»Die Hebamme kann durchaus Primärversorgende sein, die eine Frau zur Ärzt:in schickt, wenn es erforderlich ist.« Foto: © Mangostar/stock.adobe.com

Als 1965 die Schwangerenvorsorge in Form der Mutterschafts-Richtlinien in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wurde, gelangte die Vorsorge auch bei gesunden Schwangeren in ärztliche Hand. 1971 kam noch ein Passus hinzu, der die Auffassung entstehen ließ, dass die Hebamme erst nach Delegation durch den Arzt tätig werden dürfte. Dieser wurde Anfang des Jahres durch den G-BA gestrichen – ein jahrelanges Missverständnis ist endlich beseitigt. 

Eine gute Zusammenarbeit der Berufsgruppen in der Betreuung Schwangerer ist erklärter Bestandteil des Nationalen Gesundheitsziels »Gesundheit rund um die Geburt«. Dabei wird nicht nur ausdrücklich die Stärkung einer an den Ressourcen der Frauen orientierten Schwangerenbetreuung und Geburtsvorbereitung, sondern auch die multiprofessionelle Schwangerenvorsorge und die Entwicklung von Kooperationsmodellen für die Zusammenarbeit zwischen Frauenärzt:innen und Hebammen angestrebt (BMG, 2017).

Schwangere hatten und haben die Wahl

Betont wird dabei insbesondere der präventive Ansatz der Hebammenbetreuung, die Studien zufolge unter anderem zu geringeren Interventionsraten bei der Geburt, zur Vermeidung von Frühgeburten, zu einer höheren Stillrate und zu mehr Zufriedenheit bei den Frauen beiträgt (Sandall et al., 2010; Sandall et al., 2016; Butler et al., 2015).

Die Hebammen an der Vorsorge zu beteiligen, trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die überwiegende Zahl der Schwangeren gesund ist und diese Zeit als normal erlebt. Hebammen sind die Expert:innen des gesunden Schwangerschafts- und Geburtsverlaufs, wohingegen Frauenärzt:innen aufgrund ihrer Ausbildung mehr auf Risiken und Komplikationen und deren Behandlung fokussieren.

Schwangere haben zudem ein Wahlrecht sowohl für den Geburtsort als auch für die Leistungserbringer:innen. Laut § 24d des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) haben werdende Mütter einen uneingeschränkten Anspruch auf eine Versorgung durch beide Berufsgruppen: »Die Versicherte hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchung zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerschaftsvorsorge.«

Formale Hürde

Zwar gibt es schon lange (Schumann, 2004) und bis heute von einzelnen Hebammen und Frauenärzt:innen umgesetzte Kooperationen mit geteilter Vorsorge. Einer weiteren Verbreitung der praktischen Umsetzung der Schwangerenvorsorge durch Hebammen stand jedoch lange Zeit eine formale Hürde entgegen: die Ausführung zur Delegation in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (Mutterschafts-Richtlinien). Letztere wurden vor allem von Frauenärzt:innen so interpretiert, dass Hebammen nur nach ärztlicher Anordnung Schwangerenvorsorge durchführen dürften. Dieses Missverständnis wurde nun ausgeräumt.

Mit seinem Beschluss vom 16. Februar 2023 hat der G-BA die Eigenständigkeit der Hebammenhilfe klargestellt, die auch die Schwangerenvorsorge umfasst.

Derzeit überwiegend ärztliche Vorsorge

In Deutschland werden jährlich etwa 780.000 Kinder geboren (Statistisches Bundesamt, 2020). Schwangerschaft und Geburt gehören zu den häufigsten Behandlungsanlässen überhaupt.

In der Schwangerenvorsorge dominiert derzeit immer noch die ärztliche Vorsorge: Abrechnungsdaten der Barmer zeigen, dass in den Jahren 2015 bis 2019 98 % der Schwangeren in mindestens drei Quartalen ärztliche Schwangerenvorsorge in Anspruch genommen haben (durchschnittlich 3,9 abgerechnete quartalsbezogene ärztliche Vorsorgepauschalen pro Schwangerschaft).

Vorsorgen bei der Hebamme finden deutlich seltener statt: Nur etwa 25 % der Schwangeren hatten wenigstens eine einzige abgerechnete Hebammenvorsorge (Ziffer 0300 gemäß Hebammenhilfevertrag) in der gesamten Schwangerschaft. Legt man für die Annahme einer geteilten beziehungsweise interdisziplinären Schwangerenvorsorge mindestens fünf abgerechnete Vorsorgen bei einer Hebamme während der gesamten Schwangerschaft zugrunde (zusätzlich zur ärztlichen Vorsorgepauschale), dann zeigt sich, dass nur 1,2 % der bei der Barmer versicherten Schwangeren regelmäßig von beiden Berufsgruppen Vorsorgeleistungen in Anspruch nahmen (Hertle et al., 2021). Eine interdisziplinäre Schwangerenvorsorge findet demnach in Deutschland praktisch nicht statt.

Delegation vorbehalten

1965 wurde die Schwangerenvorsorge in Form der Mutterschafts-Richtlinien in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen und damit in die Hände der damals meist männlichen Gynäkologen und praktischen Ärzte gelegt. Die Mutterschafts-Richtlinien sind ärztliche Richtlinien, auch wenn die Bezeichnung eine umfassendere Perspektive vermuten lässt. Sie regeln nur ärztliches Handeln. Deshalb wurde die Vorsorge durch die Hebamme nur im Zusammenhang mit der ärztlichen Delegation erwähnt.

Seit 1971 enthielten die Mutterschafts-Richtlinien einen Passus, der als Delegationsvorbehalt interpretiert werden konnte. Dieser besagte, dass eine Schwangere erst zur Hebamme zur Vorsorge gehen dürfe, »wenn der Arzt dies im Einzelfall angeordnet hat oder wenn der Arzt einen normalen Schwangerschaftsverlauf festgestellt hat und daher seinerseits keine Bedenken gegenüber weiteren Vorsorgeuntersuchungen durch die Hebamme bestehen«. Dieser Abschnitt wurde nun mit Beschluss vom 16. Februar 2023 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gestrichen (G-BA, 2023a).

Klarstellung

In der zugehörigen Pressemitteilung spricht der G-BA dabei von einer Klarstellung der Eigenständigkeit der Hebammenhilfe in seiner Richtlinie (G-BA, 2023b). Die ausführliche Begründung für die Streichung des Delegationsvorbehalts findet sich in den tragenden Gründen zum Beschluss. Der G-BA räumt darin ein, dass »in der Vergangenheit die rein deklaratorische Benennung der Delegationsmöglichkeit der Ärztinnen und Ärzte an Hebammen zu Auslegungsproblemen geführt hat«.

Die bisherige Regelung im Abschnitt A Nummer 7 der Mutterschafts-Richtlinien sei »teilweise dahingehend ausgelegt [worden], dass darin eine Beschränkung der Schwangerenvorsorge durch Hebammen in Form eines Delegationsvorbehaltes enthalten sei, und daher Hebammen in den dort genannten Untersuchungen ausschließlich dann tätig werden dürften, wenn die Ärztin oder der Arzt zuvor die Leistung an die Hebamme delegiert hatte. Um diesem Missverständnis entgegenzuwirken, wird die seit 1971 bestehende Regelung in Abschnitt A Nummer 7 gestrichen. An die Präambel wird der Satz angefügt: ›Die Hebammenhilfe nach § 24d SGB V ist nicht Gegenstand dieser Richtlinie.‹«

Klargestellt wird auch, dass »der Regelungsauftrag des G-BA zur Betreuung bei Schwangerschaft und Mutterschaft sich weiterhin – wie durch den Gesetzgeber vorgegeben – ausschließlich auf die ärztliche Leistungserbringung bezieht: »Die inhaltliche Ausgestaltung des Anspruchs auf Hebammenhilfe ist hiervon nicht umfasst. Der Umfang der Betreuung durch freiberuflich tätige Hebammen ist in den Verträgen gemäß § 134a SGB V zur Versorgung mit Hebammenhilfe abschließend geregelt«.

Was die Tätigkeit der Hebammen betrifft, wird demnach auf die Regelungen im Hebammengesetz (BMJ, 2020) und den Berufsordnungen der Hebammen (NRW, 2017) und auf die Vereinbarungen zwischen dem Hebammenverband und dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV) verwiesen. Dadurch wird nunmehr auch in den Mutterschafts-Richtlinien deutlich gemacht, dass die Befähigung zur Berufsausübung der Hebammen laut Hebammengesetz eine eigenverantwortliche Tätigkeit vorsieht, welche auch das Erkennen der Anzeichen von Regelwidrigkeiten umfasst, die eine ärztliche Behandlung erforderlich machen.

Info-Broschüre und Kontakt
Für Interessierte, die eine interdisziplinäre Schwangerenvorsorge umsetzen möchten, hat der Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF e.V., www.akf-info.de) eine Info-Broschüre herausgegeben, die unter > www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/wp-content/uploads/2022/11/Faltblatt_AKF_Schwangerenvorsorge_RZ.pdf heruntergeladen werden kann.
Über Dr. Dagmar Hertle kann ein Kontakt zu Personen hergestellt werden, die langjährige Erfahrung mit der interdisziplinären Schwangerenvorsorge in Kooperationsmodellen haben.
Kontakt: hertle@akf-info.de

Leistungsrecht umgesetzt

Die Hebamme kann also durchaus Primärversorgende sein, die eine Frau zur Ärzt:in schickt, wenn dies erforderlich ist. Das Vergütungsverzeichnis der Hebammen nimmt ausdrücklich Bezug auf die Leistungsinhalte der jeweils gültigen Fassung der Mutterschafts-Richtlinien. Die Vorsorgeleistungen von Hebammen und Ärzt:innen sind demnach inhaltlich gleichwertig.

Mit der Streichung des Abschnitts zur Delegation ist der G-BA nun seiner Aufgabe nachgekommen, das Leistungsrecht vollständig umzusetzen. Dies ist zu begrüßen, bringt es doch das Teilziel 1.7 des Nationalen Gesundheitsziels der Umsetzung ein Stück näher: »Die an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen arbeiten konstruktiv und partnerschaftlich zusammen«.

Zitiervorlage
Hertle, D. et al. (2023). Mutterschafts-Richtlinien: Delegationsvorbehalt gestrichen. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (7), 78–80.
Literatur
BMG (2017). Nationales Gesundheitsziel: Gesundheit rund um die Geburt.

BMJ. (2020).: Gesetz über das Studium und den Beruf von Hebammen (Hebammengesetz – HebG).

Butler, M.M., Sheehy, L,. Kington, M.M., et al.: Evaluating midwife-led antenatal care: choice, experience, effectiveness, and preparation for pregnancy. Midwifery, 2015; 31(4): 418–25.

G-BA (2023a). Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Mutterschafts-Richtlinien: Klarstellende Anpassung zum Regelungsumfang.

G-BA (2023b). Betreuung in der Schwangerschaft: G-BA stellt Eigenständigkeit der Hebammenhilfe in seiner Richtlinie durch redaktionelle Streichung klar.

Hertle, D., Lange, U., Wende, D. (2021). Schwangerenversorgung und Zugang zur Hebamme nach sozialem Status: Eine Analyse mit Routinedaten der BARMER. Gesundheitswesen.

NRW (2017).: Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger: HebBO NRW.

Sandall, J., Devane, D., Soltani, H., Hatem, M., Gates, S. (2010). Improving quality and safety in maternity care: the contribution of midwife-led care. J Midwifery Womens Health; 55(3): 255–61.

Sandall, J., Soltani, H., Gates, S., Shennan, A., Devane, D. (2016). Midwife-led continuity models versus other models of care for childbearing women. Cochrane Database Syst Rev; 4: CD004667.

Schumann, C. (2004). Schwangerschaftsbetreuung – Neue Wege beschreiten. Deutsches Ärzteblatt; 101.

Statistisches Bundesamt (DESTATIS) (2020). Geburten: Veränderung der Zahl der Lebendgeborenen zum jeweiligen Vorjahr. Wiesbaden.

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