Kaum ein Thema im Gesundheitswesen ist so emotional wie eine Kreißsaalschließung. Häufig werden Klinikträgern wirtschaftliche Motive unterstellt. Tatsächlich erfolgen die Schließungen laut Analyse des Deutschen Hebammenverbands (DHV) meist wegen Fachkräftemangel – mal fehlen Hebammen, mal Ärzt:innen (DHV o.J.). Defizitäre Geburtshilfe-Abteilungen werden oft dennoch erhalten, ein Kreißsaal bedeutet Imagegewinn und ist ein Sympathieträger.
Man liest außerdem von großen Abteilungen in Großstädten, die wegen Personalmangels Schwangere abweisen oder sich vorübergehend von der Versorgung abmelden (Deutsches Ärzteblatt 2020). Von Jahr zu Jahr sinkt die Zahl der Geburtskliniken. 2017 hatten nur noch 672 der 1942 Kliniken einen Kreißsaal (Destatis 2018). Von den 778.090 im Jahr 2019 in Deutschland geborenen Kindern (Statista 2020) kamen über 98 % in Kliniken zur Welt (QUAG 2021).
Das Kreißsaalsterben lenkt den Blick auf die bedrohliche Entwicklung der deutschen Geburtshilfe, ist aber nicht das tatsächliche Problem. Die Herausforderung ist, schwangeren Frauen eine sichere Geburt in ruhiger, persönlicher und vertrauensvoller Atmosphäre zu ermöglichen mit der Gewissheit, in Notfallsituationen rechtzeitig kompetente medizinische Hilfe zu erhalten – flächendeckend in ganz Deutschland. Kreißsäle sind dafür nur die Hüllen. Entscheidend sind die nötige Infrastruktur und kompetentes Personal in ausreichender Zahl rund um die Uhr.
Die Verbesserung erfolgt nicht durch den Erhalt der einzelnen Klinik. Es ist notwendig, die Kriterien für eine sichere und den Frauen gerecht werdende Geburtshilfe zu definieren und sie dann konsequent und beharrlich umzusetzen. Außerdem müssen Lösungen für eine flächendeckende, ressourcengerechte und -schonende Ausstattung der gesamten Republik mit einer qualitativ hochwertigen Versorgung der Schwangeren erarbeitet werden. Eine unzureichend ausgestattete Geburtsklinik hilft am wenigsten den Schwangeren.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat geburtshilfliche Kliniken in vier Versorgungsstufen (Level) eingeteilt und den jeweiligen Stufen Struktur- und Prozessanforderungen sowie Zuweisungs- beziehungsweise Aufnahmekriterien gegeben: Perinatalzentrum Level 1 und 2, Perinataler Schwerpunkt und Geburtsklinik (Gemeinsamer Bundesausschuss 2021). Für die Level 1 bis 3 sind Qualifikation der Hebammen, der Frauen- und Kinderärzt:innen, der neonatologischen Intensivpflege geregelt, sowie die Abdeckung von Diensten, Geräte- und Raumausstattung und die Bereithaltung von gegebenenfalls erforderlichen Dienstleistungen und Nachbardisziplinen, wie beispielsweise Kinderchirurgie.
Für die neonatologische Intensivpflege in Perinatalzentren existieren strenge Vorgaben für die Personalbemessung. Diese fehlen jedoch im Bereich der ärztlichen Versorgung, der Hebammen und der Wochenpflege.
Für Häuser der Stufe 4 sind keine Vorgaben zur Struktur- und Versorgungsqualität formuliert, sie müssen lediglich die Kriterien für eine Zuweisung in die höhere Versorgungsstufe einhalten.
Die Fachgesellschaften haben die Richtlinien des G-BA durch eine S2k-Leitlinie zur Strukturierung der perinatologischen Versorgung ergänzt, die auch die Minimalanforderungen für Level-4-Häuser einschließt (siehe Kasten).
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin 2021
Die überbordende Bürokratie frisst Ressourcen und demotiviert. Jede Reform und Gesetzesinitiative im Gesundheitswesen wurde und wird unweigerlich flankiert von zusätzlicher Kodierung und Dokumentation – immer mit dem Argument, Transparenz und Patient:innensicherheit zu erhöhen und Missbrauch zu verhindern. Lückenlose und exakte Dokumentation der Betreuung steht nicht zur Diskussion. Aber alles, was nicht unmittelbar der Versorgung und Sicherheit dient, muss auf den Prüfstand.
Administrativen Aufwand generiert auch das System der Krankenkassen, Kosten durch Anzweifeln der Berechtigung von Erlösforderungen der Kliniken zu senken. Die Unterfinanzierung der Krankenhäuser erschwert eine optimale digitale Ausstattung, zweitklassige Hard- und Software kostet Zeit. Fehlende Koordination der Anforderungen von Aufsichtsbehörden, Kostenträgern oder Selbstverwaltungsorganen verursacht Mehrfachdokumentation.
Falsch priorisierender Datenschutz behindert die Konnektivität von Systemen und die Übertragung von Daten. Ärzt:innen-, Hebammen- und Pflegetätigkeit ist zu einem Teilzeitcomputerarbeitsplatz degeneriert. Bürokratieabbau wäre ein effektives und kostengünstiges Instrument, um das für die Versorgung verfügbare Personal nachhaltig und substanziell zu erhöhen – auch in der Geburtshilfe.
Personell und zeitlich ausreichendes Hilfspersonal im Kreißsaal für Sekretariatstätigkeit, Dokumentation und unterstützende Arbeiten wie Reinigung, Materialanforderung und -bestückung schafft Freiräume für die Patient:innenenbetreuung.
Kreißsaalarbeit ist Teamarbeit. Eingeübte Abläufe und gegenseitiges Verständnis durch Konstanz des Personals verbessern die Qualität. Häufige Wechsel durch Leih- und Honorarkräfte sind dafür ungut. Die Zusammenarbeit der Berufsgruppen im Kreißsaal muss geprägt sein von Wertschätzung und Respekt, Vertrauen und Kollegialität bei gleichzeitig klar geregelter arbeitsteiliger Kooperation und Zuordnung der Zuständigkeiten. Die Kommunikation mit der Frau soll möglichst »mit einer Stimme« erfolgen. Hierzu sind Absprachen und Standards nötig und eine intensive Kommunikation untereinander, die sich auf die Frau bezieht.
Meinungsunterschiede werden nicht vor der Frau ausgetragen. Diskussionen sind erwünscht, verzögern aber nicht notwendige Entscheidungen. Grundsätzlich muss eindeutig festgelegt sein, wer die finale Entscheidung fällt und die Verantwortung trägt. Ein gutes Bild einer gelungenen Teamarbeit liefert ein Best-Practice-Bericht im Bayerischen Ärzteblatt (Golkowski 2020).
Es gibt keinen Konsens über die Berechnung des Personalbedarfs. Arbeitsrechtliche Überlegungen kommen auf etwa eine Vollkraftstelle (VK) Hebamme pro 107 Geburten pro Jahr. Zusätzlich wird vorgeschlagen, für jeweils 600 Geburten eine Hebamme pro Schicht vorzuhalten, nachts gegebenenfalls teilweise als Bereitschaftsdienst (DGPM 2021). Für eine optimale Betreuung der Gebärenden ist eine Eins-zu-eins-Hebammenbetreuung zweckmäßig, maximal Eins-zu-zwei. Dieses Ziel erfordert eine Hebammenstelle pro 30 Geburten jährlich (Deutscher Bundestag 2017), bei 760.000 Klinikgeburten also 25.000 Hebammen-VK. Dazu müsste jede der 2019 in Deutschland gezählten 26.000 Hebammen in Vollzeit in der Klinikgeburtshilfe arbeiten (Statista 2021).
Eine große Zahl der Hebammen steht der klinischen Geburtshilfe nicht zur Verfügung – aus unterschiedlichen Gründen: Zuvorderst werden die Arbeitsbelastung, das Einkommen und die strengen Hierarchien im Kreißsaal angeführt. Hebammenmangel erhöht Arbeitsbelastung, ein Teufelskreis. Eine höhere Vergütung angestellter Hebammen erfordert einen Kraftakt von Gesetzgeber, Klinikträgern und Krankenkassen. Das ist derzeit nicht absehbar. Selbst im Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege ist zwar eine Refinanzierung von 0,5 Hebammen-VK-Stellen pro 500 Geburten vorgesehen, aber nur bis zur Höhe der tarifvertraglich vereinbarten Vergütung. Das bedeutet, dass Klinken pro 500 Geburten zusätzlich zu den DRG-Fallpauschalen die Kosten für 0,5 VK Hebamme erhalten.
Die Tätigkeit als Beleghebamme verbessert das Einkommen merklich. In Bayern arbeiten fast drei Viertel der Kreißsäle mit freiberuflichen Hebammen im Schichtdienst. Nach einer Umfrage stehen aber selbst für die Mehrheit der Beleghebammen berufliche Verausgabung und erhaltene Gegenleistungen nicht im Verhältnis (Mössinger et al. 2019).
Die Umstellung auf ein Belegmodell kann jedoch zu einer hohen Arbeitszufriedenheit der Hebammen führen, zu deutlich leichterer Personalgewinnung sowie zu einer besseren Zusammenarbeit im geburtshilflichen Team aus Hebammen und Ärzt:innen. Ein von Hebammen verfasster Beitrag im Bayerischen Ärzteblatt dokumentiert dies (Golkowski 2020).
Es gibt keine international akzeptierten Vorgaben für die ärztliche Personalstärke in geburtshilflichen Einrichtungen. Gesichert ist jedoch eine positive Korrelation zwischen den personellen Kapazitäten der Geburtshelfer:innen/Hebammen und dem geburtshilflichen Outcome (DGPM 2021). Die Zahl der Stellen wird im Spannungsfeld von Anforderungen aus Tarifvereinbarungen, Richtlinien, Leitlinien und Arbeitszeitgesetz sowie den DRG-Erlösen ermittelt und ist damit direkt abhängig von der Finanzierung der Geburtshilfe. Bei Fachkräftemangel ist vielfach auch die Besetzung von ärztlichen Stellen in der Geburtshilfe schwieriger als deren Genehmigung.
Akzeptierte Vorgaben für den Stellenschlüssel auf den Wochenstationen fehlen. Durch die Herausnahme der Pflege aus dem DRG-System ist die Finanzierung von Pflegestellen derzeit nicht das Problem, sondern vielmehr der Mangel an Fachkräften. Derzeit wird ein Gesetz zur Festlegung von Personaluntergrenzen in der Gynäkologie und Geburtshilfe erarbeitet, das 2022 in Kraft treten soll. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass für die Festlegung der Schlüssel nicht nur valide wissenschaftliche Daten fehlen, sondern auch eine klare Definition der Patient:innenzahl als Berechnungsgrundlage – beispielsweise nur Wöchnerinnen oder auch gesunde Neugeborene. Aus den angeführten Strukturvoraussetzungen folgt unmittelbar, dass den gesunden Neugeborenen dieselbe Aufmerksamkeit gelten muss wie den Wöchnerinnen.
Die Festlegung von Personaluntergrenzen ist derzeit ein gut gemeintes und beliebtes Instrument der Politik. Im Umfeld von Fachkräftemangel hat es in der Umsetzung aber potenziell erhebliche negative Konsequenzen. Der durch eine GBA-Richtlinie definierte strenge Personalschlüssel für die neonatologische Intensivpflege hat in Perinatalzentren Level 1 zu gravierenden Verwerfungen geführt: höhere Anforderung an die Flexibilität der in der neonatologischen Intensivpflege Beschäftigten, vermehrter Aufwand für Organisation und Dokumentation einer zu jeder Zeit ausreichenden Personalvorhaltung und – am gravierendsten – zu Versorgungsengpässen. Um einen Verstoß gegen die Personalvorgaben zu vermeiden, meldeten sich Perinatalzentren von der Versorgung ab. Das erzeugte Engpässe und verlangte nicht selten die Verlegung von Schwangeren mit drohender Frühgeburt über weitere Strecken.
Können wegen Fachkräftemangel Personalanforderungen auf der Wochenstation nicht erfüllt werden, droht eine Kapazitätsbegrenzung der Kreißsäle. Das kann den Mangel in der geburtshilflichen Versorgung verstärken. Deshalb ist es sinnvoll, dass der Einführung von Personaluntergrenzen eine Behebung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen vorausgeht (DGGG 2021). Hierfür reicht Geld allein nicht aus, schafft aber zumindest die Voraussetzung für eine leistungsgerechte Vergütung, die mit anderen Beschäftigungsbereichen konkurrieren kann.
Für die Finanzierung der Geburtshilfe gilt das DRG-System. Einen Erlös gibt es nur, wenn auch eine geburtshilfliche Leistung erbracht wird. Die Höhe der Vergütung errechnet sich dabei nach dem durchschnittlichen betrieblichen Aufwand, der für die Behandlung im Vorjahr in einer großen Zahl von Kliniken, den sogenannten »Kalkulationshäusern«, ermitteltet wurde. Die tatsächlichen betriebswirtschaftlichen Kosten der einzelnen Klinik spielen keine Rolle.
Geburtshilfe erfolgt nicht nach Plan, sie kennt keinen Feierabend, kein Wochenende und keinen Feiertag. Die komplette Infra- und Personalstruktur muss rund um die Uhr vorgehalten werden. Vorhaltekosten werden nicht einrichtungsbezogen erstattet. Dies führt zu Arbeitsverdichtung, da der Personalaufwand nicht nach der Spitzenbelastung, sondern allenfalls nach der durchschnittlichen Auslastung zugrunde gelegt wird. Dies ist Gift für das Ziel einer an den Bedürfnissen der einzelnen Gebärenden orientierten Personal- und Infrastruktur.
Frauen haben das Recht, selbst zu bestimmen, wann sie nach der Geburt in der Lage sind, ohne das professionelle Umfeld eines Krankenhauses zurechtkommen. Die Bestimmung des Entlassungszeitraums darf nicht von DRG-Kalkulationen und Prüfungen der Kostenträger abhängig gemacht werden.
Die Finanzierung der Geburtshilfe muss dringend reformiert werden. Vorhaltekosten für das direkt nötige Personal (beispielsweise Kreißsaal, Wochenstation) und indirekt benötigte Personal (beispielsweise OP-Einheit, Labor) sowie für die Infrastruktur (Kreißsaal, Operationssaal, Wochenbettstation) gehören refinanziert.
Untersuchungen aus Norwegen zeigen, dass das Risiko einer ungeplanten außerklinischen Geburt ab einer Fahrzeit von über einer Stunde erhöht ist und mit einer größeren perinatalen Mortalität einhergeht (Engjom et al. 2017; Engjom et al. 2014).
Der G-BA hat als realistische Untergrenze für eine flächendeckende Versorgung für den ländlichen Raum und gleichzeitig als medizinisch vertretbaren Schwellenwert eine Auto-Fahrzeit zur nächstgelegenen geburtshilflichen Klinik von unter 40 Minuten definiert (G-BA o.J.) Krankenhäuser, deren Schließung die so definierte flächendeckende Versorgung gefährden würde, gelten als notwendig für die regionale Basisversorgung der Bevölkerung. Können diese Häuser aufgrund der geringen Fallzahlen ihre relevanten Fachabteilungen nicht kostendeckend finanzieren, erhalten sie Sicherstellungszuschläge, die pro Behandlungsfall über das übliche Entgeltsystem der Fallpauschalen hinaus gezahlt werden. Sie sollen helfen, das strukturelle Defizit des Krankenhauses auszugleichen. Die Sicherstellungszuschläge sind an sogenannte planungsrelevante Qualitätsindikatoren gekoppelt. Seit 2020 erhalten bedarfsnotwendige Krankenhäuser im ländlichen Raum eine pauschale Förderung, für deren Erhalt kein Nachweis eines Defizits nötig ist.
Bei der Einhaltung der in der Leitlinie für geburtshilfliche Kliniken definierten Minimalanforderungen an Struktur und Personal dürfen keine Kompromisse gemacht werden (DGPM 2021). Für Regionen, in denen die definierte flächendeckende Versorgung nicht gegeben ist, sind intelligente Transportkonzepte und verbindliche Verlegungsrichtlinien gefordert. Dass eine sichere Geburtshilfe auch in dünn besiedelten Regionen möglich ist, zeigen die skandinavischen Länder, die trotz hoher Zentralisierung der Geburtshilfe keine schlechtere Ergebnisqualität aufweisen als Deutschland. In Norwegen etwa nahm die Zahl der Geburtskliniken zwischen 1979 und 2009 von 95 auf 51 ab (Engjom et al. 2014).
Die internationalen Daten zur Sicherheit der außerklinischen Geburtshilfe sind widersprüchlich. Befürwortenden Daten (de Jonge et al. 2017; Hutton et al 2019) stehen Hinweise auf höhere Risiken entgegen (Wax et al. 2010; Snowden et al. 2015, Grünebaum 2020). Einen großen Einfluss auf die Ergebnisse scheinen die Länder oder Regionen zu haben, in denen die Daten erhoben wurden. Denn auch Autor:innen befürwortender Studien weisen darauf hin, dass für die Sicherheit der außerklinischen Geburtshilfe deren Einbettung in ein Netzwerk erforderlich ist, das die klinische Geburtshilfe einbezieht (de Jonge et al. 2017).
Diesen Aspekt unterstreicht eine aktuelle Metaanalyse einer Hebammenarbeitsgruppe um Eileen K. Hutton. Hutton ist Hebamme, emeritierte Professorin und Direktorin des Instituts für Hebammenwissenschaften der McMaster Universität in Hamilton, Ontario, Kanada. Die Arbeitsgruppe kommt zu dem Ergebnis, dass die Hausgeburtshilfe sicher ist bei guter Einbettung in das Kliniksystem, aber nicht bei schlechter Integration. Bei erstgebärenden Frauen beispielsweise war bei guter Einbettung das Risiko der perinatalen oder neonatalen Sterblichkeit bei einer Hausgeburt im Vergleich zu einer Klinikgeburt nicht signifikant erhöht (Risiko bei Hausgeburt: Faktor 1,07 im Vergleich zur Klinikgeburt). Bei weniger guter Integration dagegen war dieses Risiko um den Faktor 3,17 höher als bei einer Klinikgeburt (Hutton 2019). Die Arbeitsgruppe weist zudem auf ein erhebliches Bias-Risiko in diesen Metaanalysen hin, denn die qualitativ hochwertigsten Studien kommen aus großen Registern in Regionen mit guter Einbindung der außerklinischen Geburtshilfe.
Umgekehrt erfüllen Studien aus Regionen mit geringerer Integration die Qualitätskriterien für die Berücksichtigung in Metaanalysen oft nicht, wodurch die negativen Ergebnisse möglicherweise unterschätzt werden. Mit anderen Worten, Studien aus Regionen mit geringer Integration der Hausgeburtshilfe werden in Metaanalysen möglicherweise aufgrund schlechterer Datenerhebungspraktiken häufiger ausgeschlossen mit der Folge, dass die außerklinische Geburtshilfe zu günstig bewertet wird.
Hutton und ihre Mitarbeiter:innen fordern daher in ihrem Artikel, der die Hausgeburtshilfe insgesamt günstig bewertet, die Sicherheit der Hausgeburt in einem größeren gesellschaftlichen Kontext zu interpretieren und insbesondere den Grad der Integration von Hausgeburtspraktiken in die Gesundheitssysteme in Betracht zu ziehen (Hutton 2019) . Auf der Basis dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse weist die DGGG der sorgfältigen Auswahl der Schwangeren für die außerklinische Geburtshilfe große Bedeutung zu. Sie sieht zudem in der Latenz zwischen dem Erkennen von Risiken bei der Haus- oder Geburtshausgeburt und der Übernahme der Betreuung in der Klinik sowie dem Weg dorthin wesentliche Risikofaktoren. Bezeichnenderweise gibt es keine Studie aus Deutschland, deren Qualität für die aktuelle Metaanalyse von Hutton und Kolleg:innen ausreichend war. Bei der nachgewiesenen Relevanz der Struktur für die Qualität der außerklinischen Geburtshilfe sieht die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die außerklinische Geburtshilfe unter den in Deutschland geltenden organisatorischen Bedingungen mit großer Skepsis (Abou-Dakn et al. 2018).
Dem Recht auf Wahl des Geburtsortes wird im Nationalen Gesundheitsziel ein hoher Stellenwert zugemessen (Nationales Gesundheitsziel 2017). Die Sicherheit für Mutter und Kind erfordert daher dringend Maßnahmen für eine gute Integration der außerklinischen Geburtshilfe und eine zuverlässige Vernetzung mit klinischen Geburtshilfeeinrichtungen.
Hier erschient der hebammengeleitete Kreißsaal innerhalb einer geburtshilflichen Klinik nicht nur als sinnvoller Kompromiss, sondern als eine hervorragende und systemische Integration und Vernetzung. Einer Studie der Bonner Universitätsfrauenklinik zufolge werden die Vorteile einer reduzierten Interventionshäufigkeit der hebammengeleiteten Geburt mit dem Vorteil der unverzüglichen ärztlichen Intervention bei Pathologien verbunden (Merz et al. 2020).
Krankenhausplanung
Flächendeckende Geburtshilfe bei knappem Personal erfordert Planung. Welche Krankenhäuser wo und wie künftig Geburtshilfe anbieten, darf daher nicht dem Zufall überlassen werden. Nordrhein-Westfalen hat ein Gutachten in Auftrag gegeben (Partnerschaft Deutschland 2019). Das Ergebnis beschreibt der zuständige Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann so: »Die bisherige Krankenhausplanung hat zu einer Fehlentwicklung in der Krankenhauslandschaft geführt – und die ist nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten und der Krankenhäuser. Das wollen wir ändern. Darum stoßen wir die wohl größte Reform der nordrhein-westfälischen Krankenhauslandschaft seit Jahrzehnten an« (Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen 2021). Das ist auch nötig, nicht nur in NRW!
Bundesgesetzblatt: Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege (Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz – GPVG). 2020. www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__ %2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl120s3299.pdf%27%5D__1634483664260
de Jonge A, Geerts CC, van der Goes BY, Mol BW, Buitendijk SE, Nijhuis JG: Perinatal mortality and morbidity up to 28 days after birth among 743 070 low-risk planned home and hospital births: a cohort study based on three merged national perinatal databases. BJOG 2015. 122:720–8
Destatis: Pressemitteilung Nr. 349 vom 17. September 2018. 2018. www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/09/PD18_349_231.html
Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin: Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland. 2021. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/087–001l _S2k_Empfehlungen-strukturelle-Voraussetzungen-perinatologische-Versorgung-Deutschland__2021-04_01.pdf
Deutscher Bundestag: Sachstand – Zur Frage der Sicherstellung einer angemessenen personellen Ausstattung mit Hebammen in stationären Geburtshilfeeinrichtungen in ausgewählten Ländern. 2017. www.bundestag.de/resource/blob/498952/e6d98786 7d45ea04396edc12a38aa6d3/wd-9–079–16-pdf-data.pdf
Deutscher Hebammenverband: Gegen die Schließung von Kreißsälen. O.J. https://www.unsere-hebammen.de/mitmachen/kreisssaalschliessungen
Deutsches Ärzteblatt: Perinatalzentren: Kapazitätsengpässe bei Räumlichkeiten und Hebammen. 2020. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/108587/Perinatalzentren-Kapazitaetsengpaesse-bei-Raeumlichkeiten-und-Hebammen
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Engjom HM, Morken N-H, Norheim OF, Klungsøyr K: Availability and access in modern obstetric care: a retrospective population-based study. BJOG 2014. 121:290–299
Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen gemäß § 136 Absatz 1 Nummer 2 SGB V in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V. 2021. www.g-ba.de/downloads/62-492-2537/ 8a6f416dd3fe00f6056bada1ea40f059/QFR-RL_2021-04-01_iK-2021-04-01.pdf
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