Es kommt immer wieder vor, dass selbst schwerwiegende Fehlbildungen bei Neugeborenen pränatal nicht bekannt sind und auch nach der Geburt nicht sofort auffallen. Dies führt dann zu späten und – gar nicht so selten – falschen Entscheidungen, die unnötige und oft sehr schädliche Folgen nach sich ziehen.
Erst kürzlich wurde mir von einem Fall berichtet, dass bei einem Neugeborenen nach ambulanter Geburt darüber hinweggegangen wurde, dass die Fruchtwassermenge ungewöhnlich groß war und dass das erste Anlegen nicht gut gelungen war, weil das Neugeborene husten musste. Erst nach mehr als 24 Stunden und mehreren Stillversuchen mit starkem Husten und Erbrechen von schaumiger Milch wurde das Kind dann beim Kinderarzt vorgestellt. Bis es an der richtigen Stelle war, hatte es so viel Milch in der Lunge, dass es in sehr schlechtem Zustand operiert werden musste – wahrscheinlich mit lebenslangen Folgen.
Eines von 3.500 Neugeborenen
Die Ösophagusatresie (ÖA) liegt bei etwa jedem 3.500. Neugeborenen vor. In den meisten Fällen ist der Ösophagus unterbrochen mit einem oberen Blindsack, und es liegt eine Fistel-Verbindung des unteren Ösophagus mit der Trachea vor (Typ III b, siehe Abbildung 1). Weil die Feten das Fruchtwasser nicht trinken können, entsteht meist ein Polyhydramnion, das in vielen Fällen sogar zur Frühgeburt führt.
In einigen Fällen ist die ÖA mit anderen Fehlbildungen kombiniert, wie beispielsweise Herzfehlern, Wirbelsäulen- und Extremitäten-Fehlbildungen, Analatresie und Nierenfehlbildungen (sogenannte »VACTERL-Assoziation«). Auch bei Chromosomenstörungen kommt eine ÖA häufig vor, beispielsweise bei Trisomie 13 und 18. Bei den ÖA-Formen mit oberer Fistel (III a und III c) sind die Symptome sehr dramatisch und nicht zu übersehen, weil jeder Speichel und jede Nahrung sofort in der Lunge landen. Reine H-Fisteln mit durchgehendem Ösophagus werden oft erst relativ spät entdeckt, was sich kaum ändern lässt und schicksalhaft ist (siehe Abbildung 1).
Im Grunde könnte eine Ösophagusatresie pränatal diagnostiziert werden. Die Realität zeigt jedoch, dass viele Fälle nicht korrekt erkannt werden. In manchen Ländern – und früher auch hierzulande in vielen Kliniken – wird bei allen Neugeborenen der Magen sondiert, um eine ÖA auszuschließen. Das ist in dieser Form sicher nicht sinnvoll und für die allermeisten Neugeborenen eine unnötige, zwar nicht besonders gefährliche, aber doch belastende Untersuchung.
Wenn allerdings der Verdacht auf eine ÖA besteht, ist die Sondenprobe eine einfache und in den meisten Fällen auch hinweisende Untersuchung. Die Magensonde kann sich in dem Blindsack aufrollen oder sogar mit der Spitze nach oben wieder aus dem Mund ragen. Lässt sich kein saures Magensekret abziehen, obwohl die Sonde weit genug eingeführt wurde, besteht ein deutlicher Hinweis auf eine ÖA.
Gefahr einer Lungenentzündung
Neben dem Polyhydramnion haben Neugeborene mit einer Ösophagusatresie sehr schnell weitere Symptome: Sie können ja nicht schlucken. Das betrifft sowohl Speichel und Sekret wie auch Nahrung. Auch ohne Anlegen oder Füttern läuft der Blindsack des Ösophagus über und Sekret kann in die Lunge gelangen. Typischerweise hat das Neugeborene nach einigen Stunden dann schaumiges Sekret im und vor dem Mund. Nahrung wird unmittelbar oder nach kurzer Zeit unverdaut hochgewürgt oder erbrochen, meist mit Husten kombiniert. Es können schwerwiegende Atemnotzustände, Apnoen und Zyanose folgen.
Bei niedrigem Geburtsgewicht kommt noch die mangelnde Nährstoffzufuhr zum Tragen, irgendwann kann eine Unterzuckerung auftreten, was aber kein Frühsymptom ist (siehe Abbildung 2).
Bebeuteln oder Beatmen kann die Situation verschlechtern, weil durch die untere Fistel der Magen aufgebläht und dadurch der Lunge Platz genommen wird. Je mehr Fütterungsversuche unternommen wurden, desto mehr Nahrung gelangt in die Lunge. Dies führt in sehr kurzer Zeit zu einer kritisch verlaufenden Lungenentzündung, weil Nahrungsreste ein Nährboden für Bakterien sind und obendrein die feinen Atemwege verstopfen. Die ÖA muss zeitnah, aber nicht unmittelbar nach der Geburt operativ versorgt werden. Das kann also in aller Ruhe auch am zweiten Lebenstag geplant und durchgeführt werden. Ziel ist die OP innerhalb der ersten 48 Stunden.