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Der Anteil der Frauen In Deutschland steigt, die in höherem Alter Mutter werden (Niessen et al. 2017). Daher erscheint es für Hebammen sinnvoll, sich mit den Besonderheiten von älteren Frauen in der Betreuung zu befassen. Als eine Besonderheit gilt das medizinische Altersrisiko mit erhöhten Komplikationsraten während der Schwangerschaft und der Geburt für die Mutter und für das Kind. International ist das medizinische Altersrisiko umfänglich untersucht (Ritzinger et al. 2011; Billmann 2010; Nugent & Balen 2001; Ludford et al. 2012; Carolan et al. 2013; Voigt et al. 2011). Aber der mögliche Einfluss soziodemografischer Faktoren wurde selten und nicht systematisch berücksichtigt.
Die zweite Besonderheit betrifft die gesellschaftliche Verortung: Frauen, die in der Lebensmitte Mutter werden, verletzen gesellschaftliche Normvorstellungen (Billari et al. 2011). Im Kontext der hier vorgestellten qualitativen Studie innerhalb des kooperierenden Forschungskollegs »Familiengesundheit im Lebensverlauf« der Universität Witten/Herdecke und der Hochschule Osnabrück zum Übergang zur Mutterschaft zeigte sich, dass soziodemografische und gesundheitsbezogene Daten zu Frauen dieser Altersgruppe fehlen. Damit stellt sich die Frage, welche Daten in Deutschland zur Verfügung stehen, um soziale, demografische und gesundheitsbezogene Informationen über Schwangere und Mütter dieses Alters zu gewinnen.
Die qualitative Studie, in deren Kontext diese Sekundärdatenanalyse entstand, geht der Frage nach, wie Frauen im Alter von 40 Jahren und älter das Altersrisiko und die Verletzung einer gesellschaftlichen Norm beim Übergang zum Mutterwerden erleben. Anhand von leitfadengestützten Interviews werden Frauen in der Schwangerschaft oder im ersten Lebensjahr des Kindes zu ihrer Entscheidung, Mutter zu werden, ihren Erfahrungen in und mit der Schwangerschaft und ihrem Erleben von Mutterschaft befragt. Die Datenanalyse erfolgte mit der Grounded Theory nach Strauss und Corbin (1996).
Ausgewertet wurden Daten aus drei Quellen. Erstens wurden die jährlich erhobenen Daten des Statistischen Bundesamtes zur Geburtenanzahl, Alter der Mutter und Geburtenfolgen ausgewertet. Zweitens wurden Daten des Sozio-ökonomische Panels (SOEP) herangezogen, einer jährlichen repräsentativen Wiederholungsbefragung von etwa 30.000 Personen in Deutschland (Sozio-ökonomisches Panel 2016). Die Teilnehmerinnen dieser Längsschnittstudie wurden zu Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung und Gesundheit befragt. Teilnehmerinnen, die im jeweils letzten Jahr vor der Befragung Mutter wurden, erhielten zusätzlich gesundheitsbezogene Fragen zu Schwangerschaft, Geburt, postpartaler Zeit und zu ihrem Kind. Zuletzt wurden Daten des Familien- und Beziehungspanels Deutschland (Pairfam) genutzt (Brüderl et al. 2015). Dabei handelt es sich um eine Wiederholungsbefragung von 12.000 zufällig ausgewählten Personen dreier Alterskohorten mit den Geburtsjahren 1971–73, 1981–83 und 1991–93. Sie wurden zur Entwicklung familiärer und partnerschaftlicher Beziehungen befragt.
Für die Auswertung dieser Sekundärdaten wurden die Leitlinien der Arbeitsgruppe Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten (AGENS) von 2014 zugrundegelegt. Die Daten des statistischen Bundesamtes wurden händisch ausgewertet. Aus den großen Datensätzen von SOEP und Pairfam wurde durch Auswahl relevanter Items ein Analyseprotokoll erstellt. Da der Anteil der Frauen in den Altersgruppen in der Stichprobe der einzelnen Datensätze zu gering war, wurden die Datensätze der Jahre 2010 bis 2015 zusammen ausgewertet. Die Datenauswertung erfolgte mit der statistischen Software SPSS. Um die Zielgruppe zu beschreiben, wurden die Erst- und Mehrgebärenden, die ab dem 40. Lebensjahr Mutter geworden waren, einander gegenübergestellt.
Poster: Karin Niessen
Die Ergebnisse geben Aufschluss über die Familienplanung, die Lebenssituation und das körperliche und psychische Wohlbefinden von Frauen, die ab dem 40. Lebensjahr Mutter wurden. Beim Blick auf die Geburtenfolge zeigt sich, dass 70 % der Mütter in diesem Alter Mehrgebärende sind. Die Erstgebärenden dieser Altersgruppe haben die Familienplanung überwiegend nicht abgeschlossen. Hier ist möglicherweise mit weiteren Geburten zu rechnen.
Überraschend sind die SOEP-Daten zur Planung der Schwangerschaften: Während erste Kinder zu 20 % eher ungeplant waren, sind zweite und folgende Kinder sogar zu 28 % eher nicht geplant. Hierbei ist zu beachten, dass die Begriffe »geplant« und »ungeplant« einen Interpretationsspielraum beinhalten und keinen Rückschluss auf die Erwünschtheit eines Kindes zulassen.
7 % der Erstgebärenden dieser Altersgruppe haben reproduktionsmedizinische Assistenz in Anspruch genommen. Da die Gründe dafür nicht genannt sind, bleibt unklar, ob die altersbedingt nachlassende weibliche Fertilität die Ursache darstellt oder welche anderen Gründe dazu führen. Bei den Mehrgebärenden ist die Inanspruchnahme mit 1,2 % deutlich geringer.
Ein Drittel der Erstgebärenden und nur 10 % der Mehrgebärenden sind im ersten Jahr nach der Geburt ledig. Das Haushaltsnettoeinkommen der Familien zeigt große Unterschiede von Einkommensarmut bis zu hohen Einkommen. Dies bedeutet, dass bei Frauen höheren Alters nicht immer von einer finanziellen Sicherheit ausgegangen werden kann.
Für die geburtshilfliche Versorgung von Frauen in höherem Alter sind die Ergebnisse interessant. Die Erstgebärenden geben überwiegend gutes und sehr gutes körperliches und seelisches Wohlbefinden im Übergang zur Mutterschaft an. Während sich weniger als 10 % im letzten Schwangerschaftsdrittel seelisch eher schlecht oder schlecht fühlen, fühlen sich postpartal in den ersten drei Monaten jedoch knapp über 20 % der Erstgebärenden seelisch eher schlecht oder schlecht.
Auch die Mehrgebärenden zeigen überwiegend gutes und sehr gutes körperliches und seelisches Wohlbefinden rund um die Geburt. Allerdings geben ein Drittel der Mehrgebärenden eher schlechtes oder schlechtes körperliches Wohlbefinden im letzten Schwangerschaftsdrittel an. Beim seelischen Wohlbefinden klagt jede fünfte Mehrgebärende in dieser Zeit über einen eher schlechten oder schlechten Zustand.
Die Ergebnisse der Sekundärdatenanalyse geben Hinweise sowohl für die Versorgung als auch für weitere Forschung. Frauen in dieser Altersgruppe können einige Merkmale aufweisen, die einer besonderen Versorgungsaufmerksamkeit durch die professionell Betreuenden bedürfen. Aufgrund der Daten wird deutlich, wie heterogen die sozioökonomischen und reproduktiven Voraussetzungen dieser Altersgruppe sind. Dies sollten Hebammen in der Versorgung berücksichtigen. Insbesondere sollten sie das seelische Wohlbefinden von Frauen im Übergang zur Mutterschaft durch gezieltes psychosoziales Assessment stärker in den Fokus nehmen.
Eine Sekundärdatenanalyse bedient sich vorgegebener Items, welche die Datenauswahl begrenzen. Für diese Zielgruppe fehlen weitere gesundheitsbezogene Daten, beispielsweise zum Lebensstil, zum Rauchverhalten und zum Konsum von Alkohol, zum Body-Mass-Index und zum Bewegungsverhalten. Unklar bleibt auch, welche Beschwerden insbesondere zu einem (eher) schlechten körperlichen oder psychischen Wohlbefinden führen. Hierzu werden weitere Erkenntnisse benötigt, um Frauen im Übergang zur Mutterschaft in einem höheren Alter zielgruppenspezifisch zu unterstützen.
Arbeitsgruppe Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention und der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie: Gute Praxis Sekundärdatenanalyse Leitlinien und Empfehlungen. 3. Fassung 2012, geringfügig modifiziert 2014. https://www.dgepi.de/assets/Leitlinien-und-Empfehlungen/GPS_revision2-final_august2014.pdf
Billari FC, Goisis A, Liefbroer AC, Settersten RA, Aassve A, Hagestad G, Spéder Z: Social age deadlines for the childbearing of women and men. Human Reproduction 2011. 26 (3), 616 622.
Billmann M-K: Pregnancies at an advanced maternal age: results from Zurich and review of the literature. Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2010
Brüderl J, Hank K, Huinink J, Nauck B, Neyer FJ, Walper S, et al.: The German Family Panel (pairfam). GESIS Data Archive 2015 Cologne. ZA5678 Data file Version 6.0.0.
Carolan M, Davey M-A, Biro, MA, Kealy M: Very advanced maternal age and morbidity in Victoria, Australia: a population based study. BMC Pregnancy & Childbirth 2013. 13: 80.
Ludford I, Scheil W, Tucker G, Grivell R: Pregnancy Outcome for nulliparous women of advanced maternal age in South Australia, 1998- 2008. Australian and New Zealand Journal of Obstretics and Gynaecology 2012
Niessen K, Neisemeier I, Metzing S, zu Sayn-Wittgenstein F: Mütter ≥ 40 Jahren – eine deskriptive Sekundärdatenanalyse. GMS Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. Abstractband der 4. Int. Fachtagung 2018. Mainz 16.2.2018
Niessen K, Werner-Bierwisch T, Metzing S, zu Sayn-Wittgenstein F: Mutterschaft ab 35 Jahren: das Altersrisiko in der Wahrnehmung von Frauen – eine Literaturstudie. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2017. 221(3): 111–121
Nugent D, Balen AH: The effects of female age on fecundity and pregnancy outcome. Human Fertility 2001
Ritzinger P, Dudenhausen J W, Holzgreve W: Späte Mutterschaft und deren Risiken. Journal für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin 2011. 8(2): 112–122
Sozio-oekonomisches Panel: Daten für die Jahre 1984–2015, Version 32, SOEP 2016
Voigt M, Rochow N, Zygmunt M, Straube KTM, Briese V: Risk of Pregnancy and Birth, Birth Presentation, and Mode of Delivery in Relation to the Age of Primiparous Women. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie. (2008) 211:2006–210