Foto: Universität Tübingen
»Arbeiten an Fällen wird im Studium von Beginn an mit zunehmender Komplexität der Fälle gelehrt und geübt.«
Die Universität Tübingen hat im Bachelorstudiengang Hebammenwissenschaft ein innovatives Konzept entwickelt. Es fördert durch strukturierte Fallbearbeitung gezielt die Kompetenzen, die für den Umgang mit komplexen Betreuungssituationen in der Hebammenarbeit notwendig sind. Diese Fähigkeiten werden während des gesamten Studiums aufgebaut und im mündlichen Teil der staatlichen Abschlussprüfung überprüft.
Gesetzlich verankertes Studienziel der akademischen Ausbildung von Hebammen ist die Vermittlung der erforderlichen fachlichen und personalen Fähigkeiten (§ 9 HebG), die die Handlungskompetenz einer Hebamme sicherstellen. Die Absolvent:innen sollen zu evidenzbasiertem und eigenverantwortlichem Handeln befähigt sein. Grundlage des in Anlage 1 genannten Kompetenzprofils der Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) bildet das modifizierte Kompetenzprofil der International Confederation of Midwives (ICM). Dieses definiert die Mindestanforderungen an Kenntnissen, Fertigkeiten und professionellem Verhalten, die von einer Hebamme gefordert werden.
Im Rahmen der staatlichen Prüfung (schriftlich, mündlich, praktisch) sind diese Kompetenzen nachzuweisen. Jeder Teil der staatlichen Prüfung ist im Bachelorstudiengang der Universität Tübingen zugleich auch Modulabschlussprüfung. Der mündliche Teil der staatlichen Prüfung deckt auch das Modul »6.1 – Interprofessionell handeln, kommunizieren und ethisch bewerten im deutschen Gesundheitssystem« ab. Die Prüfung erfolgt als mündliche Präsentation einer strukturierten Fallbearbeitung eines vorgegebenen, hochkomplexen Falles. Die Fallbearbeitung wird in Form eines wissenschaftlichen Posters dargestellt und präsentiert. Gegenstand des mündlichen Teils der staatlichen Prüfung sind Kompetenzen in folgenden Bereichen (§ 24 Absatz 1 HebStPrV):
- Kompetenzbereich IV: Personen- und situationsorientierte Kommunikation während des Betreuungsprozesses
- Kompetenzbereich V: Verantwortliche Gestaltung des intra- und interprofessionellen Handelns in unterschiedlichen systemischen Kontexten, Weiterentwicklung der hebammenspezifischen Versorgung von Frauen und ihren Familien sowie Mitwirkung an der Entwicklung von Qualitäts- und Risikomanagementkonzepten, Leitlinien und Expert:innenstandards
- Kompetenzbereich VI: Reflexion und Begründung des eigenen Handelns unter Berücksichtigung der rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und berufsethischen Wertehaltungen und Einstellungen sowie Beteiligung an der Berufsentwicklung.
Zudem sollen Bezüge zum Kompetenzbereich I hergestellt werden:
- Kompetenzbereich I: Selbstständige und evidenzbasierte Förderung und Leitung physiologischer Prozesse während Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit. Erkennen von Risiken und Regelwidrigkeiten bei der Frau und dem Kind sowie Gewährleistung einer kontinuierlichen Hebammenversorgung unter Hinzuziehung der erforderlichen ärztlichen Fachexpertise.
Die Fallvignette ist so erstellt, dass alle geforderten Kompetenzbereiche darin enthalten sind.
Definition
Unter Kompetenzen werden verfügbare oder erlernbare kognitive Fertigkeiten und Fähigkeiten verstanden, die ein Individuum dazu befähigen, Probleme zu lösen, sowie dessen Motivation, Umsetzungsfähigkeit und soziale Bereitschaft, um die Problemlösung in verschiedenen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (nach Weinert, 2014).
Fallarbeit im Spiralcurriculum
Arbeiten mit und an Fällen wird im Studienverlauf von Beginn an gelehrt und eingeübt, mit zunehmender Komplexität der Fälle. Es stellt einen zentralen Bestandteil des Studiums der Hebammenwissenschaft in Theorie und Praxis dar. Dabei geht es in der gesundheitsberuflichen Bildung um die Bearbeitung eines Falles, der eine reale oder fiktive Begebenheit beinhaltet, die von einer Problem- oder Entscheidungssituation geprägt ist (Hundenborn, 2007). Studierende werden mithilfe eines mehrschrittigen Lehrkonzeptes zunächst an ein einfaches Fallverständnis und davon ausgehend an zunehmend komplexere Fallarbeiten herangeführt (Weinert et al., 2024). Zugrunde liegt ein spiralförmiges Curriculum, das einen kontinuierlichen, schrittweise aufbauenden Kompetenzerwerb gewährleistet (nach Bruner, 1996). Einzelne Bausteine werden im Studienverlauf mehrmals auf ansteigendem Anforderungsniveau gelehrt und auf verschiedenen Reflexionsniveaus aufgegriffen. So wird ein vernetzendes und differenzierendes Lernen mit ansteigendem Bildungsgrad in aufsteigenden Semestern gewährleistet.
Abbildung 1: Handlungs- und Problemlösungsprozess für Hebammen
Quelle: nach Jakob et al., 2016, S.28
In den ersten drei Semestern findet zunächst der hebammenspezifische Handlungs- und Problemlöseprozess Anwendung, um die Studierenden an eine prozesshafte Lösungsorientierung der Betreuungsplanung heranzuführen (Jakob et al., 2016). Dieser baut auf dem Pflegeprozess nach Verena Fiechter und Martha Meier auf (Fiechter & Meier,1981; Fiechter & Meier, 1998). Ein Betreuungsplan wird in den folgenden, logisch-aufbauenden Schritten entwickelt, die kreislaufartig durchlaufen werden und sich wie in Abbildung 1 darstellen lassen.
Die angewandten Fallvignetten weisen an dieser Stelle noch ein niedriges Komplexitätsniveau auf. Sie ermöglichen Einblicke in typische Handlungssituationen und Lernprozesse für die praktische Anwendung von Standards, eine vollständige Aufgabenbewältigung und gleichsam die Erschließung relevanten Fachwissens (Dieterich & Reiber, 2014). Zielgruppe für diese Fallsituationen sind Studienanfänger:innen (Fallbeispiel 1).
Frau M., 29 Jahre, 0P / IG; stellt sich heute bei Ihnen um 7.00 Uhr im Kreißsaal in der 38+0 SSW vor. Frau M. verspürt seit letzter Nacht unregelmäßige Wehentätigkeit, hat wenig geschlafen, ist verunsichert und möchte Ihren Rat zum weiteren Vorgehen. Frau M. ist in Begleitung ihres Partners.
Ihnen zur Verfügung stehende Informationen durch Erhebung der Assessments des IST-Zustandes |
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Subjektives Befinden | Seit ca. 5 Stunden unregelmäßige Wehentätigkeit, die als Ziehen im Unterbauch empfunden wird, Fr. M ist müde, jedoch in Vorfreude. |
Vitalwerte | Der Blutdruck ist 120/80 mmHg; Puls: 72 Schl./Min; Temp.: 36,6 °C. |
Äußere Palpation | Kontraktionen des Uterus sind mäßig tastbar für ca. 30 Sekunden. |
Handgriffe nach Leopold | Fundus steht am Rippenbogen, Ia Schädellage, kindlicher Kopf ballotiert kaum. |
Vaginale Untersuchung | Der Muttermund ist 2 cm eröffnet, wulstig-weich, medio-sakral; der kindliche Kopf führt, Höhenstand ISP -3, die Pfeilnaht steht quer, intakte Fruchtblase. |
Auskultation | Fetale Herzfrequenz um 130 Schl./Min., bei physiologischer Oszillation. |
Anamnese | Es liegen keine Allergien oder Erkrankungen vor. Die Familienanamnese beinhaltet keine Risikolast. Es liegen keine geburtshilflichen Risiken vor.
Es handelt sich um eine Wunschschwangerschaft. Frau M. lebt in einer stabilen Partnerschaft und enger Familienanbindung. In der Schwangerschaft wurde Frau M. durch eine geteilte Vorsorge von Hebamme und Gynäkologin regelhaft betreut. Am Geburtsvorbereitungskurs hat Frau M. teilgenommen. |
Arbeitsauftrag: Erstellen Sie einen individuellen und bedarfsorientierten Betreuungsplan für Frau M. Gehen Sie dabei nach den Schritten des Handlungs- und Problemlösungsprozesses vor (siehe Abbildung 1 in diesem Artikel). |
Fallbeispiel 1: Ein wenig komplexer Fall. Fallarbeit im 3. Semester. Der zu bearbeitende Fall bietet relevante Aspekte, welche den ersten Schritt im Hebammenbetreuungsprozess »Informationen sammeln« abbilden.
Quelle: Konstanze Weinert
Im Studienverlauf wird die Fallarbeit stetig weiterentwickelt. Mit zunehmender Komplexität der Lehrinhalte werden nun die jeweiligen Fallvignetten anspruchsvoller und komplexer: Fälle werden zunächst als »Fälle mit Schwierigkeiten« dargestellt (Dieterich & Reiber, 2014). Dies meint, dass im Rahmen eines dargestellten Routinefalls plötzliche, unvorhergesehene Probleme auftreten können, deren Lösung erweitertes Fachwissen benötigt. Als letzte Stufe sind »hochkomplexe Fälle« in ihren Handlungsproblemen deutlich vielfältiger. Sie integrieren beispielsweise vorbestehende chronische Erkrankungen, akute Gesundheitsprobleme von Mutter und Kind und/oder auftretende Komplikationen in der Schwangerschaft, unter der Geburt oder im Wochenbett und der Stillzeit. Weiter werden kommunikative, psychosoziale oder auch familiäre Probleme aufgegriffen, welche die individuelle Fallsituation prägen (Fallbeispiel 2).
Marie Zeiser ist eine 15-jährige Schülerin und lebt mit ihrer Familie in einer Kleinstadt. Sie besucht mit ihrem älteren Bruder das örtliche Gymnasium. Vater und Mutter arbeiten in Vollzeit. Marie hatte eine kurze Beziehung zu einem ehemaligen Schulfreund, der nun für sein Studium aktuell weggezogen ist. Seit 3 Monaten ist ihre Periode überfällig. Langsam wird sie unruhig und fragt mit mulmigem Gefühl ihre Mutter um Rat, die sofort einen Schwangerschaftstest mit ihr durchführt – positiv! Beide stehen unter Schock!
Maries Mutter ruft Sie nun als Hebamme an und bittet Sie um Unterstützung. Sie treffen also heute Marie und ihre Mutter zu einen Erstgespräch im häuslichen Setting, beide wirken sehr angespannt. Ihnen zur Verfügung stehende Informationen durch Erhebung der Assessments des IST-Zustandes: |
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Eigen-Anamnese | Marie Zeiser, *18.05.2009, 175 cm groß, Gewicht aktuell 60 kg, Blutgruppe B Rhesus positiv, keine Allergien, Operationen oder Vorerkrankungen. Impfstatus: alle vorgesehenen Impfungen sind erhalten. Gelegentlicher Cannabiskonsum und Alkoholkonsum mit Freund:innen. |
Gynäkologische Anamnese | Menarche mit 12 Jahren, alle 30 Tage, regelmäßig, Dauer 5 Tage. LP: 23.3.2024. Ein positiver Schwangerschaftstest liegt vor. Keine sexuell übertragenen Krankheiten bis dato. |
Psychosoziale Anamnese | Marie hat ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Sie geht in die 10. Klasse des Gymnasiums, ist eine leidenschaftliche Handballspielerin und sehr gute Schülerin. Ihr Freund weiß noch nichts von der Schwangerschaft, da momentan kaum Kontakt besteht. Sie fühlt sich gerade nicht in der Lage, ein Kind zu bekommen, kann sich aber nicht vorstellen, die Schwangerschaft abzubrechen. Marie ist verzweifelt und ängstlich. |
Familienanamnese | Der Vater ist Hypertoniker, med. eingestellt, raucht, normalgewichtig. Die Mutter ist gesund, treibt Sport, raucht, achtet auf die Ernährung, normalgewichtig. |
Arbeitsauftrag: Erstellen Sie einen individuellen und bedarfsorientierten Betreuungsplan für Marie. Gehen Sie nach den Schritten des PDCA-Zyklus vor. (Abbildung 2 in diesem Artikel) |
Fallbeispiel 2: Ein komplexer Fall. Fallarbeit im 6. Semester. Der zu bearbeitende Fall bietet relevante Aspekte, welche den ersten Schritt im Hebammenbetreuungsprozess »Informationen sammeln« und somit auch die Phase PLAN des PDCA-Zyklus abbilden.
Quelle: Konstanze Weinert
Auch die Lösungsstrategie von Fallsituationen erfolgt unter spezifischen Fragestellungen spiralförmig auf ansteigendem Niveau. Zum Lösen von wenig komplexen Fällen dient der oben beschriebene hebammenspezifische Handlungs- und Problemlöseprozess als Basisinstrument (Jakob et al., 2016). Um den Handlungsprozess einer strukturierten Hebammenarbeit in komplexen, risikobehafteten Fällen abzubilden, bedarf es einer weiteren Differenzierung des aufgeführten Basismodells. Genutzt wird hierzu übergeordnet der PDCA-Zyklus nach William Edward Deming (Deming, 1986). Er dient als erweitertes, tiefergehendes, methodisches Lösungskonzept, um einen komplexen Betreuungsprozess darzustellen und vor allem um die Betreuungsqualität im Sinne eines Risiko- und Qualitätsmanagements evaluieren zu können.
Der PDCA-Zyklus besteht aus den Schritten Plan (Planen), Do (Ausführen), Check (Überprüfen), Act (Verbessern). Er entspricht einem logischen, ineinandergreifenden und kontinuierlichen Verbesserungsprozess innerhalb eines Qualitätsmanagements und macht das Hebammenhandeln in einer Betreuungssituation prozessartig transparent (Hensen, 2019).
Abbildung 2: Erweitertes Grundlagenmodell zur Darstellung und Evaluation eines komplexen Betreuungsprozesses
Quelle: Weinert et al., 2024 in Anlehnung an den Pflegeprozess nach Fiechter und Meier (1991; 1998) sowie Modifikation nach Jakob et al. (2016)
- Plan: Zunächst wird die Ist-Situation unter Einbeziehung von gegebenen problemspezifischen Fallangaben analysiert und eine Verbesserung geplant. Prüfkriterien werden festgelegt, an denen im späteren Verlauf messbar ist, ob das gesetzte Ziel der Verbesserung erreicht wurde.
- Do: Alle geplanten Maßnahmen werden strukturiert umgesetzt.
- Check: Diese erlaubt die explizite Analyse des jeweiligen Zielerreichungsgrades der individuell durchgeführten Maßnahmen anhand der im Plan aufgestellten Prüfkriterien.
- Act: In der letzten Phase erfolgt der Soll-Ist-Abgleich. Hier wird geprüft und bewertet, ob gesetzte Ziele erreicht, also dargestellte Problemsituationen behoben wurden. Sind die im Betreuungsprozess gesetzten Ziele für die jeweilige Klientin erreicht, wird an festgelegten Betreuungsmaßnahmen festgehalten. Sind die Ziele nicht erreicht, setzt ein weiterer Durchlauf des PDCA-Zyklus ein, um Klientinnen-gerechte Lösungsstrategien im Hebammenalltag zu generieren.
Abbildung 2 stellt den Hebammenbetreuungsprozess in seinen verschiedenen Stufen des Kompetenzerwerbes dar: Im inneren Kreis erfolgt zunächst ein niedrigschwelliges Erarbeiten eines Hebammenbetreuungsprozesses nach Anita Jakob et al., basierend auf dem Pflegeprozess nach Fiechter und Meier (Fiechter & Meier, 1981; Fiechter & Meier, 1998). Mit aufsteigendem Kompetenzerwerb reiht sich der PDCA-Zyklus als übergeordnetes Instrument zur prozessartigen Qualitätssicherung einer evidenzbasierten Hebammenbetreuung ein.
Prüfungsvorbereitung für Studierende
Die Umsetzung einer Kompetenz- und Fallorientierung findet ihren Höhepunkt im sechsten Semester im Modul »Interprofessionell handeln, kommunizieren und ethisch bewerten im deutschen Gesundheitssystem«, das zugleich auch auf den ersten schriftlichen und mündlichen Teil der staatlichen Prüfung des Bachelorstudiengangs der Universität Tübingen vorbereitet. Alle theoretischen Modulinhalte sowie ein modulübergreifender Wissenstransfer des gesamten vorhergehenden Studienverlaufs werden unter anderem in der interaktiven und kooperativen Lernform des »Planspiels« verknüpft: Durch Simulation einer spezifischen Praxissituation werden gezielte Einblicke in realistisch dargestellte berufsspezifische, komplexe Problemlagen vermittelt. Gleichsam spiegelt das Planspiel mit dem übergeordneten Thema »Die Hebamme als Projektleiterin« das Handeln im interdisziplinären Setting wider, da die Studierenden in der praktischen Hebammenarbeit gemeinsam mit anderen Professionen konstruktive Lösungsansätze unter Einbezug aller Perspektiven finden müssen (Weinert et al., 2024).
Während des ambulanten Praxiseinsatzes, der ebenso im sechsten Fachsemester erfolgt, wenden die Studierenden den PDCA-Zyklus in der Praxis an. Sie begleiten Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen, die teilweise komplexe Verläufe aufweisen. Die Studierenden sind dazu angehalten, täglich einen Praxisbericht zu einem erlebten Fall gemäß des PDCA-Zyklus zu verfassen, wodurch die strukturierte Fallanalyse und Darstellung auch in diesem Kontext geübt und gefestigt wird. Der ambulante Praxiseinsatz wird von einem Seminar begleitet, das es den Studierenden ermöglicht, ihre Ausarbeitungen mit den Kommiliton:innen unter Anleitung der Praxisbegleitung kritisch zu diskutieren und zu verfeinern.
Ablauf der mündlichen Prüfung
Neben den zu prüfenden Kompetenzbereichen legt die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) weitere Rahmenbedingungen zum Prüfungsablauf fest. Die Prüfung ist einzeln durchzuführen und muss von zwei Prüfenden abgenommen und bewertet werden (§ 25 u. § 26 Absatz 1 HebStPrV) . Zum zeitlichen Rahmen der Prüfung bestehen keine Vorgaben. Dies ermöglicht eine effiziente Gestaltung, bei der auch mehrere Studierende parallel von mehreren Prüferteams geprüft werden können. Im Rahmen des Bachelorstudiengangs der Universität Tübingen haben zuletzt vier Studierende in vier parallelen Räumen mit je zwei Prüfer:innen ihre Prüfung abgelegt. Vor Beginn der Prüfung bearbeiten die Studierenden unter Aufsicht einen komplexen Fall und stellen ihre jeweilige Fallbearbeitung anhand des PDCA-Zyklus in Poster-Form dar.
Die eigentliche Prüfung besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil präsentieren die Studierenden ihr erarbeitetes Poster anhand stützender Leitfragen, die zum Ende der Vorbereitungszeit ausgegeben werden. Dies ermöglicht den Prüfenden die Durchsicht und Bewertung der Präsentation und des Posters anhand eines genau zu den Fragen passend ausgearbeiteten Erwartungshorizonts. Im zweiten Teil der Prüfung werden fallunabhängige Fragen zu den Kompetenzbereichen IV, V und VI gestellt. Diese beziehen sich primär auf Systemwissen, Versorgungsmodelle, Kommunikation und Ethik. Die gesamte Prüfung erstreckt sich über maximal 30 Minuten. Für die Bearbeitung des Falls und die Erstellung des Posters steht den Studierenden eine Vorbereitungszeit von 75 Minuten zur Verfügung.
Zeitgleich mit der Prüfung befindet sich bereits die nachfolgende Gruppe Studierender in der Vorbereitungszeit. Ein Austausch unter Studierenden über Prüfungsinhalte wird verhindert, indem alle, die vormittags geprüft werden, zeitgleich einbestellt, nacheinander geprüft werden und danach in einem Aufenthaltsraum ohne Kommunikationsmittel verweilen. Diesen dürfen sie erst verlassen, wenn die Nachmittagsgruppe der zu Prüfenden eingetroffen ist. So ist nur eine Fallvignette für den gesamten Prüfungstag auszuarbeiten. Durch geschickte zeitliche Einteilung der Studierenden können bei einer ausreichenden Anzahl an Prüfenden und Räumen bis zu 60 Studierende am selben Tag mit demselben Fall geprüft werden.
Bewertet werden neben den inhaltlichen Aspekten der Ausarbeitung des PDCA-Zyklus auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, der Vortragsstil und die Postergestaltung. Zusätzlich fließen die Antworten auf die fallunabhängigen Fragen mit in die Bewertung ein.
Ausblick
Die vom Gesetzgeber geforderten Handlungskompetenzen für Hebammen sind weitreichend. Hebammenwissenschaftliche Bachelorstudiengänge sind vor große Herausforderungen gestellt, geeignete Lehrformate zu entwickeln und anzubieten, um diese Kompetenzen bei den Studierenden erfolgreich auszubilden. Die Prüfungsformate müssen dazu geeignet sein, den Erwerb der Kompetenzen in der gesamten Breite zu überprüfen und dabei auch realisierbar sein – angesichts der begrenzten strukturellen, personellen und organisatorischen Ressourcen.
Das Lehr- und Prüfungskonzept aus Tübingen ist inzwischen mehrfach erprobt und wurde auch von anderen Studienstandorten übernommen. Zu evaluieren ist zukünftig, ob Hebammen mit Bachelorabschluss in ihrem Arbeitsalltag dafür gerüstet sind, die stetig komplexer werdenden Betreuungssituationen in der Hebammenarbeit zu meistern und für die Frauen und ihre Familie eine umfassende Gesundheitsversorgung sicherzustellen.