Die Künstlerin Kerstin Bruchhäuser mit ihrem Werk »Mutter und Kind« (2017)
Foto: © Birgit Heimbach
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Der erste Blick im Ausstellungsraum des Kunsthauses am Hamburger Glockengießerwall wird auf ein großes, von der Decke hängendes Bild gelenkt, das sich beim Nähertreten als Textilarbeit entpuppt: eine überlebensgroße Mutter mit Säugling im Arm, das klassische Motiv von Madonnenbildern, fein säuberlich auf durchsichtige Schleiernessel appliziert. Die Mutter schaut ihre BetrachterInnen direkt an, leichte Falten im Gesicht sind angedeutet, ihr Blick ein wenig erschöpft. Das Kind hält sie mit festem Griff in einem Badehandtuch, man merkt, dass es zappelt, ein erstes Streben nach Freiheit.
Kerstin Bruchhäuser, promoviert in Kunst und Design, der es um Enthüllen und Verbergen geht, meint zu ihrem Werk: »Ja, man soll merken, dass die Mutter gestresst ist, ich habe nicht einfach ein blühendes Frauenleben dargestellt. Muttersein ist anstrengend, es gibt Ambivalenzen. Mit dem Muttersein bekam auch ich meine ersten Falten.« Sie betont, dass gerade alleinstehende Frauen eine ganz ordentliche Bürde zu tragen haben. Bruchhäuser, zweifache Mutter, verheiratet, macht es sich auch mit der Kunst nicht leicht. An ihren textilen Werken, die meist Frauen zeigen, näht sie oft wochenlang. Den Stoff für Haut und Haare färbt sie zuvor selbst mit Tee ein. Bei der Arbeit »Mutter mit Kind« aus dem vergangenen Jahr färbte sie das gelbe Badetuch des Kindes mit Curcuma. Der weiße Stoff für die Frau ist historische Weißwäsche, die aus der Aussteuer einer älteren Dame stammt. »Diesen Aspekt der Mitgift für die Ehe und Familiengründung betone ich sehr gern in meinen Arbeiten. Er weist auf Fürsorge und Ablöseprozesse in den Generationen hin.«
Bruchhäuser denkt viel über Familiengeschichten und -modelle nach, engagiert sich im Verein »Spenderkinder«, in dem sie das älteste in Deutschland gezeugte Mitglied ist. »Es gibt noch ein älteres Mitglied, das in Frankreich gezeugt ist«. Sie selbst ist durch Frischsamenspende entstanden, damals, 1973. In einer gynäkologischen Praxis ging ihre Mutter vorne hinein, der für sie unbekannte Spender durch eine andere Tür, ohne dass sie aufeinander stießen. Alles blieb anonym. Erst mit 25 Jahren erfuhr Bruchhäuser davon, es dauerte, bis sie darüber hinwegkam. »Auch komisch, dass meine Mutter keine Angaben zum Spender bekam, man will sich doch den Vater seiner Kinder mit aussuchen dürfen!« Eine Auskunft über die Praxis war nicht möglich, es seien keine Unterlagen mehr vorhanden. Sie brauchte Zeit, bis sie all die zu spät erzählten Geschichten verarbeitet hatte. Daher kämpft sie mit dem Verein für die absolute Auskunftsgarantie. Sie setzt sich dafür ein, dass jede/r, die/der sich für eine Familiengründung zu dritt entscheidet, bewusst ist, welche komplexe, lebenslang anhaltende Situation sich daraus für die sozialen und genetischen Elternteile und vor allem für das Kind ergibt. Das Konfliktpotenzial dürfe nicht vergessen werden. »Dafür ist eine stärkere Aufklärung im Rahmen jeder Kinderwunschberatung dringend notwendig.« In ihrer Kunst hat sie die Reproduktionsmedizin noch nicht thematisiert.
In diesem Jahr hatten sich mehr professionelle KünstlerInnen als je zuvor an der öffentlichen Ausschreibung des »Hamburger Berufsverbands bildender Künstlerinnen und Künstler« für die Jahresausstellung beteiligt und eine große Vielfalt an Vorschlägen zum Thema Mutter eingereicht. Geschäftsführer Frank Lüsing: »Das Thema der Jahresausstellung 2018 schien für die BewerberInnen hochaktuell zu sein. Bis zum 30. November 2017 hatten sich auf unsere Ausschreibung 119 Künstlerinnen und Künstler beworben. Die Arbeiten wurden zunächst anonymisiert. Eine gewählte sechsköpfige KünstlerInnen-Jury, die auch angeregt hatte, gedanklichen Assoziationen zum Begriff Mutter künstlerisch Form zu geben, wählte schließlich 24 KünstlerInnen aus. Die Bandbreite an Vorstellungen, Projektionen und persönlichen Erfahrungen sei, so Lüsing, recht groß gewesen. Das Ergebnis, das in der Ausstellung zu sehen ist, ist allerdings stark weiblich geprägt. »Nach wie vor haben kulturell einige herausragende Bezugsfelder Konjunktur, darunter solche, die Naturprinzipien befragen, Lebensprozesse beobachten, Arbeitswelten untersuchen oder Geschlechterrollen ausloten«, meint der Geschäftsführer. In der Ausstellung zu sehen waren Malerei, Zeichnung, Skulptur, Textilkunst, Installation, Fotografie und Performance.
Susanne Dettmann zum Beispiel möchte mit ihren gemalten »Mutterzellen« an die Zellteilung als biologischen Prozess erinnern, der allen Lebewesen Wachstum und Fortpflanzung gewährleiste. Sie mag es, dass die runden Zellen auf ihren Arbeiten Ähnlichkeit mit einem Teller haben. »So erinnern sie als Sinnbild für Mutter und Nahrung an eine ursprüngliche Form von Füttern und Versorgen«, so die Kunstwissenschaftlerin Dr. phil. Belinda Grace Gardner, die am Abend der Eröffnung in die Ausstellung einführte.
Der Künstler Ralf Jurszo verwies mit seinem kleinformatigen Ölbild »Unsere Leihmutter«, das schon lange vor der Ausstellung im Jahr 2000 entstanden war, an die Frauen, die sich in den Balkanländern aus finanziellen Gründen als Leihmutter zur Verfügung stellen. Gleichzeitig mahnt er mit der allegorischen Figur der Venus, die laut Gardner für Flora, Frühling und Fruchtbarkeit steht, daran, dass wir alle von der Mutter Erde stammen und sie jeweils nur leihweise als Versorgerin nutzen dürfen. Das Denken solle, koste was es wolle, auch das Denken über das Überleben unserer Spezies in der Zukunft beinhalten, interpretierte Gardner.
Von Stephanie Ritter wurde mit Pflaster ein langer Verband befestigt, auf dem verschiedene Worte um den Begriff Mutter untereinander aufgelistet wurden wie Matrix, Mater Terra, Mama, Oma, Ursprung, Uroma, Urenkel, dazwischen jede Menge Schwarzweißporträts ihrer weiblichen Verwandten: »Mutterbindung.überWunden«. Ob die schmerzlichen Erfahrungen für die einzelnen oder für die Künstlerin nun inzwischen überwunden waren, oder ob die Wunden immer noch Pflaster benötigen, blieb unklar.
Hanna Malzahn reihte auf ihren Druckgrafiken »Muttern und Schrauben« sechskantige Schraubenmuttern auf, prismatische Körper aus Metall als Befestigungselemente, deren Innenfläche als Innengewinde ausgebildet sind, damit sich eine Schraube in sie hinein drehen lässt. Gardner erwähnte im Vortrag die genaue Bezeichnung der von Malzahn verwendeten Muttern: Hohe Sechskantmutter der DIN 6330. Malzahn will mit den Arbeiten symbolisch auf ein Haltgeben und Festhalten hinweisen.
Die Künstlerin Adriane Steckhan platzierte in der Mitte von Filmsequenzen auf zwei Leinwänden – Kamerafahrten vor und zurück in einem leeren Fußgängertunnel – das überdimensionierte Foto eines laufenden Kleinkindes, das auf eine Acrylglasplatte übertragen und dadurch leicht lichtdurchlässig war. Steckhan zu dieser Arbeit unter dem Titel »Exposition«: »Das Kind durchläuft den Tunnel, aber es weiß noch nichts von der Linearität und Endlichkeit des Lebens, daher geht es in den Filmen endlos vor und zurück.« Die Chronologie der Zeit habe sie durch dieses künstlerische Mittel aufgelöst. Der transitorische Raum erwecke Assoziationen zum Geburtstunnel, Tunnel des Lebens. Gibt es Aussicht auf ein Licht am Ende des Tunnels? »Man muss sich irgendwann mit seiner Sterblichkeit auseinandersetzen, das tue ich gerade, so wird es auch noch eine Arbeit über das Ende des Tunnels geben. Ja, da wird Licht sein.«
Die metallene Figur einer Frau von Judith Heinsohn trägt anstelle ihres Bauches einen Bildschirm. Zu sehen sind Seehunde, die da in unregelmäßigen Abständen im salzigen »Fruchtwasser« schwimmen. Der Titel lautet schlicht: »Seehunde im Bauch einer Frau«.
In der hintersten Ecke des großen Ausstellungsraumes befindet sich ein kleiner separater Raum für die Künstlerin Suse Bohse. Einige Monitore stehen dort, auf denen beispielsweise Filme von Pferden laufen, ein Overheadprojektor, ein Stuhl, ein Tischchen mit Gefäßen, darin beispielsweise Kreiden und Steine. Trotz der offensichtlich vorhandenen, wenn auch nicht deutbaren Rauminstallation, ist noch unklar, ob darin die geplante Performance »Light Painting (Parts I, II, III)« tatsächlich stattfinden würde. Die Künstlerin sei unsicher, ob sich der abgetrennte Raum tatsächlich für die geplante Performance eigne, hieß es. Schließlich scheint Teil I zu beginnen, einige Zuschauer lehnen sich an die Wand, schauen zu. Die Künstlerin steigt im bodenlangen Rock auf einen Stuhl, zeichnete mit großen Bewegungen einen Kreis an die Wand, setzt sich auf den Stuhl, schaut mit starrem Blick den Kreis an, steigt wieder auf den Stuhl, zeichnet entlang der alten Umlaufspur erneut ein paar Kreise. Eine Glasschale auf dem Overheadprojektor, den sie nun anschaltet, wirft ihrerseits Ringe an eine kleinere Wand, die im Winkel zur Wand des Raumes aufgebaut ist.
Die wie entrückt wirkende Künstlerin legt nach und nach ein paar runde Steine in die Glasschale, am Ende noch ein kleines Holzfigürchen und entschwindet. Das Ganze scheint sich um eine Art Schwangerwerden zu drehen, es erscheint irgendwie voodoomäßig, hat aber auch etwas Poetisches.
Ein Kameramann, der die ganze Zeit höchst konzentriert neben ihr jede ihrer Bewegungen filmt, entschwindet ebenfalls. War er Teil der Performance?
Die rund 15 ZuschauerInnen gehen nun ebenfalls, Fragezeichen im Gesicht. Ob und wann Part II und III stattfinden sollen, bleibt unklar. Die Handlungen erscheinen den Außenstehenden vollkommen kryptisch. Zurück bleibt an der Wand eine Projektion des Gefäßes, das an eine Petrischale erinnerte mit Zellen und einem abstrakten Menschlein darin. So seltsam das Ganze ist, verdeutlicht es gleichzeitig wundersam das Rätselhafte rund um die neuen Methoden der Reproduktionsmedizin und die neuen »Mutterformen«.