Otto Dix malte seinen Sohn direkt nach der Geburt 1927 in einer Berliner Klinik und nannte das Bild „Neugeborenes mit Nabelschnur auf Tuch (Ursus)“ Reproduktion: Markus Heimbach

Der Maler Otto Dix war 1927 bei der Geburt seines Sohnes dabei. Für damalige Zeiten ungewöhnlich, doch der Künstler wollte „alles sehen“ und im Gemälde festhalten. Er schaute schonungslos auf die Details. Nach dem ersten Porträt seines Sohnes gab es Sekt für alle. 

Die Augen ödematös, ein blaues Dreieck über dem Mund, Hände und Füße noch leicht bläulich, der abgebundene Nabelstumpf ist prall. Ein schreiendes Etwas, die Strapazen der Geburt sind sichtbar, wenn auch äußere Spuren wie Blut und Käseschmiere schon komplett abgewaschen sind. Der erste Blick auf die Welt ist grad erst gewesen. Ursus heißt der kleine Knabe, lang und dünn liegt er ohne viel Unterhautfettgewebe da, strampelnd. Am 11. März 1927 kam er in einer Klinik in Berlin auf die Welt. Sein Vater, der Künstler Ott Dix, der im gleichen Jahr eine Professur für Malerei an der Kunstakademie in Dresden bekam, war bei der Geburt anwesend und zeichnete alles: „Also, ich bin eben ein Wirklichkeitsmensch. Alles muss ich sehen.”

Er war fasziniert von der Gleichzeitigkeit von Vollendung und Deformation eines Menschen, wie er 1966 in einem Gespräch äußerte. Trotz ihrer „Unförmigkeit” bezeichnete er Neugeborene als schön. Seit 1918 hatte er sich immer wieder künstlerisch mit dem Thema Fruchtbarkeit befasst und verschiedene Varianten des Geborenwerdens geschaffen. Manche waren sehr abstrakt oder symbolisch.

Ein Baby, eine Zeichnung, eine Flasche Sekt

Die nun anhand der Wirklichkeit entstandenen Arbeiten von 1927/28 bilden den abschließenden Höhepunkt seiner Geburtsbilder. Nachdem er 1923 Vater einer Tochter geworden war und sie häufig gemalt hatte, zeichnete er jetzt direkt den Augenblick der Geburt und wie das Neugeborene schließlich von kräftigen, zupackenden und unbehandschuhten Händen zwischen den Beinen der Mutter hochgehoben wird. Zerwühltes Bettzeug ist angedeutet. Dix beschränkte sich auf das Wesentliche.

Martha Dix erzählte ihrem Sohn Ursus später, dass keiner da war, als sie aus der Narkose aufwachte – alle waren nebenan. Der Arzt hielt Ursus in den Händen und Vater Otto zeichnete. Ursus schrieb 2000 in einem Brief: „Ich schrie, mein Vater zeichnete, Arzt und Schwestern guckten ihm zu, ohne von Mutter und Kind die geringste Notiz zu nehmen. Daraufhin wurde eine Flasche Sekt geöffnet, um das Ereignis zu feiern: ein Baby, eine Zeichnung und eine Flasche Sekt in einem, so etwas wäre noch nie da gewesen, meinte der Arzt.” Dix war 1925 mit Martha, deren beiden Kindern aus erster Ehe und dem gemeinsamen Kind Nelly aus Düsseldorf nach Berlin gezogen. Er hatte sich als ein Porträtkünstler mit einem „bösen Blick” im Stil der sogenannten Neuen Sachlichkeit entwickelt. Schonungslos fixierte er seine Mitmenschen auf der Leinwand. „Mein Wahlspruch ist: Trau deinen Augen. Wissen Sie, wenn man jemanden porträtiert, soll man ihn möglichst nicht kennen. Ich will ihn gar nicht kennen, will nur das sehen, was da ist, das Äußere. Das Innere ergibt sich von selbst; es spiegelt sich im Sichtbaren. Der erste Eindruck, der ist der richtige.”

Bei seinen Kindern machte er da eine Ausnahme, er beobachtete und malte sie nicht nur als unbekannte Wesen direkt nach der Geburt, sondern immer wieder im Laufe ihrer Kindheit – aber auch nicht süßer als für ihn unbedingt nötig.

Ausstellungstipp
Otto Dix – Der böse Blick

Bis 14. Mai 2017, Düsseldorf, K20, Grabbeplatz

Zitiervorlage
Heimbach B: Otto Dix (1891-1969): “Trau deinen Augen”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (5): 86–87
Literatur

Ausstellungskatalog: Galerie der Stadt Stuttgart: Otto Dix: Zum 100. Geburtstag 1891–1991. Stuttgart 1991

Büttner N: Das Auge der Welt: Otto Dix und die Neue Sachlichkeit. Ostfildern 2012

Löffler F: Otto Dix – Leben und Werk. Dresden 1979

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