Agnes Lehmann kommentiert, wie Social Media Hebammenarbeit und Elternwerden verändert. Fotos: © privat

Spätestens seit der Pandemie verläuft das Leben auf vielen Ebenen virtueller als je zuvor. Fast alle Hebammen nutzen Social Media und manche bespielen eigene Online-Kanäle. Aber haben wir eigentlich einmal reflektiert, wie diese virtuelle Welt uns und unsere Arbeit verändert? Und was macht sie mit der Generation betreuter Frauen?

Für mich als Hebamme ist die Vernetzung durch Social Media mit Kolleg:innen deutschlandweit unglaublich positiv und bereichernd. Sei es, um noch einen Platz im Online-Kurs für eine Betreute zu finden, Fachfragen zu stellen oder neuen Input zu bekommen, wenn man in einer bestimmten beruflichen Situation nicht weiterweiß. Diese Gemeinschaft der Kolleg:innen gibt Sicherheit und trägt durch so manchen harten Tag. Das Gefühl stärkt, mit vielem nicht allein zu sein.

Enttäuschte Erwartungen

Immer häufiger begegnen mir jedoch Frauen im Wochenbett, die völlig enttäuscht sind über den Verlauf ihrer Geburt oder die Anfangszeit mit dem Baby. Nicht immer rücken die Mütter direkt mit der Sprache raus, woher diese enttäuschten Erwartungen kommen. Aber wenn, dann wird schnell klar, dass ein verzerrtes Bild von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett existiert.

Die Rolle, die Social Media und andere Formate im Internet dabei spielen, ist nicht zu unterschätzen! Die Frauen in der Social-Media-Welt zeigen wunderschöne Schwangerenkörper, berichten von perfekt gelaufenen Geburten und kuscheligen Wochenbettzeiten. Kein Wort von Schwangerschaftsbeschwerden, Geburten, die anders geplant waren, wunden Brustwarzen, durchwachten Nächten und verquollenen Augen. All das verzerrt die Wahrnehmung.

Es wird immer und überall in den Vergleich gegangen. Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett werden zum Wettbewerb. Es ist nicht mehr nur das Vergleichen im Rückbildungskurs, dass »XY das ja schon seit Wochen kann«, oder wie unterschiedlich groß die Bäuche in der gleichen Woche doch sind. Nein, jetzt kommt auch noch hinzu, dass man sich anschauen kann, wie es zu Hause aussieht, welche Produkte genutzt werden und vieles mehr. Dass eine Frau mit einem gleichaltrigen Baby den Haushalt viel besser hinbekommt, zu zehn verschiedenen Kursen geht und dass das Baby nie schlechte Laune hat. Der differenzierte Blick fehlt, dass all dies nur Ausschnitte sind. Die Erkenntnis fehlt, dass auch dieses Baby und diese Eltern mal einen schlechten Tag haben. Die Erkenntnis fehlt, dass ein quadratischer Bildausschnitt sehr gut das sonst herrschende Chaos kaschieren kann und alles außerhalb dieser kleinen Kachel für die Betrachtenden unsichtbar bleibt. Nämlich die nicht aufgeräumte Küche, sich türmende Wäscheberge und dass die Eltern vor zwei Tagen das letzte Mal duschen waren.

Individualität geht verloren. Stück für Stück. Social Media ist die Mutter, Schwiegermutter, Nachbarin und Freundin 2.0. Die, die immer noch einen guten Rat hat, die am Ende dafür sorgt, dass eine Wöchnerin so viel emotionalen Druck erlebt, dass es sich in der Brust staut. Dieses oft ungefilterte Halbwissen verdirbt die ersten Tage und das Wochenbett. Es entsteht Erwartungsdruck, der die Frauen den eigentlichen Zauber nicht sehen lässt.

Präsenz auf dem eigenen »Kanal«

Aber nicht nur die Frauen untereinander konkurrieren. Auch wir Hebammen steigen mit ein. Kaum eine junge Kollegin, die keinen eigenen »Kanal« betreibt, um ihre Arbeit zu zeigen. Toll, dass unsere Arbeit sichtbar wird – schwierig, wenn es dazu führt, dass jede Empfehlung hinterfragt wird und man ständig beraten soll, ob das, was von anderer Seite empfohlen wurde, denn auch gut sei. Das Vertrauensverhältnis, das sich normalerweise langsam zu den betreuten Paaren aufbaut, wird dadurch immens gestört.

Es soll und es darf hinterfragt werden, warum ich etwas empfehle. Aber wenn dahinter nur steht, dass in einem Podcast aber andere Sachen geraten wurden, dann fällt es schwer, sich nicht jedes Mal erneut in seiner Fachkompetenz angegriffen zu fühlen. Auch möchte ich nicht darüber beraten, ob man dieses oder jenes im Internet beworbene Produkt benötigt.

Unmögliche Perfektion

Mir geht es nicht darum, mich Neuem zu versperren, oder dass die Frauen sich nicht informieren sollen. Mir geht es um das gewisse Misstrauen, das mir und meiner Arbeit damit entgegengebracht wird. Um das Gefühl, dass einer Perfektion hinterhergejagt wird, die nicht zu erreichen ist. Die aber auch gar nicht erreicht werden kann und darf. Weil die Perfektion von Elternwerden und Elternsein jede Person für sich selbst bestimmen muss.

Es bringt Unruhe in meine Arbeit, wenn ich erklären muss, warum eben dieser Tee oder jenes Medikament bei der jeweiligen Frau nicht empfehlenswert ist. An dieser Stelle entsteht ein weiteres Problem: Empfehlungen, Informationen und Ratschläge in der Social-Media-Welt sind nicht individuell für diese Frau, die da gerade vor mir sitzt in der Vorsorge oder im Wochenbett. Es sind allgemeine Hinweise. Wir als Hebammen nehmen uns dadurch ein Stück weit Exklusivität. Unser Wissen, unsere Erfahrungen weiterzugeben, ist ein Herzstück unserer Arbeit. Den Frauen nicht nur wörtlich, sondern aktiv zur Seite zu stehen, das ist doch unsere Aufgabe. Für mich ist es das, was meinen Beruf zu einem großen Teil ausmacht: für einen kurzen, aber bedeutenden Teil am Entstehen und Leben einer Familie teilzuhaben.

Oft frage ich mich dann, wohin uns die Digitalisierung in wenigen Jahren bringen wird. Wir laufen Sturm gegen Onlineangebote wie »call a midwife«, die sicher für einige Frauen der letzte Ausweg sind, um überhaupt eine Begleitung von einer Hebamme zu haben. Wir wollen höhere Vergütungen für unsere Arbeit, geben aber selbst unser Wissen im Internet preis und das meist auch noch kostenfrei.

Einige haben dafür Werbeverträge mit Firmen. Den Einfluss, den wir als Hebammen haben, unterschätzen wir oft. Und genau aus diesem Einfluss entsteht Druck. Druck, dieses und jenes dringend noch kaufen zu müssen, weil das so empfohlen wird. Der Druck, vollkommen vorbereitet zu sein, so dass »nichts schieflaufen kann«, dass uns keine Situation überraschen kann. Aber sind es nicht genau diese Dinge, die uns wachsen lassen? Als Eltern und als Hebammen? Ohne eigene Erfahrungen werden wir nicht wachsen. Ein Online-Kontakt, egal in welcher Weise, wird niemals einen Face-to-Face-Kontakt ersetzen können.

Den Druck nehmen

Ich bin nicht gegen die Digitalisierung oder Social Media. Ich glaube nur, dass die Möglichkeiten, die sich online bieten, unsere Arbeit, uns selbst und die Paare, die wir begleiten, verändern. Jeder Mensch, jede Schwangerschaft, jede Geburt und jedes Wochenbett sind so individuell, so anders, so einmalig – und all das geht in diesen ständigen Vergleichen und Informationsbeschaffungsmaßnahmen verloren. Das immerwährende Vergleichen führt zu unnötiger Verunsicherung und lässt ein gutes Bauchgefühl verstummen.

Wir vertrauen uns selbst nicht mehr. Weder, wenn wir schwanger sind, noch wenn wir gerade Mutter geworden oder Hebamme sind. Es geht um Höher, Schneller, Weiter. Wir werden lernen müssen, die für uns wichtigen Dinge daraus mitzunehmen, ohne unter Druck zu geraten oder zu glauben, andere machen alles besser. Was wir alle brauchen, sind das Bauchgefühl, unsere Hände, unser Verstand, unser Herz und ein wenig Zeit.

Ab und zu eine Social-Media-Pause einzulegen oder zumindest unseren Konsum differenziert zu betrachten, kann uns helfen, individuell zu bleiben. In unserer Arbeit und unserem Leben. Um wieder die Vertrauensperson in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu sein und kein Werbe- und Beratungskanal.

Zitiervorlage
Lehmann, A. (2022). Social Media: Höher, schneller, weiter? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 74 (2), 66–67.
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