Eingetragene Beratungsstellen wie beispielsweise pro familia führen ein legales Register, in dem alle Ärztinnen und Ärzte genannt sind, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ist das als Informationszugang für die Frauen nicht ausreichend?
Ich finde die Listen nicht verkehrt. Und dass Beratungsstellen wie etwa pro familia hilfesuchenden Frauen Informationen geben, ist eine gute Idee. Das hat für mich jedoch nichts damit zu tun, dass ÄrztInnen nicht auf ihre eigenen Angebote hinweisen sollten.
Ein wenig skeptisch bin ich mit bundesweiten Listen, da die Atmosphäre mit den GegnerInnen des Schwangerschaftsabbruchs derzeit durch Mahnwachen, Klagen und Denunziationen eine denkbar schlechte ist, um sich als Arzt oder Ärztin öffentlich auf eine solche Liste setzen zu lassen. Lokal sollte es sie geben, aber das hat nichts mit den individuellen Internetseiten der ÄrztInnen zu tun. Frauen informieren sich heute über das Internet und somit sollten Information auch dort zugänglich sein.
Denken Sie, es hat einen Einfluss, wie frei sich Frauen informieren können? Ist es wichtig, unabhängig von Beratungsstellen googeln zu können, wer Schwangerschaftsabbrüche anbietet?
Das ist eine wichtige Frage, und genau so sehe ich es. Es ist wichtig, dass Frauen sich frei informieren können. Wenn sie feststellen, dass sie schwanger sind, vor allem überraschend und ungewollt, dann ist es eine Ausnahmesituation mit einem engen Zeitfenster. In diesem Fall schauen sehr viele im Internet nach Möglichkeiten. Gefährlich ist es, dass viele von ihnen auf den bluttriefend animierten Websites der GegnerInnen des Schwangerschaftsabbruchs landen. Das ist in einer solchen Situation psychisch nicht ungefährlich und kann traumatisieren. Wenn wir im Internet schreiben, dass wir Schwangerschaftsabbrüche durchführen, signalisieren wir damit auch, dass wir bereit sind, Frauen in einer solchen Situation zu begleiten. Leider erleben Frauen immer wieder die moralische Einflussnahme von Ärztinnen und Ärzten auf ihre Entscheidung. Steht ihnen die Information frei zur Verfügung, bietet es den Frauen mehr Sicherheit, nicht in eine solche Situation der Entmündigung zu geraten. Für mich ist es also auch ein Signal zu sagen: Wir sind offen, zu uns können Sie in dieser Not kommen.
Es stellt sich die Frage, was das für ein Frauenbild ist, das unterstellt, Frauen würden vermehrt oder leichtsinnig Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen, wenn ihnen die Informationen zu praktizierenden ÄrztInnen frei zur Verfügung stehen.
Diese Vorstellung ist vollkommen absurd und widerspricht jeder Erfahrung, die ich als Frauenärztin gemacht habe. Das Frauenbild, was hinter dieser Sorge steckt, ist sehr bedenklich, es zeichnet ein Bild von dummen, leicht verführbaren Weibchen – und ich verwehre mich dagegen. Der Slogan »Frauen trauen« – »trust women« – ist etwas Zentrales und Wichtiges. Frauen sind durchaus in der Lage, diese Entscheidung verantwortungsvoll für sich selbst zu treffen.
Darüber gibt es bereits wissenschaftliche Untersuchungen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat eine umfangreiche Studie zu diesem Thema vorgelegt. Die Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, sind zu einem Großteil bereits Mütter. Sie können somit einschätzen, was es heißt, ein Kind zu bekommen. Ich denke, der überwiegende Teil der Frauen lässt einen Abbruch nicht leichtfertig durchführen. Jedoch gibt es nichts, was es nicht gibt. Sicherlich gibt es auch Frauen, die das ohne große Moral »durchziehen«. Und auch darüber möchte ich nicht urteilen. Als Ärztin erachte ich es als wichtig, die Frauen nicht nur medizinisch gut durch diese Situation zu begleiten, sondern auch so, dass sie psychisch keinen Schaden nehmen. Merke ich, dass eine Frau sehr ambivalent ist, dann verabreden wir noch weitere Gespräche. Es gibt durchaus Verläufe, in denen sich Frauen doch noch für das Kind entschieden haben. Und das sind gute Prozesse.
Die gesellschaftliche und politische Debatte um den § 219a ist groß. Welche Angst steht Ihrer Meinung nach dahinter und warum wird er von einigen Menschen so vehement verteidigt?
An der Basis geht es dabei um Geschlechterkampf, um Antifeminismus. Selbsternannte LebensschützerInnen sind weltweit vernetzt und gewinnen zunehmend an Macht, die nicht zu unterschätzen ist. Ihr Ziel ist, dass keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vorgenommen werden. Dabei geht es nicht um das Leben des ungeborenen Kindes. Sie haben keine Konzepte, wie gesellschaftlich mit ungewollten Kindern umgegangen werden könnte, außer vielleicht, sie zur Adoption freizugeben. Es geht vielmehr darum, dass Frauen nicht selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden sollen. Einer derjenigen, die uns angezeigt haben, Klaus Günter Annen, betreibt die Website »Babycaust«. Dort vergleicht er die Ermordung der ungeborenen Kinder mit dem Holocaust. Seine Anzeigen gegen uns ÄrztInnen sammelt er wie Trophäen auf seiner Website. Jede angezeigte Person ist dort aufrufbar und die jeweiligen Anzeigedokumente können eingesehen werden. Bei der jüngsten Anklage gegen die Berliner Kollegin Bettina Gaber schreibt er den Satz: »Wenn sich unser Rechtssystem dem feministischen Druck beugt, dann wird bald das Chaos herrschen.« An dieser Stelle wird der Geschlechterkampf besonders deutlich.
Können Sie die Position der sogenannten LebensschützerInnen auch nachvollziehen?
Ich verstehe Aussagen wie: »Wir schützen Leben von der Zeugung bis zum Tod.« Das ist etwas, was auch tief in mir steckt. Ich freue mich über jedes Kind, das geboren wird. Aber jeder Mensch muss diese Entscheidung für sich selbst treffen, das lernt man als Ärztin. Ich führe gerne eine moralisch-philosophische Debatte darüber, wann Leben entsteht, aber für mich sind das getrennte Dinge: In meiner Arbeit nützt meine persönliche Ansicht der Frau nichts. Das gilt nicht nur bei einer ungewollten Schwangerschaft, das ist bei Krebsbehandlungen und vielen weiteren Themen genau dasselbe. Ich muss manchmal schlucken, dass die Frauen sich anders entscheiden, als ich es ihnen raten würde.
Denken Sie, die Selbstbestimmung einer Frau erlaubt es ihr, ganz alleine zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommen möchte?
Ja, in jedem Fall. Es ist sehr wichtig, dass es die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung gibt. Solange ein zeugungsfähiger Mann mit einer fruchtbaren Frau Sex hat, wird es immer auch ungewollte Schwangerschaften geben. Das ist nicht zu verhindern. Es sollte kostenlosen und freien Zugang zu Verhütungsmitteln geben, gute Sexualaufklärung in den Schulen und eine Gleichheit der Geschlechter. Eine Begegnung von Mann und Frau auf Augenhöhe ermöglicht eine Kommunikation über das Thema und verhindert auch, dass ungeschützte Sexualität stattfindet. Das sind die Punkte, an denen wir gesellschaftlich ansetzen müssen. Es gibt ethische Grenzthemen, wie beispielsweise die selektive Entscheidung zum Abbruch anhand qualitativer Kriterien wie einer Trisomie 21. In diesem Bereich fällt es mir ethisch-moralisch unglaublich schwer, aber auch da begleite ich die Frauen und Paare in die Richtung, in die sie möchten.
Ein gutes Aufklärungskonzept und die Gleichheit unter den Geschlechtern könnten also Paragrafen wie den 219a ersetzen?
Ja. Es gibt keinerlei evaluierte Studien darüber, dass der § 219a vor hohen Abbruchraten schützt. Das ist wissenschaftlich nicht untersucht und ist eine Behauptung, die in den letzten Jahren erst aufgegriffen wird. Das ganze Reglement in unserem Strafgesetzbuch erklärt sich aus der deutschen Historie, ist aber in heutiger Zeit fragwürdig und müsste insgesamt entfernt werden. Schaut man sich Abbruchraten in Ländern an, in denen die Gesetzeslage liberaler ist, stellt man fest, dass sie nicht höher sind als in Deutschland. Die Vorstellung, dass chaotische Zustände herrschen würden, sobald man diese Paragrafen abschafft, ist ein Trugschluss.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Ich wünsche mir, dass die PolitikerInnen sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Der § 219a gehört abgeschafft, denn nur so kann verhindert werden, dass die GegnerInnen des Schwangerschaftsabbruchs diesen veralteten Paragraphen für ihre Zwecke instrumentalisieren und versuchen, uns ÄrztInnen durch Anzeigen einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Die politisch Verantwortlichen sollten auch dafür sorgen, dass entsprechend dem Schwangerschaftskonfliktgesetz ausreichend medizinische Einrichtungen vorhanden sind, in denen Frauen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen können. Dazu sind die Länder per Gesetz verpflichtet. Doch aktuell ist das leider nicht mehr überall gewährleistet. Es gibt mittlerweile Städte und ganze Landstriche in Deutschland, wie Münster, Fulda oder Niederbayern, in denen gar keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchgeführt werden. Das ist eine verheerende Entwicklung, die letztlich die Gesundheit der betroffenen Frauen gefährdet.
Haben sie weitere Visionen?
Selbst wenn der § 219a abgeschafft werden würde, sollte über den Stellenwert weiter nachgedacht werden, den der Schwangerschaftsabbruch in unserem Fachgebiet hat. Jährlich finden in Deutschland über 100.000 Schwangerschaftsabbrüche statt. Dies ist eine Realität, der wir uns zu stellen haben. Der Eindruck ist, dass hier ein großes Tabu besteht. Es gibt darüber kaum fachlichen Austausch untereinander oder Fortbildungen, gerade auch für jüngere KollegInnen.
Wenn ÄrztInnen aus einer inneren Überzeugung heraus keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist das klar zu respektieren. Auf der anderen Seite habe ich den Anspruch an mich selbst und auch an meine KollegInnen, dass wir auch Dinge praktizieren, die wir vielleicht nicht so gerne tun. Frauen brauchen Hilfe und diese muss von uns kommen – von wem sonst?
Schaut man sich die gynäkologischen Kongresse an, wird dieses Thema seit vielen Jahren ausgeklammert. Wir sollten uns mehr damit auseinandersetzen, um Erfahrung zu haben und Vorurteile auszuräumen.
Können Sie sich vorstellen, aufgrund der Klage die Information von Ihrer Website zu streichen oder gar keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchzuführen?
Nein. Auf keinen Fall. Wir sind sehr entschieden, das nicht zu tun.
Möchten Sie den Stand Ihres Prozesses erläutern?
Der Prozess vor dem Amtsgericht Kassel fand am 28. August 2018 statt und wurde nach achtstündiger Verhandlung durch einen Befangenheitsantrag gegen den Richter abgebrochen. Wir sind in die Verhandlung gegangen mit dem Ziel, freigesprochen zu werden, da wir informieren und nicht in grob anstößiger Weise – wie uns vorgeworfen wurde – werben. Der Paragraf ist aus einer Zeit, in der es weder Computer noch Internet gab und kann nicht eins zu eins auf unser digitales Informationszeitalter übertragen werden.
Der Richter zeigte sich sehr unflexibel und lehnte jegliche Anträge der Verteidigung ab. Inzwischen ist der Befangenheitsantrag zurückgewiesen und der 28. Januar 2019 um 9.30 Uhr als neuer Verhandlungstermin festgelegt. Unsere große Hoffnung ist weiterhin, dass es bis dahin – wie angekündigt — eine politische Einigung in Berlin über die Abschaffung beziehungsweise Neuregelung des § 219a gegeben hat, nach der wir nicht mehr verurteilt werden können. Ansonsten bleibt uns nur der juristische Weg bis zum Bundesverfassungsgericht, so wie ihn unsere Gießener Kollegin Kristina Hänel bereits eingeschlagen hat.
Haben Sie eine gesellschaftliche Verantwortung in diesem Prozess?
Ja, die spüre ich deutlich. Wir machen die wunderbare Erfahrung, dass wir mit der Anzeige nicht alleine dastehen und unglaublich viel Unterstützung und Zuspruch von unseren Patientinnen und aus der Bevölkerung erfahren. Aus der Welle der Solidarität mit uns betroffenen ÄrztInnen heraus hat sich inzwischen eine bundesweite Bewegung gebildet, die unter anderem vom Netzwerk Arbeitskreis Frauengesundheit getragen ist, in dem wir und auch zahlreiche Hebammen Mitglied sind. Die Anklage gegen uns findet breite Beachtung und Empörung. Wir haben gelernt, uns einzumischen. Wir engagieren uns für unsere Patientinnen und betroffene Frauen, für das Recht auf Information und einen guten Zugang zur medizinischen Versorgung im Fall einer ungewollten Schwangerschaft.
Auch Hebammen können in die Situation geraten, eine ungewollt schwangere Frau zu beraten. Haben Sie Tipps?
Hebammen genießen Vertrauen, vor allem wenn sie eine Frau bereits zuvor betreut haben. Daher kann es durchaus vorkommen, dass sie in einer solchen Situation zurate gezogen werden. Das Wichtigste ist, der Frau zuzuhören und auf ihr Gesagtes einzugehen. Auch wenn es zur Hebammenarbeit eher dazu gehört, Frauen zu begleiten, die glücklich über ihre Schwangerschaft sind und sich auf das Kind freuen, gehört es ebenso dazu, Frauen und Paare zu begleiten, die in einer anderen, ambivalenten Situation sind. Hebammen sollten sich mit der geltenden Beratungsregelung auskennen und wissen, zu welchen geeigneten Beratungsstellen ungewollt schwangere Frauen im Umkreis gehen können. Fortbildungen zum Thema Schwangerschaftsabbruch wären auch für Hebammen wichtig.
Danke, Frau Dr. Szász, für das Gespräch und viel Kraft für den kommenden Prozess!