Naturräume können Kraftorte sein: Im Hier und Jetzt werden die eigenen Ressourcen spürbar. Foto: © Tara Franke

Wer in der eigenen Persönlichkeit und in seiner Umwelt über Kraft spendende Ressourcen verfügt, kann Lebenskrisen besser bewältigen. Welche Faktoren zur Ausprägung und Entwicklung von Resilienz und Kohärenzsinn beitragen, zeigt sich in der noch jungen Resilienzforschung und in der Salutogenese. Hier finden Hebammen Hinweise, wie sie Ressourcen erkennen und aktivieren können – sowohl die eigenen wie auch die der betreuten Frauen und Familien.

Ressourcen sind positiv wirksame Quellen, die uns Menschen zur Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen zur Verfügung stehen. Man kann sich Ressourcen bildlich wie die Teile einer Ritterrüstung vorstellen, die man zusammensucht und anzieht, um sich während oder nach einem kritischen Lebensereignis voranzukämpfen. Diese Ereignisse können dabei normativ sein, wie Geburt, Einschulung, Pubertät, Beginn und Ende der Erwerbstätigkeit oder auch Hochzeit. Oder sie sind nicht-normativer, individueller Natur, zum Beispiel Unfälle, Krankheiten oder Gewalterfahrungen. Diese Lebenskrisen sind schwieriger zu bewältigen (Hölzle 2009). Denn sie tauchen plötzlich auf und das geeignete Rüstzeug zur Krisenbewältigung muss erst gefunden werden (Laubner 2013).

Einige Teile dieses Rüstzeugs liegen in jedem Menschen selbst, wie Temperamentsmerkmale und Intelligenz. Andere „Ausrüstungsgegenstände” sind günstigenfalls schon in der Außenwelt vorhanden, wie zum Beispiel mindestens ein liebevolles, bindungsfähiges Elternteil. Die dritte Sorte von Rüstzeug ergibt sich aus der Interaktion zwischen dem Menschen mit seinen persönlichen Eigenschaften und der Umwelt mit ihren Möglichkeiten und Risiken.

Was Maria aus Nazareth auszeichnet

Als Beispiel kann die biblische Geschichte von Maria aus Nazareth dienen: Die junge Frau war offen, aktiv, kommunikativ und mutig. Ein Psychologe hätte ihr eine hohe Annäherungstendenz bescheinigt, die schon im Kleinkind­alter als angeborener Charakterzug in der Kontaktfreudigkeit der kleinen Maria erkennbar war. Maria war sehr gläubig, was zu den persönlichen Ressourcen gezählt werden kann. Sie verfügte über gute Umweltbedingungen, denn sie wuchs in einer intakten Großfamilie auf, die ein kleines, aber gutes Auskommen hatte. Als Maria ungeplant und unverheiratet schwanger wurde – also plötzlich mitten in einer nicht-normativen Lebenskrise steckte –, stand sie vor einer großen Herausforderung. Zur damaligen Zeit drohte ihr der Tod durch Steinigung.

Aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften und Umweltressourcen kam sie in ihrer verzweifelten Lage auf die Idee, ihre Tante Elisabeth aufzusuchen, die eine lebenserfahrene Frau war. Sie war mutig genug, die lange Reise nach Jerusalem anzutreten. Ihre offene, zugewandte Art und ihre auch aus dem Glauben und dem Vertrauen stammende positive Ausstrahlung öffneten ihr die Herzen im Haus ihrer Tante und ihres Onkels. Sie erfuhr dort Hilfe. Ihre Tante war ebenfalls schwanger. Das Kind, das sie im Beisein von Maria zur Welt brachte, nannte man später Johannes, den Täufer. Maria konnte bei der Geburt ihres Cousins erleben, was auf sie zukommen würde. Gleichzeitig entzog sie sich den schiefen Blicken und der brodelnden Gerüchteküche in ihrem Heimatort Nazareth. Durch ihre Reise und den gelungenen Aufenthalt bei Onkel und Tante gelang es ihr, ihr Leben und das ihres Kindes zu retten.

Marias Verlobter Josef seinerseits bekam durch einen Traum den Mut, das gesellschaftlich gesehen Unmögliche zu tun: die schwangere Maria zu heiraten, obwohl ihr Kind nicht von ihm war. Maria hatte sich also die Unterstützung und Beratung ihrer lebenserfahrenen Tante geholt, bekam durch diese und durch den Erfolg ihrer Reise Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Wahrnehmung. Es muss für Maria eine große Erleichterung gewesen sein zu hören, dass auch Elisabeth und ihr Mann durch Träume, starke intuitive Eindrücke und durch „himmlische Zeichen” davon überzeugt waren, dass ihre Schwangerschaft und ihr Kind etwas Außergewöhnliches und ein Segen waren. Sie vertiefte die Beziehung zu ihrer Tante, wartete geduldig, bis Josef innerlich gerüstet war, und stellte sich aktiv dieser Krise. Somit waren Maria und ihr Kind aufgrund der Interaktion zwischen Marias eigenen, persönlichen Ressourcen und den Umweltressourcen hervorragend geschützt.

Zwei Forschungsrichtungen

Erst relativ spät richtete die psychologische Forschung den Blick – statt auf krankmachende Faktoren – darauf, was einen Menschen gesund erhält und was zur gelingenden Bewältigung von Lebenskrisen beiträgt. Um einen Überblick zu den erforschten Ressourcen zu gewinnen, dienen im Folgenden die Resilienzforschung und die Salutogenese (Lehre von der Gesunderhaltung).

Als Resilienz bezeichnet man die Fähigkeit, ungünstige Lebensbedingungen ohne psychische Erkrankung durchzustehen. Die Resilienz ist also ein Maß für die psychische Widerstandsfähigkeit, über die ein Mensch verfügt. Die Forschung hat in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten herausgearbeitet, welche Faktoren zur Ausbildung von Resilienz führen: persönliche Eigenschaften, Umweltfaktoren sowie Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt. Diese Faktoren kann man als Ressourcen verstehen.

Aaron Antonovsky, ein US-amerikanisch-israelischer Soziologieprofessor, legte mit seinem Konzept des Kohärenz­gefühls 1979 den Grundstein für die Forschung zur Salutogenese. Der Kohärenzsinn lässt sich als ein grundlegendes Vertrauen in das Leben beschreiben (Lutz 2011).

Menschen mit einem hohen Kohärenzsinn gehen davon aus, dass es möglich ist zu verstehen, was in ihrem Leben passiert (Sense of comprehensibility). Sie sind sich außerdem sicher, im Fall von Schwierigkeiten über die geeigneten Strategien und die nötigen Fähigkeiten zur Bewältigung der Probleme zu verfügen (Sense of manageability). Die dritte Säule des Kohärenzsinns stellt ein starkes Gefühl von Sinnhaftigkeit dar (Sense of meaningfulness). Diese Komponente wirkt sich stark auf die Motivation eines Menschen aus (Hölzle 2009). Menschen, die davon ausgehen, dass zumindest ein Teil der Probleme und Anforderungen des Lebens einen Sinn haben, sind motiviert, sich für eine Lösung zu engagieren oder sich der Herausforderung zu stellen.

Die Resilienzforschung zeigt, dass Kinder, denen in Studien eine hohe psychische Widerstandsfähigkeit zugeschrieben wurde, häufig schon als Baby aktiv, gutmütig und liebevoll waren. Sie verfügen damit offensichtlich über positive, angeborene Temperamentsmerkmale (Hölzle 2009). Diese Eigenschaften rufen bei Betreuungspersonen Aufmerksamkeit und soziale Unterstützung hervor. Es kommt unmittelbar zu einer Interaktion von persönlichen Eigenschaften (Temperament) und der Umwelt (Betreuungsperson). Für die Resilienz sind auch intellektuelle Fähigkeiten von Vorteil. Menschen, die über ihre Situation reflektieren können, erweitern damit ihre Fähigkeit zur Selbstregulation (Zelazo & Döbel 2015). Sie können also – ganz praktisch – länger liebevoll mit einem schreienden Baby umgehen. Intellektuelle Fähigkeiten stärken auch die Selbstwirksamkeitsüberzeugung (Hölzle 2009). So bezeichnet man in der psychologischen Forschung die innere Sicherheit, eine Situation beeinflussen und gestalten zu können. Daraus resultieren dann ein besseres Selbstwertgefühl und ein positives Selbstkonzept. Resiliente Menschen sind selbstbewusst: „Ich bin jemand, der auch schwierige Situationen mit einem Baby liebevoll gestalten kann.”

Sie zeigen im Falle von großen Herausforderungen ein eher aktives Bewältigungsverhalten (Hölzle 2009). Sie suchen also aktiv Hilfe und gestalten die schwierige Situation, indem sie selbst nicht nur reagieren, sondern agieren, wie Maria aus Nazareth.

Resilienten Menschen ist es in ihrem Leben gelungen, Rollenvorbilder für ein konstruktives Bewältigungsverhalten bei Belastungen zu finden. Maria suchte Elisabeth auf. Beide Frauen waren auf eine „sozial unangepasste Art” schwanger. Elisabeth war ungewöhnlich alt, Maria unverheiratet. Die Fähigkeit, sich soziale Unterstützung durch Personen außerhalb der engsten Familie zu suchen, geht häufig mit positiver Emotionalität einher (Hölzle 2009).

Spiritualität als Ressource

Nach den Ergebnissen aus der Psychotherapieforschung kommen folgende psychische Ressourcen zum Tragen: zum einen die Fähigkeit, Affekte (Gefühle) zu generieren sowie zu durchleben, und zum anderen die Fähigkeit, Fantasien für psychische Prozesse zu nutzen (Hanenberg 2013).

Die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen humorvoll reagieren zu können, zählt ebenfalls zu den wichtigen persönlichen Ressourcen im Umgang mit Belastungen (Wicki 2000).

Eine in der Religions- und Gesundheitspsychologie bekannte und erforschte Ressource ist die Spiritualität. Sie spielte ja auch in dem Beispiel der Maria eine Rolle. Menschen, die ihre Spiritualität aktiv in ihr Leben integriert haben, sind – der psychologischen Forschung zufolge – besser gewappnet gegen langfristige psychische Krankheiten. Sie erholen sich deutlich schneller von ihnen (Unterrainer et al. 2014). Vor Suizid sind sie ebenfalls deutlich besser geschützt. Ihr psychisches Wohlbefinden und ihre Persönlichkeit unterscheiden sich von nicht gläubigen Menschen. Gläubige sind zudem seltener abhängig von Alkohol oder Drogen. Viele dieser Wirkungen beruhen auf der Hoffnung und der Bereitschaft zur Vergebung, die spirituelle und gläubige Menschen häufiger auszeichnen (Unterrainer et al. 2014).

Positiver Affekt

Sowohl in der Resilienzforschung als auch in der Salutogenese konnten Faktoren gefunden werden, die zur Ausprägung und Entwicklung von Resilienz und Kohärenzsinn beitragen. Diese geben auch Hebammen Hinweise, wie sie zur Aktivierung vorhandener Ressourcen beitragen können.

Um eine positive Entwicklung und Resilienz fördern zu können, sind folgende Eigenschaften von Bezugspersonen hilfreich: ein hoher Bildungsstand, Feinfühligkeit und Wertschätzung sowie klare Strukturen, Regeln und angemessene Leistungsanforderungen an die zu betreuenden Personen (Hölzle 2009).

Im Zusammenhang mit der Förderung von Resilienz kommt dem positiven Affekt eine zweifache Bedeutung zu. Zum einen wird eine Hebamme, die positiv gestimmt, lächelnd und tendenziell fröhlich ein Wöchnerinnenzimmer betritt, durch die Wirkung von Spiegelneuronen einen positiven Affekt bei der zu begleitenden Frau hervorrufen können (siehe auch DHZ 6/2013). Dies beeinflusst nicht nur die Beziehung der beiden Frauen. Nach der sogenannten „Broaden-and-build-Theorie” (Theorie des Erweiterns und Aufbauens) der US-amerikanischen Psychologin Barbara Lee Fredrickson (1998), erhöht positiver Affekt die Wahrnehmung, schärft die Sinne und macht bereit, mehr aufzunehmen und mehr Versuche zur Problemlösung zu unternehmen. „Durch diese vielseitigen Problemlöseversuche werden physische, intellektuelle und soziale Ressourcen trainiert, welche langfristig genutzt werden können.” (Flückinger & Holtforth 2011) Es kommt also zu einem positiven Kreislauf, in dem ausgehend vom positiven Affekt eine Verstärkung von Ressourcen stattfindet. Diese neuen Ressourcen begünstigen langfristig den positiven Affekt. So werden auch die positiven Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt gefördert, die aus aussichtslos scheinenden Situationen neue Wege entstehen lassen.

„Eine wirksame Vorbeugung gegen Schmerz und Leid sind nicht zuletzt Mitmenschlichkeit, Zuwendung, Humor und Glaube!” (Bernatzky & Likar 2009) Hebammen können mit ihrer Lebens- und Berufserfahrung, ihrer Persönlichkeit, ihrem Vorbild bei der Bewältigung von Schwierigkeiten, mit Empathie und positivem Affekt den zu begleitenden Frauen als wichtige Ressource dienen, ähnlich wie Elisabeth für Maria. Die Hebamme kann der Frau außerdem dabei helfen, ihre eigenen Ressourcen freizusetzen.

In Geburtsvorbereitungskursen gibt es die Chance, in Entspannungsübungen „Kraftorte” und „innere Helfer” zu entwickeln oder musikalisches Hörerleben mit Wohlbefinden im Körpergedächtnis der Frauen zu verankern. In Gesprächen vor und nach der Geburt sind Emotionen immer zu begrüßen. Die Hebamme kann gezielt mit offenen Fragen herausfinden, welche Ressourcen sich in schwierigen Momenten bewährt haben.

Visionen Wirklichkeit werden lassen

Eine weitere wirksame Methode, um psychische Ressourcen zu aktivieren, ist das sogenannte „mentale Kontrastieren” (Oettingen et al. 2009). Die Frau soll sich dabei in eine positive Zukunftsfantasie hineindenken. Anschließend wird sie sich vergegenwärtigen, was sie selbst tun muss, um diese Zukunftsvision Wirklichkeit werden zu lassen. Um sich auch im Alltag und kleinschrittig motivieren zu können, hilft es, Pläne immer in der Wenn-dann-Form zu formulieren. Angenommen, eine Frau stammt aus einer dysfunktionalen Familie und hat nun Stillschwierigkeiten. Die Hebamme findet heraus, dass die junge Mutter Angst hat, ihr Kind nicht lieben und keine gute Beziehung aufbauen zu können. Das Ziel wäre dann eine gelingende Stillbeziehung. Um dorthin zu gelangen, braucht es viel Geduld und Vertrauen. Der Satz: „Wenn ich mein Baby stille, dann entspanne ich mich und lasse nur gute Gedanken zu”, könnte dann Teil des Plans werden, den die junge Mutter und ihre Hebamme zusammen schmieden.

Hebammen stehen viele Wege zu verschiedenen Quellen zur Auswahl. Und je mehr Wege eine Hebamme schon einmal mit Frauen gegangen ist, desto mehr Quellen und Pfade kennt sie auch für sich und ihre eigene Reise durch das Leben.

Zitiervorlage
Evers-Zimmer C: Kraftquellen in schwierigen Zeiten. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2016. 68 (1): 16–19 
Literatur

Evers-Zimmer, C.: Spiegelneurone im Kreißsaal. Deutsche Hebammen Zeitschrift. 6: 31–34 (2013)

Flückinger, C.; Grosse Holtforth, M.: Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung: Bedürfnisbefriedigung in der Psychotherapie. In: Frank, R. (Hrsg.): Therapieziel Wohlbefinden – Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie, Springer Medizin Verlag. Heidelberg (2011)

Hanenberg, R.G.: „… der Fantasieschlüssel bewährt sich” – Gehört die Fantasie nicht auch zur strukturellen Kompetenz? Psychotherapeut. Vol. 58: 1 (2013)

Hölzle, C.; Jansen, I.: Ressourcenorientierte Biografiearbeit – Grundlage Zielgruppen, Kreative Methoden. GWV Verlag. Wiesbaden (2011)

Lauber, Ch.: Psychiatrische Rehabilitation. Kapitel 52. Springer Medizin Verlag. Berlin und Heidelberg (2013)

Likar, R.; Bernatzky, G.; Märkert, D.; Ilias, W.: Schmerztherapie in der Pflege – schulmedizinische und komplementäre Methoden. Springer Verlag. Wien (2009)

Lutz, R:. Euthyme Therapie und Salutogenese. In: Frank, R. (Hrsg.): Therapieziel Wohlbefinden – Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie. Springer Medizin Verlag. Heidelberg (2011)

Unterrainer, H. F.; Lewis A. J.; Fink, A.: Religious/spiritual well-being, personality and mental health. Journal of religion and health (2014)

Oettingen, G.; Mayer, D.; Sevincer, T.; Pak. H.; Hagenah, M.: Mental Contrasting and Goal Commitment: The Mediating Role of Energization, Personality and Social Psychology Bulletin (2009)

Wicki, W.: Humor und Entwicklung – eine kritische Übersicht. Zeitschrift für Entwicklungs- und pädagogische Psychologie (2000)

Zelazo, P. D.; Döbel, S.: The Role of Reflection in Promoting Adolescent Self-Regulation. In: Oettingen, G.; Gollwitzer, M. (Hrsg.): Self-regulation in adolescence. Harvard University Press. Harvard (2015)

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