Foto: © Ekkehart Reinsch, www.reinsch-fotodesign.de
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Der Geburtsvorgang ist ein natürlicher Prozess im Leben des Menschen, der Jahrtausende lang ohne Kliniken und Ärzte funktioniert hat. Inzwischen ist in der Regel die Klinik der Ort der Geburt – ein kulturell geprägter Raum. Die atmosphärische Wechselbeziehung von „Natur” und „Kultur” sollte möglichst ausgewogen sein.
Architektur und Design werden heute oft im Wesentlichen als Formen wahrgenommen. Die Qualitäten unseres Sehsinnes müssen erst für das gestalterische Bewusstsein aktiviert werden. Dazu gehören Kenntnisse der dynamisch-gestalthaften Wahrnehmung von Licht und Farbe, ihres Bewegungsverhältnisses zwischen Polarität und Mischung, Kontrast und Steigerung, Einzelheit und Ganzheit. Als Künstler lasse ich mich von der Farbenlehre Johann Wolfgang von Goethes inspirieren, der diese Phänomene mit dem Künstlerauge untersucht hat: „Farben sind Taten und Leiden des Lichtes.”
Im Herbst 2013 riefen mich der Chefarzt Dr. Christoph Hemcke und das Dortmunder Innenarchitekturbüros Stöhr & Neu an: Ich sollte die künstlerische Gestaltung beim Umbau der Geburtsklinik am katholischen St.-Josefs-Hospital in Dortmund-Hörde mit Mosaikflächen und Farbe entwerfen und ausführen. Die Vorgespräche waren vielversprechend. Ein Stillzimmer konnte ich bereits kurzfristig mit Mosaik und Farbe gestalten. Doch das fertige Zimmer löste kontroverse Diskussionen im gesamten Krankenhaus aus. Heiter, mediterran, gemütlich, verträumt, farbig und künstlerisch frei hob es für einige zu sehr den üblichen Krankenhauscharakter auf.
Um Missverständnisse zu vermeiden, erstellte ich eine digitale farbige Entwurfsreihe für alle Räume. Diese Vorlagen für die Gestaltung konnten nun mit den MitarbeiterInnen der Klinik betrachtet und korrigiert werden. Im Verlaufe dieser Planungen kamen noch zwei große Wandmosaike für den Eingangs- und den Wartebereich hinzu, die beide als eigenständige Kunstwerke stehen sollten. Mit 14 MitarbeiterInnen der Geburtsklinik – darunter Chefarzt, ÄrztInnen, Hebammen, Geschäftsführung – sowie einer Reihe von Kindern aller Beteiligten fuhr ich an den Rhein, um dort geeignete Natursteine für die Mosaike in Fluren und Kreißsälen zu sammeln. Diese Naturexkursion wurde ein gelungenes Gemeinschaftserlebnis mit erfolgreichem Sammelergebnis in Form von flachen, runden, farbigen, außergewöhnlichen Steinen, und anschließendem geselligem Essen. Dieses gemeinsame Bemühen verstärkte die Bindung aller zu ihrem Krankenhaus und dessen Neugestaltung. Bei der folgenden Arbeit an den Mosaiken gelang es allen Beteiligten, ihren Lieblingsstein in einem der Mosaike unterzubringen.
In den Vorgesprächen mit dem Chefarzt und den Hebammen offenbarte sich eine enorme Innovationsbereitschaft. Hier wurde das „Thema Krankenhaus” neu gedacht! Über Grundrissgestaltung, Mobiliar, Beleuchtung und künstlerische Gestaltung sollte ein ausgewogenes Milieu entstehen, das dem emotionalen Bedürfnis der gebärenden Frauen gerecht wird und zugleich dem neuesten medizinisch technischen Standard entspricht. Der meist funktional orientierten Krankenhausgestaltung mit dominierender Hygiene- und Medizintechnik wollte man am St.-Josefs-Hospital einfühlsam, aber ohne gestalterische Kompromisse entgegensteuern. Gewisse Hygienestandards wurden natürlich berücksichtigt: Die Fugen der Mosaike wurden beispielsweise mit einem speziellen Kunststoffzusatz bearbeitet, um sie glatter, unempfindlicher und damit hygienischer zu gestalten.
Wenn der technische Faktor im Krankenhaus zu stark im Vordergrund steht, bilden sich leicht technoide Formen aus, die Industriebauten ähnlich sind. In diesem rein sachlichen Milieu fühlen sich Menschen, die das Krankenhaus betreten, schnell ausgeliefert. Durch die sinnliche Begrenzung aufgrund monotoner Farbgebung und gleichförmiger Einrichtung entsteht oft der Eindruck einer „Gesundheitsfabrik”.
Dieses Problem wurde bei der Neugestaltung der Geburtsklinik am St.-Josefs-Hospital im Vorfeld erkannt und empfindsam gestalterisch bewältigt. Dies geschah immer im Dialog aller Beteiligten: Chefarzt, ÄrztInnen, Hebammen, Innenarchitekten, Techniker, Handwerker und mir als gestaltendem Künstler. Die Entscheidungen finden oft spontan – auch unmittelbar auf der Baustelle – anhand konkreter Fragen.
Um die drei wichtigen Faktoren Natur, Technik und Kultur gerecht zu behandeln, haben wir in den mit modernster Medizintechnik ausgestatteten Räumen eine einfühlsame Farb- und Lichtgestaltung geschaffen, die der besonderen psychischen Situation entspricht. Dabei haben wir die Räume in ihrer Wirkung als sinneshygienische Heilumgebung begriffen, in der sich die Frauen umhüllt fühlen können. In jedem Kreißsaal ist das Geburtsbett der farblich wärmste Punkt, eingebettet in eine warme fließende Farbgebung, die Geborgenheit vermittelt.
Die Mosaike liegen im Sichtfeld der werdenden Mutter und haben runde Formen, die sich analog zum Prozess des Gebärens „entwickeln”. Farbe, Form und Licht liegen in einem sensiblen Gleichgewicht zwischen anregend und beruhigend, zugleich ablenkend und umhüllend. Die Mosaike bilden dabei „Kraftpunkte” im Wahrnehmungsfeld der Gebärenden, da sie zugleich plastische, malerische und grafische Qualitäten verkörpern. Weil Flüssigkeiten bei der Geburt eine große Rolle spielen, sind die Mosaikformen oft fließenden Formen wie Spiralen nachempfunden.
Der Sehsinn ist der umfassendste und bedeutsamste Sinn, der alle anderen Sinne unterstützt und ergänzt. Das Auge dient dabei zunächst als Vermittler der Reize, die über die Hypophyse direkt auf das vegetative Nervensystem und die hormonalen Prozesse im Organismus einwirken. Der Mensch bildet also innerlich nach, was er äußerlich wahrnimmt.
Die fließenden Farbverläufe in warmen Tönen haben einen methodischen Hintergrund: Licht kann nur als solches wahrgenommen werden, wenn es dem Auge im rhythmischen Wechsel Schatten und Helligkeit, Übergänge und Stufen bietet, denn stark ausgeleuchtete Räume stehen unter einer sich unangenehm auswirkenden Diktatur der Helligkeit. So haben wir für die Wände eine spezielle lichtoffene Lasurtechnik gewählt, die sich beim mehrmaligen Auftragen farbdynamisch mal stärker oder schwächer verdichten kann, ohne harte Linien zu schaffen. Sie vermag die Räume in eine bewegte, aber zugleich zusammenhängende Stimmung zu versetzen.
Farbe kann nur als Farbe wahrgenommen werden, wenn sich verschiedene Töne organisch aufeinander beziehen, Klänge bilden, Zonen gliedern, Kontraste schaffen, Ganzheit zwischen Funktion, Form und Farbe darstellen. Der Sehsinn wird angeregt und der Raum verschmilzt farbtechnisch zu einer ganzheitlichen bewegten Wahrnehmung, ohne dabei eintönig zu wirken. Plakative Flächen, Fotos oder Poster wurden vermieden, denn dies wäre im Gegensatz zur künstlerisch gestalteten Wand ein eher „oberflächliches” Signal: Information über Nichtigkeiten ermüden und können zum Sinnbild von Leere und Bezugslosigkeit werden. Fotos haben nach meiner Erfahrung eine spezielle Wirkung und eine andere Aufgabe als eine unmittelbare malerische Kunstfläche. Das träumende Element beim Farbwirken sollte eher zur Geltung kommen, das konkret darstellende Element sollte eher zurückgehalten werden. Eine zu kognitive Wahrnehmung haben wir zudem über eine einfühlsame Gestaltung mit runden Möbel, warmen Dekors, lichtdurchlässige Vorhänge und weitgehend indirekte Beleuchtung vermieden.
In Zusammenarbeit mit der Haustechnik, den Innenarchitekten und den beteiligten Handwerkern entstand unter den aufmerksamen Augen des Chefarztes sowie der beratenden Hebammen und Pflegekräfte das „Kunstwerk” Geburtsklinik. Alle hatten den digitalen Vorentwurf gesehen, beurteilt und ihre Wünsche dazu geäußert. Es entstand ein biografischer Ort für alle Beteiligten, der die Gefühle der Menschen anregt und begleitet. Er kann den Geburtsvorgang mit einer erwartungsfrohen kreativen Stimmung versehen.