Der weibliche Körper bietet potenziell die Möglichkeit, ein Kind auszutragen und zu gebären. Darüber hinaus scheint es Faktoren zu geben, die den Geburtsprozess beeinflussen, auch wenn keine zu erkennende Pathologie vorliegt.
Während der Geburt sehen und hören wir die Gebärende vertieft atmen, stöhnen und manchmal schreien. Wir beobachten Beckenbewegungen und Trancezustände, die – wenn man sie vorurteilsfrei beachtet – an sexuelle Erregung erinnern. Dabei ist zu beobachten, dass Frauen unterschiedlich in diesen Prozess hineinfinden und verschiedene Verhaltensweisen zeigen. Beispielsweise bewegt sich eine Frau während der Wehen, eine andere eher in den Pausen. Manche Frauen halten einen hohen Muskeltonus, während andere maximal entspannen. Einige Frauen finden leicht in eine vertiefte Atmung und andere schwer. Im Zusammenhang mit dem Geburtsbeginn ist eine Veränderung der Vagina durch Schwellung des Introitus und durch Lubrikation feststellbar, die der Veränderung bei sexueller Erregung gleicht.
Sexualität und Geburt
Der Geburtsvorgang scheint in der gesellschaftlichen und geburtshilflichen Wahrnehmung völlig losgelöst von sexuellen Vorgängen. Die Gebärkompetenz der individuellen Frau, bezogen auf ihre sexuelle Verhaltens- und Reaktionsweise, wurde deshalb bisher kaum thematisiert. Obwohl Sexualität ein Grundmotiv des Lebens ist und es nicht einleuchtet, warum der Geburtsvorgang eine Ausnahme davon sein sollte, scheint die sexuelle Dimension einer Geburt ein Tabuthema in der Geburtsmedizin zu sein.
Dabei gilt Sexualität als erstrangiges Motiv für menschliches Verhalten. Sie unterstützt den Aufbau und die Aufrechterhaltung von Beziehungen, die Selbstbestätigung und die Generativität. Sexualität steht in Interaktion mit emotionalen Zuständen. Mit ihrer Verankerung im Biologischen stellt sie eine spezifische Möglichkeit des Erlebens und Verhaltens dar. Sexualität ist weder als ausschließlich biologische Körperfunktion, noch als rein psychische Funktion zu begreifen. Das Ineinandergreifen von biologischen und psychologischen Vorgängen ist für die Erlebnisebene genauso wichtig wie für die Entstehung neuer Generationen. Anatomische, physiologische, genetische, hormonelle sowie biochemische Faktoren spielen ebenso eine Rolle wie Emotionen, Fantasien, Kognition und Erfahrungen (Strauß, 2001).
Sucht man in den Sexualwissenschaften nach Zusammenhängen zwischen Sexualität und Geburt, wird ausschließlich auf die reproduktive Funktion, also den biologischen Fortpflanzungsakt verwiesen. Libido – im Sinne einer sexuellen Lust oder Energie – und Geburt werden auch hier bisher in keinem Zusammenhang gesehen.
Einzig Helene Deutsch hat als Psychoanalytikerin, Forscherin und Mutter bereits 1925 Zusammenhänge zwischen der weiblichen Sexualität und Schwangerschaft, Geburt sowie Stillen benannt. Sie analysierte und integrierte das Erleben dieser Lebensprozesse und sah im Geburtsakt den Höhepunkt der weiblichen sexuellen Libido (Deutsch, 1925).
Der Geburtsvorgang wird bisher in der Geburtsmedizin und den Sexualwissenschaften unter mechanisch-technischen Aspekten betrachtet. Entsprechend dieser Anschauungsweise werden für geburtshilfliche Probleme auch Lösungen in mechanischen und technischen Angeboten gefunden. Dies ist beispielsweise zu beobachten beim Einsatz von Kristellermanöver, Vakuumextraktion, Forzeps, Sectio caesarea oder der chirurgischen Erweiterung der Geburtswege. Auch Medikamente mit den Wirkstoffen Oxytocin, Misoprostol (Cytotec), Fenoterolhydrobromid (Partusisten) und andere werden dem mechanischen Verständnis entsprechend eingesetzt. Von den chemischen Reaktionen wird erwartet, den Vorgang Geburt in Gang zu setzen, zu beschleunigen, zu verlangsamen oder zu optimieren.
Fruchthalter, Brutraum, Geburtskanal
Die Gebärmutter, der physische Geburtsweg und das zu gebärende Kind wurden in der Geschichte der Geburtsmedizin im deutschsprachigen Raum in der Fachliteratur mit verschiedenen Bezeichnungen beschrieben. Justine Siegemundin spricht 1752 in ihrem »höchst nötigen Unterricht« noch von der Gebärmutter als Mutter und der Frauen Leib: »Wenn die Geburt hart ist, und keine andere Ursache der harten Geburt vorhanden, als die Enge und Strengigkeit des Leibes, nehmlich des vorderen Schoß, so musst du der Frauen Zeit lassen …« Bei der Beschreibung normaler und auch pathologischer Geburtsverläufe nennt sie konkret das Kind: »Mein allererstes Kind, welches ich ausbaden oder greiffen helffen, war ein Kind, dass mit dem Arm und Händlein …« (Siegemundin, 1992:15, 34).
Im Preußischen Hebammenlehrbuch 1912 wird die Gebärmutter als dickwandiger Muskel mit der Gestalt einer plattgedrückten Birne beschrieben und die Scheide als dehnbarer Gang, dessen Wand auch Muskeln enthält. »Das Kind nimmt an seiner Geburt keinen tätigen Anteil (S.154)« und wird zum Teil als Frucht bezeichnet (Hebammen-Lehrbuch 1920, S. 288)
Im Hebammenlehrbuch von 1955 ist von Fruchthalter, Brutraum und röhrenförmigem Geburtskanal die Rede (Schröder 1955, S. 252, 267). Die Frucht, das Geburtsobjekt, der Kopf und das Kind werden im Zusammenhang mit dem Geburtsablauf auch Fruchtwalze genannt (Schöder 1955: 254–265). Im Jahr 1990 stellt man sich die Scheide als eine schlauchförmige Verbindung zwischen den äußeren und inneren Geschlechtsorganen vor, ein Passageorgan, dessen Muskulatur längsförmig und zirkulär angeordnet, zu kräftigen Kontraktionen fähig ist und zusammen mit dem kleinen Becken den mütterlichen Geburtskanal bildet, welches als »Weichteilansatzrohr« auch ein Geburtsknie beinhaltet. Das Kind wird als Geburtsobjekt beschrieben (Martius 1990, S. 307).
Frucht und Kindsteile
Im aktuellen Lehrbuch der Hebammenkunde aus dem Jahr 2020 wird die Vagina als dünnwandiger, circa 10 cm langer bindegewebsartiger Schlauch und die Gebärmutter als dickwandiges muskuläres Hohlorgan von abgeflachter birnenähnlicher Form beschrieben (Stiefel et al. 2020). Der weiche Geburtsweg bestehe aus dem unteren Uterinsegment, Zervix, Vagina, Beckenboden und Vulva. »Um aus der Vagina auszutreten, muss der Kopf jetzt das Knie des Geburtskanals überwinden« (Stiefel et al., 2020, S. 479). Es ist durchgängig vom Kind und von Kindsteilen die Rede.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Darstellung der Gebärmutter, des Geburtsweges und des Geburtsobjektes in der Fachliteratur im 20. Jahrhundert lässt das weibliche Becken eindrücklich als Verkehrsweg für ein Objekt erscheinen. Das drückt sich auch heute noch aus durch die häufig genutzte Bezeichnung Geburtskanal.
Erotische Potenziale
Anatomische Zeichnungen entstehen in der Regel durch die Betrachtung toter Körper. So bleibt der lebendige Prozess des Gebärens unsichtbar. Ausgehend von der Hypothese, dass das Gebären einen Teil der weiblichen Sexualität darstellt, schauen wir uns das Becken nun genauer in seiner Lebendigkeit an.
Die Vagina dehnt sich von unerregt 8 bis 10 cm auf 10 bis 15 cm im erregten Zustand. Unerregt berühren sich Vorder- und Rückwand, während bei sexueller Erregung durch vermehrte Durchblutung und Schwellung ein Raum entsteht. Während das dem Ausgang nahe Drittel von Beckenbodenmuskulatur umfasst ist, kann sich die tiefere Region entfalten und ausbreiten.
Der G-Punkt, benannt nach dem Arzt und Forscher Ernst Gräfenberg, bezeichnet einen sensiblen Bereich etwa mittig zwischen Venusbein und Zervix ventral in der Vagina. Da nicht alle Forscher:innen diese Struktur nachweisen konnten, ist sie nach wie vor umstritten. Dieser Punkt wurde auch als Klitoris-Urethra-Vagina-Komplex benannt, was darauf hinweist, dass es sich im Lagegebiet um eine hochkomplexe Struktur handelt. Sie beinhalten: vordere Scheidenwand, Urethra, Skene-Drüsen, vestibuläre Drüsen, Bartholin-Drüsen, Beckenbodenmuskulatur, Bindegewebe und eventuell auch Klitorisanteile. Nicht alle Frauen empfinden die Stimulation dieser Region als angenehm, während manche berichten, dass sie nur durch die Stimulation dieser Zone zum Orgasmus kommen. Im Zusammenhang mit der Stimulation dieses Bereiches berichten Frauen von Druckgefühlen. Bei einem Orgasmus kommt es zu einer Lageveränderung der Zervix in Richtung Vagina, ausgelöst durch die Stimulation des G-Punkts (Komisaruk et al., 2012).
Die erogene Zone anterior unmittelbar vor der Zervix wird als A-Punkt bezeichnet (Anterior Fornix Erogenous Zone). Diese ventrale Vertiefung entsteht durch die in die Vagina hereinragende Zervix und wird auch als vorderer Fornix bezeichnet. Eine direkte Stimulierung des A-Punktes bewirkt, dass die Vagina sofort feucht wird, und es können heftige Kontraktionen bei einem derart provozierten Orgasmus hervorgerufen werden (Morris, 2004).
Ein erotisches Potenzial wird auch dem U-punkt zugeschrieben. Hierbei handelt es sich um schwellfähiges Gewebe direkt seitlich und oberhalb der Harnröhrenöffnung, welches bei zärtlicher Berührung starke Reaktionen hervorruft. Die weibliche Harnröhre ist von Skene-Drüsen umgeben, die funktional der männlichen Prostata ähneln. Bei starker Erregung produzieren sie eine alkalische Flüssigkeit, die chemisch dem männlichen Ejakulat ähnelt und mit mehr oder weniger Druck aus der Harnröhre fließen oder schießen kann. Das weibliche Ejakulat kann wenige Tropfen, aber auch einige Milliliter umfassen und wird nicht selten mit Urinabgang verwechselt (Morris, 2004).
Durch das Hereinragen der Zervix in die tieferen Bereiche der Vagina entsteht eine Art Gewölbe, das bei Druck die Lubrikation der Scheide befördert. Wird das Scheidengewölbe stimuliert, kann das zu orgastischen Kontraktionen des Uterus führen. Die Stimulation der Zervix kann jedoch auch unangenehm und schmerzhaft wahrgenommen werden, weil sie die umgebenden sensiblen Faszien ruckartig dehnt. Andererseits berichten Frauen von der Erfahrung eines intensiveren Orgasmus und einer höheren Wahrscheinlichkeit, zum Orgasmus zu gelangen, durch Stimulation der Zervix (Komisaruk et al., 2012).
Die Klitoris ist ein komplexes Gebilde und ragt unter der allgemein bekannten Glans clitoridis tief in den Körper hinein. Ihre Strukturen sind durch Bindegewebe mit dem Venushügel, dem Venusknochen, den Venuslippen, der Vagina und der Harnröhre verbunden. Der Form nach eine Wünschelrute, umfasst sie mit ihren Schenkeln (Crus clitoridis) und Schwellkörpern (Corpus cavernosum clitoridis) seitlich die Harnröhre und die Vagina. Die Klitoris kann eine Erektion entwickeln vermittelt durch die vermehrte Durchblutung des Gewebes bei sexueller Stimulation. Das verwundert nicht, denn die Klitoris und der Penis entwickeln sich aus den gleichen embryonalen Strukturen. Der äußere sichtbare Teil der Klitoris (Glans clitoridis, auch Kitzler genannt) besteht im Wesentlichen aus Nervenfasern und ist teilweise von einer schützenden Kappe bedeckt. Sie soll erheblich sensibler sein als das männliche Pendant (Komisaruk et al., 2012).
Lust- und Schmerzempfinden ähneln sich
Bei genauer Betrachtung des weiblichen Beckens in seiner Empfindsam- und Reaktionsfähigkeit dürfen wir uns fragen, ob und welche Empfindungen und Reaktionen während der Geburt eines Kindes aktiviert werden und wie sie sich auswirken.
Vier verschieden Nerven leiten die Empfindungen vom weiblichen Genital zum Gehirn. Jeder Nerv ist doppelt vorhanden, rechts und links. Nervus (N.) Pudendus, N. Pelvicus und N. Hypgastrus leiten zum Rückenmark. Der N. Vagus steht unter Umgehung des Rückenmarks in direkter Verbindung zum Gehirn. Die Zervix ist mit dem N. Hypogastrus, N. Pelvikus und N. Vagus verbunden, die Vagina hauptsächlich mit dem N. Pelvikus und die Klitoris mit dem N. Pudendus (Komisaruk et al., 2012).
Die Umgehung des Rückenmarks bei der Übertragung von sexuellen Empfindungen erklärt die zervikale Empfindlichkeit und die Möglichkeit eines Orgasmus trotz Rückenmarksverletzungen. Weiter lässt sie Rückschlüsse auf eine medizinisch bisher nicht anerkannte, aber zentrale Beteiligung des N. Vagus an der weiblichen sexuellen Empfindung zu. Mindestens zwei Hirnregionen (Insula und Gyrus cinguli) zeigen eine erhöhte Aktivität bei Schmerzen und beim Orgasmus. Wie das Gehirn im Detail zwischen Lust und Schmerz unterscheidet, ist bisher nicht bekannt. Der Gesichtsausdruck des Menschen ähnelt sich während eines Orgasmus und empfundenen Schmerzen. Erwiesen ist, dass Frauen eine Reduzierung der Schmerzempfindsamkeit während vaginaler Selbststimulation erfahren (Komisaruk et al., 2012). Alle genitalen Sinnesreize führen letztlich in die Gehirnregionen, insbesondere zum Paraventrikulären Nukleus (Nervenbündel im Hypothalamus). Hier wird der größte Teil des körpereigenen Oxytocins gebildet (Odent, 2011).
Vermutet wird, dass Oxytocin aus dem kindlichen Hypophysenhinterlappen zum Beginn und zum Unterhalt der Wehen beiträgt, während mütterliches Oxytocin erst mit einem zunehmenden Druck auf die Dehnungsrezeptoren in Zervix und Vagina reflektiv im Hypophysenhinterlappen vermehrt ausgeschüttet wird und so den Geburtsfortschritt fördert (Ferguson, 1941). Dieser Prozess ist als Ferguson-Reflex bekannt geworden.
Die international bekannte Hebamme, Autorin und Forscherin Elizabeth Davis führt an, dass die Stimulation des G-Punktes während der Geburt durch den Hinterkopf des Kindes eine orgasmische Geburt wahrscheinlich mache. Voraussetzung dafür sei, dass die Frau ihre Position selbst sucht und Druck nur ausübt, wenn sie es braucht. An diesem Punkt sei es wichtig, dass sich die Vagina bis zur ultimativen Kapazität ausdehne (Davis, 2018).
Der Geburtshelfer Michel Odent beschreibt den Fetus-Ejektion-Reflex als eine kurze Serie unaufhaltsamer Kontraktionen (analog zum Orgasmus), mittels derer das Kind geboren wird, sofern dieser Prozess nicht durch äußere Einflüsse insbesondere aller Stimulantien des Neocortex wie Ansprache, Licht, Beobachtung und auch unbewusst wahrgenommene Bedrohung unterbunden wird. Hier schließt sich ein Kreis. Helene Deutsch erkennt als Psychoanalytikerin: So wie der erste Akt (Geschlechtsverkehr) Elemente des zweiten (Geburt) enthält, ist auch der zweite von Elementen des ersten durchtränkt (Deutsch, 1925).
Eine große Kraft
In Expertinneninterviews zum Thema »Gebären – ein Teil der weiblichen Sexualität« wurde der Zusammenhang zwischen sexuellem Erleben und Geburtsprozess von fünf der sechs befragten Mütter nicht direkt hergestellt (Mülstegen, 2021). Er zeigte sich erst, dann aber deutlich, bei der konkreten Nachfrage bezogen auf Gefühle, körperliche Empfindungen, Zeitgefühl und Befriedigung während sexueller Aktivität und der Geburt des Kindes.
Der spontan zunächst nicht hergestellte Zusammenhang zwischen sexuellem Erleben und Geburt verwundert nicht, denn in unserem patriarchal geprägten Kulturkreis sind Frauen daran gewöhnt, mit einem distanzierten Blick von außen naturwissenschaftlich-technisch auf die weiblichen Prozesse zu schauen. So sind viele Gebärende beispielsweise informiert über die Geburtsmechanik, die Atemtechnik und die erwartete Muttermunderöffnung, aber nicht über ihre innerlich empfindbaren Prozesse und Bedürfnisse.
Als verbindendes Element bei der sexuellen Begegnung und analog bei der Geburt benannten die Interviewpartnerinnen eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Partner und während der Geburt zu ihrem ungeborenen Kind und anderen Anwesenden. Sie führten das Bedürfnis nach einem geschützten Raum an (Sichtschutz, Störungsfreiheit), als Voraussetzung für die Hingabe in der sexuellen Begegnung und beim Gebären des Kindes. Die Interviewpartnerinnen schilderten ein aktives Loslassen und ihren Körper tätig sein lassen während der Geburt und bei sexueller Aktivität. Sie ließen sich bewusst auf den Prozess ein, entspannten sich gleichsam aktiv in ihn hinein.
Des Weiteren erlebten sie einen Trancezustand und beschrieben ihn mit folgenden Worten: den Kopf ausschalten, in einem veränderten Zeitempfinden, abwesend anwesend, präsent, in mir, Kontrollverlust, etwas Göttliches spüren.
Ein Druck wurde benannt anstelle von Schmerzen, eine große Kraft, verortet tief im Körper, gespürt als gerichteten Energiefluss, der sich einen Weg durch ihren Körper bahnt. Dieser Druck erschien nicht als Pressdruck oder Dehnungsdruck auf den Beckenboden.
Nach der Geburt ihres Kindes fühlten sich die Frauen tief befriedigt. Sie beschrieben diesen Zustand als Glück, Erleichterung, etwas Friedliches und einen großen Stolz, ruhig und entspannt, ein Gefühl der Partnerschaftlichkeit, des Einsseins, pure, reine Freude, Leichtigkeit und Entspannung.
Bei näherer Betrachtung erleben Gebärende also Aspekte ihres Gebärens analog zu ihren sexuellen genitalen Erfahrungen. Das Bedürfnis nach Sicherheit, Verbundenheit und Vertrauen zeigt sich als Voraussetzung für aktive Hingabe. Das Gebären und damit die körperliche Öffnung geht einher mit einem tranceähnlichen Zustand und einer tiefen Befriedigung nach der Geburt des Kindes.
Die körperliche Zuwendung zum Kind und die aktive Öffnung der Frau stellen das kindliche Überleben sicher. Nach der Geburt wird das Kind natürlicherweise mit der mütterlichen Brust genährt und durch ständig wiederholte Pflegehandlungen berührt. Beides wird optimal in einem liebevoll zugewandten Kontext durch Blickkontakt und Ansprache begleitet. Ein Kind in dieser Qualität zu versorgen und die Entwicklungsschritte zu begleiten, braucht Energie (Potenz), Motivation (Begehren) und Zeit.
Der weibliche Körper ist durch seine geschlechtliche Entwicklung und die Tätigkeit des Gebärens, vermittelt durch neuroendokrine Vorgänge, optimal darauf vorbereitet, diesen Beitrag aktiv zu leisten. So gesehen, kann von dem in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Libidoverlust während der Schwangerschaft und nach einer Geburt keine Rede sein. Die Präsenz der Libido scheint zuweilen für eine begrenzte Zeit verlagert, definiert durch die Bedürfnisse des Säuglings und die energetischen Ressourcen der Frau, vom erwachsenen Sexualpartner, zugunsten der liebevollen und umsichtigen Versorgung des Kindes. Dies ist sinnvoll, denn die abgezogene Aufmerksamkeit vom Ungeborenen und Säugling bedroht potenziell seine Entwicklung auf allen Gebieten: körperlich, emotional und sozial.
Weitab von verklärter Romantik lässt sich die erforderliche Zuwendung zum Kind in Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit psycho-, neuro- und endokrinologisch beschreiben. Die Deutung einer verminderten Hinwendung zum Sexualpartner nach einer Geburt als Libidoverlust der Frau entlarvt sich als patriarchale Interpretation und verkennt die weibliche Potenz der Frau, die sich auch im Gebären und Stillen auszudrücken vermag.
Ausblick
Obwohl Sexualität ein Grundmotiv des Lebens ist und es nicht einleuchtet, warum der Geburtsvorgang eine Ausnahme davon sein sollte, stellt die sexuelle Dimension der Geburt heute noch ein Tabuthema in den Wissenschaften dar. Da die neuroendokrinen Prozesse einer Geburt den Prozessen genitaler sexueller Aktivität ähneln und zum Teil gleichen, und das Intimitätsbedürfnis, die Äußerungen und das Verhalten der Gebärenden sexuelle Aktivität nahelegen, ist zu wünschen, dass das Thema Eingang findet in die Hebammenforschung, die Sexualwissenschaften und die Geburtsmedizin. Damit eröffnet sich die Perspektive, weitere Dimensionen des Gebärens und der Frauengesundheit zu erschließen und unsere Haltung und unser Handeln entsprechend zu reformieren.