Das Allgemeine kann die Kurs leitende Hebamme sachlich und dem Interesse und Vermögen der Teilnehmerinnen entsprechend vermitteln. Für alles persönlich Bedeutungsvolle können eigentlich nur die werdenden Eltern ihre individuellen Antworten finden.
Angesichts der Fülle der Aspekte liegt die Frage nahe, wie tiefgreifend eine Geburtsvorbereitung in der Gruppe auf dieses Persönliche eingehen und bei den Entscheidungsfindungen der einzelnen TeilnehmerInnen behilflich sein kann. Das Potenzial der Gruppe liegt vor allem darin, Unsicherheiten zu konkretisieren, neue Denkimpulse zu geben und eine Vielfalt von unterschiedlichen Strategien kennenzulernen. Das Bedürfnis vieler werdender Eltern, sich zusätzlich auch außerhalb des Kurses Informationen und Austausch zu holen, ist daher verständlich und sinnvoll. Da nicht alle Quellen fachlich richtig oder positiv unterstützend sind, kann das Interesse der Kursleiterin an dem, was den KursteilnehmerInnen im Internet begegnet, helfen, Sinnvolles von Unsinnigem zu unterscheiden und Fehlinformationen richtig zu stellen.
Schwangere Frauen können ihrer Grundhaltung nach unterschiedlichen Typen zugeordnet werden. Sie zu kennen und zu differenzieren kann helfen, ihre spezifischen Fragen und Ängste zu verstehen und damit möglicherweise erfolgversprechendere Zugangswege zu entwickeln. Eine schwedisch-australische Studie von Helen M. Haines (2012) und ihren Kolleginnen identifizierte – stark vereinfachend – folgende Grundtypen von Schwangeren:
- “Die Selbstbestimmten” zeichnen sich aus durch eine klare Einstellung zur Geburt als einen natürlichen Prozess und geringe Ängste vor der Geburt.
- Die „Ich-nehme-es-wie-es-kommt”-Typen haben ebenfalls wenig Angst vor der Geburt, aber nur vage Vorstellungen davon, was sie sich für die Geburt wünschen.
- Die „Ängstlichen” haben deutliche Angst vor der Geburt, meist verbunden mit Sorgen über die eigene Fähigkeit, dem Wehenschmerz und Kontrollverlust begegnen zu können. Sie äußern vermehrt das Bedürfnis nach Sicherheit und zeigen weniger Interesse an Selbstbestimmung und einer natürlichen Geburt (Haines et al. 2012).
Die Schwangeren der dritten Gruppe dieser Studie, also die eher ängstlichen Frauen, hatten in der 18. bis 20. Schwangerschaftswoche häufiger den Wunsch nach einem Kaiserschnitt und empfanden ihre Schwangerschaft und später auch die ersten Wochen mit dem Kind häufiger als belastend als die Frauen der beiden zuversichtlichen Gruppen. Die „Ängstlichen” erlebten die Wehen als schmerzhafter, benötigten häufiger eine Periduralanästhesie und hatten mehr negative Geburtserlebnisse. Diese Gruppe wie auch die „Ich-nehme-es-wie-es-kommt”-Typen hatten zudem ein signifikant größeres Risiko für eine Wunschsectio als die Selbstbestimmten.
Angesichts der Heterogenität der KursteilnehmerInnen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen nach Aufklärung ist es eine große Herausforderung für die Kursleiterin, das für alle richtige Maß an Information zu bieten. Dies wird vermutlich nicht immer möglich sein. Einen Ausweg bieten zusätzliche Einzeltermine als Beratung oder Hilfen bei Beschwerden für besonders ängstliche Frauen oder Paare, für Schwangere nach traumatischen Erfahrungen bei vorherigen Geburten, für werdende Eltern mit speziellen Fragestellungen (beispielsweise bei Verdacht auf ein krankes Kind oder wenn eine schwere Vorerkrankung der Mutter vorliegt) oder einfach mit besonders hohem Informationsbedarf, der den Rahmen der Gruppenarbeit sprengen würde.
Da die persönliche Beratung der Hebamme aber nur in sehr geringem Maße finanziell von den Krankenkassen abgedeckt ist, können bei einem hohen Informationsbedarf gezielt andere Medien genutzt werden, um das Gespräch vorzubereiten, Paaren neue Strategien und Wege zu eröffnen oder sie in ihren Entscheidungen zu unterstützen. Dazu zählt neben den üblichen Quellen, wie Broschüren oder Büchern, auch das Internet. Geeignete Internetseiten, insbesondere Filme, Reportagen und Dokumentationen aus Fernsehen und Internet oder auf DVD haben zudem das Potenzial, die emotionale Seite bestimmter Fragestellungen anzusprechen.
Interessant wäre die Frage, ob das Medienverhalten der Eltern in einem Kontext mit den Ängsten steht, ob es hier Korrelationen gibt.
Möglichkeiten der Neuen Medien
Durch den breiten Zugang zum Internet und das Entstehen zahlreicher professioneller oder Laien-Homepages, Youtube, Facebookseiten oder Internetforen haben werdende Eltern heute umfangreiche Möglichkeiten, sich über beinahe alle Fragen rund um die Geburt mehr oder weniger fundiert zu informieren und auszutauschen. Was bieten diese Neuen Medien den werdenden Eltern tatsächlich? Wo gibt es Verknüpfungspunkte oder Konflikte mit den Zielen der persönlichen Geburtsvorbereitung in Gruppen?
Fernsehserien über echte Geburten wie „Schnulleralarm”, die auf RTL II in den Jahren 2001 bis 2003 ausgestrahlt wurde, haben Live-Mitschnitte dieses überaus intimen Lebensvorganges für eine breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Viele Hebammen haben das damals schon sehr kritisch betrachtet und diskutiert. Aktuell wird in den USA vom Sender „Lifetime” eine neue Serie „Born in the Wild” produziert. Hier wird die Gebärende in freier Natur ohne die Begleitung von Hebamme oder ärztlichen GeburtshelferInnen gezeigt. Die Sendung wolle vor allem Frauen ansprechen, die bei Geburten im Krankenhaus schlechte Erfahrungen gemacht haben, heißt es in einem Artikel in der Tageszeitung Die Welt vom 18. Juni 2014. Diese Frauen wären wohl in einem Geburtsvorbereitungskurs, der ihnen fachliche Informationen und Unterstützung bei der Planung einer Geburt nach ihren Wünschen gibt, besser aufgehoben als in den Klauen der Medienindustrie.
Gleichzeitig erleben Hebammen heute, dass manche ihrer KursteilnehmerInnen Kommunikationsmöglichkeiten wie WhatsApp nutzen, um jede Kleinigkeit über ihre Schwangerschaft und sogar intimste Informationen oder gar Fotos von der laufenden Geburt untereinander zu versenden, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wo diese in einem solchen kaum geschützten Netzwerk P landen könnten. So manche Hebamme, die WhatsApp oder Twitter eigentlich für Kurzmitteilungen an die Geburtsvorbereitungsgruppe hatte nutzen wollen, hat sich recht bald wieder davon verabschiedet, weil sie regelrecht „zugemüllt” wurde mit derlei Nachrichten. Für die KursteilnehmerInnen untereinander können diese Kommunikationskanäle jedoch zu wichtigen Unterstützungsnetzwerken werden. Sie ermöglichen es vor allem nach der Geburt, Kontakt zu halten und die Erfahrungen als neue Eltern auszutauschen. Die Sorge mancher Hebammen, dass das Kind dabei zu kurz kommt, wird von den Kolleginnen unterschiedlich beurteilt. Die meisten sind sich aber einig, dass es die Mütter gerade in den ersten Monaten entlastet und etwas aus ihrer Einsamkeit erlöst – und damit letztlich auch für das Kind gut ist.
Eine schwedische Studie der Hebamme Margarete Larsson (2009) mit 182 Schwangeren ab der 32. Schwangerschaftswoche bestätigt, dass ein sehr hoher Prozentsatz (84 Prozent) der befragten Frauen das Internet genutzt hatte, am häufigsten zu Fragen bezüglich der frühen Schwangerschaft. Diese Frauen zeigten einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet, indem sie die Informationen auf Übereinstimmung mit anderen prüften und auf Referenzen achteten. Nur knapp ein Drittel (30 Prozent) der Frauen diskutierten die Erkenntnisse mit ihren Hebammen. Aber 55 Prozent recherchierten im Internet die Themen nach, die die Hebamme angesprochen hatte.
Eine weitere Studie mit 613 Frauen aus 24 Ländern bestätigt, dass die Rückversicherung durch das Internet zu Themen, die Hebammen und GynäkologInnen bereits angesprochen hatten, heute Normalität ist und deutlich zur Entscheidungsfindung beiträgt (Lagan, Sinclair & Kernohan 2010). Nutzerinnen unterscheiden dabei zwischen sachlichen Informationen und emotionalen, die sich eher um die körperlichen und seelischen Erfahrungen drehen (Lowe et al. 2009).
Ein Vorteil des Internets ist, dass es auch zu sehr seltenen Fragestellungen Informationen liefern kann und jederzeit zur Verfügung steht (Lasker et al. 2005). Es verschafft Laien außerdem Zugang zu den gleichen Informationen, die auch ihre professionellen BegleiterInnen nutzen (Hardey 1999).
In Australien fanden Heather A. Grimes et al. (2014) beruhigender Weise heraus, dass Bücher und die Beratung der Hebamme weiterhin wichtige Informationsquellen bleiben. Hier zeigte sich erstaunlicherweise auch, dass Kurse die am wenigsten genutzten Informationsquellen darstellten. Dies sollte uns dazu anregen darüber nachzudenken, wie die 14 Zeitstunden der Geburtsvorbereitung am sinnvollsten genutzt werden können.
Mehr positive Beispiele
Wichtige Informationen erkennt das menschliche Gehirn daran, dass sie mit starken Emotionen eingefärbt sind – und genau dieses Potenzial haben die Neuen Medien. Ein Kurzvortrag über das Wesen von Wehen oder darüber, wie hilfreich die Nähe und Zuwendung des Partners oder der Partnerin für die Gebärende sein können, berührt eher die kognitive Ebene. Sehen Paare in einem Film, wie eine Frau Wehen verarbeitet, sich der Geburt hingibt und dabei kontinuierlich von liebevollen Menschen begleitet wird, fühlen sie mit und es entstehen innere Bilder und Gefühle über das Wesen von Geburt und Geburtsbegleitung. In diesem Sinne können Hebammen ausgewählte Filme zeigen oder Links zu Filmen im Internet weitergeben, wie den Laien-Film „The home water birth of our Rainbow Baby on July 17, 2013″ (siehe Links). Ein anschließender Austausch im Kurs darüber, was die werdenden Eltern angesprochen hat und welche Fragen oder Widersprüche dabei aufgetaucht sind, kann einen Kurs sehr bereichern. Hierbei kann ein Raum geboten werden, über die eigenen Ideen und Wünsche für die Geburt zu sprechen, denn in Anlehnung oder Abgrenzung zum Gesehenen können die KursteilnehmerInnen ihren eigenen Vorstellungen auf die Spur kommen. Indem die Hebamme diese Gespräche im Kurs aufmerksam begleitet und moderiert, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung auf den komplexen und höchst individuellen Lebensprozess des Gebärens. Mit einer klareren Vorstellung davon, was werdenden Müttern und Vätern wichtig ist für das eigene Geburtserlebnis, können diese wirksamer für ihre Bedürfnisse und Wünsche eintreten. So können positive Beispiele werdende Eltern manchmal mehr in ihrem individuellen Weg unterstützen als sachlich korrekte Antworten.
Für Eltern, die eher zu der Gruppe der „Selbstbestimmten” gehören und immer noch Bücher aus Papier lesen, hat Bettina Ullmann ein sehr fundiertes Buch geschrieben, dass auch zahlreiche Eltern zu Wort kommen lässt: „Einfach gebären”. Die Autorin ist selbst keine Geburtshelferin, hat aber drei Kinder mit unterschiedlichsten Geburtserfahrungen bekommen. Ihr Buch bietet werdenden Eltern gut verständliche und oft kritische Informationen rund um die Geburt. Es hat bisher leider nicht die Beachtung als eine Stimme der Eltern erhalten, die es verdient.