Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert: Sectio caesarea mittels Längsschnitt Foto: © wikimedia.org
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Notfälle mit kritisch kranken Kindern oder Schwangeren sind zum Glück selten. Trotzdem – oder genau deshalb – fordern sie besonders viel von Notärzt:innen und Rettungsdienstfachpersonal. Nicht nur weil Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, sondern vor allem, weil die Routine fehlt. Alltägliche Einsätze von der Kopfplatzwunde beim Kleinkind und dem Blasensprung mit beginnender Wehentätigkeit passieren häufig, bereiten aber kaum auf den Ernstfall vor. Dieser bleibt also eher Theorie als praktische Erfahrung. Beim Durchstöbern der Reanimationsleitlinien stolpert man bei eben jener theoretischen Vorbereitung unvermeidbar irgendwann über den ACLS-Algorithmus der American Heart Association zur Reanimation von Schwangeren (Advanced Cardiac Life Support, siehe Abbildung): den innerklinischen Herzstillstand bei einer Schwangeren. Das ist ein Thema, bei dem vielen erstmal kurz die Spucke wegbleibt: die Sectio unter laufender Reanimation. Aber Moment! Da steht im Algorithmus ja ganz klar »innerklinisch«. Puh nochmal Glück gehabt. Oder doch nicht?
Als erster Gedanke drängt sich die Frage auf, wie ein mittelgroßer chirurgischer Eingriff irgendwo im Straßengraben bei Regen in der Dämmerung der Gesundheit der Patientin zuträglich sein kann. Die Verlockung ist groß, die Patientin unter Reanimation in die nächste Klinik zu transportieren, und es wird meistens auch so gehandhabt. Eine Crashsectio ist bisher kein Verfahren, dem viel Beachtung geschenkt wird. Sie steht in keinem Standard-Notfallmedizin-Buch und ist auch nicht flächendeckend in den Köpfen verankert.
Die Versorgung einer reanimationspflichten Person kostet jedoch Zeit: Notruf, Anfahrt, Thoraxkompressionen, Defipaddles, Analysen, Tubus, intravenöser Zugang, Medikamentengabe, Transport vorbereiten, Angehörige Informieren, Patientin einladen, voranmelden, die Fahrt bis in die Klinik, ausladen, Übergabe, Reevaluation im Schockraum. Sollte alles wie am Schnürchen laufen, sind circa 40 Minuten vergangen. Realistisch sind es eher etwas über 60 Minuten, gerade im ländlichen Raum. Und dann steht man eben im Zweifel auch nur vor einem Krankenhaus ohne Geburtshilfe und Pädiatrie. Genau hier liegt das Problem.
Wie unter anderem eine Studie von Vern L. Katz, Gynäkologe aus Oregon, – allerdings aus dem Jahr 1986 – gezeigt hat, ist Zeit ein relevanter Faktor für das Outcome des Neugeborenen und erst recht für das Outcome der Mutter, denn jede Minute unter Reanimation verschlechtert die Überlebenswahrscheinlichkeit der Mutter (Reynolds et al. 2016). Der erste Schnitt sollte deshalb im Idealfall vier Minuten nach Herz-Kreislauf-Stillstand gesetzt werden. Zu diesem Zeitpunkt klingelt bei den Einsatzkräften vermutlich gerade der Melder und sie sind auf dem Weg zum Fahrzeug.
Macht es dann überhaupt Sinn? Klar! Es gibt Berichte über Mütter und Kinder, die eine präklinische Crashsectio bis zu 15 Minuten beziehungsweise bis zu 30 Minuten nach Kreislaufstillstand überlebt haben. Zum Beispiel existiert ein lesenswerter Bericht der Intensiv- und Notfallmedizinerin Miretta Tommila und Kolleg:innen aus dem Jahr 2017 zu zwei Fällen in Finnland, in dem das neurologisch intakte Überleben von zwei via Crashsectio 20 bis 30 Minuten nach Eintritt des Kreislaufstillstands präklinisch geborenen Frühgeborenen dokumentiert ist (Tommila et al. 2017). Die Kinder wurden in der 30+6 SSW und der 26+5 SSW von Notärzt:innen ohne Vorkenntnisse in dieser Maßnahme durch Crashsectios gerettet.
Die vier Minuten bis zum Beginn sind somit aktuell in den Leitlinien festgeschrieben, aber definitiv kein Ausschlusskriterium, um bei späterem Eintreffen der Rettungskräfte nicht mehr zu handeln. Der Moment, in dem der mütterliche Kreislaufstillstand festgestellt wird, ist der Zeitpunkt, zu dem bei passender Indikation die Vorbereitungen für die Crashsectio begonnen werden müssen. Insgesamt herrscht also eine ordentliche Portion Zeitdruck auf das Team. Es gibt auch gute Nachrichten: Das Risiko, in eine solche Situation verwickelt zu werden, ist relativ gering. In den letzten Jahren lag die Anzahl der dokumentierten mütterlichen Todesfälle in Deutschland in der Perinatalphase laut Statistischem Bundesamt bei 20 bis 30 Fällen pro Jahr (Statistisches Bundesamt 2019). Wobei dies lediglich die Anzahl der schwangerschaftsinduzierten Todesfälle berücksichtigt. Schwangere, deren Todesursache nicht in Zusammenhang mit der Schwangerschaft steht, werden hier nicht aufgeführt. Leider ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Toten vor allem präklinisch zu finden sind, relativ hoch. Diese Vermutung bestätigt sich auch in zahlreichen Fallberichten und Studien (Beckett et al. 2017; Welsch et al. 2016).
Die Indikation zur Crashsectio besteht bei schwangeren Notfallpatientinnen im Prinzip ab der 20. Schwangerschaftswoche (Rose et al. 2015). Im Zweifel würden sich die Notfallmediziner:innen bei fehlender Fremd-Anamnese und Mutterpass am Fundusstand orientieren. Vor der 20. SSW besteht keine Indikation zur Crashsectio, da die Schwangerschaft als Ursache des mütterlichen Kreislaufstillstandes unwahrscheinlich ist und die Chance einer Rückkehr zum Spontankreislauf der Mutter nicht verschlechtert. Eine Geburt würde somit Ressourcen binden, aber nicht zu einer gesteigerten Überlebenschance für die Mutter und erst recht nicht für das Kind beitragen.
Anders sieht es zwischen der 20. und 23. SSW aus. Hier besteht eine rein »mütterliche Indikation«. Sollte also nach dem Abarbeiten der reversiblen Ursachen (Linksverschiebung des Uterus, Oxygenierung, Defibrillation etc.) keine Rückkehr zum Spontankreislauf eintreten, sollte die Sectio auch hier schon in Erwägung gezogen werden. Das besser Outcome der Mutter wird insbesondere mit der Verbesserung des venösen Rückflusses und der Eliminierung der zusätzlichen Kreislaufbelastung durch den fetalen Kreislauf assoziiert. Zusätzlich können gynäkologische Blutungen gestoppt werden, sollten diese ursächlich sein.
Ab der 24. SSW besteht bei einer Crashsectio sowohl für die Mutter als auch potenziell für das Kind eine erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit. Dies ist ebenfalls auf den erhöhten venösen Rückfluss, die verbesserte Kreislaufsituation sowie die bessere Oxygenierung zurückzuführen.
Unabhängig von der Schwangerschaftswoche steht immer die Versorgung der Mutter im Fokus. Das Ziel ist und bleibt die Rückkehr des mütterlichen Spontankreislaufes. Die einzige Ausnahme hiervon entsteht durch nicht mit dem Leben zu vereinbarende Verletzungen der Mutter, sei es nach Verkehrsunfällen, Suizidversuchen oder Gewaltverbrechen. Hier dient die umgehende Schnittentbindung allein zur Rettung des Kindes, sollte die Situation der Mutter ausweglos sein.
Leider unterscheidet sich die Ausstattung der Fahrzeuge im Rettungsdienst in Deutschland stark, je nach Bundesland, Region und Hilfsorganisation. Mancherorts gibt es mobile Ultraschallgeräte und chirurgische Sets für Interventionen am offenen Herzen vor Eröffnung des Thorax. An anderen Standorten sucht man hingegen selbst den Beatmungsbeutel für Neugeborene vergeblich. Zur Mindestausstattung gehören jedoch sterile Handschuhe, Skalpell, Klemmen, Nahtmaterial sowie Neugeborenen-Versorgungs-Sets und selbstverständlich das gesamte Material zur Reanimation von Mutter und Kind. Alles Weitere ist »nice to have«, aber nicht zwingend notwendig. Notfallmedizin besteht auch immer ein wenig aus Improvisation und der Überbrückung bis zum Eintreffen in der Klinik. Der Begriff Crashsectio ist auch deshalb gewählt, um klar abzugrenzen von der »Notsectio«,
wie sie in Geburtskliniken durchgeführt wird. Nicht nur weil Ort und Personal sich gravierend unterscheiden, sondern auch weil die eigentliche Durchführung eine andere ist. Im Englischen haben sich dafür die Begriffe »Resuscitative Hysterotomy« und »Perimortem C-Section« (perimortaler Kaiserschnitt) etabliert, dies ist jedoch irreführend, da der Begriff »perimortal« den Tod der Mutter suggeriert. Normalerweise steht jedoch immer die Rettung der Mutter als initiales Ziel vor der Rettung des Kindes.
Zum Glück brauchen Notfallmediziner:innen nicht viel mehr als Skalpell und Schere. Im Gegensatz zur innerklinischen Notsectio mit wechselnder, zunächst querverlaufender Schnittführung nach Pfannenstiel wird hier der Einfachheit und Sicherheit halber zum Längsschnitt von Symphyse in Richtung Xyphoid geraten, also zur medianen Laparotomie. Der große Schnitt schafft Übersicht und vermeidet Blutungen, die Kosmetik ist in diesem Fall irrelevant. Ob man um den Nabel herum oder durch den Nabel hindurch schneidet, ist ebenfalls irrelevant, klassische chirurgische Technik wäre jedoch die Linksumschneidung. Dann folgt eine kleine Inzision des Uterus am unteren Pol mit dem Skalpell mit anschließender ebenfalls großzügiger vertikaler Eröffnung des Uterus und der Fruchtblase mittels Schere, geführt auf den Fingern, um Verletzungen des Kindes zu vermeiden. Auch hier gilt: Eine größere Eröffnung des Uterus macht alles Weitere einfacher. Entwickeln, Abnabeln, Plazenta entfernen. Kurz durchatmen.
Nach erfolgreicher Geburt wird idealerweise mit Bauchtüchern, sonst mit anderem verfügbaren Verbandsmaterial tamponiert und die Wunde steril abgedeckt. Bluten sollte es hier unter Reanimation kaum. Wenn es später doch relevant blutet, helfen Klemmen, Ligaturen oder einfach erstmal manueller Druck. Die Bauchdecke wird erst im Rahmen der innerklinischen Versorgung geschlossen. Kleiner Vorteil: Die Bauchhöhle ist geöffnet, also kann zusätzlich die Aorta direkt komprimiert werden, wenn dies zur Blutungskontrolle notwendig ist.
Damit abschließend nicht der Eindruck entsteht, solche Einsätze seien präklinischer Arbeitsalltag einiger Überambitionierter: Notfalleinsätze sind vielfältig. Vor der Crashsectio wird vermutlich die ältere Dame mit Schenkelhalsfraktur versorgt, danach der Herr mit Hypertonus. Die meisten Patient:innen sind mit einem venösen Zugang, einer Infusion und dem Erheben der Vitalparameter bestens behandelt. Genau deshalb ist es so wichtig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eine Crashsectio benötigt vor allem ein funktionierendes Team und eine schnelle Entscheidung in einer Situation, die nur schwer beherrscht werden kann. In diesem Artikel kann nur ein Bruchteil dessen abgebildet werden, was im Fall eines solchen Einsatzes tatsächlich passieren würde. Es kommen Kriseninterventionsteams zur Betreuung der Angehörigen zum Einsatz, mancherorts gibt es Spezialfahrzeuge für Kindernotfälle. Allein der Entscheidungsprozess und die Kommunikation innerhalb des Teams bei einem solchen Ereignis ist hochkomplex.
Niemandem ist mit der Sectio geholfen, wenn das Team mittendrin handlungsunfähig wird. Es hängt also auch davon ab, wer vor Ort ist. Wir arbeiten hier mit mehreren psychisch extrem herausfordernden Faktoren gleichzeitig. Nicht ohne Grund ist schon das Stichwort »Notsectio« das Alarmwort für alle Beteiligten in der Klinik. Verständlich also, dass diese Situation das Notfallpersonal nicht unberührt lässt. Was hilft, ist ein mentales Modell: die bestmögliche Vorbereitung auf eine Situation, die hoffentlich nie eintritt.
Hinweis:
Lesetipp
Lesen Sie auch den Artikel zum Thema Notsectio bei Fruchtwasserembolie von Prof. Dr. Werner Rath (DHZ 4/2017, S. 19ff.)
Beckett VA, Knight M, Sharpe P: The CAPS Study: incidence, management and outcomes of cardiac arrest in pregnancy in the UK: a prospective, descriptive study. BJOG 2017. doi: https://doi.org/10.1111/1471–0528.14521
Reynolds JC Brian, Grunau E, Rittenberger JC, Sawyer KN, Kurz MC, Callaway CW: The Association Between Duration of Resuscitation and Favorable Outcome After Out-of-Hospital Cardiac Arrest: Implications for Prolonging or Terminating Resuscitation. Circulation 2016. Oct 19. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.116.023309
Rose CH et al.: Challenging the 4– to 5-minute rule: from perimortem cesarean to resuscitative hysterotomy. American Journal of Obstetrics & Gynecology 2015. doi: http://doi.org/10.1016/j.ajog.2015.07.019
Statistisches Bundesamt: Todesursachen, Anzahl der Gestorbenen nach Kapiteln der ICD-10 und nach Geschlecht für 2019. https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/jb-gesundheit.pdf?__blob=publicationFile
Tommila M, Pystynen M, Soukka H, Aydin F, Rantanen M:Two cases of low birth weight infant survival by prehospital emergency hysterotomy. BMC 2017. doi: 10.1186/s13049–017–0407–8
Welsch H, Wischnik A, Lehner R: Müttersterblichkeit. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM, (Hrsg) Die Geburtshilfe: 1181–1194. 5. Auflage. Springer-Verlag: Berlin, Heidelberg 2016