Mithilfe eines EEG-Netzes werden die Gehirnaktivitätsdaten bei einem Säugling hochauflösend gemessen.
Foto: © STEMUTZ PHOTO
Schon im Mutterleib wird das kindliche Schlafverhalten geprägt: Im Tagesverlauf beeinflussen biologische Signale durch Melatonin und Cortisol die Entwicklung der fetalen Schlafrhythmik. Später spielen auch Art und Zeitpunkt der Ernährung eine Rolle. Ein faszinierendes System, das bis in die Darmmikrobiota wirkt.
Schlaf – ein Thema, das Eltern in den ersten Monaten mit ihrem Baby wie kaum ein anderes bewegt. Die Grundlage für Gesundheit, Entwicklung und Befinden – nicht nur des Säuglings, sondern des gesamten Umfelds. Hebammen geben Orientierung: Wie sieht eine sichere Schlafumgebung aus? Was hilft Neugeborenen den Rhythmus zu finden? Und wie können Eltern intuitiv die besten Entscheidungen treffen? Dabei vermitteln Hebammen fundiertes Wissen über die Bedeutung von Schlaf für die Entwicklung – und über die Rolle des Schlafs der Eltern. Gleichzeitig stehen Geburtshelfer:innen selbst vor Herausforderungen: Schichtarbeit, unregelmäßige Arbeitszeiten und emotionale Nähe fordern Resilienz. In den ersten Monaten begleiten Hebammen Familien mit Empathie und legen die Basis für guten Schlaf.
Schlaf im Mutterleib
Die Entwicklung des Schlafs beginnt bereits im Mutterleib. Ab circa der 33. Schwangerschaftswoche lassen sich drei Verhaltenszustände des Fetus erkennen (Nijhuis, 1986):
- Ein ruhiger Zustand: geringe Bewegung, niedrige Herzfrequenzvariabilität
- Ein aktiver Zustand: häufige Bewegungen, hohe Herzfrequenzvariabilität
- Ein kontinuierlich aktiver Bewegungszustand: schnelle Herzfrequenz.
Diese fetalen Muster ähneln bereits dem aktiven und ruhigen Schlaf eines Neugeborenen, die sich später als Rapid-Eye-Movement- (REM-) und Non-REM-Schlaf herauskristallisieren. Das Schlafverhalten im Verlauf der gesamten frühen Kindheit reift durch interne biologische Prozesse heran: die zirkadiane und homöostatische Regulation. Der homöostatische Prozess beschreibt Schlafdruck, der sich während der Wachzeit aufbaut und im Schlaf abnimmt, während der zirkadiane Prozess die innere Uhr darstellt.
Bereits im Mutterleib beeinflussen mütterliche zirkadiane Signale, darunter Melatonin und Cortisol, die Entwicklung der fetalen Schlafrhythmik. Mithilfe von Bauchsensoren lässt sich diese Rhythmik beim Fetus quantifizieren, die bis ins Säuglingsalter bemerkenswert stabil bleibt (Markovic et al., 2024). Wenn die werdende Mutter während der Schwangerschaft regelmäßig schläft, unterstützt sie damit die fetale Rhythmik, was auch später sichtbar wird durch eine ausgeprägtere Präferenz für Nachtschlaf beim Säugling.
Nach der Geburt sind externe »Zeitgeber« wie Licht, Essenszeiten und soziale Signale relevant für die Anpassung des kindlichen Schlafs an unsere 24-Stunden-Kultur.
Veränderte Schlafmuster bei Kleinkindern
Im Laufe der ersten Lebensjahre kommt es zu einer deutlichen Veränderung des Schlafmusters: vom polyphasischen Schlaf bei Neugeborenen über ein biphasisches Muster und hin zum monophasischen Schlaf im Schulalter. Diese Reifung umfasst den schrittweisen Aufbau der Toleranz gegenüber Schlafdruck, die sich in der Intensität des Tiefschlafs widerspiegelt, gemessen an der langsamen Wellenaktivität (Slow Wave Activity/SWA, 0,75–4,5 Hz) im Elektroenzephalogramm (EEG).
Langzeit-EEG-Daten von Kindern von zwei bis fünf Jahren zeigen mit zunehmendem Alter eine abnehmende Schlafintensität (SWA) im Tagesschlaf und zudem deutliche Reifungsprozesse in Theta- (4,75–7,75 Hz) und Sigma-Frequenzen (10–15 Hz). Jede Frequenz spiegelt spezifische neuronale Netzwerke wider und weist auf bestimmte Gehirnfunktionen hin. Theta beispielsweise ist bei Kleinkindern viel vorhanden und weist auf Müdigkeit und lokalen Schlafdruck hin. In der Sigma-Frequenz treten Spindeln auf, die das Zusammenspiel von Thalamus und Cortex widerspiegeln und mit Gedächtnisprozessen und kognitiver Leistungsfähigkeit im Zusammenhang stehen. Die Reifung dieser Frequenzbänder verdeutlicht die Verbindung zwischen der Entwicklung der Schlafregulation und funktionellen Veränderungen im zentralen Nervensystem im Verlauf des frühen Kindesalters (Kurth et al., 2016).
Zunehmende Schlafstabilisierung
Die Reifung der zirkadianen und homöostatischen Schlafregulation ist die Grundlage für die Schlafreifung. Die Interaktion beider Prozesse bestimmt nicht nur den Zeitpunkt des Einschlafens, sondern beeinflusst auch Schlafqualität und Dauer (Borbély & Achermann, 2005). Dies wird im Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation beschrieben: Das Zusammenwirken des homöostatischen und zirkadianen Prozesses bestimmt, wie wahrscheinlich es ist, an einem bestimmten Zeitpunkt einschlafen zu können. Zudem beeinflussen auch kulturelle und familiäre Faktoren die Schlafgewohnheiten und -qualität von Kindern maßgeblich.
Die ersten Lebensjahre zeigen eine große natürliche Variabilität der Schlafmuster, die durch genetische, soziale und kulturelle Einflüsse zustandekommen (Iglowstein et al., 2003). Genetische Faktoren beeinflussen Schlafdauer, nächtliche Wachphasen und Chronotyp-Merkmale, die sich bereits im Kinderschlaf zeigen (Kocevska et al., 2023).
Zwillingsstudien belegen, dass genetische Einflüsse etwa 33–40 % der Unterschiede in der Schlafqualität, 40 % von Insomnie-Symptomen und 46 % der Schlafdauer ausmachen (Heath et al., 1990). Dies bedeutet, dass etwa die Hälfte der Variationen des Schlafs auf Umgebungsfaktoren zurückzuführen ist.
Komplexe Wechselwirkungen beeinflussen den Schlaf und damit die neurokognitive Entwicklung. Besonders sensible Entwicklungsphasen, in denen das Gehirn stark empfänglich für äußere Einflüsse ist, unterstreichen die Wichtigkeit von ausreichendem und qualitativ hochwertigem Schlaf. Denn Schlaf unterstützt Lernen, Gedächtnisbildung und emotionale Regulation (Spruyt, 2019). Chronisch unzureichender Schlaf in diesen empfänglichen Phasen wirkt sich hingegen negativ auf die kognitive und emotionale Entwicklung aus und kann langfristige Konsequenzen für Gehirnfunktion und schulische Leistungen haben (Petit et al., 2023).
Richtwerte zum Kinderschlaf
Schlafbedarf ist individuell: Neugeborene (0–3 Monate) benötigen etwa 14–17 Stunden Schlaf innerhalb eines 24-Stunden-Zeitfensters, wobei 11–19 Stunden gegebenenfalls auch als angemessen gelten. Diese benötigte Dauer nimmt mit zunehmendem Alter graduell ab, so dass für Babys (4–11 Monate) 12–15 Stunden empfohlen werden und 10–18 Stunden gegebenenfalls noch angemessen sind. Für Kleinkinder (1–2 Jahre) werden 11–14 Stunden empfohlen und 9–16 Stunden sind allenfalls auch angemessen (Hirshkowitz et al., 2015).
Reifung der Schlafarchitektur
Die Schlafarchitektur verändert sich in den ersten Lebensjahren erheblich. Neugeborene verbringen etwa 50 % ihrer Schlafzeit im REM-Schlaf (Rapid Eye Movement, »aktiver Schlaf«). Dieser Anteil nimmt mit zunehmendem Alter ab, während die Phasen des Non-REM-Schlafs zunehmen und differenzierter werden (Roffwarg et al., 1966). Etwa ab dem dritten Lebensmonat lassen sich spezifische Non-REM-Stadien (N1–N3) unterscheiden.
Besonders der Tiefschlaf (N3), gekennzeichnet durch langsame EEG-Wellen (SWA), spiegelt die synaptische Dichte des Kortex (Timofeev et al., 2020). SWA nimmt in der frühen Kindheit deutlich zu, erreicht einen Höhepunkt kurz vor der Pubertät und nimmt dann während des Übergangs ins Erwachsenenalter ab (Kurth et al., 2010). SWA entsteht aus periodischen Zustandswechseln kortikaler Neuronen zwischen Hyperpolarisation (Ruhephasen) und Depolarisation (aktiven Phasen). SWA spielt eine Schlüsselrolle in der synaptischen Plastizität – der Fähigkeit des Gehirns, sich an Erfahrungen anzupassen und zu lernen.
Schlaf-EEG und die Gehirnentwicklung
Mittels räumlich hochauflösendem EEG (> 100 Elektroden) kann die regionale SWA-Verteilung berechnet werden. Durch daraus entstehende Gehirnkarten konnte eine Verschiebung der SWA aufgedeckt werden: Vom Neugeborenen- bis zum Kleinkindalter wird SWA vor allem posterior gemessen, gefolgt von einer Vorwärtsverschiebung nach anterior. Im späteren Schulalter trifft die meiste SWA frontal auf, wie auch bei Erwachsenen (Kurth et al., 2010). Diese SWA-Gehirnkartierung ist sensitiv und zeigt Abweichungen zum Beispiel bei ADHS oder Epilepsie. Das unterstreicht ihre Anwendbarkeit als neuronaler Marker (Skorucak et al., 2023).
Abbildung 1: Schlaf-Gehirnkarten aus der Vogelperspektive: Die Topoplot-Darstellungen zeigen die Verteilung des Tiefschlafs (SWA) in verschiedenen Altersstufen: vom Baby- und Kleinkindalter übers Schulalter bis hin zur Adoleszenz. Die Farbskala repräsentiert die Intensität (rot: hohe, blau: niedrige Aktivität). Mit zunehmendem Alter verlagert sich SWA hin zu einer stärkeren Fokussierung im Frontalbereich.
Abbildung: © Kurth et al., 2010
EEG-Gehirnkarten ermöglichen es, genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Gehirnentwicklung zu differenzieren. Dabei geht es etwa um Schlaf-EEG-Kohärenz als Hirnwellen-Synchronisation: Die Kohärenz ist ein Maß dafür, wie gut verschiedene Hirnregionen synchron arbeiten. Insbesondere mittels Zwillingsstudien wird die Schlaf-EEG-Kohärenz über Frequenzen und Schlafzustände hinweg zu 66 % durch Umweltfaktoren und zu 19 % durch genetische Einflüsse bestimmt (Markovic et al., 2020). Das bedeutet, dass die neuronale Vernetzung plastisch bleibt und durch die Interaktion mit der Umwelt geformt wird.
Eine höhere Delta-Kohärenz – also die Synchronisation im Frequenzbereich des Tiefschlafs – über dem linken frontalen Kortex wurde beispielsweise bei gesunden sechs Monate alten Säuglingen beobachtet, welche im Zimmer ihrer Eltern schliefen, während Säuglinge, die ein Zimmer mit Geschwistern teilten, eine höhere Delta-Kohärenz über den zentralen Teilen des frontalen Kortex aufwiesen. Zusätzlich war eine geringere okzipitale Delta-Kohärenz in Richtung des Hinterhaupts mit mütterlicher Angst in Bezug auf den Kinderschlaf assoziiert (Markovic et al., 2023). Topografische Gehirnkarten geben also bereits im Babyalter Aufschluss darüber, welche Umgebungseinflüsse auf das Gehirn einwirken.
Zusätzlich sind auch Schlafspindeln, rhythmische Oszillationen im EEG, die von thalamokortikalen Netzwerken erzeugt werden, entscheidend für Lern- und Entwicklungsprozesse. Bereits im Säuglingsalter erweisen sich Spindeln in ihrer Dichte und Frequenz als Biomarker für die thalamokortikale Reifung, so dass sie motorische und entwicklungsbezogene Fähigkeiten mit einem und zwei Jahren vorhersagen (Jaramillo et al., 2023).
Spindeln zeigen eine dynamische Entwicklung und stehen in Wechselwirkung mit SWA-Wellen. Diese Kopplung nimmt von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter zu und fördert die Integration von Informationen im Schlaf (Hahn et al., 2020).
Das Verständnis der Interaktionen zwischen Schlafphysiologie und Gehirnentwicklung hilft nicht nur dabei, die Grundlagen neurologischer Reifung zu verstehen, sondern auch präventive Maßnahmen und Interventionen bei Schlaf- und Rhythmusstörungen gezielt weiterzuentwickeln.
Einfluss der Schlafumgebung
Bei Kleinkindern wurde gezeigt, welche Faktoren den Kinderschlaf beeinflussen: die gemeinsame Nutzung von Zimmern und Betten mit Erwachsenen, die Qualität des Schlafplatzes, die häusliche Umgebung sowie Komfort und Sauberkeit im Kinderzimmer. Weitere relevante Aspekte sind die Licht- und Lärmbelastung im Schlafbereich sowie Organisation, Sicherheit und Sauberkeit im ganzen Haushalt (Hoyniak et al., 2022).
Zirkadiane Uhren
Die zirkadiane Uhr lenkt viele rhythmische Abläufe des Stoffwechsels. Sie nutzt dafür ein Netzwerk aus Signalen im ganzen Körper und kleine Uhren in einzelnen Organen. Das heißt, neben dem zentralen Taktgeber im Hypothalamus, dem suprachiasmatischen Nukleus (SCN), besitzen auch Organe und Zellen ihre eigenen zirkadianen Uhren. Als periphere Uhren sind sie der Hauptuhr im Hypothalamus untergeordnet (siehe Abbildung 2). Zellen verfügen über molekulare Oszillatoren, die auf rhythmischer Genexpression basieren. Dieses System tauscht Informationen über Stoffwechsel und Zeit aus, um alle Prozesse bestmöglich aufeinander abzustimmen. Synchronisationssignale wie tägliche Schwankungen der Körpertemperatur helfen, die peripheren Uhren in den Organen zu kalibrieren (Brown et al., 2002). Diese zirkadianen Körperprozesse reifen in den ersten Lebensmonaten heran, bis sie voll funktionsfähig sind – ein Kalibrierungsprozess, vergleichbar mit Herausforderungen wie bei zeitlichen Verschiebungen (Schichtarbeit, Jetlag).
Licht bleibt der wichtigste Zeitgeber für den SCN. Besonders kurzwelliges Licht im Bereich von 440–480 Nanometer informiert den SCN via Rezeptoren der Retina über die Lichtverhältnisse. Diese Aktivierung hemmt die Produktion des Hormons Melatonin, was zu Wachheit, Aufmerksamkeit und Laune beiträgt. Durch experimentelle Verkürzung auf einen 22-Stunden-Tag wurde gezeigt, dass der Lichtkontext auch periphere Uhren beeinflusst, reguliert durch DNA-Methylierung (Aziz et al., 2014).
Aktuell wird die Relevanz der Wechselwirkung zwischen abendlichem Licht durch Handy oder Fernsehen und deren unvorteilhaften Effekt auf den Schlaf kritisch beleuchtet (Bauducco et al., 2024). Des Weiteren gilt es Klarheit zu schaffen, inwiefern die Wechselwirkung Licht-Technologie-Schlaf sich bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterscheiden könnten.
Die Lichtempfindlichkeit variiert je nach Alter, Geschlecht, Chronotyp und genetischen Faktoren. Zum Beispiel beginnt sich die Augenlinse im jungen Erwachsenenalter allmählich zu verändern und wird trüber. Dies kann wie ein Filter wirken (Kessel et al., 2010) und die Schlafqualität als auch den zirkadianen Rhythmus stören (Chellappa, 2021). Kinder haben größere Pupillen und ihre Linsen sind durchlässiger, das führt zu einer schnelleren Unterdrückung von Melatonin (Eto et al., 2021).
Individuelle Lichtsensitivität zeigt sich bereits früh: Einige Kleinkinder sind besonders lichtempfindlich. Bei einem Test mit 33 Drei- bis Fünfjährigen zeigte sich, dass ein abendlicher einstündiger Lichtreiz im Schnitt zu einer Verschiebung des zirkadianen Rhythmus um 56 Minuten führte (Hartstein et al., 2023). Es gilt also, die häusliche Lichtumgebung von Kindern anzupassen und dies insbesondere abends.
Das zirkadiane System der Kinder ist von Anfang an bemerkenswert sensibel für Licht. Bereits Licht mit geringer Intensität kann die zirkadiane Uhr beeinflussen und dabei helfen, sie zu regulieren. Zyklische Beleuchtung – also ein stark differenzierter Lichtwechsel zwischen Tag und Nacht – kann die Schlafregulation von Neugeborenen unterstützen (Rivkees et al., 2004).
Frühgeborene, die in der Neonatologie zyklischem Licht ausgesetzt sind, schlafen nachts länger und zeigen ein klareres Tag-Nacht-Aktivitätsmuster im Vergleich zur Kontrollgruppe, die unter konstant gedimmten Licht betreut werden (Guyer et al., 2015). Das könnte sogar die neurobehaviorale Entwicklung fördern (Lee et al., 2012). Dennoch ist das Bild nicht einheitlich. Während einige Studien überwiegend positive, wenn auch moderate Effekte durch Lichtinterventionen zeigen (Brandon et al., 2017), berichten andere von vernachlässigbaren Effekten durch eine Umgebungsbeleuchtung. Das deutet darauf hin, dass die zirkadiane Reifung auch stark durch endogene Prozesse gesteuert wird (Mirmiran et al., 2003).
Das Verständnis der zirkadianen Uhren, welche die Rhythmen von Physiologie und Verhalten steuern, bildet die Grundlage für die Chronotherapie. Dabei wird die gezielte zeitliche Steuerung von Licht, Medikamenten oder anderen Reizen genutzt wird, um gestörte biologische Rhythmen zu korrigieren und Krankheiten zu behandeln oder vorzubeugen (Lee et al., 2021). Die neueste Forschung zeigt, dass die Darmmikrobiota, deren Entwicklung stark durch Ernährung beeinflusst wird, auch zirkadiane Rhythmen hat und eine Rolle als Rhythmusgeber spielen könnte (Heppner et al., 2024).
Essensrhythmik und Schlaf
Aktuell rückt der Einfluss der Essensrhythmik auf den Schlaf verstärkt in den Fokus der Forschung. Bei Erwachsenen können regelmäßige Mahlzeiten (Chrononutrition) den zirkadianen Rhythmus unterstützen und sich positiv auf Stoffwechsel, Glukosekontrolle und den Body-Mass-Index (BMI) auswirken (Henry et al., 2020). Auch eine Verkürzung der Zeitspanne, in der Nahrung aufgenommen wird, scheint den Schlaf zu unterstützen. Übergewichtige Testpersonen, die ihr Essensfenster von über 14 auf 10–11 Stunden reduzierten, berichteten nicht nur über Gewichtsverlust, sondern auch verbesserte Schlafqualität. Ähnliche Ergebnisse wurden bei Patient:innen mit metabolischem Syndrom beobachtet (Gill & Panda, 2015; Wilkinson et al., 2020). Regelmäßiges Essen hängt auch bei Säuglingen mit Schlaf zusammen, so dass bei großer Regelmäßigkeit nachts weniger Wachzeiten gemessen werden (Mühlematter et al., 2023).
Die Schlaf-Gehirn-Darm-Achse bei Säuglingen
Bei Erwachsenen sind Schlafstörungen mit Veränderungen der Darmmikrobiota verbunden (Sen et al., 2021). Bei Säuglingen wird diese Beziehung gerade erst erforscht. Bekannt ist, dass Essgewohnheiten und Ernährung mit Schlafqualität und -dauer bei Säuglingen und Kleinkindern zusammenhängen (Mühlematter et al., 2023; Ward et al., 2020), was die Entwicklung der Darmmikrobiota beeinflusst (Laursen, 2021). Längsschnittdaten von 162 Säuglingen belegen zudem eine Wechselwirkung zwischen Schlaf, Gehirnentwicklung und Darm (Schoch et al., 2022): Mehr Tagschlaf korreliert mit geringerer bakterieller Diversität, während nächtliche Schlaffragmentierung und variable Bettzeiten mit einer Reife der Darmprofile verbunden sind.
Abbildung 2: Die Hauptuhr, gesteuert durch den Wechsel von Licht und Dunkelheit, reguliert den zirkadianen Rhythmus des Körpers. Periphere Uhren in Organen zeigen ebenfalls zirkadiane Rhythmen, die zusätzlich beeinflusst werden durch den Rhythmus der Mahlzeiten und Umgebungstemperaturen.
Quelle: modifiziert nach Zhang et al., 2021, Bildelemente: © Flaticon.com
Darüber hinaus zeigt sich, dass das Darmmikrobiom mit der Neurophysiologie – also SWA-Gehirnkarten – verknüpft ist. Zudem fungieren sowohl Schlafgewohnheiten wie auch das Darmmikrobiom als Indikatoren für die Verhaltensentwicklung. Hier zeigt sich ein dynamisches Muster: Die stärksten Zusammenhänge mit Schlaf werden im Alter von drei Monaten bei der persönlich-sozialen Entwicklung beobachtet. Im Gegensatz dazu sind Darmmikrobiota spezifisch mit der Entwicklung der Grobmotorik verbunden. Ist der Schlaf oder das Darmmikrobiom ein besserer Prädiktor für die spätere Entwicklung? Insgesamt gibt es stärkere Hinweise zwischen Schlaf und Verhaltensentwicklung als zwischen Darm und derselben, was Schlaf insgesamt als starken Prädiktor identifiziert.
Dies verdeutlicht insgesamt eine Schlaf-Gehirn-Darm-Interaktion als Teil des kindlichen Entwicklungsprozesses. Zudem gibt es neue Hinweise auf eine Rhythmik im Darmprofil, die mit der Schlafregulation von Säuglingen zusammenhängt (Heppner et al., 2024). Da die Darmmikrobiota modifizierbar ist, könnte deren frühe Förderung eine Grundlage für spätere Gesundheit schaffen (Zimmermann et al., 2024).
Auswirkungen von Schlafentzug
Schlafmangel und Schichtarbeit: Herausforderungen für Hebammen
Unser Körper kann kurzfristigen Schlafmangel ausgleichen, doch anhaltender Schlafentzug hat ernsthafte gesundheitliche Folgen. Ein Wochenende mit Erholungsschlaf reicht nicht aus, um die Balance der Körperfunktionen wiederherzustellen (Åkerstedt et al., 2009; Depner et al., 2019; Maric et al., 2017). Schlaf und Wach zu unüblichen Zeiten beeinträchtigen die Schlafqualität und den Alltag, in schweren Fällen kann es zu zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen kommen. Dies erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Schlaganfall und Krebs (Sletten et al., 2020). Da solche Krankheiten oft mit Entzündungsprozessen zusammenhängen, die durch eine zirkadiane Fehlausrichtung verstärkt werden, stuft die WHO Schichtarbeit als möglichen Krebsauslöser ein.
Schlaf der Mutter in der Schwangerschaft
Schlafstörungen – häufig unterschätzt – sollten in der pränatalen Beratung und Versorgung berücksichtigt werden, da sie frühzeitig gut diagnostizier- und behandelbar sind (Lu et al., 2021). Eine gute Schlafqualität der werdenden Mutter wirkt sich positiv auf den Geburtsprozess aus (Abay et al., 2024), sowie auf fetale Parameter wie Frühgeburtsrisiko, Wachstum und Geburtsgewicht (Lu et al., 2021; Warland et al., 2018). Da Schlaf und emotionale Stabilität in der perinatalen Phase zusammenhängen, wird empfohlen, die Schlafqualität der Mutter routinemäßig zu messen und gezielt Maßnahmen zur Unterstützung der mütterlichen Schlafqualität und psychischen Gesundheit zu etablieren (Witkowska-Zimny et al., 2024).
Faktoren, die den mütterlichen Schlaf beeinflussen, umfassen
- Schwangerschaftszeitpunkt (schlechtere Schlafqualität im dritten Trimester)
- Gewichtsveränderung
- Parität (schlechtere Schlafqualität bei Mehrgebärenden)
- Chronodisruption (Störung oder Veränderung der natürlichen biologischen Rhythmen des Körpers).
- Körperliche Aktivität
- Nächtliche Lichtexposition
- Ernährung
- Nächtliches Essen
- Rauchen
- Alter
- Beschäftigungsstatus (eine Anstellung hat positive Effekte auf die Schlafqualität)
(Abay et al., 2024; Díaz et al., 2022; Lu et al., 2021; Peiris & Sundarapperuma, 2024; Warland et al., 2018).
Chronodisruption der Mutter kann sowohl den mütterlichen als auch den fetalen zirkadianen Rhythmus beeinträchtigen und zu nachteiligen Folgen für die Säuglinge führen, wie Tier- und Humanstudien belegen. Dazu gehören auch Beeinträchtigungen kardiovaskulärer, metabolischer, endokriner und kognitiver Funktionen sowie ein erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen und Frühgeburtlichkeit (Hsu & Tain, 2020; Méndez et al., 2023).
Checkliste für die Begleitung von Müttern
Hebammen sollten die Bewertung der Schlafqualität in ihre routinemäßige Schwangeren- und Wochenbettbetreuung integrieren:
- Aufklärung über schlafhygienische Maßnahmen, insbesondere für Frauen im dritten Trimester
- Strategien zur Verbesserung der Schlafqualität und des psychischen Wohlbefindens von Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt
- Überwachung und Behandlung von Faktoren, die zu einer schlechten Schlafqualität beitragen können, wie emotionale Störungen
- Berücksichtigen der Auswirkungen der vorangehenden Schlafqualität auf das Geburtserlebnis und die Geburtsergebnisse bei der Betreuung und Unterstützung während, bei und nach der Geburt.
Beteiligung des Vaters und Auswirkungen
Sowohl positive Faktoren wie Engagement und Unterstützung als auch negative Einflüsse wie mentale Gesundheit und elterlicher Stress auf Seiten des Vaters können sogar Jahre später noch für den Kinderschlaf relevant sein (Ragni et al., 2020). Eine stärkere Involvierung des Vaters in die Betreuung kann sich positiv auf kindliche Schlafmuster auswirken (z.B. nächtliches Erwachen, Schlafdauer), und gleichzeitig den elterlichen Stress abfedern (Tikotzky et al., 2010).
Schlafentzug bei Eltern: Stress und Emotionen
Chronischer Schlafmangel erhöht Stress, verstärkt negative Emotionen, beeinträchtigt die kognitive Regulation und verändert die physiologischen Stressreaktionen (Nollet et al., 2020). Gleichzeitig beeinflusst Stress den Schlaf: Jede Komponente der Stress-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) kann die Schlafhomöostase stören. Wechselwirkungen zwischen Stress und Schlaf zeigen sich auf drei Zeitebenen (Lo Martire et al., 2020):
- Akuter Stress führt zu kurzfristigen Schlafveränderungen.
- Chronischer Stress kann langfristige Schlafprobleme verursachen.
- Pränataler Stress beeinflusst über epigenetische Mechanismen die Entwicklung des fetalen Gehirns und kann bei den Nachkommen zu anhaltenden Schlafstörungen führen.
Auch negative Kognitionen und Emotionen der Eltern können Verhaltensweisen und dadurch den Schlaf des Säuglings beeinträchtigen (Sadeh et al., 2010). Schlafmangel bei Eltern, insbesondere bei Müttern, ist mit erhöhtem Stress, emotionalen Herausforderungen sowie negativen Auswirkungen auf deren eigenes Wohlbefinden und den Schlaf des Säuglings verbunden (Haddad et al., 2019).
Tiermodelle liefern wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen von pränatalem Schlafentzug – darunter negative Effekte auf mütterliches Verhalten, die Entwicklung der Nachkommen sowie hormonelle, metabolische und epigenetische Prozesse. Schlafstörungen während der Schwangerschaft verstärken also Risiken für Mutter und Nachkommen auf mehreren biologischen Ebenen. Zum Glück können gezielte Interventionen und unterstützende elterliche Erziehung die Schlafqualität verbessern und das Risiko für Depressionen verringern (Pires et al., 2021; Rouzafzoon et al., 2021). Gezielte Schritte sind erforderlich, um diese Erkenntnisse vermehrt in die klinische Praxis zu übertragen.
Schlaf und Fürsorge im Einklang
Die Bedürfnisse der Neugeborenen nach Zuwendung und regelmäßiger Nahrung stehen bisweilen im Widerspruch zum Bedürfnis der Eltern, insbesondere der Mütter, nach wohlverdientem Schlaf. Präventive Verhaltensintervention kann den Schlaf von Säuglingen deutlich verbessern, die Schlafqualität der Mütter steigern und postnatale Depressionen reduzieren. Solche Programme umfassen beispielsweise Schulungen und begleitende Materialien, die Mütter über altersgerechte Strategien zur Förderung eigenständiger Schlafgewohnheiten ihrer Säuglinge informieren. Dazu gehören auch die Reduktion von Bildschirmzeit, die Nutzung von Tageslicht und die Etablierung konsistenter Schlafroutinen (Rouzafzoon et al., 2021).