Und wenn es eilt?
Im akuten Gefährdungsfall braucht die FamHeb nicht groß darüber nachzudenken, nach welcher Norm sie vorgeht. Droht einem Kind konkret ein Schaden, hat das Wohl des Kindes natürlich immer Vorrang! Ob nach § 4 KKG, § 8a SGB VIII oder direkt nach § 34 StGB: Der FamHeb wird dieser Bruch vom Gesetzgeber erlaubt.
Sieht die FamHeb also mit eigenen Augen, dass die Eltern das Kind schütteln, oder berichten die Eltern, dass sie das Kind nicht ernähren, weil sie es für die Wiedergeburt eines Gottes halten (alles wahre Fälle ), darf die FamHeb nicht zögern, das Jugendamt zu verständigen. Für die Annahme einer solchen akuten Kindeswohlgefährdung reicht es allerdings noch nicht, dass ein unerzogener »Kampfhund« im Haushalt der Schwangeren lebt. Auch wenn deshalb natürlich eine Gefahr drohen kann, ist diese noch nicht akut. Hier wäre zunächst auf die Schwangere hinzuwirken und deutlich zu machen, welche Risiken bestehen können, und bei Zweifel der Rat einer Kinderschutzfachkraft einzuholen.
Für die Annahme einer akuten Kindeswohlgefährdung muss eine Schädigung also unmittelbar bevorstehen und nicht nur eine subjektiven Sorge um eine potenziellen Gefährdung bestehen.
Aussagen im Strafverfahren
Wenn ein Gericht Zeuginnen oder Zeugen zu einer Vernehmung lädt, sind diese laut Gesetz verpflichtet zu erscheinen und auszusagen. Im Fall einer Zeugenaussage vor einem Strafgericht hat die FamHeb im Rahmen ihrer beruflichen Schweigepflicht stets ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO. Sie darf selbst entscheiden, ob sie aufgrund ihrer beruflichen Schweigepflicht die Aussage verweigern oder Auskunft geben möchte. Über ihr Recht nach § 53 StPO muss die Zeugin aber nicht belehrt werden. Es gehört zum beruflichen Wissen und darf vorausgesetzt werden. FamHeb sollten ihr diesbezügliches Recht also unbedingt kennen. Sofern die Hebamme bereits Auskunft erteilt hat, wird ihr dieses Recht vor Gericht nicht mehr zustehen. Hier kann nur ein neues Verweigerungsrecht greifen, zum Beispiel weil die FamHeb befürchtet, sich selbst zu belasten (§ 55 StPO). Ebenso lebt die allgemeine Pflicht zur Zeugenaussage wieder auf, wenn die FamHeb von der Schweigepflicht entbunden ist.
Bei wirklich schwerwiegenden Delikten, wie Kindesmissbrauch oder sogar Tötung, ist das Interesse des geschädigten Kindes selbstredend höher zu bewerten als das Interesse der Eltern an der Vertraulichkeit ihrer Daten. In diesen Fällen ist der Bruch der Schweigepflicht regelmäßig erlaubt.
Im Zweifel lohnt es sich, Rat bei Rechtsanwält:innen zu holen oder sie sogar als Zeugenbeistand zu Gericht mitzunehmen.
Wie sollte die Aussage aussehen?
Grundsätzlich haben Zeug:innen vor Gericht die Wahrheit zu sagen – dies ist wohl allen bewusst. Auch das Zeugnisverweigerungsrecht erlaubt lediglich das Schweigen, es rechtfertigt keine Lügen!
Bei der Aussage vor Gericht sollte die FamHeb nur aussagen, was sie gesehen hat und woran sie sich erinnert. Wenn sie sich nicht mehr sicher ist, ob sie sich richtig erinnert oder ob sie alles gesagt hat, ist dies dem Richter oder der Richterin mitzuteilen.
Strafverhandlungen sind öffentlich (mit Ausnahme der Verfahren gegen oder mit Kindern oder Jugendlichen). Zeug:innen müssen grundsätzlich ihre Personalien angeben, Angeklagte haben ein Recht zu erfahren, was gegen sie ausgesagt wird. Sofern sich FamHeb in ihrer Zeugeneigenschaft bedroht fühlen, sollten sie auch dies mit einem Anwalt besprechen. Es gibt Maßnahmen, die das Gericht in solchen Fällen anordnen kann, so beispielsweise eine Aussage in Abwesenheit der Angeklagten oder die Geheimhaltung der Adresse.
Wenn die Kripo klingelt
Was gilt es zu beachten, wenn die Kripo klingelt? Kripo-Beamt:innen wissen selten um das Zeugnisverweigerungsrecht von Familienhebammen beziehungsweise Hebammen allgemein und können sich hier auch relativ beratungsresistent geben. Oftmals werden die Beamt:innen unfreundlich bis bedrohlich wahrgenommen. Es gibt aber auch Fälle, in denen sie in freundlichen, unverfänglichen Gesprächen oder im »Small Talk« versuchen, Informationen zum Sachverhalt zu erlangen.
FamHeb sollten sich hiervon nicht beirren lassen und auf ihr Aussageverweigerungsrecht bestehen. Sie haben das Recht, sich diesbezüglich anwaltlich beraten zu lassen und müssen vor den Beamten nichts sagen!
Im Falle einer Ladung zur Zeugenaussage durch die Polizei besteht eine Pflicht zum Erscheinen nur dann, wenn der polizeilichen Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt (§ 163 Absatz 3 Satz 1 Strafprozessordnung/StPO). Und auch dann gilt das Zeugnisverweigerungsrecht: Die FamHeb muss also hingehen, muss aber nichts zum Fall sagen.
Familienhebamme unter Anklage
Eine Gefahr besteht natürlich immer darin, dass die Eltern, denen das Kind entzogen wurde, sich auch gegen die an dem Verfahren beteiligte FamHeb richten. So gab es in den letzten Jahren nicht nur Anklagen wegen unzulässiger Weitergabe der Daten, sondern auch Versuche, die FamHeb nach einer unzulässigen Inobhutnahme der Mittäterschaft wegen Entziehung Minderjähriger anzuklagen. Nach § 235 StGB wird eine solche Tat mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Denn sofern die Inobhutnahme durch das Jugendamt sich im Nachhinein als nicht gerechtfertigt herausstellt, hat die FamHeb hieran natürlich mitgewirkt.
FamHeb machen sich aber nicht strafbar, wenn sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Schließlich sind FamHeb speziell geschult, um gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zu erkennen, so dass höhere Anforderungen an sie gestellt werden können.
Dennoch: Sofern sich die FamHeb an das beschriebene Prozedere gehalten hat und sich nach Rücksprache mit entsprechend geschulten anderen Fachkräften für die Aussage entschlossen hat, kann ihr eine falsche Abwägung nicht vorgeworfen werden. Das heißt nicht, dass erboste Eltern es nicht zunächst bis zur Anklage treiben können; in der Regel werden diese Verfahren jedoch mangels vorwerfbaren Verhaltens eingestellt.
Resümee
Es braucht nicht betont zu werden, dass bei der Betreuung von vulnerablen Familien das Kindeswohl stets an erster Stelle zu stehen hat. Nichtsdestotrotz besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der das Vertrauensverhältnis schützenden Schweigepflicht und der Pflicht, das Kindeswohl im Auge zu behalten. Dieses Spannungsfeld wird immer bestehen bleiben, da es typisch für die Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe ist.
Familienhebammen können und sollten sich im Zweifel auf die rechtlich vorgegebenen Abläufe und in letzter Instanz auf ihre Erfahrung verlassen. Sofern sie die gesetzlich vorgeschriebenen Handlungsstufen beachten und bei akuten Gefährdungen auch sofort Alarm schlagen, kann ihnen in der Regel nichts vorgeworfen werden.
Und selbst, wenn ausnahmsweise unbegründet die Schweigepflicht gebrochen wurde, wiegt ein möglicher Bruch derselben wohl weniger folgenschwer, als eine übersehene Kindeswohlgefährdung beziehungsweise ein Strafverfahren wegen eines Tötungsdeliktes (durch Unterlassen).
Bisher sind keine Urteile gegen FamHeb öffentlich einsehbar, in denen der Bruch der Schweigepflicht geahndet wurde. Dies sollte natürlich nicht dazu führen, diese leichtfertig zu brechen. Es zeigt aber, dass bei vernünftigem und verständigem Vorgehen mögliche strafrechtliche Konsequenzen nicht überzubewerten sind.