Abbildung 1: Formen der Ösophagusatresie und Häufigkeit Quelle: Illing, Kinderheilkunde für Hebammen, 7. Aufl. 2022, S. 158

Eine Ösophagusatresie ist recht selten, kann aber übersehen werden, wenn die Anzeichen nicht richtig gedeutet werden – mit fatalen Folgen für das Neugeborene. Je länger das Kind in den ersten Lebenstagen ernährt wird, desto mehr Nahrung gerät dabei in die Lunge. Die Operation der Speiseröhre musst nicht unmittelbar nach der Geburt erfolgen, aber spätestens nach 48 Stunden. Eine erfahrene Klinik ist zu empfehlen.

Es kommt immer wieder vor, dass selbst schwerwiegende Fehlbildungen bei Neugeborenen pränatal nicht bekannt sind und auch nach der Geburt nicht sofort auffallen. Dies führt dann zu späten und – gar nicht so selten – falschen Entscheidungen, die unnötige und oft sehr schädliche Folgen nach sich ziehen.

Erst kürzlich wurde mir von einem Fall berichtet, dass bei einem Neugeborenen nach ambulanter Geburt darüber hinweggegangen wurde, dass die Fruchtwassermenge ungewöhnlich groß war und dass das erste Anlegen nicht gut gelungen war, weil das Neugeborene husten musste. Erst nach mehr als 24 Stunden und mehreren Stillversuchen mit starkem Husten und Erbrechen von schaumiger Milch wurde das Kind dann beim Kinderarzt vorgestellt. Bis es an der richtigen Stelle war, hatte es so viel Milch in der Lunge, dass es in sehr schlechtem Zustand operiert werden musste – wahrscheinlich mit lebenslangen Folgen.

Eines von 3.500 Neugeborenen

Die Ösophagusatresie (ÖA) liegt bei etwa jedem 3.500. Neugeborenen vor. In den meisten Fällen ist der Ösophagus unterbrochen mit einem oberen Blindsack, und es liegt eine Fistel-Verbindung des unteren Ösophagus mit der Trachea vor (Typ III b, siehe Abbildung 1). Weil die Feten das Fruchtwasser nicht trinken können, entsteht meist ein Polyhydramnion, das in vielen Fällen sogar zur Frühgeburt führt.

In einigen Fällen ist die ÖA mit anderen Fehlbildungen kombiniert, wie beispielsweise Herzfehlern, Wirbelsäulen- und Extremitäten-Fehlbildungen, Analatresie und Nierenfehlbildungen (sogenannte »VACTERL-Assoziation«). Auch bei Chromosomen­störungen kommt eine ÖA häufig vor, beispielsweise bei Trisomie 13 und 18. Bei den ÖA-Formen mit oberer Fistel (III a und III c) sind die Symptome sehr dramatisch und nicht zu übersehen, weil jeder Speichel und jede Nahrung sofort in der Lunge landen. Reine H-Fisteln mit durchgehendem Ösophagus werden oft erst relativ spät entdeckt, was sich kaum ändern lässt und schicksalhaft ist (siehe Abbildung 1).

Im Grunde könnte eine Ösophagusatresie pränatal diagnostiziert werden. Die Realität zeigt jedoch, dass viele Fälle nicht korrekt erkannt werden. In manchen Ländern – und früher auch hierzulande in vielen Kliniken – wird bei allen Neugeborenen der Magen sondiert, um eine ÖA auszuschließen. Das ist in dieser Form sicher nicht sinnvoll und für die allermeisten Neugeborenen eine unnötige, zwar nicht besonders gefährliche, aber doch belastende Untersuchung.

Wenn allerdings der Verdacht auf eine ÖA besteht, ist die Sondenprobe eine einfache und in den meisten Fällen auch hinweisende Untersuchung. Die Magensonde kann sich in dem Blindsack aufrollen oder sogar mit der Spitze nach oben wieder aus dem Mund ragen. Lässt sich kein saures Magensekret abziehen, obwohl die Sonde weit genug eingeführt wurde, besteht ein deutlicher Hinweis auf eine ÖA.

Gefahr einer Lungenentzündung

Neben dem Polyhydramnion haben Neugeborene mit einer Ösophagusatresie sehr schnell weitere Symptome: Sie können ja nicht schlucken. Das betrifft sowohl Speichel und Sekret wie auch Nahrung. Auch ohne Anlegen oder Füttern läuft der Blindsack des Ösophagus über und Sekret kann in die Lunge gelangen. Typischerweise hat das Neugeborene nach einigen Stunden dann schaumiges Sekret im und vor dem Mund. Nahrung wird unmittelbar oder nach kurzer Zeit unverdaut hochgewürgt oder erbrochen, meist mit Husten kombiniert. Es können schwerwiegende Atemnotzustände, Apnoen und Zyanose folgen.

Bei niedrigem Geburtsgewicht kommt noch die mangelnde Nährstoffzufuhr zum Tragen, irgendwann kann eine Unterzuckerung auftreten, was aber kein Frühsymptom ist (siehe Abbildung 2).

Bebeuteln oder Beatmen kann die Situation verschlechtern, weil durch die untere Fistel der Magen aufgebläht und dadurch der Lunge Platz genommen wird. Je mehr Fütterungsversuche unternommen wurden, desto mehr Nahrung gelangt in die Lunge. Dies führt in sehr kurzer Zeit zu einer kritisch verlaufenden Lungenentzündung, weil Nahrungsreste ein Nährboden für Bakterien sind und obendrein die feinen Atemwege verstopfen. Die ÖA muss zeitnah, aber nicht unmittelbar nach der Geburt operativ versorgt werden. Das kann also in aller Ruhe auch am zweiten Lebenstag geplant und durchgeführt werden. Ziel ist die OP innerhalb der ersten 48 Stunden.

Abbildung 2: Neugeborenes, vier Stunden alt. Charakteristisch ist der Austritt von schaumigem Speichel aufgrund der Ösophagusatresie. Quelle: Handbuch der Kinderheilkunde, Band IV, 1965, S. 857, Abbildung 288

Als Erstmaßnahme ist eine »Schlürfsonde« sinnvoll. Man verwendet dazu eine Magensonde, die mit der Spitze im Ösophagus-Blindsack platziert wird. Wichtig ist die gute Befestigung, beispielsweise am Nasenloch oder aber auch am Mund.

Die Sonde kann offengelassen werden, um Sekret und Speichel aus dem oberen Ösophagus-Stumpf laufend abfließen zu lassen. Darüber hinaus sollte in kurzen Abständen vorsichtig abgesaugt werden. Natürlich müssen Flüssigkeit und ein Mindestmaß an Kalorien durch eine Infusion ersetzt werden. Je nach Typ der ÖA und weiteren Faktoren wird die Operation mittels seitlicher Eröffnung des Brustkorbs oder thorakoskopisch und minimal-invasiv durchgeführt. In einzelnen Fällen lassen sich die beiden Enden des Ösophagus nicht spannungsfrei verbinden, so dass eine längere intensivmedizinische Behandlung und Folgeeingriffe nötig sind.

Nachsorge mit Expertise

Sehr viele kinderchirurgische Abteilungen bieten die Operation der ÖA an, führen diesen Eingriff aber nur einmal im Jahr oder sogar noch seltener durch. Da wundert es nicht, dass die Ergebnisse dann schlechter sind als in Kliniken, die häufiger solche Neugeborenen versorgen. Es geht ja nicht nur um die Operation an sich, sondern vor allem um die postoperative Versorgung und Pflege und die weitere Nachsorge.

Daher sollen und müssen die Eltern darüber informiert werden, dass sie lieber einen weiteren Weg in Kauf nehmen und ihr neugeborenes Kind in eine Klinik mit entsprechender Expertise verlegen lassen. Gute aktuelle Informationen dazu gibt es bei der Selbsthilfegruppe KEKS e.V. (> www.keks.org). Auch über alle anderen Aspekte der ÖA kann man sich über diese Adresse schnell und seriös informieren.

Praktisch alle Kinder mit ÖA haben eine Tracheomalazie: Die Luftröhre ist nicht nur durch die Fistel zum Ösophagus betroffen, sondern im mittleren Bereich weicher und gibt daher bei der (Ein- und) Ausatmung nach. Das führt zu charakteristischem Husten, manchmal auch zu schweren Atemnotzuständen. Sekret aus der Lunge kann nur schwer entleert werden.

Als Folge treten in den ersten Lebensjahren häufig langwierige Lungenentzündungen auf, was dann zu Strukturveränderungen der Lungen (Bronchiektasen) führt. In den meisten Fällen werden diese Lungenentzündungen zu spät erkannt und vor allem zu spät antibiotisch behandelt, so dass diese vermeidbaren Schäden auftreten. Folge ist eine schlechtere Lebensqualität und viel zu oft auch eine verminderte Lebenserwartung. Deshalb ist nicht nur die Operation, sondern vor allem auch die Nachsorge in einem ÖA-Zentrum mit ausreichender Expertise notwendig.

Was können wir daraus lernen? Wenn bei einem Neugeborenen ungewöhnliche Symptome auftreten, darf dies nicht ausgeblendet werden: Einmal in Ruhe nachdenken – und dann die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Wenn das nicht alleine und direkt gelingt, gilt es bei Expert:innen nachzufragen und sich Unterstützung zu suchen.

Zitiervorlage
Illing, S. (2024). Ösophagusatresie: Die Frühzeichen erkennen. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (5), 24–25.
Literatur
Illing, S. (2022). Kinderheilkunde für Hebammen, 7. Auflage, S. 157f.

Lacher, M. (2020). Kinderchirurgie für Pädiater, Berlin, S. 262 ff.

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