Dilara Cokokur: „Danke an alle Eltern, die unsere Arbeit würdigen und durch Proteste ein Zeichen setzen. Für eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt.“ Foto: © Robin Gleim

Am 6. April veröffentlichte die Tageszeitung Die Welt den provokanten Artikel von Katrin Spoerr unter dem Titel „Relikt aus vormoderner Zeit“. Die Journalistin meint, moderne Karrierefrauen, die beruflich alles meisterten, würden als Schwangere irritiert zurückgeworfen auf ihre Natur als „Säugetiere“. Die auf diese Weise hilfsbedürftige Großstadtfrau von heute sei so „ein leichtes Opfer“ von Hebammen, die sie als vormoderne „Naturfanatikerinnen“ sieht. Ihr Appell im letzten Satz: „Liebe Hebammen, es ist Zeit für eine ganz andere Geburt. Die Geburt der modernen Hebamme!“ Eine Hebammenschülerin treibt die Denkweise der Autorin auf die Spitze und beharrt auf ihrer Berufung. 

Die moderne Hebamme muss die Frau an der Kreißsaaltür nicht persönlich empfangen, um sich ein Bild ihrer aktuellen (Geburts-)Situation machen zu können. Das ist gar nicht mehr nötig, nur ein Relikt aus vormoderner Zeit. Die Frau spricht bitte laut und deutlich ihr Anliegen in die Freisprechanlage und wartet geduldig auf eine Antwort. Die moderne Hebamme wirft einen kurzen Blick auf die vielen blinkenden und piependen Monitore in ihrem Überwachungszimmer. Stimmlage, Haltung und Temperatur des bald werfenden Säugetiers werden analysiert und somit wird es direkt in den passenden Sektor der Entbindungsanlage eingeteilt. Dies hat den großen Vorteil der Zeitersparnis. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, muss die Frau eine Dekontaminationsschleuse passieren. Außerdem wird der Kontakt zu ihr auf ein Minimum beschränkt.

Technisches Fachpersonal wird für eine angemessene Verkabelung der noch Trächtigen sorgen, so konnte die Sicherheit von Mutter und Kind in den letzten Jahren optimiert werden. War doch der Schritt ins Krankenhaus der erste Schritt zur sicheren Geburt. Alle messbaren Parameter werden kontinuierlich überwacht, wodurch zahllose Probleme früh erkannt werden können. Der Raum ist steril gehalten, mit weißen Kacheln an den Wänden, ohne Vorhänge vor den Fenstern und mit Neonlichtröhren an der Decke zur optimalen Beurteilung des Neugeborenen.

Prophylaktisch bekommen alle Frauen Antibiotika, da dadurch die Rate an postpartalen Verlegungen der Neugeborenen wegen einer Sepsis rapide von 0,2 auf 0,001 Prozent gesenkt werden konnte. Ein wichtiger revolutionärer Erfolg in der Geburtshilfe. Zudem muss keine Frau mehr Schmerzen erleiden, sondern bekommt direkt zu Beginn der Wehentätigkeit eine Periduralanästhesie, die sie selbst jederzeit dosieren kann.

Hebammen haben es nun endlich aufgegeben, Frauen mit absurden Therapiemöglichkeiten wie Massagen, Ölen, Badewannen, Globuli, Positionsveränderungen, Akupunktur oder sonstiger Scharlatanerie zu unterhalten. Die emanzipierte Frau muss selbst mit den Veränderungen ihres Körpers zurechtkommen, wie sie es ja schließlich im gesamten Leben und auch die Schwangerschaft über geschafft hat. Der betreuende Gynäkologe war lediglich für Routineuntersuchungen zuständig und schoss einige teure 3D-Ultraschallbilder, damit die Eltern sich eine Vorstellung von ihrem Nachkömmling machen können. Dazu die Herztonüberwachung durch das CTG, um sicherzugehen, dass das Ungeborene noch am Leben ist. Schließlich Fruchtwasseruntersuchung, intrauterine Blutentnahmen über Nabelschnurpunktion und Nackendichtemessung, Organscreening und Chorionzottenbiopsie, zumal eine inkonsequente ärztliche Betreuung und unzureichende Untersuchungen in der Gesellschaft wenig akzeptiert sind. Der Arzt kümmert sich somit um lebenswichtige Dinge für Mutter und Kind und nicht um Wehwehchen des hysterischen Mikrokosmos Frau. Menschen suchen sich keine Hilfe, sie helfen sich selbst, oder zählen als Versager. Wer auf jemanden anderes als sich selbst angewiesen ist, gilt als schwach und lebensunberechtigt und sollte sich daher auch nicht fortpflanzen.

Die Hebamme beobachtet in ihrem Zimmer alle Frauen auf einem Monitor. Wenn es zu Herztonabfällen oder ähnlichem kommt, benachrichtigt sie sofort den Arzt, der dann die Sectio durchführt. Diese darf er aber leider immer noch nicht alleine durchführen, eine Hebamme muss zum Übel aller Beteiligten bei jeder Geburt dabei sein. Leider noch ein Relikt aus vormoderner Zeit. Wenn die Frau Pech hat, übernimmt eine nicht studierte Hebamme dann auch noch alleine die Versorgung des Neugeborenen, was wiederum zu Schäden am Kind führen kann. Zum Glück ist das Kind aber im Krankenhaus, kann dort weiter versorgt werden und hoffentlich früh in ärztliche Betreuung gehen. Im Wochenbett muss die Frau alleine zurechtkommen. Sie kann direkt die Flasche geben, Anleitungen finden sich im Internet. Beim Wickeln sollte es auch keine Probleme geben, es gibt ja Wegwerfwindeln. Schmerzen sollte die junge Mutter auch keine haben, wir leben ja nicht mehr im Mittelalter. Natürlich wurde sie von Beginn der Geburt an mit Schmerzmitteln versorgt.

Einfach da

Eine seelische Unterstützung fehlt in dieser drastischen Darstellung vollkommen. Mir als angehender Hebamme liegt es am Herzen, die Frauen während der Schwangerschaft so zu stärken, dass sie ihre Geburt als selbstbestimmt sehen können und mit Unterstützung des Partners, der Mutter, Freundin oder wen sie sonst gerne dabei haben möchte, bewältigen.

Es ist eine wahnsinnige Macht, die einen überkommt. Gewaltig. Es ist Arbeit, es ist anstrengend und kann doch so schön sein. Die Beteiligten einer Geburt rücken näher zusammen. Die Frau und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt. Sie lernt mit ihrem Körper umzugehen, spürt die Veränderungen und weiß, wofür sie arbeitet. Das Ziel ist in Sicht – der Weg dorthin so unterschiedlich. Man ist einfach da für sie und das Kind, das schon bald das Licht der Welt erblicken wird.

Hebammenarbeit kann nicht in Frage gestellt werden. Unglaublich, was für eine Kompetenz man während der dreijährigen Ausbildung erlangt. Durch Wechsel von Blockunterricht und Einsätzen auf verschiedenen Stationen und im Kreißsaal sammelt man nicht nur praktische Erfahrungen, schult sein Handwerk, sondern wird auch sensibilisiert auf Veränderungen der Geburtssituation, schärft seine Sinne und erkennt durch viele verschiedene Parameter, auch durch das Gefühl der Frau, physiologische und pathologische Verläufe der Geburt. Nie außer Acht gelassen ist eine kontinuierliche Überwachung der kindlichen Herztöne, Vitalzeichenbestimmung bei der Frau, selbst jeder Toilettengang wird registriert. Einer Hebamme entgeht nichts.

Dazu kommen 1.600 Theoriestunden, in denen Physiologie, aber auch Pathologie der Geburtshilfe, Schwangerschaft, Wochenbett, Anatomie, Pädiatrie, Krankheitslehre und vieles mehr abgedeckt werden. Wir sind für den reibungslosen Verlauf einer Geburt zuständig und rufen entweder nur zur Geburt, oder im Notfall einen Arzt hinzu. Eine Hebamme muss bei der Geburt anwesend sein, ein Arzt darf keine Geburt alleine machen. Wir arbeiten mit der Frau, wir begleiten das Paar bei diesem einzigartigen Ereignis Geburt. Wir wollen nicht unseren Willen durchsetzen. Wir schauen, was den werdenden Eltern gut tut, immer mit Blick auf die Geburtssituation, den Zustand des Kindes und der Frau. Wir lassen die Frauen selbst eine Position finden, machen aber auch Vorschläge, damit sie entweder die Wehenkraft besser verarbeiten können oder dem Kind durch Positionswechsel den jeweiligen Teil des Beckens, wo es sich gerade befindet, zu weiten und somit seinen Weg auf die Welt zu erleichtern. Man sieht den Frauen den Fortschritt der Geburt an, muss nicht ständig untersuchen und intervenieren.

Beruf und Berufung

Wir beobachten viel, reden, messen, dokumentieren, lachen, weinen mit den Frauen, trösten, begleiten, schützen und unterstützen. Wir vermitteln Ruhe und Geborgenheit. Sicherheit. Wir haben alles im Griff, damit die Frau sich ganz auf sich und ihren Körper, ihr Kind konzentrieren kann. Wir sind medizinisches Fachpersonal. Wir sind verantwortungsbewusst. Wir sind sozial und geben immer alles. Wir wollen nur das Beste für die Familien, einen guten Start ins Leben ermöglichen. Wir begleiten im Wochenbett und in der gesamten Stillzeit. Wir helfen bei Stillproblemen und leiten auch zum Wickeln oder zur Zubereitung von Muttermilchersatznahrung an. Wir beantworten viele Fragen. Wir sind rund um die Uhr Ansprechpartner. Wir stehen bei den Familien in den Schlafzimmern.

Wir nehmen jede Geburt, wie sie kommt. Wir empfangen jedes Kind voller Freude, warmherzig und trotz der Routine in Ehrfurcht vor der Natur. Wir sind dankbar für diese sehr anstrengende, aber in höchstem Maß vielseitige und erfüllende Arbeit.

Danke an alle Eltern, die unsere Arbeit würdigen und durch Proteste ein Zeichen setzen. Für eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt. Denn wir Hebammen dürfen nicht klagen, wir können aus moralischen Gründen nicht streiken. Wir wollen das Wohl von Mutter und Kind gewährleisten und müssen daher alles hinnehmen. Kinder kommen zu jeder Zeit, wann und wo sie wollen. Wir können nicht sagen: „Heute streiken wir und machen alle Entbindungsstationen zu.“ Doch so kann sich nichts ändern.

Wir freuen uns über Elternproteste, nicht damit dadurch unsere Zukunft und Existenz gesichert wird. Nein, damit den zukünftigen Generationen eine angemessene Geburtshilfe ermöglicht werden kann. Damit eine Frau selbst über den Geburtsort ihres Kindes bestimmen kann und dabei von einer Hebamme begleitet wird, die ihren Beruf, ihre Berufung nicht aufgeben musste.

Links
Der Beitrag der Welt-Autorin Katrin Spoerr vom 6.4.2014 ist online zu lesen unter www.welt.de/print/wams/debatte/article126613097/Relikt-aus-vormoderner-Zeit.html.
Zitiervorlage
Cokokur D: “Die Geburt der modernen Hebamme!”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (6): 86–87
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