» Alle haben Stärken und Ressourcen, auf die sie aufbauen können. Niemand hat keine Schwächen! « Illustration: © Hanna/stock.adobe.com

Die Familienbildungsstätte Trier hat ein Bildungs- und Unterstützungsangebot für Schwangere im Bereich der Frühen Hilfen aufgebaut. Von dem niedrigschwelligen Angebot profitieren Frauen und Familien, die sonst schwer zu erreichen sind.

Bei einer Veranstaltung des Netzwerks Familienbildung Trier wurden 2017 »Best Practice Modelle« vorgestellt, unter anderem »SCHWUNG« von der Katholischen Familienbildungsstätte Euskirchen – Haus der Familie. SCHWUNG steht für: Schwanger Weiterbildung Unterstützung Gemeinschaft.

Ein Präventionsangebot in der Schwangerschaft fiel dem Jobcenter Trier Stadt auf, das auf das Jugendamt und auf die Familienbildungsstätte zuging, um es auch in Trier anzubieten. Die Idee von SCHWUNG ist , das »sensible« Zeitfenster der Schwangerschaft zu nutzen, um Veränderungsprozesse im Leben der Teilnehmerinnen anzustoßen und gute Weichen für die eigene Zukunft und die des Kindes zu stellen.

Vorlauf und Finanzierung

Nachdem die Familienbildungsstätte Trier als Organisatorin des geplanten SCHWUNG-Kurses Geldgeber angefragt und einige gefunden hatte, konnte das Projekt innerhalb von sechs Monaten realisiert werden – zunächst für drei Jahre. Den größten Anteil der Kosten übernahm die Reh-Stiftung, deren Zweck die Förderung der Jugend- und Altenhilfe sowie des Wohlfahrtswesens einschließlich der Pflege und Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen in Trier ist. Ein weiterer Teil wurde vom Stiftungszentrum des Bischöflichen Generalvikariats Trier übernommen, einer Stiftung des Bistums Trier. Der restliche Teil wurde von der AOK Gesundheitskasse und aus Eigenmitteln des Jugendamtes , des Jobcenters und der Familienbildungsstelle finanziert. Die Unterstützung bestand nicht allein in monetärer Form, sondern auch in kostenlosen Vorträgen der Dozent:innen vom Jugendamt zum Thema Unterhalt und Beistand in der Familienbildungsstätte.

Die Familienbildungsstätte Trier übernimmt die konzeptionelle Anpassung und Koordination, führt die Anmeldegespräche, stellt die Räumlichkeiten, organisiert die Referent:innen, erstellt den Stundenplan und bearbeitet den administrativen Teil. Das Jobcenter übernimmt für alle, die dort gemeldet sind, die Fahrtkosten, die anderen Fahrtkosten werden aus Spendengeldern finanziert. Eingangsvoraussetzung ist der SGB-2-Bezug oder eine belastende Lebenssituation. Im Januar 2018 konnte der erste SCHWUNG-Kurs starten.

Das Präventionsdilemma und die heterogene Zielgruppe

Wie erreicht man nun die Zielgruppe? Wie erkennt man, wer Unterstützungsbedarf hat? Viele Frauen und Familien, die eigentlich einen hohen Unterstützungsbedarf in der Schwangerschaft haben, können nur schwer erreicht oder erkannt und zur Inanspruchnahme dieser Angebote motiviert werden. Das ist das sogenannte Präventionsdilemma (Bauer & Bittlingmayer, 2005).

Der Unterstützungsbedarf kann unterschiedlichste Gründe haben – beispielsweise junge Schwangere, Gewalterfahrungen, Alleinerziehendenstatus, Armut, geringe Schulbildung, Sucht, psychische Erkrankungen und mehr. Somit sind sie nicht leicht zu erkennen.

Im »Zusammen für Familien (ZuFa)-Monitoring Gynäkologie« (Neumann & Renner, 2020) werden niedergelassene Gynäkolog:innen zum Handeln im Kontext der Frühen Hilfen befragt. In dieser Studie des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) wurden psychosoziale Belastungen von Schwangeren, außerdem die Probleme im Umgang mit ihnen und die Konsequenzen in der ambulanten Schwangerenbetreuung erfragt und prozentual dargestellt.

Hierbei zeigte sich unter anderem, dass in der gynäkologischen Praxis Belastungen oft erkannt werden, aber häufig aus unterschiedlichen Gründen darauf nicht reagiert wird. Als Begründung werden zu 63,3 % Verständigungsprobleme genannt, zu 53,4 % Zeitmangel und ebenfalls über 50 % geben im ZuFa-Monitoring die fehlende Vergütung als Grund an. So wurden in die Trierer SCHWUNG-Kurse so gut wie keine Teilnehmerinnen aus Arztpraxen weitergeleitet beziehungsweise diese über das Angebot informiert, obwohl dort natürlich Werbung für den Kurs gemacht wurde.

Die meisten Teilnehmerinnen kommen über die Schwangerenberatungsstellen (SKF, Pro Familia, Diakonie). Besonders die Beratungsstelle des Sozialdienstes katholischer Frauen Trier ist sehr engagiert und vermittelt viele Schwangere in dieses Angebot. Die Tatsache, dass sich Beratungsstellen meist mehr Zeit nehmen können als es im Praxisalltag möglich ist, ist hier wahrscheinlich der entscheidende Faktor. Einige Teilnehmerinnen melden sich auch nach einem Gespräch im Jobcenter an.

Die Teilnehmerinnen sind sehr heterogen, es gibt minderjährige Schwangere, Spätgebärende, einige haben Gewalt erfahren und in vielen Kursen sind Frauen mit psychischen Problemen unterschiedlicher Art.

Themen und Inhalte der Kurse
  • Schwangerschaft und Geburt: »normaler« Geburtsvorbereitungskurs plus Säuglingspflege, Yoga, Wohlfühltage, medizinische Leistungen, Wochenbett, Bindung, das erste Jahr mit Kind
  • Soziale Dienste: Ansprüche und Leistungen, verschiedene Anlaufstellen zur finanziellen und persönlichen Unterstützung
  • Haushalt und Ernährung:
    HOT = HaushaltsOrganisationsTraining®
  • Leben mit Kind: Alltag mit dem Baby, kindersichere Wohnung, Kommunikation mit dem Kind
  • Zeitmanagement und Partnerschaft
  • Gesundheit: Mutterpass, Erste Hilfe am Kind, Sexualität und Verhütung.

Herausforderungen und Stolpersteine

SCHWUNG ist kostenfrei und freiwillig und bei einer Anwesenheit von 80 % bekommen die Frauen eine Teilnahmebestätigung, die von der Familienbildungsstätte, dem Jobcenter und dem Jugendamt unterschrieben wird. Der Kurs dauert drei Monate und findet dreimal wöchentlich für jeweils drei Stunden statt. Diese feste Struktur ist für viele Teilnehmerinnen schon der erste Stolperstein.

Für Familien mit Belastungen scheint die lange »Verpflichtung« und der »frühe« Beginn eher abschreckend zu sein. Morgens um 9 Uhr zu starten, scheint oft unmöglich. Dies zeigt sich auch daran, dass sich die meisten Teilnehmerinnen erst nach und nach bis 9.45 Uhr einfinden. Aber das ändert sich im Laufe des Kurses, nach zwei Monaten kommen die meisten bereits um 9 Uhr und bleiben auch bis 12 Uhr. Die Struktur scheint erste Wirkung zu zeigen.

Dass die Teilnehmerinnen schlecht geschlafen haben, ist die häufigste Entschuldigung, nicht zum Kurs zu kommen. Aber auch, wenn nachmittags noch ein Termin ansteht, scheint der Tag ausgefüllt zu sein und die morgendliche Teilnahme am Schwung-Kurs ist nicht möglich.

Herausforderungen sind die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, die regelmäßige Teilnahme und das unterschiedliche Niveau. Das Bildungsniveau im Kurs kann von einer Analphabetin bis zur Studentin reichen. Es dauert meist mehrere Treffen, bis man erkennt, dass jemand nicht schreiben kann, und man dann, möglichst unbemerkt von den anderen Kursteilnehmerinnen, den Kurs etwas anders strukturieren muss.

Die verschiedenen Persönlichkeiten sind manchmal schwierig zu koordinieren, denn die Impulssteuerung kann bei psychischen Krankheitsbildern sehr unterschiedlich sein. So brachte eine Schwangere in jeder Kursstunde einen gut gefüllten gelben Sack mit Pfandflaschen mit, die unangenehm gerochen haben. Diesen stellte sie nah bei sich ab und passte gut auf, dass sich niemand daran vergriff. Da dies eine Belästigung für alle war, die geklärt werden musste, die Schwangere aber weiter teilnehmen sollte, wurde der Sack morgens in die Abstellkammer eingeschlossen. Das war für sie tragbar.

Ein strukturierter Vormittag

Der Kurs hat eine grob vorgegebene Struktur. Er beginnt um 9 Uhr mit einem fachlich-informativen Teil, zum Beispiel: »Wie möchte ich erziehen? Wie wurde ich erzogen?« Je nach Diskussionsbedarf dauert dieser Teil etwa 90 Minuten. Im Anschluss gibt es eine Pause und ein gemeinsames Frühstück. Hier bietet sich immer die Gelegenheit, über Ernährung zu sprechen, aber auch über Alltagserlebnisse und -sorgen. Danach folgt ein kurzer Theorieteil zum Tagesthema, der zeitlich flexibel ist. In der letzten halben Stunde wird eine Bewegungs- oder Entspannungseinheit angeboten.

Diese Struktur ist kein Dogma, sondern kann je nach Bedarf variieren. An zwei Terminen ist es möglich, eine Begleitperson mitzubringen: beim Fototermin, zu dem ein professioneller Fotograf die Teilnehmerinnen einzeln oder mit Begleitung aufnimmt, und beim Thema »Erste Hilfe am Kind«. In jedem Kurs werden die gleichen Themen behandelt wie Bindung, Umgang mit Konflikten, Ernährung des Babys.

Die Gewichtung der Themen wird den Bedürfnissen der Teilnehmerinnen angepasst. Wichtig ist vor allem die Partizipation der Gruppe. Es bestehen viele Möglichkeiten, sich zu beteiligen. Für manche ist das anstrengend, denn sie sind diese Arbeitsweise nicht gewohnt und mögen es nicht oder trauen sich nicht, sich zu beteiligen. Andere blühen auf und machen beispielsweise Vorschläge, wie sie das Frühstück noch netter gestalten könnten, oder bringen Rezepte mit, die alle gemeinsam ausprobieren.

Einer der Grundgedanken des Kurses ist , dass die Teilnehmenden sich gegenseitig empowern, das heißt, ihre eigenen Bedürfnisse zu artikulieren, ihre Selbstverantwortung und Selbstbestimmung zu stärken und sich für sich selbst und ihr Kind einzusetzen. Alle können dabei erkennen, dass sie Stärken und Ressourcen haben und darauf aufbauen können. Niemand hat keine Schwächen! Aber auch mit den Schwächen kann man lernen, gut zu leben, wenn man Hilfen annehmen kann. Bei SCHWUNG stehen die Stärken im Fokus.

Wie profitieren die Teilnehmenden?

Anfangs ist das Interesse an den Themen oft gering, denn einige Teilnehmerinnen glauben fest, dass sie sich gut auskennen, weil sie kleinere Geschwister haben oder eine Freundin schon Mutter ist. Das Bewusstsein, sich neue Informationen oder Handlungsweisen anzueignen, entsteht meist erst im Laufe des Kurses. Besonders der freiwillige Austausch im Rahmen der Gruppe zeigt, dass alle im Kurs Sorgen oder Ängste haben, und dass man sich den Belastungen, die durch das Kind eventuell entstehen können, nicht immer gewachsen fühlt, sondern Hilfe in Anspruch nehmen kann und darf (Hilfeakzeptanz).

Es kann die Bereitschaft entstehen, Hilfsangebote medizinischer Art oder des Sozialsystems anzunehmen, die für viele in der Gesellschaft selbstverständlich sind. Eine Problemakzeptanz kann entwickelt werden. Sehen die Schwangeren selbst, dass sie ein Problem haben? Oder sehen es nur die Fachkräfte? Stimmt die Wahrnehmung der Schwangeren mit der der Fachkräfte überein, wann eine Kindeswohlgefährdung entstehen könnte (Problemkongruenz) (Wollff, 2013)?

Beginnt eine Teilnehmerin, von ihren Erfahrungen zu berichten, entsteht in der Gruppe häufig eine motivierende, stärkende Stimmung. In den Kursen entstehen ganz wertvolle Freundschaften. Menschen, die sich wahrscheinlich sonst im Leben nie getroffen hätten, unterstützen sich gegenseitig. Zum Beispiel traf eine Kursleiterin an der Bushaltestelle zwei völlig unterschiedliche Frauen aus dem Kurs. Sie fragte, wie es ihnen gehe und bestaunte die Säuglinge. Da erzählte eine von ihnen, eine sehr junge Frau, dass sie alleinerziehend sei, mit ihrer Mama momentan Stress habe und nachts schon mal überfordert sei und dann ihre »neue Freundin« angerufen habe. Diese sei nachts häufig allein, weil ihr Freund Nachtdienst habe und sie gar nicht gerne nachts allein sei. So übernachten sie hin und wieder bei der einen oder anderen. Beide Frauen und Kinder machten einen zufriedenen, ausgeglichenen Eindruck.

Erfahrungen und Erfolge

Die regelmäßige Teilnahme ist von Beginn an ein Problem. Maximal kann ein Kurs zehn Teilnehmerinnen haben, dies wird aber selten erreicht. Bei der Vorstellung des Kurses vor der Presse in Trier 2017 sagte die Bürgermeisterin: »Wenn nur einem Kind durch diesen Kurs geholfen wird, haben wir das Ziel erreicht.« So sieht es auch die pädagogische Mitarbeiterin der Familienbildungsstätte Trier, so dass der Kurs drei Mal pro Jahr startet mit jeweils 33 Treffen in drei Monaten, ob nun eine, sechs oder zehn Schwangere kommen. Nach der Geburt findet wöchentlich eine Eltern-Kind-Gruppe ausschließlich für ehemalige SCHWUNG-Teilnehmerinnen statt. Diese ist gut frequentiert. Die Optimierung der Lebensführung durch Strukturierung des Tagesablaufs dauert und ist nach drei Monaten noch nicht gefestigt.

In einem Kurs war eine gerade volljährige Frau, die selten kam, und wenn sie kam, war sie zu spät, musste früher gehen, schaute immer gelangweilt herum, klickte nonstop mit dem Stift auf den Tisch und brachte den ganzen Kurs durcheinander. Sie war mit ihrem Partner in einem Kinderheim groß geworden und hatte keinen Kontakt zu ihrer Familie. Die Ressourcen ihres Partners waren gering. Der Kurs ging zu Ende, ein neuer startete. Aus einem Impuls heraus hat die pädagogische Mitarbeiterin von der FBS sie angerufen und, da sie nicht oft anwesend war, gefragt, ob sie noch einmal teilnehmen wolle, denn ihr ET war erst in mehreren Monaten.

Sie freute sich sehr über diesen Anruf, kam im nächsten Kurs um 9 und blieb bis 12 Uhr. Sie kam fast immer, und wenn sie nicht konnte, meldete sie sich vorher ab. Sie konnte nun gar nicht ertragen, wenn jemand anderes zu spät kam. »Das ist unhöflich gegenüber der Referentin!« Auf der kleinen Feier zum Ende des Kurses sagte sie in die Runde: »Na danke, jetzt werde ich immer um 8 aufstehen müssen!« Sie hatte für ein halbes Jahr eine Familienhebamme, alles hat »okay« geklappt. Inzwischen ist sie vom Freund getrennt, das Kind geht in den Kindergarten und sie macht ohne Schulabschluss eine Ausbildung. Niemand in ihrer Familie hat eine Ausbildung. Heute sagt sie: »Weißt du, ich will meinem Kind was bieten, irgendwann schauen wir uns zusammen das Meer an!«

Diese Kurse mit belasteten Familien zu geben, ist immer eine Herausforderung und es wird vonseiten der Dozent:innen große Toleranz erwartet. Aber laut Aussage einer Teilnehmerin fühlte sie sich in diesem Kurs deutlich besser aufgehoben als in herkömmlichen Geburtsvorbereitungskursen, die sie in ihrer ersten Schwangerschaft besucht hatte.

Doch nicht nur die Teilnehmerinnen, auch die Dozent:innen profitieren davon: Durch das Erleben anderer Lebensumstände und ihre Reflexion werden blinde Flecken erkennbar. Toleranz und Empathie erweitern den eigenen Horizont und verhindern einen Tunnelblick der Ich-Perspektive. Die Akzeptanz anderer Sichtweisen ist manchmal eine Herausforderung, führt aber zur Selbstreflexion. Um es ganz einfach zu sagen: Der Kurs ist jedes Mal wieder ein Abenteuer, aber insgesamt trägt er positiv zur eigenen Persönlichkeitsbildung bei.

Das Projekt hat nach den ersten drei Jahren wieder eine Anschlussfinanzierung durch die Reh-Stiftung über drei Jahre bekommen. Momentan steht die Finanzierung noch bis Ende 2023 und es werden bald wieder Gespräche seitens der Familienbildungsstätte mit den Geldgebern geführt.

Zitiervorlage
Kühlwein, S. (2023). Best Practice: SCHWUNG: »Jetzt werde ich immer um 8 aufstehen …«. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (4), 16–20.
Links
SCHWUNG-Trier: www.schwung-trier.de/
Literatur
auer, U. & Bittlingmayer, U. H. (2005). Wer profitiert von Elternbildung? Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 25(3), 263-280.

Neumann, A. & Renner, I. (2020). Die Gynäkologische Praxis in den Frühen Hilfen. Ergebnisse aus dem NZFH-Forschungszyklus »Zusammen für Familien« (ZuFa-Monitoring). Kompakt. Köln: Nationales Zentrum Frühe Hilfen.

Wolff, R., Flick, U., Ackermann, T., Biesel, K., Brandhorst, F., Heinitz, St., Patschke, M., Röhnsch, G. (2013). Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanagement im Kinderschutz. Konzepte, Bedingungen, Ergebnisse. Nationales Zentrum Frühe Hilfen (Hrsg,). Verlag Budrich.

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