwege) oder Nystagmus (unkontrollierte rhythmische Augenbewegungen). Je nach Ausprägung kann eine neurochirurgische Dekompression der hinteren Schädelgrube erforderlich sein, in manchen Fällen auch dringend.

Weitere mögliche neurologische Probleme sind

  • ein Tethered Cord: tief stehender Conus des Rückenmarks durch Adhäsion des Filum terminale an der Durawand mit gestörter Aszension des Rückenmarks
  • eine Hydromyelie: Flüssigkeitsansammlung mit Erweiterung des Zentralkanals des Rückenmarks
  • eine Balkenagenesie: teilweise oder vollständiges Fehlen des Corpus callosum mit möglicherweise neurokognitiven Defiziten.

Intellektuelle Einschränkungen sind bei PatientInnen mit Myelomeningozele nicht die Regel und meistens auf die Komplikationen eines Hydrocephalus zurückzuführen.

Lähmungen

Je nach Höhe der Spaltbildung entwickeln die Kinder durch Schädigungen des Rückenmarks und der Nervenwurzeln permanente neurologische Defizite. Sie leiden unter Lähmungen der Beine, Sensibilitäts- und Blasenentleerungsstörungen. Insgesamt gilt: Je höher der Defekt liegt, desto schwerwiegender sind die neurologischen Ausfälle.

Befindet sich die Myelomeningozele zum Beispiel auf Höhe der unteren Brustwirbelsäule, kommt es zu einer kompletten Lähmung aller Muskeln der unteren Extremitäten. Das Kind wird nicht laufen lernen und lebenslang auf einen Rollstuhl angewiesen sein.

Ist der Defekt dagegen eher lumbosakral lokalisiert, kann es zumindest die rumpfnahen Muskelgruppen der Beine willkürlich bewegen. Das Kind kann dann zu einem gewissen Grad und gegebenenfalls mit Hilfsmitteln Laufen lernen. Das Ausmaß der motorischen Defizite ist bei allen Betroffenen unterschiedlich und muss individuell evaluiert werden. Ebenso müssen die Kinder individuell gefördert werden.

Blasen- und Darmentleerungsprobleme

Fast alle Kinder mit einer Myelomeningozele haben eine Blasenentleerungsstörung. Denn fast alle Defekte liegen oberhalb des sakralen Niveaus. Somit sind die sakralen Nervenwurzeln fehlgebildet, die für die Blasenkontrolle zuständig sind. Eine vollständige Blasenentleerung ist nicht möglich, was das Risiko für Infektionen des Urogenitaltraktes und für Nierenfunktionsstörungen bis hin zum Nierenversagen durch einen vesikourethralen Reflux erhöht. Somit ist es wichtig, dass die Kinder von Geburt an urologisch mitbetreut werden. Sie brauchen regelmäßige Blasenentleerungen durch steriles Einmalkatheterisieren und gegebenenfalls Medikamente gegen Blasenspasmen.

Auch Stuhlentleerungsstörungen kommen sehr häufig bei PatientInnen mit Myelomeningozele vor, sie leiden unter Obstipationen und Stuhlinkontinenz. Ein entsprechendes Management mit Obstipationsprophylaxe und später regelmäßigen Toilettengängen ist wichtig.

Orthopädische Probleme

Die betroffenen Kinder brauchen auch von Beginn an eine orthopädische Betreuung, da zahlreiche Komplikationen entstehen können. Beispielsweise werden bei den PatientInnen mit Myelomeningozele Skoliosen, Klumpfüße, Fehlstellungen des Hüftgelenks oder Kontrakturen beobachtet. Hauptproblem bei deren Entstehung sind muskuläre Imbalancen im Bereich der Gelenke durch die Lähmungen. Eine orthopädische Versorgung durch Orthesen oder operative Maßnahmen können erforderlich sein.

Dermatologische Komplikationen

Durch Sensibilitätseinschränkungen unterhalb des Defektes haben die betroffenen Kinder ein erhöhtes Risiko für mechanische, thermische oder sonstige Hautschäden. Daher ist es eine lebenslange Aufgabe, ihre Haut zu schützen. Durch ihre eingeschränkte Mobilität ist zudem die Prophylaxe von Druckulzera (Dekubitus). Auch regelmäßige Inspektionen auf Hautschäden sind zu empfehlen. Ist es zu einem Hautdefekt gekommen, ist die Wundheilung der minderinnervierten Haut beeinträchtigt.

Assoziierte Komplikationen der Spina bifida aperta

Neurologische Komorbiditäten:

  • Hydrocephalus
  • Chiari II Malformation
  • Tethered Cord
  • Hydromyelie
  • Balkenagenesie
  • neuropsychologische/kognitive Defizite
  • neurologische Defizite durch die Schädigung des Rückenmarks und der Nervenwurzeln bis hin zum kompletten Querschnittssyndrom

Urologische Komplikationen:

  • Blasenentleerungsstörungen
  • wiederholte Harnwegsinfektionen durch Katheterisierungen
  • Nierenschäden bis -versagen durch vesikourethralen Reflux

Stuhlentleerungsstörungen:

  • Obstipation
  • Inkontinenz

Orthopädische Folgen:

  • Skoliose
  • Klumpfuß
  • Hüftgelenksfehlstellungen
  • andere Extremitätendeformitäten

Dermatologische Probleme:

  • erhöhtes Risiko für mechanische, thermische und andere Schäden
  • Druckulzera durch eingeschränkte Mobilität

Fazit

Die Diagnose einer Spina bifida aperta stellt von Beginn an eine lebenslange Herausforderung dar. Um die möglichen Folgen zu verhindern und Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, brauchen die betroffenen Kinder von Geburt an eine interdisziplinäre Betreuung von PädiaterInnen, NeurochirurgInnen, UrologInnen, OrthopädInnen und gegebenenfalls anderen Disziplinen. Neben der medizinischen Betreuung sind zudem soziale und pädagogische Unterstützungen hilfreich. Den Kindern kann so ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden.

Filmtipp

»Der Rollibauer«

Für sehr kleine Kinder baut der Großvater eines Mädchens mit Behinderung Minirollstühle, finanziert mit Spendengeldern. In der WDR-Mediathek abrufbar bis 21.12.2019.

Quelle: www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/lokalzeit-aachen/video-der-rollibauer-100.html

Zitiervorlage
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