Fotos: © Katharina Kerlen-Petri

Midwife Rebels nennt sich eine Gruppe von Hebammen, die seit 2015 ihre Stimme erheben, wenn die Mühlen im großen Berufsverband nicht schnell genug mahlen. Sie bringen den Unmut über politische Verhältnisse laut, deutlich und gezielt in die Öffentlichkeit: mit Flashmobs und Postkarten, aber auch auf Verbandstagen und im Gesundheitsministerium.

Hebammen gelten seit jeher als aufmüpfiges Völkchen, sie werden als selbstbewusst und streitlustig beschrieben. In den letzten Jahren machten sie sich beispielsweise in kreativen Protestaktionen gegen die unzureichende Bezahlung und den Personalmangel in den Kliniken bemerkbar. Doch nicht selten erlahmt ein zunächst lebendiger Protest angesichts der Herausforderungen des beruflichen und privaten Alltags. Dann ist der Berufsverband gefragt: Hier gibt es Kolleginnen, die hauptberuflich für die Belange der Hebammen streiten. Allerdings sind die Hebammen vor Ort nicht immer mit der Verbandspolitik einverstanden.

So erging es einigen Berliner Hebammen im Herbst 2015. Die Gebührenverhandlungen zwischen den Berufsverbänden und den Krankenkassen waren mit einem Schiedsspruch zu Ende gegangen, der das Aus der außerklinischen Geburtshilfe zu bedeuten schien. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) reagierte auf den Schiedsspruch und die damit verbundenen Unmutsäußerungen von freiberuflichen Hebammen zunächst verhalten, was den Protest an der Basis noch verstärkte.

Ermutigende Resonanz

Nachdem sie eine unbefriedigende Antwort der damaligen Verbandspräsidentin Martina Klenk auf einen kritischen Brief bekommen hatte, lud die Berliner Hausgeburtshebamme Katharina Perreira die Berliner Kolleginnen zu einem Treffen in ihre Praxis ein, um über mögliche Reaktionen zu beratschlagen. Die Resonanz war ermutigend: Rund 50 Hebammen berieten einen Abend lang, ob und wie ein berufspolitisches Engagement auch ohne den DHV möglich wäre. Die zum Teil sehr kontroverse Diskussion kam zu dem Schluss, einen Protest zunächst innerhalb des Berufsverbandes zu formulieren und nicht noch eine weitere Hebammengruppierung zu gründen. Gleichzeitig war der Wunsch der anwesenden Kolleginnen groß, dennoch dem Kind einen Namen zu geben: Die Midwife Rebels waren geboren.

Es fügte sich, dass der alljährliche »Parteitag« des DHV, die Bundesdelegiertentagung (BDT) im November 2015 zusammenkam, nur wenige Wochen nach der Gründung der Midwife Rebels. Mit dem Vorsatz, rebellisch zu sein, verlasen sie auf der BDT eine Stellungnahme und brachten einige Anträge ein. Auch wenn diese keine Mehrheit bekamen, so war es doch ein erster Schritt, der Basis eine Stimme zu geben.

Schwarmfinanzierung

Im ersten Jahr nach der Gründung von Midwife Rebels machten die Aktivistinnen die Erfahrung, die zuvor schon viele berufspolitisch aktive Hebammen gemacht haben: Im Alltag ist es sehr mühsam, eine Aktion über einen längeren Zeitraum mit Leben zu füllen. Die Gruppe schrumpfte schnell auf ein Kernteam von sieben Hebammen. Bei mehr oder weniger regelmäßigen Treffen gelang es, eine Crowdfunding-Aktion auf die Beine zu stellen. Der Erfolg brachte nicht nur 3.150 Euro für Presseaktionen und Infomaterial, sondern auch einen Energieschub, dass es sich lohnt, den Protest weiter in vielfältiger Weise zu formulieren.

Immerhin gab es jetzt Geld, so dass Aktionen nicht mehr aus eigener Tasche vorfinanziert werden mussten. Nun war es möglich, eine Website zu erstellen und Flyer gestalten und drucken zu lassen (siehe Links). Trotz der kleinen Kerntruppe war es zuweilen ein mühsamer Prozess, sich auf Formulierungen und grafische Darstellungen für die Öffentlichkeit zu einigen.

Amazing Birth

Letztlich war es dann auch im zweiten Jahr der Midwife Rebels die bevorstehende BDT des DHV im November 2016, die wieder neuen Schwung und mehr Mitstreiterinnen brachte. Mithilfe des Berliner Hebammenverbandes wurden erneut ein Antrag für die Delegiertenversammlung formuliert – dieses Mal mit mehr Ruhe, aber nicht weniger kämpferisch.

Wie schon im vorherigen Jahr ging es den Aktivistinnen darum, im höchsten Gremium des Berufsverbandes eine Diskussion darüber anzustoßen, wie der Verband politisch auftritt und wie sich die Hebammen in den Gebührenverhandlungen mit den Krankenkassen präsentieren. Die hoch emotionale und kontroverse Diskussion darüber war für die meisten der rund 180 Delegierten nicht leicht auszuhalten, denn die Forderungen und Anregungen der Midwife Rebels wurde von vielen Funktionärinnen als Kritik an ihrer Arbeit verstanden.

Für die Midwife Rebels war es hingegen die Umsetzung ihrer Ansprüche: Berufspolitik kritisch hinterfragen, unkonventionelle Ideen äußern, Stachel im Fleisch sein.

Auch in diesem Jahr fand der gestellte Antrag keine Mehrheit in der BDT. Eine Enttäuschung für die rebellischen Hebammen und gleichzeitig Ansporn, nun erst recht weiter zu machen. Sie nutzten die Anwesenheit von Hebammen aus allen Regionen Deutschlands, um möglichst viele Mitstreiterinnen direkt nach der Delegiertenversammlung für eine spektakuläre Aktion zu gewinnen: ein Flashmob im Berliner Hauptbahnhof. In den drei Tagen der BDT wurde fleißig geprobt, damit auch die ungeübteren Sängerinnen ihre Stimme für einen guten Zweck erheben konnten. »Amazing Grace«, das weltberühmte afroamerikanische Spiritual, wurde in »Amazing Birth« umgedichtet und mehrere Strophen mit geburtshilflichen Themen neu kreiert.

Trotz aller Aufregung wurde diese Überraschungsaktion zu einem Gänsehaut-Moment. Nicht nur Hebammen, auch viele Familien mit ihren Kindern waren gekommen. Die hohe Bahnhofshalle war erfüllt von diesem kraftvollen Lied und gab den Initiatorinnen Gelegenheit, Flugblätter an die Reisenden zu verteilen (siehe Links).

»Lieber Jens«

Kurz vor der DHV-Delegiertentagung 2018 gelang den Midwife Rebels ein neuer Coup: eine Postkartenaktion, adressiert an den amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn. Geboren wurde diese Idee aus eher frustrierten Diskussionen: Warum hat kaum ein Hebammenprotest eine Wirkung? Wie erreichen wir die breite Öffentlichkeit? Angelehnt war die Idee an eine Aktion von Hebammen in Neuseeland, die »Dear David«-Postkarten an ihren zuständigen Minister verschickten und damit eine große Medienwirksamkeit erzielten. Die deutsche Aktion sollte niedrigschwellig möglichst viele Frauen und Familien dazu bewegen, ihren Unmut zu formulieren. Die leuchtend gelb-roten Karten waren durch einen vorformulierten Lückentext schnell ausgefüllt, die Möglichkeit zur freien Formulierung gab es ebenfalls.

Schnell hatte die Aktion eine große Resonanz – sie schien einen Nerv getroffen zu haben. In Kreißsälen und Hebammenpraxen, aber auch in Bio-, Kinderbekleidungs- und Spielzeugläden leuchteten die Karten den Menschen entgegen.

Im Gegensatz zu früheren Aktionen war diesmal auch die Presse interessiert. Diverse Zeitungs- und Radioredaktionen nahmen »Lieber Jens« zum Anlass, um über Hebammenmangel, überfüllte Kreißsäle und die bevorstehende Akademisierung des Hebammenberufs zu berichten.

Überwältigt von dem hohen Rücklauf und berührt von den teilweise ergreifenden Berichten, sprachen die Organisatorinnen im Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor und baten um einen Gesprächstermin, um die bisher eingegangenen rund 1.700 Postkarten zu übergeben. Gesundheitsminister Spahn war seit seinem Amtsantritt schon häufiger mit markigen Worten und unbequemen Ideen in Erscheinung getreten, so dass die Hoffnung nicht unbegründet schien, dass er sich die Aktion zu eigen machen würde. Doch der Aufprall auf den Boden der politischen Realität war eher unsanft. Zwar wurde schnell ein Termin im BMG vereinbart, aber der Gesundheitsminister hatte keine Zeit für die Hebammen und auch die mitgebrachten Körbe voller Postkarten fanden nie den Weg in sein Büro – entgegen der Zusage des gastgebenden Abteilungsleiters. Und doch war das einstündige Gespräch konstruktiv. Mit dem zuständigen Ministerialbeamten kam ein sachliches, wertschätzendes Gespräch zustande. Die Aktivistinnen konnten viele der herrschenden Missstände ansprechen (siehe DHZ 3/2019, Seite 86f.).

Am 5. Mai 2019, dem Internationalen Hebammentag, wurde die Aktion offiziell beendet. Inzwischen waren noch einmal 1.600 Karten zusammen gekommen – im BMG war man zu einem weiteren Übergabe- und Gesprächstermin Ende Juni bereit. Es wurde zwar leider wieder kein öffentlichkeitswirksames Treffen mit dem Minister, aber die Hebammen waren hochzufrieden, dass sich ein zweites Mal VertreterInnen des Ministeriums Zeit für sie nahmen. Am Ende vereinbarten sie einen weiteren Gesprächstermin für Ende des Jahres.

#hebammenfuervielfalt

Nach der »Lieber Jens«-Aktion schien es zum wiederholten Male, als ob den Midwife Rebels die Puste ausgehen würde: Der eigene kräftezehrende Alltag, gepaart mit der Erkenntnis, wie schwierig es ist, einen langen Atem zu haben und – wenn auch auf niedrigem Niveau – weiterzumachen. Ein Vorfall Anfang Juni in der Berliner Hebammenvermittlung bei Facebook brachte dann wieder neue Energie in die Gruppe: In dem sozialen Netzwerk bot eine Kollegin ihre Dienste an und sympathisierte dabei eindeutig mit der AfD und verbreitete rechte Parolen. Nicht verboten, aber dennoch eine Gegenmeinung wert.

Schnell kochten die Emotionen hoch und gleichzeitig wurde klar, dass es für den Umgang mit unterschiedlichen politischen Ansichten keine einfache Lösung gibt – weder im privaten noch im beruflichen Umfeld. Dennoch ließ die Midwife Rebels die Idee einer neuen Initiative nicht los: Die Aktion #hebammenfürvielfalt nimmt seitdem langsam Gestalt an. »#hebammenfürvielfalt ist keine berufspolitische Aktion, trotzdem mindestens genauso wichtig,« sagt Gerlinde Skupin, eine der Gründerinnen der Midwife Rebels,»wir werden den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen dadurch aber nicht aus den Augen verlieren.«

Von Anfang an begleitete die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis als eine Art Leitfigur die Midwife Rebels. »Ich akzeptiere nicht länger die Dinge, die ich nicht ändern kann. Ich ändere die Dinge, die ich nicht akzeptieren kann.« Dieses Zitat von ihr beschreibt gut, was die rebellischen Hebammen antreibt. Es kann vielleicht auch für andere Hebammen ein Ansporn sein, sich auf die eine oder andere Weise zu engagieren.

Einige Hebammen der »Midwife Rebels« überreichen die Postkarten der Aktion »Lieber Jens« im Bundesgesundheitsminiserium. Fotos: © Katharina Kerlen-Petri

Zitiervorlage
Kerlen-Petri K: Rebellische Hebammen. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (12): 81–83
Links

www.midwiferebels.de

youtube.com: Flashmob Amazing Birth

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