Nachgefragt
Peggy Seehafer: Wann würden die Seenotretter Schwangere nicht mehr transportieren und die Luftrettung engagieren? Und wer entscheidet das?
Christian Stipeldey: Für uns stellt sich die Frage genau umgekehrt: Unsere Aufgabe ist die Suche und Rettung von Menschen in Seenot. Dringende Schwangerentransporte gehören nicht zu den satzungsgemäßen Aufgaben der DGzRS. Wir übernehmen sie aber, wenn keine anderen Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen, also wenn keine Fähre mehr fährt und Hubschrauber nicht fliegen können, zum Beispiel aufgrund der Wetterlage. Wie bei jedem Einsatz der Seenotretter trifft die Entscheidung darüber, ob er gefahren werden kann, der Vormann des Seenotrettungskreuzers oder -bootes. Ungefähr 20-mal im Jahr haben wir Schwangere an Bord.
Wie abhängig sind Sie von der Tide?
Die größeren Inseln vor unseren Küsten sind tidenunabhängig zu erreichen. Das gilt erst recht für unsere Rettungseinheiten, die relativ wenig Tiefgang haben. Bei kleineren Inseln oder Festlandshäfen kann es vorkommen, dass wir bestimmte Liegeplätze in den Häfen bei extremem Niedrigwasser nicht mehr anlaufen können. Dann wird der Vormann entscheiden, ob der Transport möglich ist oder nicht. In aller Regel kann er durchgeführt werden.
Wie sind die Seenotretter dafür ausgebildet? Sind sie hauptamtliche Retter oder Freiwillige?
Nur 180 Seenotretter sind bei der DGzRS fest angestellt, mehr als 800 sind Freiwillige. Alle erhalten keine spezielle geburtshilfliche, sondern eine erweiterte Erste-Hilfe-Ausbildung. Sie sind aber in der Regel keine Rettungssanitäter oder -assistenten. Auf den meisten Stationen verfügen wir jedoch über freiwillige Seenotärzte, die bei Bedarf mit rausfahren. Auch können Hubschrauber im Seenotfall einen Arzt zu einem unserer Seenotrettungskreuzer hinausfliegen. Schwangere werden bei dringenden Transporten mit unseren Rettungseinheiten in der Regel von ihren Hebammen begleitet.
Geht es immer gut oder gab es auch schon Dramen?
Glücklicherweise kann ich mich an kein Drama erinnern. Nur bei wenigen dringenden Schwangerentransporten kommt es überhaupt zur Geburt an Bord. Gleichwohl ist die Fahrt mit dem Seenotrettungskreuzer zum Festland sicherlich für jede werdende Mutter eine ganz besondere Situation – aber auch für die Seenotretter. Wenn eine Hebamme und vielleicht sogar der werdende Vater dabei sind, versuchen unsere Besatzungen, sich so unsichtbar wie möglich zu machen, um möglichst viel Privatsphäre zu schaffen.
Wer vergütet die Einsätze? Der Rettungsdienst an Land wird ja von den Krankenkassen bezahlt.
Die gesamte satzungsgemäße Arbeit der Seenotretter wird ausschließlich durch freiwillige Zuwendungen finanziert. Krankentransporte gehören generell nicht dazu. Wir übernehmen sie im Rahmen der Amtshilfe, und auch nur dann, wenn unsere Rettungseinheiten nicht in sogenannten SAR-Einsätzen gebunden sind, das heißt „Search and Rescue“ für Suche und Rettung. Die Kosten für Krankentransporte werden in diesen Fällen von den Krankenkassen übernommen.
Empfinden Ihre Kollegen es als Bedrohung oder Bereicherung, Gebärende zu transportieren?
Ganz klar als Bereicherung. Diese Einsätze gehören wohl mit zu den schönsten der Seenotretter. Natürlich hoffen alle Beteiligten, dass das Kind sich bis zum Krankenhaus Zeit lässt. Aber auch zwischen Seenotrettungskreuzer und Krankenhaus kann noch einiges passieren. Ein aktuelles Beispiel: Im vergangenen Jahr sind nach dem dringenden Transport einer Schwangeren mit unserem Seenotrettungskreuzer ALFRIED KRUPP von der Station Borkum ans niederländische Festland Zwillinge im Rettungswagen an Land zur Welt gekommen. Beinahe hätten sie unterschiedliche Staatsbürgerschaften erhalten. Sie wurden geboren, als der Rettungswagen gerade die deutsch-niederländische Grenze passierte.
Vielen Dank für Ihre Auskünfte.