Abstraktion
Die völlig abstrakt verstandene, sehr elementar gedachte Skulptur »Three Forms« war eine der ersten Arbeiten, die Hepworth nach der Geburt ihrer Drillinge – immerhin schon im November 1934 – fertigstellte: drei kleine runde Alabasterformen, arrangiert mit einem kleinen Abstand zueinander. Sie wurden von Kunsthistorikern wiederholt als ihre Drillinge interpretiert, denn ihre Skulpturen basierten eindeutig weiterhin auf der menschlichen Figur. »Meine Arbeit schien eine andere Richtung einzuschlagen, obwohl die einzigen neuen Einflüsse die Ankunft der Kinder gewesen waren.« (Bowness, 2015) Alle Spuren des Naturalismus waren verschwunden.
Aus einem Torso wurde nun schlicht »Single Form«, wie sie später mal erläuterte, aus Mutter und Kind wurden »Two Forms« – und drei Torsi wurden dementsprechend »Three Forms«. Sie positionierte die drei Formen eng beieinander, zugehörig und in Beziehung, doch einzeln. Manche der runden Formen bekamen ein Loch, es konnte ein Auge, aber auch ein Mond oder einfach die Möglichkeit zur Durchsicht durch die Skulptur sein. Auch das Licht sollte hindurchfallen, was sie sehr bedeutsam empfand. Schließlich wurden das Außen und Innen einer Figur wichtig.
Sie hatte einen Hang zu runden Formen, die oft etwas in ihrem Inneren bargen.
»Es mag sein, dass das Gefühl, eine Frau zu sein, andere Schwerpunkte in der Kunst hervorbringt, weil es für sie eine große Spannweite von Wahrnehmungen gibt, die zur leiblichen Erfahrung gehört. So entspringen einige Ideen einer inneren Antwort auf Form. Eine Nuss in ihrer Hülle oder ein Kind in der Gebärmutter, oder die Strukturen des Wachstums in Muscheln und Kristallen, die versteckte Energie und Rhythmen von Holz und Stein, und die pure und freundliche Qualität von reflektiertem Licht auf der Oberfläche auf natürlichen Materialien, was Vitalität ausstrahlt.« (Bowness 2015)
Der Künstlerin gefiel die Geste des Umarmens lebender Dinge. Und sie wollte die elementaren Kräfte von Fruchtbarkeit und menschlicher Wärme widerspiegeln. Ihr dominantes Gefühl dabei war immer die Liebe zu Mensch und Natur, und die Liebe zur Skulptur an sich.
Sicher leben in Cornwall
Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, zog die Familie auf Rat eines Freundes nach Carbis Bay in Cornwall bei St. Ives. Dort konnten die Kinder sicherer leben. Es war eine schöne Zeit. Es wurde viel gelacht. Barbara konnte zunächst nur wenig zeichnen und bildhauern. Der Tag war ausgefüllt damit, Essen zu besorgen und die Kinder zu versorgen, nebenbei einen kleinen Kindergarten bei sich zu führen, um zusätzlich Geld zu verdienen. Sie pflückten Salat in den Hecken und sammelten Pilze in den Wäldern. Ihr Studio war im Gegensatz zu dem von Ben ein großes Durcheinander von Kindern, Steinen, Skulpturen, Baumstämmen, Blumen und Wäsche. »Wir lebten ein arbeitsames Leben und in dieser Atmosphäre wuchsen die Kinder auf, inmitten von Staub und Dreck und Farbe und allem möglichem. Sie waren Teil davon.« (Bowness 2015)
1943 zogen sie in ein etwas größeres Haus, in dem beide Platz für ihre künstlerische Arbeit hatten. Das Bildhauen diszipliniere sie, dafür sei sie dankbar. Es half ihr auch bei Sorgen, wenn die Kinder krank waren: »Alle meine Gedanken über Krankheiten, Ängste flossen da rein.« Sie könne Probleme nur verarbeiten, wenn sie in eine neue Form einer Skulptur fließen. »Unsere Bildhauerarbeit nahm zu und die Kinder wuchsen. Bald bemerkten wir, dass sie fast zehn Jahre alt waren und freier sein mussten. Man konnte ihnen nicht länger sagen, dass sie Gasmasken tragen mussten und nicht alles anfassen durften.«
Alles sollte sich dramatisch ändern: Es kam zu Problemen, 1950 zog sie allein – und für immer – in das Trewyn-Studio, das sie 1949 eigentlich zum Arbeiten in St Ives gekauft hatte. 1951 wurde die Ehe geschieden. »Nach 20 Jahren Familienleben, fiel alles auseinander. Was ich nicht wahrnahm damals, weil ich zu müde oder dumm war oder beides, es platzten Haus und Familie aus allen Nähten. Drei Kinder im selben Alter, die immer alles zur selben Zeit wollen, aber unterschiedliche Bedürfnisse haben. Das war ein Problem für sie, wie für Ben und mich. Es ist gut, dass man, vielleicht, nicht die Tragödie vorhersieht.« (Hepworth, 1970).
Wendepunkt
Im Rückblick schrieb Barbara Hepworth 1970: »Freunde sagten mir oft, dass es unmöglich ist, sich der Kunst zu widmen und gleichzeitig Heirat und Kinder zu genießen. Das ist nicht wahr. Ich hatte jahrzehntelang ein wundervolles Familienleben. Aber ich will gestehen, dass die Diktate der Arbeit so zwingend für eine Frau sind wie für einen Mann.« (Hepworth, 1970) 1953 noch ein Schicksalsschlag: Ihr Sohn Paul, inzwischen ein Kampfflieger, verunglückte bei einem Flugzeugabsturz. 1954 fertigte sie für ihn eine Madonna mit Kind für die Parish Church in St. Ives an – mit Kerzenhaltern davor, die wie Propeller gestaltet sind. Dort steht sie bis heute.
Es folgten arbeitsame Jahre in St. Ives. Sie fand Inspiration in der hügeligen Landschaft, in den Felsen, in der Natur und dem Meer. Die Arbeit, die Natur und die Gemeinschaft der kleinen Stadt gaben ihr Kraft, sie wurde enorm erfolgreich. 1965 wurde sie zur Dame Commander of the British Empire geadelt und schon zu Lebzeiten als eine der bedeutendsten Künstler:innen Englands geehrt. Zusammen mit Moore gilt sie als Vorreiterin der Moderne.
Neues Glück
Neues Glück kam durch die Enkelkinder. Sie liebte es, Großmutter zu sein, ohne die schlaflosen Nächte und Sorgen, was das Beste für die Kinder sei. »Ich denke, Enkel betrachten die Großeltern wie einen Stein am Strand oder einen geliebten Baum im Garten, wie einen kleinen Teil der Landschaft.« Formen, die ihr unterwegs begegneten, triggerten noch lange eigene Erfahrungen rund um das Muttersein. Noch um 1970 schrieb sie: »Wenn ich eine Frau, schwanger, die Straße entlang gehen sehe, fühle ich mich schwanger.«
Ein berührender Brief an Ben Nicholson von 1969 befindet sich in der Tate Gallery in London (s. Link): Als ihr Exmann Ben dort 1969 eine Einzel-Ausstellung hatte, gratulierte sie ihm, bedankte sich bei ihm für die Jahre mit ihm und versicherte ihm ihre fortwährende Liebe, die noch genauso groß sei wie damals, als sie die Drillinge bekamen. 1970 gestaltete sie die berühmte Gruppe von Figuren, Eltern mit ihren Kindern: »Family of Man«. Jeder Mensch solle sich mit den Skulpturen identifizieren können, wünschte sie sich.
Den Tastsinn einsetzen
1972, in ihrem Todesjahr, bildhauerte Barbara Hepworth mit ihren Assistenten – bereits an Krücken und krebskrank – noch einmal das Mutter-Kind-Thema: »Child with Mother« aus weißem Carrara-Marmor. Eine querovale Form mit einem großen Loch liegt vor einer aufrechten Figur mit einem ovalen Loch. Aus diesem Material entstand im selben Jahr auch »Two Forms«, dasselbe meinend: zwei weiße, leicht unregelmäßig geformte, sich oben verbreiternde Ovale aus weißem Marmor, nah beieinander, elegant und wunderschön.
Man möchte sie anfassen und das empfahl die Künstlerin auch: Um Skulpturen zu verstehen, müsse man den Tastsinn einsetzen, den ersten Sinn, mit dem man auf die Welt kommt. Die anderen damals von ihr bestellten Carrara-Steine liegen nach wie vor in ihrem Studio in St. Ives – unberührt von ihr – und daher auch unberührt von anderen Händen.