Vor der Geburt müssen die Eltern darüber aufgeklärt worden sein, was alles hätte schief gehen können – im Sinne der „Qualität“? Foto: © Felizitas Fichtner

Wie wirken sich die Vorgaben aus Qualitätsmanagement-Systemen auf die Hebammentätigkeit aus? Auch in hebammengeleiteten Einrichtungen, die nur gesunde Schwangere betreuen, bekommt die Aufklärung über Risiken ein großes Gewicht. Die Kolleginnen gehen damit unterschiedlich um. In ihrer Masterarbeit untersuchte die Autorin, wie Geburtshaushebammen das notwendige Aufklärungsgespräch zu Risiken handhaben.

Durch die Verankerung von hebammengeleiteten Einrichtungen (HgE) im fünften Sozialgesetzbuch (2008) wurden diese Teil des ökonomisch ausgerichteten Gesundheitswesens. Die HgE waren bis dahin nicht anerkannt und die Betriebskosten wurden nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Bedingungen hierfür waren die Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagement-Systems und die Festlegung von Ausschlusskriterien für außerklinische Geburten in HgE (Ergänzungsvertrag § 134a SBG V vom 27.6.2008, 27.6.2011 und 1.6.2012). Die erlernten Betreuungskompetenzen während meines Studiums zeigten mir innerhalb meines täglichen Tuns als freiberufliche Hebamme in einer HgE deutliche Diskrepanzen zu den QM-Abläufen auf. Deshalb habe ich im Rahmen des Masterstudiengangs „Angewandte Physiologie für Hebammen” an der FH Salzburg die hier vorgestellte Forschungsarbeit als Masterarbeit vorgelegt.

Ein „Ritual” wird zur Pflicht

Die umfassende Aufklärung über die Grenzen und Möglichkeiten einer außerklinischen Geburt ist ein zentraler Bestandteil des qualitätsbezogenen Sicherheitsmanagements der HgE. Ein „Ritual”, das Hebammen und werdende Eltern einzuhalten haben, wurde zur Pflicht gemacht. Wenn eine Frau allerdings nicht aufgeklärt werden möchte, muss sie das erklären und unterschreiben. Anhand einer vom Netzwerk der Geburtshäuser entworfenen Checkliste müssen alle möglichen „Worst-Case-Szenarien” mit beiden Elternteilen durchgesprochen werden. Dabei geht es zum Beispiel um die „Verlegungen in Ruhe” oder die „Notfallverlegung” im Falle eines unvorhersehbaren Zwischenfalls. Die Entfernung und der Zeitverlust, bis die nächste Klinik erreicht werden kann, und die Vorgehensweise der Hebamme müssen exakt erklärt werden, damit die Eltern eine angemessene Entscheidung über den Geburtsort ihres Kindes treffen können. Dazu kommt seit dem Jahr 2011 ein sechsseitiger „Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung” des Deutschen Hebammenverbandes e.V. (DHV), den dessen Haftpflichtversicherer bei außerklinischen Geburten vorschreibt. Dieser Bogen enthält Passagen über den eventuellen Tod des Kindes oder der Mutter durch mögliche zeitliche Verzögerungen. Zum Thema „Auswirkungen von Qualitätsmanagement auf die Tätigkeit von Hebammen in hebammengeleiteten Einrichtungen” gibt es momentan keine aussagekräftige Forschung. Aus meinen täglichen, praktischen Erfahrungen sind die nachfolgenden Forschungsfragen zu meiner Masterarbeit entstanden:

  • Bedroht ein QM-System des Trägers der HgE mit spezifischen Vorgaben die originäre Hebammentätigkeit?
  • Hat ein QM-System direkten Einfluss auf die Arbeit von Hebammen?
  • Welche Strategien haben Hebammen entwickelt, um die Spannung auszugleichen, die die Arbeit mit einem QM-System hervorruft?

Eine Arbeitssituation, die einen Vergleich zulässt, ist die im Qualitätsmanagement vorgeschriebene Aufklärung über Risiken (Ergänzungsvertrag § 134a SGB V, Anlage 1). Dabei muss die Hebamme den werdenden Eltern ein in die Zukunft projiziertes Wahrscheinlichkeitsrisiko mitteilen. Sie hat die Pflicht der „Totalinformation” über Vorgänge, welche die Schwangere nach statistisch berechneten Wahrscheinlichkeiten zu erwarten hat, worauf die Eltern aber durch ihre Erklärung verzichten können.

Die Aufklärung soll die werdenden Eltern zu einer informierten Entscheidung führen, die sie dann auf einem „Risikoeinwilligungserklärungsbogen” erklären und beide unterschreiben müssen.

Das Qualitätsmanagement beschreibt alle Vorgänge in regelgerechten Verfahrensanleitungen. Die Prozessabläufe werden zu einer Art Leitfaden für die Hebammenhandlungen und können im Einzelfall nur schwer oder gar nicht eingehalten werden. Dieses Konzept kollidiert deutlich mit der bisherigen Vorstellung von Hebammen, demzufolge die Begleitung von werdenden Eltern kein „Verfahren”, sondern ein situationsbezogenes, stets im lebendigen Wandel befindliches Tun ist.

Hintergründe und Definitionen

Die Hypothesen der Masterarbeit waren, dass

  1. normative Qualitätsmanagementvorgaben die Hebammenhandlungen beeinflussen
  2. die Prozessabläufe eine Art Leitfaden für die Hebammenhandlungen vorgeben, der unbedingt eingehalten werden muss
  3. viele Hebammen, die vorab dargestellten Prozessabläufe in ihre Hebammenhandlungen nur zu einem geringen Teil integrieren.

Der erste Schritt war eine ausführliche systematische Literaturrecherche und eine detaillierte Klärung der Begriffe Risiko und Qualitätsmanagement. Im zweiten Schritt wurden mit Hilfe einer empirisch qualitativen Methode der Datenerhebung außerklinisch arbeitende Hebammen als „Betroffene” per E-Mail befragt. Kolleginnen, die ausschließlich als Hausgeburtshebammen oder als Beleghebammen arbeiten, wurden nicht befragt.

Im außerklinischen Alltag der HgE müssen Hebammen sehr viel Zeit in die Verwaltung des QM-Systems oder in die Schulung von neuen MitarbeiterInnen für das bestehende System investieren – Zeit, die sie nicht mit dem Kerngeschäft der Betreuung von Schwangeren und deren Familien verbringen (und in der sie kein Geld verdienen) können. Qualität, Qualitätsmanagement, Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung wurden innerhalb eines QM-Systems definiert und damit für die Arbeit der Hebamme wesentlich.

Das Wort „Qualität” ist abgeleitet aus dem Lateinischen „qualitas” und wird übersetzt mit Beschaffenheit, Verhältnis oder Eigenschaft. Im deutschen Gesundheitswesen wird auf zwei Qualitätsdefinitionen Bezug genommen. Diese werden als Arbeitsdefinitionen betrachtet. In den DIN-Normen wird „Qualität” als die „Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produktes oder einer Dienstleistung, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung festgelegter oder vorausgesetzter Erfordernisse bezieht”, definiert (DIN, Deutsches Institut für Normung e.V. 1992). Die für den Gesundheitssektor sehr bedeutsame DIN EN ISO 9001 besagt: „Qualität ist der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt”. Diese abstrakte Formulierung ist für Hebammen schwer verständlich.

International hat sich der Erklärungsansatz des amerikanischen Mediziners und Wissenschaftlers Avedis Donabedian (1919–2000) durchgesetzt. Qualität ist demnach der Grad der Übereinstimmung zwischen den Zielen des Gesundheitswesens und der wirklich geleisteten Versorgung. Die Differenzierung und Klassifizierung erfolgt über die drei Komponenten „Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität”. Diese drei werden gleichzeitig als Säulen der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen verstanden (siehe auch Seite 15ff.).

Für HgE in Deutschland werden mit der Strukturqualität auch die definierten Ausschlusskriterien für außerklinische Geburten festgelegt (Ergänzungsvertrag § 134a vom 1.6.2012).

Prozessqualität beinhaltet und beschreibt sämtliche ärztliche und pflegerische Arbeitsabläufe. In allen HgE der Verbundzertifizierung der Deutschen Gesellschaft von Managementsystemen mbH (DQS) finden sich diese Beschreibungen in den Kernprozessen. Hier werden alle Tätigkeiten der Hebamme beschrieben. Die Arbeitsanleitungen zu geburtshilflichen Sonder- und Notfällen oder notwendige Formulare sind hier ebenso zu finden.

Die Ergebnisqualität umfasst die End- oder Zielpunkte medizinischer Versorgung. In HgE wird zum Beispiel mit Fragebögen die Zufriedenheit der KlientInnen am Ende eines Betreuungszeitraumes erfragt. Kennzahlen, die einen Vergleich zulassen, werden so ermittelt und Verbesserungen daraus abgeleitet.

Alle drei Dimensionen von Qualität finden sich im Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134 a SGB V wieder. Die Berliner Ärztin Dr. Franziska Prütz weist darauf hin, dass einige AutorInnen den Nachteil dieser Betrachtungsweise aufzeigen (Prütz 2012: 107). So zum Beispiel der Internist Matthias Schrappe, der unter anderem über Qualitätsmanagement, Evidenzbasierte Medizin sowie Patientensicherheit und Risikomanagement lehrt (2004:273). Er ordnet die Qualitätsdefinition von Donabedian einer sachlichen Qualität zu und schlägt vor, Qualitätsdimensionen zu benennen, die eine interaktive und eine gesellschaftliche Qualität mit einbeziehen. Andere AutorInnen gehen noch weiter und verstehen die Definition von Donabedian als eine systembezogene Dimension, aus der subjektive Dimensionen wie Beziehungs-, Handlungs- und Erlebnisqualität abgeleitet werden können (Hensen & Hensen 2010:132).

Bedingungen der Hebammenarbeit in Deutschland. Für freiberufliche Hebammen ergeben sich neben der Berufsordnung eine Fülle von Notwendigkeiten, die sich aufeinander beziehen
und das Handeln der Hebamme bestimmen. Abbildung: © Mela Pinter

Ein Qualitätsbegriff, der um solche Dimensionen erweitert wäre, käme in der Beschreibung von Hebammenarbeit zum Tragen und würde die geleistete Arbeit genauer abbilden. Der momentan definierte Qualitätsbegriff beschreibt nur die objektive und messbare Qualität, die subjektive und interaktive Seite berücksichtigt er kaum oder gar nicht.

Der Begriff Qualitätssicherung nimmt im Gesundheitswesen im Allgemeinen und in der Hebammentätigkeit einen großen Raum ein. Die außerklinische Qualitätssicherung wird seit 1999 von der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. durchgeführt (www. QUAG.de).

Umgang mit dem Risiko

Voraussetzung für die Vergütung der Betriebskosten der HgE ist die Aufnahme in die Liste der Vertragseinrichtungen gemäß § 4 Abs. 5 des Ergänzungsvertrages zu § 134a SBG V vom 27. Juni 2008, zuletzt geändert am 1. Juni 2012. Zentraler Bestandteil dieses Vertrages ist die Anlage 1 „Qualitätsvereinbarung” mit § 7 „Aufklärung “. In § 10 sind die Anforderungen an ein Qualitätsmanagement-System in einer HgE geregelt. Die dort beschriebenen Ziele verdeutlichen den Zusammenhang zwischen einem QM-System und dem Anliegen, dass dieses eine Grundlage zur externen Prüfung bilden kann.

„Das QM-System in der HgE im Sinne des Ergänzungsvertrages hat das vorrangige Ziel, die Qualität der Versorgung mit Hebammenhilfe, der medizinischen Versorgung und die Betreuungsqualität in allen Bereichen der HgE sicherzustellen und weiterzuentwickeln”, so § 10 Absatz 1 der Anlage 1 des Ergänzungsvertrags § 134a SBG V. Weiter heißt es dort: „Begleitung und Beratung erfolgen in der Schwangerschaft und bei der Geburt in kooperativer Form. Sie basieren auf den Prinzipien der informierten Entscheidung und der Mitverantwortung der Schwangeren und Gebärenden”. An dieser Stelle werden auch die Grundelemente eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements dargestellt. Das Kapitel Risikomanagement enthält als ersten Punkt die Aufklärung.

Risiken sollen reduziert, analysiert und weitgehend ausgeschlossen werden. Dabei wird nicht unterschieden zwischen einem Risiko als möglicher Gefahr und wissenschaftlich definierten Risiken, die auf Berechnungen beruhen. Diese Berechnungen wiederum basieren historisch betrachtet auf einem Versicherungsdenken, das die Risikovermeidung zum Ziel hat. Hier bezieht sich die Definition nicht mehr auf eine Gefahr oder ein mögliches negatives Ereignis, sondern ist eine statistisch berechnete, wahrscheinlichkeitstheoretische Vergegenwärtigung von zukünftigen Ereignissen. Risiken existieren nicht, sondern werden hergestellt (Samerski 2002:116).

Die Zusammenführung der Begriffe „klinisches Risiko” schweißt statistische und diagnostische Indikatoren zusammen. Es wird nicht mehr der einzelne Mensch gesehen, sondern das Individuum liefert Daten, die mit Profilen anderer Daten verglichen werden können. Damit wird die gegenwärtige Situation verlassen und Projektionen über Wahrscheinlichkeiten werden in die Zukunft implantiert (Duden 2006). Für das Verständnis der großen Wirkmacht des Begriffes „Risiko” im Zusammenhang mit Qualitätsmanagement-Systemen in der Medizin und deren Folgen für die zu beratende schwangere Frau oder das Paar, braucht es zum besseren Verständnis der heutigen Situation einen historischen Abriss. Wie kam das Risiko in die Medizin und in das Denken der Menschen?

Der Geburt geht die Schwangerschaft voraus und damit eine Fülle von informierten Entscheidungen. Wenn heute ein Kind geboren wird, hat sich die Frau in den allermeisten Fällen bewusst dafür entschieden und bereits im Vorfeld oder direkt nach dem Eintreffen der Schwangerschaft eine Reihe von informierten Entscheidungen getroffen. Sie hat über unzählige Plattformen im Internet versucht, sich möglichst viel Wissen über das neue Gebiet anzueignen. Vielleicht hat sie auch schon Erfahrungsberichte gehört oder gelesen. Damit kommt sie bereits mit dem Gefühl eines dringenden Beratungsbedarfes zum Facharzt oder zur Fachärztin. Dort trifft sie auf ein medikalisiertes Risikomodell, das fest in der Schwangerenvorsorge in Deutschland verankert ist.

Die vorgeburtliche Qualitätskontrolle ist heute zur Routine geworden und wird kaum mehr hinterfragt. Ultraschallkontrollen und Ersttrimestertest zum Ausschluss einer fetalen Chromosomenstörung werden allen Schwangeren angeboten. Ungefähr jedes zehnte Kind wird durch eine Amniozentese auf seinen normgerechten Chromosomensatz getestet (Schmidke 2007).

Das Dilemma, dass in HgE nur gesunde Frauen geburtshilflich betreut werden, diese aber alle für sie momentan nicht zutreffenden Möglichkeiten von Risiken im Rahmen des RAG aufgezeigt bekommen müssen, fordert von Hebammen eine Strategieentwicklung für den Umgang damit. Es wird anhand der bereits 2008 vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen und den damals vertretenden Verbänden vorgefertigten Checkliste durchgeführt und findet in der Regel zwischen der 33. und 35. Schwangerschaftswoche statt. Es dient in erster Linie der forensischen Absicherung der einzelnen Hebamme und der Einrichtung in ihrer Trägerfunktion.

Mit den Vorgaben für Hebammen aus dem Qualitätsmanagement, den zwingenden versicherungstechnischen Unterlagen und dem medizinisch-sozialen Hintergrund der schwangeren Frau oder des Paares kann für dieses Gespräch keine symmetrische Betreuungsebene entstehen. Die Hebamme muss die bis zu diesem Zeitpunkt geltende symmetrische Beziehungsebene verlassen. Das im salutogenetischen Betreuungsmodell fest verankerte Prinzip, die Frau mit ihren Anliegen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen, kann vor diesem Hintergrund nicht aufrechterhalten werden.

Qualitative Befragung

Das qualitative Forschungsdesign im Rahmen meiner Masterthesis lässt Hebammen als „Betroffene” und nicht als Expertinnen zu Wort kommen. Mit einer erzählauffordernden offenen Hauptfrage und zwei weiteren Unterfragen wurden Hebammen, die im QM-System von HgE tätig sind, mittels E-Mails zum Forschungsthema befragt. In der Befragung wurde nicht hinsichtlich der betreuten Klientel unterschieden, da das vorgegebene Verfahren des Risikoaufklärungsgespräches (RAG, ein in ihrer Masterarbeit verwendeter Begriff der Autorin) keine Unterscheidung vorsieht, zum Beispiel zwischen Erst- und Mehrgebärenden.

Über den E-Mail-Adressenverteiler des Netzwerkes der Geburtshäuser erfolgte im März 2013 eine Anfrage zur Teilnahme an der geplanten Forschungsarbeit. Insgesamt 13 von 38 angefragten HgE bekundeten ihr Interesse. In der Folgezeit sagten vier Einrichtungen wegen Arbeitsüberlastung wieder ab. Acht Rückmeldungen per E-Mail wurden ausgewertet. Eine weitere Befragte versendete den ausgedruckten Fragebogen per Post.

Die Analyse der erhobenen Daten wurde im Juni 2013 mit einer qualitativen Inhaltsanalyse durchgeführt. Das Material wurde schrittweise mit theoriegeleiteten, am Inhalt der Befragung entwickelten Kategoriensystemen bearbeitet (Mayring 2002:114). Qualitative Verfahren haben dann eine hohe Aussagekraft, wenn subjektive Sinnstrukturen und individuelle Erfahrungen in ihrem Kontext untersucht werden sollen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn es bisher zum Gegenstand der Untersuchung keine Forschung gibt. Dimensionen für die Strukturierung ergaben sich aus der Fragestellung und der dahinterliegenden Theorie. Die Passagen, die sich auf die Forschungsfrage bezogen, wurden mit Ankerbeispielen aus den Texten belegt.

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Mehrheit der befragten Hebammen 100 Prozent und mehr arbeitet. Sie sind in unterschiedlichen Arbeitsorganisationen und Trägerschaften der HgE tätig. Die Befragten zeigen ein breites Spektrum der Berufserfahrung. Drei Hebammen bringen eine langjährige Berufserfahrung mit. Eine Teilnehmerin wird in diesem Jahr aus Altersgründen die außerklinische Geburtshilfe einstellen. So kann auch das Alter der Hebamme ein Hinweis auf den Umgang mit der QM-Aufgabe sein. Zwei Hebammen sind erst kurz und nicht in Vollzeit in der außerklinischen Geburtshilfe tätig.

Das Abschlussjahr der Hebammenausbildung zeigt im Vergleich zur Aufnahme der freiberuflichen Tätigkeit bei fünf Hebammen eine Differenz. Das deutet darauf hin, dass möglicherweise eine klinische Vorerfahrung besteht. In der Regel arbeiten die Hebammen dort als Angestellte. Die ÄrztInnen sind den angestellt tätigen Hebammen gegenüber weisungsbefugt. Solche Vorerfahrungen machen sich möglicherweise in den Antworten dieser Hebammen bemerkbar.

Vier Hebammen sind als Qualitätsbeauftragte (QB) ausgebildet und in der Einrichtung für die QM-Vorgaben verantwortlich. Alle Teilnehmerinnen sind sowohl in HgE als auch als Hausgeburtshebammen in der außerklinischen Geburtshilfe tätig. Eine Hebamme arbeitet zusätzlich noch als Beleghebamme in einer Klinik.

Die Analyse der Ergebnisse richtet sich nach den Gütekriterien qualitativer Forschung. Die Beschränkung der Befragung auf die Sicht der Hebammen ist jedoch eine Limitation der Studie. Zum Verständnis des Einflusses eines im QM eingebundenen RAG und den daraus resultierenden Vor- und Nachteilen müsste auch die Sicht der betreuten schwangeren Frauen und deren Familien erforscht und berücksichtigt werden.

Dilemmata in der Betreuung

Alle neun Hebammen sehen ihre Arbeitsorganisation durch QM beeinflusst und entwickeln individuelle Strategien, das RAG in ihre Tätigkeit zu integrieren. Acht von neun Hebammen empfinden diese Auseinandersetzung als Bereicherung ihrer Tätigkeit. Alle neun Hebammen gaben an, dass das RAG Einfluss auf das subjektive Erleben der schwangeren Frau nehme. Sieben Befragte sehen im RAG einen negativen Einfluss auf die Schwangere. Ebenfalls sieben Hebammen geben an, dass das RAG keinen Einfluss auf die nachfolgende Geburt nehme. Sechs Befragte sehen für den Partner das RAG als beeinflussende Erfahrung. Auswirkungen oder Einfluss auf die weitere Umgebung sind allen neun Befragten unbekannt.

Mit den Ergebnissen der qualitativen Befragung von Hebammen, die mit dem RAG und QM-Vorgaben arbeiten, kann die übergeordnete Forschungsfrage nicht eindeutig beantwortet werden, ob ein QM-System die originäre Hebammenarbeit bedroht.

Diejenigen Hebammen, die direkt nach der Ausbildung in die Freiberuflichkeit und in die außerklinische Geburtshilfe eingestiegen sind, gehen mit den QM-Vorgaben positiv in das RAG und vermitteln den schwangeren Frauen und Paaren einen Sicherheitshintergrund. Hebammen, die weniger Berufserfahrung haben oder auch zu einer jüngeren Generation gehören, fällt es schwerer, diese QM-Vorgabe den schwangeren Frauen und Paaren zu vermitteln. In den Ergebnissen der Befragung wurde kein „roter Faden” bei der Durchführung des RAG sichtbar. Die Befragten antworteten sehr individuell, und es war deutlich zu erkennen, dass die Intentionen der Hebammen bei der Durchführung des RAG den Fokus bestimmen. Hebammen, die in festen, stabilen Teams langjährig zusammenarbeiten, gehen mit QM-Vorgaben im Allgemeinen und mit dem Sicherheits- und Risikomanagement im Besonderen, gelassen und professionell um. Hebammen, die nicht von ihrem Tun überzeugt oder unsicher sind, gelingt dies nicht. In diesem Fall wirkt die Durchführung des RAG eher von außen verordnet.

Eine Vielzahl von Wortgebilden gruppiert sich um den Begriff Risiko (laut Wörterbuch Duden online). Abbildung: © Mela Pinter

Die Verknüpfung mit den Vorgaben der Haftpflichtversicherer wird als Motivation zur korrekten und zuverlässigen Durchführung genannt. Aus diesem Blickwinkel heraus kann die Forschungsfrage nach einer Bedrohung der originären Hebammenarbeit eindeutig bejaht werden. Mit der strikten Verpflichtung zur Risikoaufklärung vor der Geburt seitens der Haftpflichtversicherer kann die originäre Hebammentätigkeit nicht konstant aufrechterhalten werden. Aus den Antworten der Befragten geht dies eindeutig hervor. Die Hebammen wissen um ihre fürsorgende, nicht übergreifende Betreuungsqualität und fühlen sich mit der Verpflichtung zur Durchführung des RAG nicht wohl. Ein Teil der Befragten lehnt diese Termine gänzlich ab, führt sie aber trotzdem durch. Dieses Dilemma wird auch für die schwangeren Frauen und Paare deutlich. Die befragten Hebammen geben an, eine verstärkte Verunsicherung nach dem RAG bei den Frauen beziehungsweise Paaren wahrzunehmen.

Das RAG wird anhand der bereits 2008 vorgefertigten Checkliste der Krankenkassen durchgeführt. Die schwangeren Frauen und Paare durchlaufen einen vorgeschriebenen Routinetermin, der von beiden Seiten „abgearbeitet” wird. Hier kann die Forschungsfrage nach einer Bedrohung der originären Hebammentätigkeit eindeutig bejaht werden. Handlungen, die ritualisiert aus den Gegebenheiten der Klinik in die von außerklinisch tätigen Hebammen übernommen werden, führen zu weitreichenden Veränderungen der Qualität in der Hebammenbetreuung. Beide Seiten, die Hebammen und die schwangeren Frauen und Paare, verlassen damit ihre ursprüngliche Intention der Betreuung „Seite an Seite”.

Resümee

In den HgE ermöglichen die QM-Systeme einen strukturierten und transparenten Umgang mit den vielfältigen Aufgaben. Die schwangeren Frauen und Paare werden damit aber auch, je nach Fokus der durchführenden Hebamme, positiv oder negativ durch die Fülle der Informationen beeinflusst. Nicht selten haben die werdenden Eltern bereits eine große Anzahl (genetischer) Beratungen bekommen und mussten selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Diese Prägung ist Hebammen nicht immer bewusst, da die Betreuung meist zu einem späteren Zeitpunkt beginnt. Aus diesem Grund braucht es für die nachfolgenden Termine im Zusammenhang mit der Risikoaufklärung eine professionelle Beratungskompetenz und eine stetige Reflexion der eigenen Arbeit. In den Hebammenteams, in denen ein bewusster Umgang mit dem eigenen Betreuungsmodell stattfindet, gelingt es, diese Spannung gut auszugleichen.

Kolleginnen, die als Berufsanfängerinnen starten, brauchen eine gute Schulung für die Durchführung des RAG, eine stetige Reflexion und Weiterentwicklung. Durch die Koppelung des RAG an QM-Vorgaben, versicherungsrechtliche Vorgaben, Vorgaben der Krankenkassen und Kontrollmechanismen seitens des GKV-Spitzenverbandes, scheint die Betreuungsintention verloren zu gehen. Aber auch die schwangere Frau oder das Paar wissen oft nicht mehr, wie selbstbestimmt und in eigener Verantwortung Entscheidungen getroffen werden können. Dies trifft vor allem bei der ersten Schwangerschaft zu. Die weniger erfahrenen Kolleginnen müssen sich diese Zusammenhänge bewusst machen und ihre Kompetenzen Schritt für Schritt erweitern.

Für die freiberuflich arbeitenden Hebammen in Deutschland braucht es eine Debatte über die Auswirkungen dieser Hebammenhandlungen und die Verankerung eines frauenzentrierten salutogenetischen Hebammenmodells.

Für alle Hebammen, unabhängig in welcher Arbeitsorganisation sie tätig sind, wäre eine Debatte über das Risikodenken und die eigene Verortung dabei sehr hilfreich für ihr persönliches Berufsverständnis. Die bereits gesammelten Erfahrungen der Hebammen in HgE sollten genutzt werden für die geplante Einführung von QM.


Hinweis: „Die Auswirkungen von Vorgaben aus Qualitätsmanagement-Systemen auf die Tätigkeit von Hebammen in hebammengeleiteten Einrichtungen unter besonderer Berücksichtigung des Risikoaufklärungsgespräches”, ist der Titel der Abschlussarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Sciences, den Mela Pinter im August 2013 an der Fachhochschule Salzburg GmbH erlangte. Ihre Erstbetreuerin war Dr. Ina Praetorius.


Zitiervorlage
Pinter M: Risikoaufklärungsgespräche und QM: Ist die originäre Hebammenarbeit bedroht? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (1): 36–40
Literatur
DHV: Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung (2012)

Donabedian, A.: Evaluating the quality of medical care. The Milbank Quarterly. 44/2006. 166–203 (1966)

Duden, B.: Die Gene im Kopf – der Fötus im Bauch. Historisches zum Frauenkörper. Offizin-Verlag. Hannover (2002)

Duden, B.: Kopfgeburten – wie die statistische Wende in der Medizin die Haltung und das Wissen von Hebammen bedroht. Deutsche Hebammenzeitschrift. 7: 6–9 (2005)

Ergänzungsvertrag nach § 134a SGB V über Betriebskostenpauschalen bei ambulanten Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen und die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen vom 27.6. mit Anlagen (2011)

Hensen, P.; Hensen, G.: System- und subjektbezogene Perspektiven von Zertifizierungsverfahren in Gesundheitseinrichtungen. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement. 15: 132–140 (2010)

Mayring, Ph.: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Beltz Verlag. Weinheim (2002)

Prütz, F.: Was ist Qualität im Gesundheitswesen? Ethik und Medizin. 24: 105–115 (2012)

Samerski, S.: Geboren oder ausgewählt? Zur sozialen Bedeutung von Selbstbestimmung im Rahmen vorgeburtlicher Diagnostik. Vortragsmanuskript vom 4.11.2009. Das anthropologische Quadrat: Der Mensch und die Grenzen der Sozialwelt. Oldenburg (2009)

Samerski, S.: Die Entscheidungsfalle. Wie genetische Aufklärung die Gesellschaft entmündigt. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt (2010)

Schmid, V.: Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Ein salutogenetisches Betreuungsmodell. Elwin Staude Verlag. Hannover (2011)

Schmidtke, J.: Daten zu ausgewählten Indikatoren II. In: Schmidtke, J.et al.: Gendiagnostik in Deutschland: Status quo und Problemerkundung. Supplement zum Gentechnologiebericht. Forschungsberichte der Interdisziplinären Arbeitsgruppen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Forum Wissenschaft. Wissenschaftlicher Verlag. Limburg. 195–203 (2007)

Schrappe, M.: Qualität in der Gesundheitsversorgung. Lauterbach, K. W. & Schrappe, M. (Hrsg.): Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine – Eine systematische Einführung. Schattauer. Stuttgart. 267–276 (2004)

https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png