Die Amnionmembran aus aus einer gespendeten Plazenta (nach Sectio) kann zu vielfältigen medizinischen Zwecken eingesetzt werden. Es bedarf einer umsichtigen Aufklärung und Aufbereitung.
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Eine Plazentaspende dient nicht nur der Forschung, sondern ermöglicht auch die Gewinnung von therapeutisch wertvollen Bestandteilen. So gilt die Amnionmembran als biomedizinisches Arzneimittel, das schon seit über hundert Jahren erfolgreich in der Wundheilung eingesetzt wird.
Die Plazenta ist ein einzigartiges und hochkomplexes Organ, das sich nur während der Schwangerschaft im Mutterleib bildet. Es ist für das Wachstum und Überleben des sich entwickelnden Fetus unerlässlich. Die Plazenta sorgt für den lebenswichtigen Austausch von Gasen und Abfällen, liefert die für die Entwicklung des Fetus notwendigen Nährstoffe, fungiert als Immunbarriere, die vor mütterlicher Abstoßung schützt, und produziert zahlreiche Hormone und Wachstumsfaktoren, die die Reifung des Fötus fördern und die Schwangerschaft bis zur Geburt regulieren.
Nach der Geburt hat sie all diese Aufgaben erfüllt und wird häufig entsorgt. Dabei könnte sie noch vielen Patient:innen helfen. Denn was viele nicht wissen: Mit einer Plazentaspende wird sowohl Forschung ermöglicht als auch die Gewinnung von therapeutisch wertvollen Bestandteilen, wie zum Beispiel der Amnionmembran.
Spende für die Forschung
Bei der Spende zur Forschung gibt es unterschiedlichste Felder. Beispielsweise kann die Plazenta verwendet werden, um Komplikationen und krankhafte Veränderungen während der Schwangerschaft besser nachzuvollziehen und gezielte Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln (Universitätsklinikum Jena, 2024).
Sie kann auch die Forschung zum Ersatz von Tierversuchen oder tierischer Komponenten in der Medikamentenherstellung fördern oder zu regenerativen Therapieansätzen beitragen (Schmidt, 2023).
In der Pharmaforschung können Plazenten zur Entwicklung von Medikamenten verwendet werden, die das Abstoßen von transplantierten Organen verhindern sollen. Hierfür werden diejenigen Stoffe aus dem Mutterkuchen extrahiert, die den Körper davon abhalten, das Kind als Fremdkörper abzustoßen (Münchener Wochen Anzeiger, 2013).
Faktoren der Amnionmembran
Im Zusammenhang mit ihren wundheilungsfördernden Eigenschaften erscheint zunächst das von der humanen Amnionmembran (hAM) freigesetzte Profil der angiogenen Faktoren interessant. Unter anderem konnten vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren (VEGF), Angiogenin, Angiopoietin, der transformierende Wachstumsfaktor Beta (TGF-ß) und der Fibroblasten Wachstumsfaktor (bFGF) in der Membran nachgewiesen werden (Wolbank et al., 2009; Paolin et al., 2016).
Des Weiteren sind antimikrobielle (Robson & Krizek, 1973; Mao et al., 2017) und antiinflammatorische Funktionen belegt (Shimmura et al., 2001). Therapeutisch wertvoll ist außerdem die antifibrotische Aktivität, die Vernarbungen zu vermeiden hilft (Ricci et al., 2013).
Zudem stimuliert die Amnionmembran die Zellmigration und Zellproliferation, was für die Wundheilung sehr entscheidend ist. Dies wird hauptsächlich durch Faktoren wie den Epidermalen Wachstumsfaktor (EGF), den Keratinozyten Wachstumsfaktor (KGF), den Hepatozyten Wachstumsfaktor (HGF) und bFGF vermittelt (Koizumi, et al., 2000).
Schutzfunktionen der Amnionmembran
Die humane Amnionmembran (hAM) ist die dem Fetus während der Schwangerschaft zugewandte innerste Eihaut der Plazenta. Sie ist ein einfach aufgebautes Gewebe, bestehend aus einem gefäßlosen Stroma, einem Epithel und einer kräftigen Basalmembran (200–300 nm).
Während der Entwicklung des Kindes im Mutterleib übernimmt die Amnionmembran wichtige Versorgungs- und Schutzfunktionen: Die in der Membran gespeicherten Faktoren tragen zur physiologischen Gewebebildung und -reparatur bei. Neben wachstumsfördernden Inhaltsstoffen verfügt sie über entzündungshemmende, antimikrobielle und sogar schmerzreduzierende Faktoren. Darüber hinaus gilt eine Anwendung der Amnionmembran als unbedenklich, da das Gewebe nicht abgestoßen wird. Es müssen daher keine Medikamente eingenommen werden, die eine Abstoßreaktion verhindern. So werden durch seine Lage zwischen zwei Individuen und damit verschiedenen Immunsystemen keine HLA-Antigene (A, B, C, DR) gebildet (Akle et al., 1981; Adinolfi et al., 1982).
Amnionmembran für die Wundversorgung
Die Nutzung der Amnionmembran ist bereits im klinischen Alltag etabliert: hAM wird seit mehr als 100 Jahren zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Schon 1910 wurde sie als Hautersatz beschrieben und 1913 erfolgreich zur Behandlung von Verbrennungen verwendet.
In der klinischen Routine liegt die Anwendung von Amnionmembran bisher vornehmlich in der Augenheilkunde, um Verletzungen oder Entzündungen der Augenoberfläche zu behandeln. Sie kann darüber hinaus für die Wundversorgung in vielen weiteren Bereichen der Medizin eingesetzt werden. So nimmt mit der Weiterentwicklung von gewebeschonenden Präparations- und Konservierungsverfahren die Anwendung von hAM in der Dermatologie in neuerer Zeit zu: Dazu gehört insbesondere die Behandlung von Wundheilungsstörungen und chronischen Wunden (Hofmann & Friedrich, 2024), die schlecht oder gar nicht auf andere Therapien ansprechen.
Besonders häufig kommt eine gestörte Wundheilung bei Patient:innen mit Diabetes mellitus vor, die mit schwerwiegenden Komplikationen wie Geschwüren, Infektionen und Nekrosen, Amputationen und sogar einer erhöhten Sterblichkeit verbunden sein kann. Es hat sich gezeigt, dass Standardbehandlungen für Diabetische Fußulzera und andere chronische Wunden oft durch zusätzliche Therapien mit hAM ergänzt werden müssen, um die Heilung dieser häufig wiederkehrenden Wunden zu stimulieren (IWGDF Guidelines, 2019).
Regenerative Eigenschaften
Darüber hinaus kann die hAM aufgrund ihrer regenerativen Eigenschaften für die Behandlung von Verbrennungen geeignet sein, vor allem bei Kindern (Ahuja et al., 2020; Mostaque & Rahman, 2011; DCunha et al., 2022). Als besondere Vorteile werden die unmittelbare Schmerzreduktion, frühzeitige Wundtrocknung und eine deutlich beschleunigte Wundheilung mit Epithelisierung beschrieben (Mohammadi et al., 2015). Hierbei können auch die Reduktion von Mikroorganismen sowie die Förderung der Neoangiogenese eine besondere Rolle spielen.
Neben der Verwendung als temporärer Hautersatz kann die Amnionmembran auch als Wundauflage auf die Entnahmestelle von Spalthauttransplantaten verwendet werden. Die Vorteile liegen in der Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses und in der Verringerung der Narbenbildung. Amnionmembran kann die Bildung der Basalmembran beschleunigen, die Wundsekretion reduzieren und den Juckreiz verringern, was die Zufriedenheit der Patient:innen erhöhen kann (Loeffelbein et al., 2014).
Zudem wurde hAM erfolgreich zur Behandlung von Fisteln unterschiedlicher Ätiologie eingesetzt (Barski et al., 2018; Leila et al., 2017). Da entzündliche Prozesse eine wichtige Rolle bei der Persistenz von Fisteln spielen (Ratto et al., 2016), scheinen die immunmodulatorischen Eigenschaften der hAM durch Faktoren wie Interleukin-10 (IL-10), den transformierendem Wachstumsfaktor beta (TGF-β), Hepatozyten Wachstumsfaktor (HGF) oder Prostaglandin E2, kurz PGE2, (Silini et al., 2017) dazu beizutragen, den Entzündungszustand so zu verändern, dass eine Wundheilung möglich wird (Ratto et al., 2022).
Neben der Wundheilung in der Augenheilkunde und der Dermatologie wird humane Amnionmembran noch in vielen weiteren Gebieten angewendet: So fand hAM in der Mund-Kiefer-Chirurgie bereits zur Vorbereitung und Modellierung des Implantatbettes im Rahmen dentaler Implantationen ebenso als Barrieremembran Anwendung, wie zur Deckung gingivaler Rezessionen, zur Reduktion von durch Parodontitis verursachten Zahnfleischtaschen und zur Deckung dentaler Rezessionen (Kothari et al., 2012; Li et al., 2015; Odet et al., 2021).
» Die Amnionmembran für therapeutische Zwecke kann nur aus einer Plazenta gewonnen werden, die im Rahmen einer geplanten Kaiserschnittgeburt von der Mutter gespendet wurde. «
In der gynäkologischen Chirurgie gibt es hauptsächlich zwei Felder, in denen hAM verwendet wird: das Asherman-Syndrom (intrauterine Adhäsionen, IUA) und Vaginoplastiken. Das Prinzip für die Anwendung der hAM auf IUA ist die Verwendung eines biologisch aktiven mechanischen Separators nach hysteroskopischer Adhäsiolyse (Vitale et al., 2022). Die Berichte zeigen, dass das hAM-Transplantat das klinische Ergebnis verbessert. Auch bei verschiedenen Techniken der Vaginoplastik kann die Verwendung von hAM als sicheres und einfaches Verfahren mit guten funktionalen Ergebnissen angesehen werden (Carvalho, 2015).
Des Weiteren gibt es Berichte über den erfolgreichen Einsatz in der Urologie (Barski et al., 2020), der Neurologie sowie der Neurochirurgie (Bourgeois, et al., 2019). Bei orthopädischen Eingriffen dient hAM für die Reparatur von Sehnen und Bändern, die Abschwächung von Knorpel- und Gelenkraumerkrankungen, die Verhinderung von Narbenbildung und Verwachsungen bei Wirbelsäulenfusionen sowie zur Deckung der Dura mater (Shah et al., 2022; He et al., 2002; Farr et al., 2019).
Arzneimittel oder Therapie?
Die humane Amnionmembran ist in Deutschland als Gewebezubereitung nach § 21 a AMG eingestuft und wird somit als biomedizinisches Arzneimittel reguliert. Für die Abgabe der Amnionmembran für die beschriebenen Indikationen müssen Gewebeeinrichtungen über Genehmigungen vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verfügen. Die Anforderungen an den gesamten Prozess sind daher hoch und streng kontrolliert.
Die Amnionmembran durchläuft umfangreiche Qualitätsprüfungen und mikrobiologische Kontrollen, um zur Anwendung an Patient:innen freigegeben zu werden. Nur einwandfreie Amnionpräparate werden zur Transplantation eingesetzt. Die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) hat langjährige Erfahrung in der Gewinnung der humanen Amnionmembran und verfügt über entsprechende Genehmigungen des PEI, um die aufbereitete Amnionmembran als verschreibungspflichtiges Arzneimittel abzugeben.
Weitere Informationen zur Plazentaspende und Amnionmembran: > www.gewebenetzwerk.de
Gewinnung der Amnionmembran
Eine Plazentaspende ist freiwillig, anonym und unentgeltlich – für viele ein Akt der Nächstenliebe. Während die meisten Gewebespenden postmortal erfolgen, da nur wenige Gewebe vor dem Tod entnommen werden können, nimmt die Plazentaspende eine Sonderrolle ein.
Sie gilt als sogenannte Lebendspende und daher ist eine umfassende Aufklärung und eine schriftliche Einwilligung der spendenden Person notwendig. Sie muss für diese Einwilligung volljährig und einwilligungsfähig sein.
Die Spende und die Transplantation von menschlichem Gewebe wird in Deutschland über das Gewebegesetz geregelt (Bundesgesetzblatt, 2007). Die dort geregelten Standards betreffen neben der Spende und der Beschaffung auch die Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Gewebe. Erstmals wurde hier auch ein explizites Handelsverbot für menschliche Gewebezubereitungen fixiert.
Zur Eingrenzung des Kontaminationsrisikos kann die Amnionmembran für therapeutische Zwecke nur aus einer Plazenta gewonnen werden, die im Rahmen einer geplanten Kaiserschnittgeburt von der Mutter gespendet wurde. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um den klassischen Kaiserschnitt oder die Misgav-Ladach-Sectio handelt.
Wichtig ist, dass bei der Vorbesprechung der Kaiserschnittgeburt ein Arzt oder eine Ärztin die Mutter umfänglich über die Möglichkeit sowie den Ablauf einer Plazentaspende informiert. Voraussetzung für die Spende ist zudem eine medizinische Indikationsprüfung. Diese dient dem Ausschluss absoluter Kontraindikationen, um einen optimalen Schutz des Empfängers oder der Empfängerin vor übertragbaren Krankheiten sicherzustellen. Kontraindikationen sind gewebespezifisch und stellen absolute Ausschlussgründe für eine Gewebespende dar. Zum Beispiel darf es bei Augenhornhäuten keine vorangegangenen Hornhauttransplantationen geben, bei der Amnionmembran ist die natürliche Geburt eine Kontraindikation. Zur serologischen Testung für die Amnionmembran-Gewinnung gehört der Ausschluss einer Infektion mit humanem Immundefizienzvirus (HIV I und II), Hepatitis (HBV, HCV) und Lues.
Werdende Mütter können ihre:n Gynäkolog:in oder ihre Hebamme ansprechen, sofern ein geplanter Kaiserschnitt vorgesehen ist. Sie müssen lediglich einige Fragen zu ihrer Gesundheitsvorgeschichte beantworten und eine Blutuntersuchung machen lassen. Der gesamte Geburtsvorgang wird durch die Spende der Plazenta zwecks Gewinnung des Amnions nicht beeinflusst. Rechtliche Grundlage für das Aufklärungsgespräch bildet § 8 im Transplantationsgesetz.
Liegt eine Zustimmung der Mutter zur Plazentaspende vor und spricht aus medizinischer Sicht nichts dagegen, nimmt das Klinikpersonal oder ein:e Gewebespendekoordinator:in die Plazenta entgegen und bereitet den Transport in die Gewebebank vor.
» Der Geburtsvorgang wird durch die Spende der Plazenta zwecks Gewinnung des Amnions nicht beeinflusst. «
Aufbereitung in der Gewebebank
Nach einem gekühlten Transport erfolgt die Begutachtung und Bearbeitung (Prozessierung) des Gewebes in einer spezialisierten Gewebebank spätestens 24 Stunden nach der Spende. Im Verlauf der Prozessierung wird die Plazenta von anhaftenden Blutresten gereinigt. Anschließend trennt geschultes Personal die Amnionmembran von der Plazenta und dem Chorionteil. Dann wird die abpräparierte Membran in antibiotikahaltige Lösung gegeben und nach weiteren Spülschritten auf ein Trägermaterial aufgebracht. Hierzu dient zum Beispiel eine Nitrocellulosemembran, um das flexible Gewebe handhabbar zu halten. Auf diese Weise können verschiedene Größen vorbereitet und zugeschnitten werden – passend zu den gewünschten Anforderungen.
Die so präparierte Membran kann auf verschiedene Weise gelagert werden. Üblich ist die Kryokonservierung bei Temperaturen unterhalb von -140° C unter Verwendung von Gefrierschutzmitteln oder die Gefrierlagerung bei -80° C ohne Zusätze. Darüber hinaus sind auch Gefriertrocknung (Lyophilisierung) oder Lufttrocknung möglich. Zwar werden die Eigenschaften der Amnionmembran unterschiedlich stark durch die verschiedenen Verfahren beeinflusst. Die für die Wundheilung wichtigen Charakteristika bleiben aber erhalten. Je nach Konservierungsmethode kann die Membran mehrere Jahre gelagert werden (Hofmann et al., 2023).