Nahrungsergänzungsmittel (NEM) erfreuen sich in Deutschland wachsender Beliebtheit, denn sie sind frei im Drogeriemarkt, im Supermarkt oder Discounter und über das Internet erhältlich (Gaedcke & Beer 2010). Sie können neben Vitaminen und Mineralstoffen auch pflanzliche Zutaten enthalten und sind dann auf den ersten Blick schwer von pflanzlichen Arzneimitteln, den sogenannten »Phytopharmaka«, zu unterscheiden. Während Phytopharmaka, wie auch alle anderen chemisch-definierten Arzneimittel, Körperfunktionen beeinflussen und Krankheiten vorbeugen, lindern oder heilen sollen, dienen NEM bei Gesunden – und dazu zählen die meisten Schwangeren und Stillenden – ausschließlich dazu, die normale Ernährung zu ergänzen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Phytopharmaka müssen wie alle Arzneimittel von der Bundesoberbehörde (in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – BfArM) zugelassen oder registriert werden. Deshalb werden sie auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft (Beer & Loew 2019; Beer, Schilcher & Low 2013). Allerdings bilden klinische Studien und spezifische Wirksamkeitsnachweise an Schwangeren und Stillenden immer noch die Ausnahme, denn Ethikkommissionen dürfen solche Untersuchungen nur unter besonderen Umständen und mit strengen Auflagen genehmigen. Die Wirkung von Phytopharmaka, die an anderen PatientInnen- beziehungsweise Bevölkerungsgruppen beobachtet worden ist, kann aber häufig auf diese Lebensphasen übertragen werden.
Wenn beispielsweise ein Präparat nachweislich beruhigend und schlaffördernd wirkt, so tritt diese Wirkung meistens auch in der Schwangerschaft und Stillzeit ein. Jedoch ist hier unbedingt zu empfehlen, bei naturheilkundlich arbeitenden ÄrztInnen, fachkundigen GynäkologInnen, einer wissenden Hebamme oder in einer spezialisierten Apotheke nachzufragen. Letztere wissen in den meisten Fällen, ob ein Präparat für Schwangere geeignet ist oder besser nicht eingenommen werden sollte, denn das Apothekenpersonal hat Beratungspflicht.
Heilversprechen sind unzulässig!
In den vergangenen Jahren ist leider ein starker Trend zur missbräuchlichen Verwendung von pflanzlichen Präparaten zu erkennen: Als NEM klassifizierte pflanzliche Zubereitungen werden zu »medizinischen Zwecken« eingesetzt. Dabei sollen die Präparate den besonderen Ernährungserfordernissen von Personen entsprechen, die an bestimmten Krankheiten oder Beschwerden leiden. Die Anbieter solcher Produkte haben nun auch die Schwangeren als Zielgruppe entdeckt und machen Werbung für eine »gesunde« Schwangerschaft oder eine »erfolgreiche« Stillzeit.
NEM können und dürfen keine arzneilichen Wirkungen haben. Daher sind Heilversprechen unzulässig, es dürfen lediglich gesundheitsbezogene Aussagen getätigt werden. NEM müssen zwar spezifische regulatorische Vorgaben und daraus folgende fachliche Anforderungen erfüllen. Im Gegensatz zu Arzneimitteln bedarf es vor ihrem Inverkehrbringen aber keiner langwierigen Zulassung, sondern nur einer Anzeige bei der zuständigen Bundesbehörde (in Deutschland das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit – BVL). So sind sie unmittelbar nach der Entwicklung auf dem Markt verfügbar. Weiterhin wird keine besondere Herstellererlaubnis verlangt.
Höchste Ansprüche an die Qualität
Aus Sicht der betreuenden Hebamme muss es ein wesentliches Ziel sein, eine pflanzliche Zubereitung zu empfehlen, deren Qualität den höchsten Ansprüchen genügt. Gesichert ist dies nur bei pflanzlichen Arzneimitteln, denn nach § 3 des Arzneimittelgesetzes sind Phytopharmaka Arzneimittel, die als arzneilich wirksame Stoffe »Pflanzen, pflanzliche Teile oder Pflanzenbestandteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand enthalten« und die durch nachgewiesene pharmazeutische Qualität, therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis gleichrangig neben chemisch definierten Arzneimitteln stehen.
Maßgeblich für diesen Beweis ist die staatliche Vermarktungsgenehmigung (Zulassung oder Registrierung), die nach eingehender Prüfung der Unterlagen durch das BfArM erteilt wird.
Bei NEM hingegen müssen keine so strengen Qualitätskriterien erfüllt sein, wie das von pflanzlichen Arzneimitteln gefordert wird: von der Gewinnung der Ausgangsdrogen, über die Herstellung der pflanzlichen Wirkstoffe und der Fertigpräparate bis hin zur Prüfung ihrer Stabilität. Arzneimittel sind erkennbar an ihrer Zulassungs-Nummer (Zul.-Nr.) oder Registrierungsnummer (Reg.-Nr.). Pflanzliche Arzneimittel mit einer Zul.-Nr. sind von der Bundesoberbehörde auf den Nachweis der Wirksamkeit überprüft worden. So können Phytopharmaka von NEM abgegrenzt werden, die über keine solchen Nummern verfügen.
Für die Hebamme und jede Verbraucherin muss die Deklaration des pflanzlichen Wirkstoffs (Droge oder Extrakt) auf der Packung eindeutig sein. Hierzu gehört insbesondere die Angabe der Art und Menge des Extrakts (Wirkstoffes), das Droge-/Extrakt-Verhältnis (DEVnativ) sowie die Art und Konzentration des Extraktionsmittels. Insbesondere die letzten beiden Angaben fehlen in der Regel bei pflanzlichen NEM.
Für alle Arzneimittel, chemische und pflanzliche, zugelassene und/oder registrierte, ist gleichermaßen der Nachweis der Unbedenklichkeit zu erbringen. Dies kann durch entsprechende Studien, publizierte wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch durch eine fundierte Dokumentation der Erfahrung über längere Zeit der Anwendung erfüllt werden. Die akzeptierten internationalen Leitlinien sind dabei zu berücksichtigen.
Die hohen Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und die damit verbundenen langen Vorlaufzeiten für die Entwicklung und Zulassung eines pflanzlichen Arzneimittels machen es mittelständischen Phytopharmaka-Herstellern schwer, entsprechende Präparate auf den Markt zu bringen. Deshalb besteht zunehmend die Tendenz, dass ursprünglich gut konzipierte Phytopharmaka im NEM-Bereich angesiedelt werden, wo sie mit weitaus geringeren Auflagen vermarktet werden können. Andere pflanzliche Präparate kommen direkt als pflanzliche NEM auf den Markt. Erschwerend kommt hinzu, dass es für diesen Markt keine mit Arzneimitteln vergleichbaren Vorgaben für die Qualität, Sicherheit und Deklaration der Zubereitungen gibt. Ein Vergleich der Qualität eines Arzneimittels und eines NEM ist damit so gut wie unmöglich.
Resümee und Ausblick
Bei einer Empfehlung von pflanzlichen NEM besteht die große Gefahr der Irreführung von Schwangeren und Stillenden, da suggeriert wird, dass Nahrungsergänzungsmittel gegen Beschwerden wirken würden. NEM sind, wie der Name sagt, ergänzend zur täglichen Nahrung auf dem Markt und können dann von Vorteil sein, wenn die Frau tatsächlich keine Möglichkeit hat, sich mit qualitativ guter und hochwertiger frischer Kost zu ernähren.
Somit sollte die Hebamme aus qualitativen Erwägungen heraus gut überlegen, ob sie ein pflanzliches NEM empfehlen möchte oder doch besser der Frau dazu rät, sich bei Fachpersonen individuell zu erkundigen. Es sei denn, die Hebamme hat sich selbst in Phytotherapie fortgebildet – dann kann sie eine fachliche Auskunft zu pflanzlichen Präparaten geben.
Darüber hinaus ist Vorsicht geboten, weil auf dem Gebiet der Vielstoffgemische nicht jede Wirkung eine Wirksamkeit nach sich zieht. Es gibt zunehmend In-vitro-Testungen, jedoch keine humanpharmakologischen Daten, die belegen, dass die vermuteten Wirkstoffe in ausreichender Konzentration am Zielorgan ankommen.