Faktoren für die Familiengründung Abbildung: © Tara Franke

Ob und wann Menschen sich in modernen Gesellschaften für eine Elternschaft entscheiden, hat soziologischen Theorien zufolge wenig mit einem aus medizinischer Sicht besten Alter zu tun. Auch ist es nicht unbedingt das Ergebnis einmaliger rationaler Abwägungen der Vor- und Nachteile.

Die SoziologInnen Katharina Maul und Thorsten Schröder veröffentlichten 2007 einen Konferenzbeitrag zu bestehenden Theorien darüber, welche Faktoren dafür entscheidend sein können, ob und wann Familien gegründet werden. Demnach unterliegt die Entscheidungsfindung selbst einer Entwicklung im Laufe des Lebens und wird sowohl von internen als auch externen Faktoren beeinflusst. Die Abbildung auf Seite 19 stellt dazu – etwas plakativ – die zentralen Punkte dar, die Maul und Schröder hierfür zusammengetragen hatten.

Kindeswohl und Mutterwohl

Eine Analyse der SoziologInnen Norbert F. Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), Sabine Diabaté und Kerstin Ruckdeschel, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im BiB, über die Leitbilder junger Menschen zwischen 20 und39 Jahren, stellt fest: »In Deutschland dominiert eine Kultur des Bedenkens, Zweifelns und Sorgens im Hinblick auf Elternschaft.« (Schneider et al. 2015, S. 9). Frauen sind nicht nur Gefäße für ein Zufallsereignis, sondern: »Die Ergebnisse spiegeln den hohen Qualitätsanspruch an Mütter, die sowohl die Erziehung (›Fürsorge‹) als auch ihre ›Selbstsorge‹ parallel als zentrale Lebensziele verfolgen sollen.« (ebd. S. 207). Sie bestätigen einige der externen Faktoren, die auch Maul und Schröder herausgearbeitet hatten: »Zentrale Pole in der wissenschaftlichen und auch öffentlichen Debatte sind einerseits das Kindeswohl und andererseits das Mutterwohl (Bedürfnis nach beruflicher Entwicklung und Etablierung/Karriere, finanzieller Absicherung und Selbstentfaltung jenseits der häuslichen/familiären Sphäre) beziehungsweise auf partnerschaftlicher Ebene das Eltern- und Partnerwohl.« (ebd. S. 208).

Eine aktueller Übersichtsartikel von der Schweizer Gynäkologin Rebecca Moffat und ihren KollegInnen zeigte, dass Berufstätigkeit dabei per se kein Hinderungsgrund ist, aber deren Umstände über den Zeitpunkt mitentscheiden (Moffat et al. 2018). So werden Frauen in männlich dominierten Berufen später Mutter. Für berufstätige Frauen ist Inkompatibilität von beruflicher Karriere und Kinderbetreuung ein häufiger Grund für einen Aufschub. Paare warten heute wegen der unvermeidlichen Gehaltseinbußen länger.

Eine gute Vereinbarkeit von Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Elternschaft scheint die Geburtenrate zu erhöhen. Oder wie der Psychologe Thomas Kühn es ausdrückt: »Die gesellschaftlichen Entwicklungen von Individualisierungsprozessen und Wandlungstendenzen der Geschlechterverhältnisse führen zu einer steigenden Bedeutung von Ambivalenzen und biologischer Unsicherheit für den Einzelnen und gehen mit einem erhöhten Bedarf nach biografischer Planung und Gestaltung einher« (Kühn 2013).

Zentrales soziales Lebensereignis

Bei allem, was Hebammen und GynäkologInnen fachlich zu den Risiken sehr früher oder später Mutterschaft wissen oder zu sagen haben, können diese Befunde von ExpertInnen anderer Disziplinen uns daran erinnern, dass Menschen Elternschaft vorrangig als eine sehr subjektive Entscheidung und ein zentrales soziales Lebensereignis empfinden. Es gilt zwar, auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene die Benachteiligungen und strukturellen Probleme für Eltern und besonders für Frauen zu beseitigen, die arbeiten (wollen oder müssen), um sich in jedem Lebensalter leichter für oder gegen Kinder entscheiden zu können.  Jede einzelne Frau und jeder Mann sollte jedoch in dieser sehr persönlichen Entscheidung voll und ganz respektiert und unterstützt werden.

Zitiervorlage
Franke T: Familiengründung: Wenn ja, wann? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2020. 72 (1): 18–19
Literatur

Kühn T: Berufsbiografie und Familiengründung: Biografiegestaltung junger Erwachsener nach Abschluss der Berufsausbildung. Springer Verlag 2013

Moffat R, Raggi A, Sartorius G, Conrad B, Lapaire O, De Geyter C: Späte Mutterschaft und Aufschub der Familiengründung. In: Swiss Medical Forum. EMH Media 2018.18 (43) 875–880

Schneider NF, Diabaté S, Ruckdeschel K: Familienleitbilder in Deutschland: Kulturelle Vorstellungen zu Partnerschaft, Elternschaft und Familienleben. Verlag Barbara Budrich 2015

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