Die Tagung stellt Ansatzpunkte für eine gesunde Schwangerschaft vor: eine ausgewogene Versorgung mit Mikronährstoffen, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. Foto: © Oksana S/Adobe

»Tatort Schwangerschaft – Wie in der Kindheit die Krankheiten des Alters entstehen«, lautete der Titel eines interdisziplinären Kongresses in Frankfurt/Main. Eine spannende Tagung über die bisweilen negativen Einflüsse, die eine gesunde Schwangerschaft bedrohen – mit langfristigen Folgen für Mutter und Kind.

Die »Akademie für menschliche Medizin«, vertreten durch den Internisten und Nuklearmediziner Prof. Dr. Jörg Spitz und den Apotheker Dr. Uwe Gröber, veranstaltete bereits die vierte Tagung zu brennenden Themen der Zeit – nach Demenz, Krebs und Autoimmunkrankheiten ging es diesmal um die Schwangerschaft. Dieser Kongress, der am 6. und 7. April 2019 am Uni-Campus Riedberg in Frankfurt/Main stattfand, ragt aus dem Mainstream heraus. Er befasst sich mit einem »anderen« Blick auf die Lebensgesundheit. Prof. Spitz sagt: »Die Krankheit ist nicht das Problem, sondern der kranke Körper als System.« Wir und unser körperliches Gesamtsystem seien so, wie wir unsere Umwelt und damit die Bedingungen und epigenetischen Umstände selbst formen. Spitz weiter: »Es ist unsozial und uneffektiv, den Einzelnen die Suppe auslöffeln zu lassen, die die ganze Gesellschaft sich eingebrockt hat.« Gerade in der Schwangerschaft würden die Weichen für die Lebensgesundheit durch Auswirkungen epigenetischer Einflüsse unserer Umwelt, Ernährung und etwa Stress auf die individuelle Gen-Expression gestellt.

Geißeln der Menschheit

Unter dem Fachbegriff »DOHaD – Developmental Origin of Health and Disease« – seien in den vergangenen 20 Jahren viele, oft unbeachtete Studien durchgeführt worden, so Spitz. Die Prävention der großen Geißeln der modernen Menschheit werde noch weitgehend ignoriert. Ansatzpunkte seien beispielsweise eine verbesserte Mikronährstoffversorgung für Mütter, Vitamin D und ausreichend Omega 3-Fettsäuren, Stress-Verminderung und die Sanierung des Mikrobioms. Neben den bekannten Risikofaktoren, wie übermäßiger, falscher oder Mangel-Ernährung, Medikamenten- und Schadstoffbelastung, Feinstaub und toxisch oder hormonell wirksamen Substanzen, habe sich in den letzten Jahren die elektromagnetische Strahlenbelastung permanent verstärkt.

Die Tagung brachte gleich zu Anfang auf den Punkt: Beim »Krimi Tatort Schwangerschaft« geht es nicht darum, die Eltern zu kriminalisieren, sondern die »moderne Gesellschaft« in die Verantwortung zu nehmen, die eine zunehmend lebensfeindliche Lebenswelt geschaffen hat. Die eminente Tragweite der Problematik wurde erst durch die noch relativ neue Wissenschaft der Epigenetik erkennbar. Sie beweist die vielfältigen, hoch komplexen, lebenslangen und sogar transgenerational wirkenden Folgen unphysiologischer Umstände.

Die Vorträge fokussierten am ersten Tag auf Vitamin D3 und am zweiten Tag auf Mikronährstoffe und Omega 3-Fettsäuren, da an diesen Faktoren sowohl das Ausmaß als auch die besonders hohe Wirksamkeit von Supplementierungen eindrucksvoll sichtbar ist.

Natürlich schwanger?

Die Bremer Gynäkologin und Präventionsmedizinerin Dr. Sabine Barz stellte in ihrem Vortrag »Natürlich schwanger?« vor allem die Probleme unseres Lebensstils in Bezug auf Fertilität, Schwangerschaft und Geburt heraus. Umweltgifte, Mikronährstoffmangel bei jungen Frauen, Adipositas durch Fehlernährung und Hormonexposition führten etwa zu Polyzystischen Ovarien und anderen Fertilitätsproblemen sowie verringerter Spermienqualität bei den Männern. Die Schulmedizin reagiere mit »fertilitätssteigernden Maßnahmen«, statt die Ursachen zu erforschen und zu therapieren.

Eltern, die nach einer Hormontherapie oder Assistierten Reproduktionsverfahren ein Kind erwarten, würden nicht über die Langzeitfolgen für Mutter und Kind informiert – von Komplikationen der Schwangerschaft und bei der Geburt bis zu erhöhten Risiken des Kindes für autoimmune und andere chronische Krankheiten. Das mütterliche Mikrobiom beeinflusse über das »Bacterial Imprinting« die Entwicklung des Kindes. Beeinträchtigungen des Mikrobioms beispielsweise durch eine Sectio förderten atopische und immunologische Erkrankungen, hormonelle und neuropsychologische Fehlregulationen, die unter Umständen zu Autismus und ADHS sowie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen führen könnten.

Prof. Dr. Clemens von Schacky, Leiter der präventiven Kardiologie an der Universität München (LMU), erläuterte die Bedeutung ausreichend hoher Dosen der Omega 3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA), die weit über den von deutschen Fachgesellschaften empfohlenen 200 mg DHA täglich lägen. Er hatte zusammen mit dem US-amerikanischen Forscher Dr. W. S. Harris vor über zehn Jahren die erste standardisierte Fettsäure-Analytik entwickelt, genannt HS-Omega 3 Index. Damit konnte in kinetischen Untersuchungen nachgewiesen werden, dass »Fettsäurepumpen« in der Plazenta des Feten einen Omega-3-Index von 10 % in den Erythrozyten anstreben. Die meisten Schwangeren in Deutschland wiesen jedoch einen deutlich niedrigeren Omega-3-Index auf und gingen mit erheblichen Defiziten in die Stillzeit. Ein Anheben des Omega-3-Indexes von relativ hohen Ausgangswerten in den definierten Zielbereich reduzierte in einer großen Interventionsstudie die perinatale Mortalität der Kinder um 75 % und halbierte die Frühgeburtenrate vor der 34. Schwangerschaftswoche. Zudem konnte laut späterer Studien die Präeklampsie-Inzidenz deutlich gesenkt werden.

In weiteren Studien reduzierten EPA- und DHA-Gaben das Risiko für kindliche Atemstörungen und Asthma. Sie verbesserten auch die neuromuskuläre und mentale Entwicklung. In einer Cochrane-Meta-Analyse zeigten sich bei ungezielter und aus aktueller Sicht unterdosierter Gabe allerdings kaum positive Effekte. Prof. von Schacky fordert daher eine Bestimmung des Omega-3-Indexes vor, in und nach der Schwangerschaft, um individualisiert die Spiegel der Schwangeren und Stillenden auf den wünschenswerten Omega-3-Index von 10 % in Erythrozyten zu bringen.

Vitamin D3-Mangel – ein trauriger Fall

Zurück zum Hauptthema des Tages: Vitamin D3. Dr. Raimund von Helden aus Lennestadt führte in beklemmender Weise ein Fallbeispiel für die Folgen einer Fehldiagnose von Kindesmisshandlung aufgrund von Läsionen durch eine unerkannte angeborene Rachitis vor. Da ÄrztInnen durchweg der Meinung seien, es gebe keine angeborene Rachitis, führte in diesem Fall die Diagnose mehrerer Knochenbrüche zur Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt. Und dies sei kein Einzelfall. Eine Kette von gerichtlichen Fehlentscheidungen, aufgebaut auf einer radiologischen Fehldiagnose, bestätigt von einem Pathologen, führte zum Entzug des elterlichen Sorgerechtes und damit auch dazu, dass eine klärende Messung der Vitamin D-Spiegel des Kindes ausblieb. Eine jahrelange Odyssee mit schrecklichen Folgen für Kind und Familie, wenn auch mit einem späten, aber sicher nicht wirklichen Happy End.

GutachterInnen würden sich so gebärden, als könne es keine Schwangeren mit Vitamin-D-Mangel geben. Absurd erscheine es angesichts solcher Fehldiagnosen, dass kaum Laborkontrollen durchgeführt würden und die Kassenärztliche Bundesvereinigung 2019 das Quartalsbudget für Laboruntersuchungen sogar von 5 Euro auf 1,80 Euro gekürzt habe. Zudem fehle es an ärztlichen Fortbildungen zum Thema.

Der Referent wies am Ende noch kritisch darauf hin, dass die Landesärztekammer Hessen eine Zertifizierung des Kongresses abgelehnt hätte – im Gegensatz zur Apothekerkammer. Auch aus Hebammensicht befremdlich, da so die hier vorgestellten, wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in die breite (Hebammen-)Praxis gelangen.

Video-Vorträge zu chronischen Erkrankungen

Am Nachmittag folgten Video-Aufzeichnungen dreier Vorträge anerkannter US-Forscher und die Vorstellung einer sogenannten GrassrootHealth-Initiative von Carole Baggerly. Sie setzt sich an der Medizinischen Universität South Carolina erfolgreich für eine Vitamin-D-Supplementierung bei allen Schwangeren ein und ermöglichte damit eine Senkung der Frühgeburtenrate um 57 %. Nach allen Videos konnten dem Vortragenden live Fragen gestellt werden.

Aus Boston sprach der Arzt, Endokrinologe und Biochemiker Prof. PhD Michael Holick über die Dosierung von Vitamin D in der Schwangerschaft. Die US-»Endocrine Society« war nach einer Literaturrecherche zu dem Schluss gekommen, dass für eine optimale Knochengesundheit ein 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel von mindestens 30 ng/ml erreicht werden sollte. Das bedeutet für Kinder ab einem Jahr 600–1.000 i.E./d. und für Erwachsene 1.500–2.000 i.E./d., bei Adipositas das Zwei- bis Dreifache. Niemand wisse heute, welche Vitamin D-Werte unsere frühen Vorfahren aufwiesen – nähern könne man sich dem nur, wenn man beispielsweise Massai-Hirten mit hoher Sonnenbestrahlung in Äquatornähe untersuche. Sie wiesen einen Wert von 40–50 ng/ml 25-Hydroxyvitamin-D auf. Schwangere in anderen Breiten erreichten mit einer Gabe von 4.000 i.E./d. ähnliche Vitamin D-Spiegel. Inzwischen belege eine Fülle von Literatur das stark reduzierte Risiko auf viele chronische Krankheiten bei einem Blutspiegel über 40 ng/ml. Ein Mangel an Vitamin D3 führe unter anderem zu einer Beeinträchtigung der Synthese des Zytokins Interleukin-10, das eine wichtige Rolle für eine physiologische Immuntoleranz spielt.

Einen zusätzlichen Nutzen höherer Dosen als 4.000 i.E./d. würden Studien nicht nahelegen. Holicks Gruppe führte eine Untersuchung mit gesunden Erwachsenen durch, die sechs Monate lang entweder 600, 4.000 oder 10.000 i.E. erhielten. Man beobachtete eine signifikant dosisabhängige Veränderung in der Gen­expression peripherer Blutmonozyten, im Blut zirkulierende Zellen des Immunsystems und die Vorläufer der unter anderem in den Geweben lokalisierten Makrophagen sowie eines Teils der Dendritischen Zellen. Eine Studie mit Schwangeren, die entweder mit 400 oder 4.400 i.E. über 10 bis 18 Wochen supplementiert wurden, wertete deren Genexpression aus, vor allem bezüglich verminderter immunologischer Aktivität und des Risikos für Präeklampsie. Frauen, die in der Früh- und Spätschwangerschaft einen 25-Hydroxyvitamin-D-Wert von mindestens 30 ng/ml zeigten, erlitten signifikant seltener eine Präeklampsie. Die Supplementierung senkte die Frühgeburten- und die Sectio-Rate. Holick hält einen Spiegel von 40–60 ng/ml bei Schwangeren für wünschenswert. Und empfahl, wie von vielen Vortragenden betont: Testen!

Der Mediziner PhD Bruce W. Hollis betonte, dass die über Jahrzehnte bestehende Sorge vor negativen, gegebenenfalls sogar toxischen Folgen einer erhöhten Vitamin-D3-Gabe nachweislich keinerlei Grundlage habe. Dass möglicherweise infolge zu hoher Vitamin-D3-Spiegel über Fehlregulation des Vitamin K2 Hypercalcämien und/oder Nierensteine bis zu schwerer, irreversibler Nierenschädigung entstehen könnten, sei fälschlich in Zusammenhang mit der Supplementierung gebracht worden. Mehrere Studien der vergangenen zehn Jahre zeigten klar, dass eine Gabe bis 4.000 i.E. absolut sicher sei. In allen Studien habe es kein einziges negatives Ereignis in Zusammenhang mit der Supplementierung gegeben, so Hollis. Sein Institut führte bereits 2003 eine größere Studie durch, die eine signifikante Reduzierung von Geburtskomplikationen zeigte, dazu weniger Gestationsdiabetes, weniger kindliches Asthma und geringeres Risiko für andere Autoimmunkrankheiten inklusive Multipler Sklerose.

Der pädiatrische Gastroenterologe und Chefarzt MD Alessio Fasano aus Boston, USA, sprach über das Mikrobiom am Anfang des Lebens. Je nach Geburtsmodus und der damit verbundenen ersten Mikrobiom-Besiedelung sei die frühkindliche Ernährung wesentlich für die physiologische Darmflora. Fasano beanstandete unter anderem die oft unkritische Gabe von Antibiotika, die das Mikrobiom dauerhaft schädige. Wir seien möglicherweise bei Geburt genetisch vordisponiert für chronisch-entzündliche Krankheiten, aber dies sei nicht schicksalhaft. Eine gestörte Darmbarriere, das sogenannte Leaky Gut, wirke negativ auf die Genexpression und beeinträchtige die »Tight Junctions« – die Zellverbände in der Darmwand auf Mucosa-Ebene (siehe Kasten). Diese weichen durch ein dysfunktionales Mikrobiom oder Toxine auseinander und ermöglichen so das pathologische Eindringen von größeren Nahrungsmolekülen, Allergenen und Toxinen in den Körper. Ein unausgewogenes Mikrobiom würde unweigerlich zur Freisetzung von Zonulin, einem Protein, das die Permeabilität der Tight Junctions moduliert, und somit zu chronischen Entzündungen führen. Ein Trigger könne Gluten sein. Fehlernährung, Stress und »moderner« Lebensstil führten offensichtlich zur derzeitigen Epidemie der chronisch-entzündlichen Erkrankungen.

Definition »Leaky Gut«

In einem gesunden Darm stehen die Epithelzellen dicht an dicht, zusammengehalten von den Tight Junctions – Streifen aus Membranproteinen, ähnlich einem Klettband. Der aufgelagerte Mucus schützt die Epithelzellen und bildet eine Barriere zwischen Körperinnerem und Außenwelt. Zum Teil ist der Mucus bakteriell besiedelt. Verschiedene, schädigende Substanzen können ein »Leaky Gut« – einen durchlässigen Darm – verursachen. Dazu gehören beispielsweise Aspirin, Ibuprofen, Chemotherapeutika, Antibiotika und freie Sauerstoffradikale. Auch Schwermetalle wie Quecksilber, Blei und Cadmium können die Darmwand öffnen.

Quelle: Ausschnitt eines Vortrages – https://www.mikrooek.de/fortbildungen/fachtagungen/das-mikrobiom-in-der-praxis

Omega-3-Fettsäuren und Magnesium

Der zweite Tag war den Omega-3-Fettäuren und dem Bedarf an Mikronährstoffen von Schwangeren gewidmet. Der Apotheker Dr. Uwe Gröber aus Essen fasste die bekannten Empfehlungen zusammen und betonte, wie wichtig es für eine gesunde Schwangerschaft sei, einen Mangel der nötigen Mikronährstoffe bereits prägravide festzustellen und zu substituieren. Er empfahl fünf bis sechs kleine, aber Nährstoff- und Ballaststoffreiche Mahlzeiten – auch, um Heißhungerattacken vorzubeugen, die viele Schwangere zu schnellen Kohlehydraten und Junk-Food greifen ließen. Er unterstrich die essenzielle Bedeutung von fettem Seefisch, beziehungsweise EPA/DHA-Ergänzung.

Prof. Dr. Klaus Kisters, Facharzt für Innere Medizin in Herne, konzentrierte sich auf den Magnesium-Bedarf. Für Hebammen bedenkenswert: Seiner Meinung nach sollte jede Schwangere mit Magnesium versorgt werden, auch am Ende der Schwangerschaft und in der Stillzeit. Es sei nicht sinnvoll, die Magnesium-Gabe vor der Geburt abzusetzen, da für eine negative Wirkung, wie beispielsweise das Unterdrücken oder Ausbleiben spontaner Kontraktionen, keinerlei Evidenzen bestünden. Nur eine schwere Niereninsuffizienz sei eine absolute Kontraindikation zur Substitution.

Der Arzt Prof. Dr. Volker Schmiedel aus Baar in der Schweiz, vormals Chefarzt der Habichtswaldklinik Kassel, begann seinen hochinteressanten Vortrag mit einem provokativen Bild und der Frage: »Dicker Hintern – schlaue Kinder?« Weibliches »Hüftgold« habe offensichtlich eine klare Relation zu höheren Omega-3-Werten, so Schmiedel. Eine holländische Studie zeige, dass die Gabe von 10 ml Dorschleber an 341 Schwangere von der 18. Schwangerschaftswoche bis drei Monate post partum noch bis zum Alter von vier Jahren positive Auswirkungen auf die Kinder hätte – unter anderem vier IQ-Punkte mehr. Das mag wenig erscheinen – ist aber ein Faktor für die weitere Entwicklung.

In einer Langzeitbeobachtung durch die sogenannte »Olsen-Studie« wurden Kinder mit 16 Jahren untersucht, deren Mütter Omega-3-Fettsäuren erhalten hatten. Sie waren zu weniger als 1 % an Asthma erkrankt, eine Vergleichsgruppe ohne Substitution litt zu 5,88 % an Asthma. Auch für kindliche Adipositas, Morbus Crohn, Depression und sogar Bettnässen – hier Vitamin D3 kombiniert mit Omega-3-Fettsäuren – zeigten sich signifikant bessere Outcomes. Schmiedel betonte, dass sich die befürchtete Nebenwirkung hoher Omega-3-Gaben, peripartale Blutungen aufgrund einer blutverdünnenden Wirkung auszulösen, in keiner Studie bewahrheitet habe.

Die Kölner Sportwissenschaftlerin Dr. Nina Ferrari stellte ihre Studien zum Einfluss von Sport und regelmäßiger Bewegung auf die mütterliche und kindliche Gesundheit vor, sowohl bei Maus als auch Mensch. Mütter, die zweimal pro Woche trainiert hatten, wiesen in der 36. Schwangerschaftswoche signifikant niedrigere Insulin- sowie Leptinwerte auf. Sie hatten kürzere, komplikationsärmere Geburten. Sport der Schwangeren wirke sich offensichtlich lebenslang positiv auf den kindlichen Metabolismus aus. Es gebe auch erste Hinweise, dass Sport in der Schwangerschaft die kindliche Gehirnreifung verbessere.

»Silent Inflammation«

Ein besonderes Highlight – und zukunftsweisend auch für Hebammen – war der Vortrag des Dermatologen und klinischen Umweltmediziners Dr. Kurt Müller aus Kempten. Er referierte über die verheerenden transgenerational wirksamen Schädigungen durch sogenannte endokrine Disruptoren, hormonell wirksame Substanzen in Form von Umweltgiften. Die unkritische In-Verkehr-Bringung von chlorierten Kohlenwasserstoffen wie Napalm, PCP, Lindan, Dioxin und anderen, die ewig in der Umwelt blieben, sei eine der folgenreichsten Umweltvergiftungen. Dazu käme die massive Ausbringung von Schwermetallen und Phthalaten.

Müller und sein Wiener Kollege, der Kinderarzt Prof. Andreas Lischka, hätten daher ein Verbot von Phthalaten initiiert – in Österreich sei dies geltendes Gesetz, in Deutschland jedoch nicht! In Studien sei nachgewiesen worden, dass Stickoxidexposition zur sogenannten »Silent Inflammation« führe – zu einer zunächst still verlaufenden, chronischen Entzündung, bei der nitrosativer und oxidativer Stress die Zellen schädige. In jüngster Zeit würden wir die toxische Belastung verlagern von chemisch zu physikalisch ausgelösten Umwelterkrankungen durch künstliche elektromagnetische Felder (Handy, PC etc.).

Müller bezog klar Stellung und benannte die von Politik und Gesellschaft komplett ignorierte Gefahr. Dadurch, dass die Politik diesen Umweltbelastungen nicht regulatorisch entgegentrete, werde die gesundheitliche Integrität von Ungeborenen, Kindern und Erwachsenen verletzt. Dem vorgeblich seine BürgerInnen schützenden Grundgesetz werde durch die praktischen Sachverhalte widersprochen – politisch gewollt und juristisch gedeckt. Müller meinte: »Die vordergründigen ökonomischen Vorteile sind der Grund, dass der Staat Pate dieser Entwicklung ist.«

Zu dieser starken Aussage sei das Schlussplädoyer von Prof. Spitz hinzugefügt: »Wir brauchen keine neue Medizin, sondern eine neue Gesundheitskultur«.

Zitiervorlage
Ott-Gmelch J: Tagung der Akademie für menschliche Medizin: Für eine neue Gesundheitskultur. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (6): 90–93
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