Die Hebamme Inga Kaldenborn (rechts) und die Gynäkologin Clara Maßen sind glücklich nach einem unkomplizierten Spontanpartus.

Bericht aus Malawi: Eine deutsche Gynäkologin erzählt von ihrer vierwöchigen Mitarbeit in einem Krankenhaus in Südostafrika. Gemeinsam mit einer Hebammenkollegin konnte sie die Notfallversorgung und die Überwachung von Müttern und Neugeborenen nachhaltig verbessern.

Ende Januar machte ich mich mit 140 Kilo Gepäck, vor allem mit Medikamenten und Materialien, auf den Weg nach Malawi in Südostafrika. In der Kleinstadt Phalombe am Fuße des Mount Moulanjes wollte ich im Holy Family Hospital eine andere Geburtshilfe erleben, als ich sie aus Deutschland kenne. Kurzerhand schloss sich Inga Kaldenborn an, eine Hebamme aus Bochum. Wir wurden ein fantastisches Team und konnten uns blind aufeinander verlassen. Jede Situation haben wir gemeinsam gemeistert, uns zusammen geärgert und zusammen gelacht.

Das Neugeborenen-Reanimationstraining mit Neonathalie wird gut angenommen.

Nur für Selbstzahler

Nach einem herzlichen Empfang bestätigen sich unsere Sorgen: Die Zahlungen der Regierung sind noch nicht eingetroffen und so befinden sich im Krankenhaus zurzeit nur selbst zahlende PatientInnen. Da sich das in Malawi kaum einer leisten kann, finden wir hauptsächlich leere Betten vor. Doch nach einem mehrstündigen Meeting mit dem Management des Krankenhauses gibt es Entwarnung: Die Mittel werden in den nächsten Tagen erwartet. Voraussichtlich in der nächsten Woche kann die kostenlose medizinische Versorgung wieder aufgenommen werden.

Wir merken schon jetzt, dass in Malawi ein ganz anderes Zeitempfinden herrscht. Alles läuft viel gemütlicher, keiner scheint in Eile zu sein. Die morgendliche Besprechung, die täglich um 7.45 Uhr losgeht, fängt »pünktlich« um 8.10 Uhr an und zieht sich manchmal wie Kaugummi. Das völlige Gegenteil zu unserem hektischen Arbeitsleben daheim.

Direkt am ersten Tag werde ich gebeten, in der Zwangspause umfangreiche Schulungen und Trainingseinheiten für alle Angestellten des Holy Family Hospital zu geben. Plötzlich soll ich Vorträge auf Englisch aus dem Ärmel schütteln. Und so finde ich mich morgens vor 40 schwarzen Gesichtern mit großen Augen wieder und halte einen Vortrag über »Postpartale Blutungen« und »Vakuum-Extraktion«. Ich will den Leuten keinesfalls zu verstehen geben, sie würden alles falsch machen, nur weil sie es anders machen. Sehr schwierig ist es, den »Unterricht« interaktiv zu gestalten, da sich niemand traut, den Mund aufzumachen.

In Malawi herrscht eine Kultur, in der man nicht auf Fehler hingewiesen wird. Doch nach einigen Witzen schmilzt das Eis. Für den nächsten Morgen steht ein Training für »Neugeborenen-Reanimation« auf dem Plan. Das ist bitter nötig, denn bisher weiß kaum jemand, wie man mit einem schlappen Kind richtig umzugehen hat. Was leider dazu führt, dass täglich Kinder nach der Geburt sterben.

Da Inga und ich es nicht ohne praktische Tätigkeit aushalten, besuchen wir noch am selben Tag das fünf Kilometer entfernte Health Center von Phalombe. Dort dürfen wir direkt Hand anlegen und erleben einige tolle Geburten. Das Personal macht es uns einfach und zeigt uns, wie Geburtshilfe in Malawi funktioniert. Wir sind überrascht, was für tolle Arbeit mit wenigen Mitteln geleistet werden kann. Und so machen wir uns nun jeden Tag nach dem Vortrag mit dem Fahrradtaxi auf den Weg ins Health Center.

Leider müssen wir auch erleben, was es bedeutet, dass das Holy Family Hospital nur für zahlende PatientInnen geöffnet hatte: Mütter, die schnellstmöglich einen Kaiserschnitt gebraucht hätten, müssen wir in das nächste Krankenhaus schicken, das über zwei Autostunden entfernt in Zomba ist. Es gibt zwar einen Krankentransport, aber der fährt erst ab, wenn er voll ist und bleibt ohne jegliches medizinisches Personal.

So können wir eine Frau mit gerade gestorbenem Kind im Bauch und von uns diagnostizierter Uterusruptur nicht schnellstmöglich und lebensrettend operieren, sondern nur noch hoffen, dass sie es bis nach Zomba schafft.

Mit dem Fahrradtaxi auf dem Weg ins fünf Kilometer entfernte Health Center.

Trauriges und Glückliches

In der nächsten Woche wird der Krankenhausbetrieb wieder aufgenommen und die Stationen füllen sich langsam. Auf die Geburtsstation kommen nun wieder täglich die komplizierten Fälle mit schweren Pathologien aus den umliegenden Health Centern zu uns. Viele Mütter und Kinder haben schon mehrere Stunden Anfahrt und Wartezeit hinter sich, so dass oft jegliche Hilfe zu spät kommt. So können wir beispielsweise bei einem Nabelschnurvorfall nur noch den Tod des Kindes feststellen. Trotzdem verzeichnen wir auch positive Erlebnisse: Gemeinsam mit den vor Ort arbeitenden Hebammen können wir zwei Neugeborene erfolgreich reanimieren. Die morgendlichen Fortbildungseinheiten und das gemeinsame Reanimationstraining haben sich gelohnt.

Außerdem fällt uns auf, wie zäh malawische Frauen und Kinder seien können. Denn als auch nach einer Stunde Reanimation keine Spontanatmung bei dem kleinen Jungen trotz guter Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung unter Maskenbeatmung und Herzdruckmassage einsetzt, müssen wir schweren Herzens die Reanimation einstellen, da es vor Ort keinerlei intensivmedizinische Betreuung gibt. Wir legen ihn seiner Mutter zum Sterben in die Arme. Traurig verabschieden wir uns. Am nächsten Morgen finden wir den Kleinen rosig und spontan atmend bei seiner glücklichen Mama vor. Wir können es kaum fassen.

Auch die Zusammenarbeit mit dem Personal wird immer besser. Die Fortbildungen, das Training sowie unsere Arbeitsweise sind gern gesehen. Für uns ist es eine große Herausforderung, dass trotz schwerer Notfälle die Mittel begrenzt und die praktische Umsetzung unglaublich langsam sind. Unsere Geduld wird oft auf die Probe gestellt, denn am Notfallmanagement hapert es deutlich. Die Motivation und Arbeitseinstellung ist hier eine andere als in dem Health Center, von dem wir so positiv überrascht wurden.

Fehlendes Notfallmangement

Mit den steigenden PatientInnenzahlen im Holy Family Hospital wachsen die Aufgaben und Herausforderungen sowie die Verantwortung und die Frustration. Jeden Tag müssen wir für das Recht auf gute Grundversorgung von Müttern und Kindern kämpfen. Der Prozess von Entscheidungsfindung und Umsetzung dauert hier oftmals mehrere Stunden, die man in der Geburtshilfe nicht hat, ohne Verluste in Kauf nehmen zu müssen. Die Arbeitsmoral ist mit deutschen Verhältnissen nicht zu vergleichen.

Ignoranz und Motivationslosigkeit sind hier leider oft an der Tagesordnung. Der Grund dafür ist meist die Hilflosigkeit der Krankenschwestern und Hebammen. Es fehlt an allem. Und sie wissen nicht mit schweren Notfällen umzugehen. So wird weggeschaut, anstatt anzupacken. Beispielsweise ist das reanimierte Kind nach zwei Tagen verstorben, weil es eine Sepsis entwickelt hatte. Niemand hat sich verantwortlich für das Kind gefühlt. Trotz von uns gelegtem intravenösem Zugang wurde dieser nicht befahren und wichtige abgesprochene Therapiemaßnahmen nicht eingeleitet.

Die Kommunikation zwischen Krankenschwestern und Hebammen sowie Clinicians – vergleichbar mit unseren OberärztInnen – und PatientInnen ist die nächste Herausforderung. Kaum eine der Patientinnen spricht Englisch und so können wir nur mit Hilfe anderer kommunizieren. Das bringt uns oft genug zum Verzweifeln, da uns dabei manchmal nur halbherzig geholfen wird und wir uns nie sicher seien können, ob alles übersetzt wurde. Absprachen werden zwar getroffen, aber dann nicht eingehalten. Für Versäumnisse wird man nicht zur Rechenschaft gezogen.

Der oft schlechte und unfreundliche Umgang mit den PatientInnen stellt ein großes Problem dar. Leider werden falsche Prioritäten gesetzt, so dass es trotz Notsectio-Indikation zu Wartezeiten von mehreren Stunden und lebensbedrohlichen Zuständen kommt. Oft müssen wir alleine Entscheidungen treffen und zu Ende bringen. Dem Personal fehlt eine Führung. Über Fehler wird nicht gesprochen oder reflektiert.

In brenzligen Situationen ist es für das Personal oft schwer, Hilfe zu bekommen, da die Clinicians nicht an ihre Telefone gehen. Beispielsweise ist es in der Mittagspause von 12 bis 14 Uhr verpönt, angerufen zu werden. Unsere Nummer ist dagegen 24 Stunden täglich für alle zu erreichen.

Inga Kaldenwang ist bei der Visite sehr besorgt um das unterernährte Frühgeborene.

Unser Rat wird geschätzt

Die Aufgaben, denen sich hier das Personal stellen muss, sind wirklich nicht einfach. Das Holy Family Hospital ist der Maximalversorger der Umgebung und bekommt alle schwierigen Fälle aus den umliegenden Health Centern. Es gibt nur einen laufenden Operationssaal, was zu großen Organisationsproblemen führt. Wir werden in die furchtbare Situation gebracht, uns entscheiden zu müssen, welches Kind zuerst per Notsectio geholt wird. Dementsprechend muss abgewogen werden, welchem Kind die größeren Überlebenschancen eingeräumt werden können. Emotional scheint das hier aber auf den ersten Blick keinen zu belasten, außer die Angehörigen selbst. Auf Nachfragen spürt man jedoch auch die Verzweiflung einiger Angestellter. Sie geben ehrlich zu, aus Eigenschutz manchmal die Augen zu verschließen.

Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir die Mentalität und Arbeitsmoral vor Ort nicht ändern können. Aber wir können den Umgang mit den mitgebrachten Materialien schulen und durch weitere Spenden und Trainingseinheiten den Leuten helfen, sich selbst zu helfen. Beispielsweise sind das Dopton sowie die neu installierte Reanimationseinheit mittlerweile voll im Alltag integriert.

Viele MitarbeiterInnen sind wirklich bemüht, gute Arbeit zu leisten. Auch werden wir viel gefragt und unser Rat wird geschätzt. Wir müssen uns anpassen, denn Malawi verfügt über sehr begrenzte Mittel. Wir sind Gäste und froh darüber, dass wir überhaupt so viel mitarbeiten dürfen.

Überraschendes Feedback

In der letzten unserer vier Wochen werden wir vom leitenden Clinician um unser Feedback gebeten, was uns sehr überrascht und freut. In einer kleinen Runde sprechen wir mit VertreterInnen des Pflegepersonals, der Hebammen und der Clinicians über unsere positiven wie negativen Eindrücke. Unsere Kritik wird sehr gut aufgenommen und gemeinsam werden Lösungsvorschläge entwickelt. So wird beispielsweise der unselektive Gebrauch von Antibiotika am nächsten Tag direkt eingestellt. Die Hebammen setzen selbstständig um, was sie an unserer Arbeit positiv wahrgenommen haben. So kommen regelmäßig Dopton, Einmalkatheterisierung, Umlagerungsversuche und der erfolgreiche Gebrauch der Reanimationseinheit zum Einsatz. Wir sind überrascht über so viel Verständnis und den Wunsch nach Verbesserung. Wir sind richtig stolz, ein Teil davon zu sein und auch für die Zeit nach unserer Abreise den Weg für positive Veränderungen zu ebnen. Gemeinsam mit dem Verein MalawiMed werden wir versuchen, neue Projekte umzusetzen.

Ausnahmsweise dürfen wir unkomplizierte und schöne Spontangeburten betreuen sowie wichtige Sectiones selbstständig, schnell und ohne lange Diskussionen und Wartezeiten durchführen.

Sichtbare Erfolge

Es war nicht alles rosig. An manchen Tagen hatten wir das Gefühl, von einer Reanimation in die nächste rennen zu müssen und dann oft ganz allein da zu stehen. Über 50 Prozent der im Holy Family Hospital geborenen Kinder haben Reanimationsmaßnahmen gebraucht, da die Mütter in einem katastrophalen Zustand dort eintrafen. Ein unglaublicher Erfolg ist, dass fast alle diese Kinder ohne sichtbare Schäden überlebt haben. Im Vergleich dazu starben im Vormonat über 15 Kinder während oder nach der Geburt. Auch die Hebammen vor Ort konnten sehen, wie erfolgreich einfache Maßnahmen vor und nach der Geburt sind. Die vielen Schulungen und Übungseinheiten haben sich gelohnt. Allein die Reanimationsfortbildung haben wir auf Nachfrage viermal wiederholt.

Eine große Herausforderung zeigte sich in der Versorgung von Frühgeborenen und Neugeborenen. Zusammen haben wir Überwachungsstrategien erarbeitet, die helfen sollen, Missstände schneller zu erkennen und die Versorgung dieser Kinder zu verbessern. Milchpumpen und Sauerstoffbrillen werden wir aus Deutschland schicken. Jedoch liegt es oft nicht an fehlenden Materialien oder Know-how, sondern an der Umsetzung. Das Team muss lernen, besser Hand in Hand zu arbeiten.

Ein großer Erfolg war, dass unsere mitgebrachten Materialien richtig eingesetzt wurden. So wurde beispielsweise die Händedesinfektion plötzlich ganz groß geschrieben. Das Krankenhaus ist nun stolzer Besitzer eines Sauerstoffkompressors, den der Verein organisiert hat. Mehrfach täglich wurden die Sauerstoffflaschen befüllt und verwendet.

Wir hatten einen herzlichen Abschied, mit dem wir nicht gerechnet hatten, da wir uns mit unserer Arbeitseinstellung und Forderungen an das Personal natürlich nicht nur Freunde gemacht haben. Sicher bleibt der Kontakt bestehen, viele Ideen und Projekte sind schon in Arbeit.

MalawiMed e. V.
Der Verein MalawiMed e. V. entstand 2015 aus einem Zusammenschluss von Medizinstudierenden aus Heidelberg und Marburg. Eines der Gründungsmitglieder verbrachte sein viermonatiges Praktikum im Holy Family Mission Hospital in Phalombe, Malawi, zu dem Clara Maßen vor vier Jahren für ihr Praktisches Jahr erstmalig Kontakt aufnahm. Mit vielen Spenden konnte der Verein die Arbeit vor Ort bereits deutlich erleichtern. Monatlich können nun Heidelberger MedizinstudentInnen in diesem Krankenhaus mitarbeiten und ihr Praktikum (Famulatur) ableisten.

Interessierte können sich bei der Autorin oder auf der Internetseite des Vereins melden und vor Ort mitarbeiten.

www.malawimed.org

Zitiervorlage
Maßen C: Geburtshilfe in Malawi: Es fehlt an allem. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (9): 108–112
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