Das Wahlrecht der Versicherten
Nach § 24d des Sozialgesetzbuchs V (SGB V) hat die Versicherte während der Schwangerschaft sowie bei und nach der Geburt Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge. Dementsprechend können sowohl die betreuenden Gynäkolog:innen als auch Hebammen Befunde in den Mutterpass eintragen – damit bei einer gemeinsamen Vorsorge die jeweils andere Leistungserbringer:innen Einblick in die von den anderen erhobenen Daten hat. Durch diesen Austausch wird eine qualitativ hochwertige Betreuung durch alle Behandelnden gesichert.
Bereits aus den bundesrechtlichen Vorgaben ergibt sich damit eindeutig, dass eine Betreuung in der Schwangerschaft sowohl durch Hebammen als auch durch Ärzt:innen möglich ist und ein Wahlrecht der Versicherten besteht.
Auch das Ziel Nr. 1 des Nationalen Gesundheitsziels »Gesundheit rund um die Geburt« bestätigt, dass die Begleitung durch Ärzt:innen und Hebammen während der Schwangerschaft die Gesundheit der Schwangeren fördert. Auch die Bundesregierung ist der Ansicht, dass eine Vorsorge durch eine gynäkologische Fachkraft und eine Hebamme im selben Quartal möglich und rechtens ist, so die Antwort auf eine kleine Anfrage (18.1.2017, BT-Drs. 18/10845, S. 4).
Diese ausschlaggebenden Quellen zeigen eindeutig, dass die Schwangerenvorsorge von Hebamme und Gynäkologin im sogenannten Wechselmodell, also eine kooperierende Betreuung der Schwangeren, gesetzlich vorgesehen ist und damit rechtlich möglich sein muss!
Mutterschafts-Richtlinien – die Wurzel allen Übels?
Leider führte Punkt A Nr. 7 der Mutterschafts-Richtlinien (MuRi) in der Vergangenheit regelmäßig zu der irrigen Annahme, Hebammen könnten ausschließlich nach ärztlicher Delegation die unter diesem Punkt aufgeführten Untersuchungen durchführen. Die MuRi des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) regeln unter anderem, welche ärztlichen vorgeburtlichen Untersuchungen und Beratungen gesetzlich krankenversicherte Frauen beanspruchen können. Die Hebammenhilfe ist nicht Gegenstand der MuRi – und war es mangels Zuständigkeit des G-BA auch noch nie.
Nichtsdestotrotz haben sich auch Hebammen zur Einhaltung der Mutterschafts-Richtlinien als Mindeststandard der notwendigen Untersuchungen verpflichtet (§ 4 des Hebammenhilfevertrages nach § 134 a SGB V.). Diese Verpflichtung vermag aber die Kompetenz der Hebammen zur eigenverantwortlichen Betreuung von Schwangeren inklusive der Vorsorgeuntersuchungen nicht aufzuheben, sondern soll lediglich aus Haftungs- und Qualitätsgründen die Einhaltung der dort festgelegten Vorsorgeuntersuchungen als Mindeststandard regeln. Daher war der dort gewählte Begriff der Delegation unglücklich, da es sich eben nicht um eine Delegation im arbeits- und haftungsrechtlichen Sinne handelte, wie im medizinischen Bereich üblich. Umso mehr ist es erfreulich, dass die MuRi in diesem Teil vom G-BA nun endlich angepasst wurden. Mit Beschluss vom 16. Februar 2023 (BAnz AT 12.05.2023 B4) wurde die Regelung nun ersatzlos gestrichen und dieses Missverständnis geklärt.
Was lange währt, wird endlich gut?
Die Tinte auf dem Beschluss war jedoch sprichwörtlich noch nicht getrocknet, als bereits Stimmen laut wurden, die behaupteten, Hebammen könnten nun gar keine Vorsorgeleistungen mehr erbringen, da sie in den MuRi nicht mehr ausdrücklich genannt seien. Nach den obigen Ausführungen bedarf es keiner Antwort auf diese haltlose Behauptung. Ebenso offensichtlich ist die Erwiderung auf die Behauptung, die wechselnde Betreuung mit einer Hebamme müsste aus medizinischen beziehungsweise haftungsrechtlichen Gründen abgelehnt werden. Selbstverständlich war, ist und bleibt den Hebammen die eigenverantwortliche Vorsorge von Schwangeren sowie die Vorsorge im Wechselmodell mit Gynäkolog:innen erlaubt, möglich und medizinisch korrekt. Die Haftung der jeweiligen Behandelnden bezieht sich in erster Linie immer nur auf deren eigene Behandlungen. Eine Haftung für andere beteiligte Fachkräfte kann sich nur ergeben, wenn ein Fehler erkennbar vorliegt.
Obwohl auch dies bereits seit Jahren kommuniziert wird, kursieren immer wieder »Informationszettel« von Gynäkolog:innen an ihre Patientinnen, in denen die wechselnde Betreuung mit einer Hebamme aus medizinischen beziehungsweise haftungsrechtlichen Gründen problematisiert und abgelehnt wird.
Schreckgespenst Abrechnungsbetrug
Bleibt die Frage, ob bei kooperativer Schwangerenbetreuung stets mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetrug gerechnet werden muss. Zunächst einmal sei klargestellt, dass sich für Hebammen im Rahmen der kooperativen Schwangerenvorsorge keine Abrechnungsprobleme ergeben.
Selbstverständlich dürfen gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht vorsätzlich Doppelleistungen abgerechnet werden. Sollten Gynäkolog:in und Hebamme wissentlich und regelmäßig, womöglich sogar in gemeinsamer Absprache, Leistungen doppelt erbringen und in Rechnung stellen, muss natürlich mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetruges gerechnet werden. Es bedarf aber hierfür eben eines zielgerichteten Vorgehens mit einer sogenannten Bereicherungsabsicht.
Dass diese kriminelle Absicht automatisch bei jeder Kooperation zwischen Gynäkolog:in und Hebamme vorliegt, ist natürlich Unfug. Mithin kann alleine die Kooperation zwischen diesen beiden Leistungserbringern nicht zwingend den Vorwurf des Abrechnungsbetruges begründen. In der Regel können Hebammen ihre Leistungen, die sie im Rahmen der Vorsorge erbringen, also unproblematisch abrechnen.
Bisher sind weder dem DHV noch der Bunderegierung (Antwort auf eine kleine Anfrage vom 18.1.2017, BT-Drs. 18/10845, S. 6), als auch der Barmer (Hertel et al., 2023) Regressforderungen aufgrund eines Abrechnungsbetruges bei kooperativer Schwangerenvorsorge bekannt geworden. Die korrekte Abrechnung ist also sehr wohl möglich.
Für jede Lösung ein Problem …
Ausschlaggebend für die ärztliche Schwangerenvorsorge-Pauschale ist die Gebührenordnungsposition (GOP) 01770 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Um diese abrechnen zu können, muss der obligate Leistungsinhalt nach den Mutterschafts-Richtlinien von der gynäkologischen Praxis erbracht werden.
Diskutiert wird hauptsächlich, wie viele Termine die ärztliche Fachkraft benötigt, um diesen zu erbringen. Tatsächlich kursiert hier die Auffassung, dass die Pauschale nur abzurechnen sei, wenn der Gynäkologe oder die Gynäkologin alle Vorsorgeuntersuchungen der MuRi in einem Quartal selbst erbracht hat.
Die MuRi ließen allerdings bisher eine Arbeitsteilung zwischen Hebamme und Ärztin zu. Nach gängiger Auslegung war eine Abrechnung nach der dort vorgeschlagenen Arbeitsteilung auch in Kooperation mit einer freiberuflichen Hebamme möglich, ohne dass die Fachärztin ihren Gebührenanspruch nach der GOP 01770 verlor.
Hatte eine freiberufliche Hebamme die dort aufgeführten Untersuchungen erbracht, konnte also die Gynäkolog:in die GOP 01770 abrechnen, ohne diese Leistungen ebenfalls erbringen zu müssen. Hierfür war aber eben nicht zwingend mehr als ein Termin notwendig. Zugegebenermaßen fehlt im EBM eine klare Aussage zur kooperativen Betreuung durch Hebamme und Gynäkolog:in.
In Betracht käme für die Schwangerenvorsorge im Wechselmodell zudem die kurative Abrechnung von Leistungen, beispielsweise eine Sonografie, wie es die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg empfiehlt, wenn ein anderer Arzt oder eine Ärztin im selben Quartal bereits die GOP 01770 EBM abgerechnet hat (> www.kvbawue.de/praxis/abrechnung-honorar/abrechnungspruefung/faq-abrechnungspruefung). Leider ist dies für den Fall der mitbetreuenden Hebamme bisher nicht als Möglichkeit angesehen worden.
Daneben wurde zum 1. April 2018 die Ausnahmeziffer GOP 32007 neu gefasst und heißt seitdem »Vorsorgeuntersuchungen gem. den Mutterschafts-Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses, bei Vertretung, im Notfall oder bei Mit- bzw. Weiterbehandlung«. Diese Ziffer kann also bei Vertretung, im Notfall oder bei Mit- und Weiterbehandlung angesetzt werden. Damit können die Hauptbehandler:innen von Schwangeren die GOP 01770 abrechnen. Die Mit- und Weiterbehandler:innen, die GOP 01770 nicht abrechnen dürfen, können sodann auf die Ausnahmeziffer zurückgreifen. Auch diese Positionsnummer soll nicht bei Kooperation mit einer Hebammen gelten, obwohl der Wortlaut hierfür passend erscheint.
Da eine Änderung des EBM langwierig sein kann, ist es in anderen medizinischen Bereichen durchaus üblich, nicht geregelte Leistungen durch Auslegung oder analoge Anwendungen bestehender Positionsnummern vergütungstechnisch abzubilden. Wenn also schon keine Änderung des EBM alsbald umsetzbar erscheint, würde es sich doch anbieten, analoge Anwendungs- oder Auslegungsmöglichkeiten zu schaffen, um die Abrechnungsproblematik auf diesem Wege galant und zeitnah zu beheben. Hierzu bedürfte es lediglich der entsprechenden Auslegungsvorgaben durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und/oder den EBM-Bewertungsausschuss.
Schlussbetrachtung
Sicherlich ist die Änderung der Mutterschafts-Richtlinien ein erster Schritt zur Auflösung der ständig reanimierten Abrechnungsdiskussion. Jedoch ist nicht zu verhehlen, dass die Abrechnungsmodalitäten der Ärzteschaft die Kooperation mit Hebammen nicht klar regeln. Nichtsdestotrotz führt die gemeinsame Vorsorge weder dazu, dass die Gynäkolog:innen zwingend den Anspruch auf ihre Vergütung verlieren, noch dass grundsätzlich ein Abrechnungsbetrug vorliegt.
Unter Berücksichtigung der notwendigen anwaltlichen Vorsicht konnte man vor Jahren die Warnung vor problematischen Abrechnungskonstellationen noch nachvollziehen. Das Worst-Case-Szenario zu skizzieren – in diesem Fall den Abrechnungsbetrug, ist nun einmal leidliche Aufgabe von Jurist:innen. Nachdem nun aber weit mehr als 15 Jahre vergangen sind, seitdem die Problematik bekannt ist, drängt sich zunehmend die Frage auf, warum die Abrechnungsmodalitäten nicht mittlerweile angepasst wurden? Jeder ärztlichen Vereinigung und Institution muss es doch ein Anliegen sein, ihren Mitgliedern eine sichere Abrechnung zu ermöglichen.
Erfreulicherweise stehen den vereinzelt lauten Stimmen gegen eine kooperative Schwangerenvorsorge alle diejenigen Kooperationen entgegen, in denen Hebamme und Gynäkolog:innen seit Jahren und ohne Schwierigkeiten Frauen erfolgreich gemeinsam betreuen.
Allen kooperationswilligen Gynäkolog:nnen ist zu wünschen, dass die Abrechnungsmöglichkeiten den aktuellen bundesrechtlichen Vorgaben endlich besser angepasst werden, um eine klare Abrechnungssicherheit und eine ausreichende Vergütung zu regeln – und damit allen Schwangeren eine frauenzentrierte Versorgung zu ermöglichen, die nicht an althergebrachten Ressentiments scheitert.