Zeitgefühl und Verabredungen
Wenn ich meine nächste Reise nach Ghana meinen Kolleginnen dort ankündige, dann mache ich das mit deutscher Gründlichkeit, lange vorher. Mit Datum und Uhrzeit. Jedes Mal verwirrt mich dann kurz vor der Reise eine Nachfrage wie: »When will I be expecting you?«
Ich möchte zurückschreiben, dass ich das ja schon vor Wochen genau geschrieben habe, aber solche Sätze kann ich mir sparen. Es scheint, Kalender existierten nicht – mit deutscher Brille betrachtet! Versuche ich durch eine ghanaische Brille zu schauen, dann kann ich zumindest erkennen, dass verlässliche Verabredungen in Ghana selten sind. Nicht weil Menschen besonders unzuverlässig wären, das wäre ein Vorurteil. Aber Geldmangel, Krankheit oder verkehrsbedingte Gründe sind nur Beispiele für Planungsunsicherheiten. Sugaring kann Verabredungen zusätzlich erschweren. »Kommst du morgen zur Schwangerenvorsorge?«, frage ich. Lautet die Antwort: »Maybe«, dann bedeutet das, dass die Schwangere nicht kommen wird. »Maybe« ist die ganz normale verneinende Antwort. Klingt nicht so harsch und endgültig wie das deutsche Nein, aber alle wissen Bescheid. Lautet die Antwort: „Let‹s hope and pray«, dann bin ich zumindest auf der Hut, von einem Nein kann ich aber trotzdem ausgehen. Die Höflichkeit verbietet in diesem Zusammenhang leider oft, die Gründe zu nennen. Wenn ich in Ghana bin, frage ich aber manchmal nach, ob es ein deutsches oder ein ghanaisches »Maybe« ist. Dann lachen alle, denn meine Kolleginnen dort kennen den Unterschied mittlerweile.
Essen schmackhaft machen
Fermentierten Maisbrei mit Fischsoße finden wir nicht auf dem Menüplan deutscher Krankenhäuser. So fremd uns in Deutschland dieses Essen wäre, so fremd ist mancher Migrantin oder Besucherin ein Vollkornbrot mit Wurst. Ob in Ghana oder in Deutschland: Gebratenes Hähnchen mit Reis ist der kleinste gemeinsame Nenner auf beiden Seiten, wenn es ums Essen geht. Habe ich Gäste aus Ghana und möchte ich sichergehen, dass sie satt werden, dann gibt es genauso Reis mit Hühnchen wie in Ghana für mich.
Im deutschen Krankenhaus überbrücken wir manchmal Mahlzeiten mit Zwieback oder Gemüsebrühe. Für Ghanaer:innen stelle man einfach eine Dose Milo aus dem Afrikaladen dazu. Das ist ein Pulver, das man in heißes Wasser einrührt, und man bekommt ein kakaoartiges Getränk. Dieses mit etwas Weißbrot ist das Frühstücksnationalgericht in Ghana. Eine Tasse Milo ist im Kreißsaal und auf der Wochenstation sicher ein Gewinn. Obwohl Ghana das Land der Kaffee- und Kakaobohnen ist, wird man solche als Getränk oder Süßigkeiten dort (noch) nicht bekommen.
Säuglingspflege in verschiedenen Klimazonen
In den Tropen ist es für Erwachsene üblich, zwei Mal am Tag zu duschen. Das Klima macht das erforderlich. Zudem wird regelmäßig fettige Kakao-und Sheabutter zum Eincremen genutzt, um so der Pilzbildung in der schwülen Regenzeit und dem Austrocknen (Reißen) der Haut in der Trockenzeit entgegenzuwirken . In dieser Jahreszeit kann die Luftfeuchtigkeit bei 0 % liegen.
Auch die Babys werden täglich gebadet und dick mit dieser Pomade eingecremt. Diese Art der Säuglingspflege bringen Migrantinnen natürlich mit. Es bedarf einer sehr sensiblen Gesprächsführung, um über den Unterschied zum gemäßigten deutschen Klima zu informieren. Ich erzähle dann gerne von den 1970er Jahren und dem damals üblichen übermäßigen Gebrauch von Seife, Shampoo, Ölen, Pudern und Cremes und dem damit verbundenen Anstieg von Allergien und anderen Hautproblemen. Ich erzähle, wie wir damals lernen mussten, dass wir mit zu vielen Pflegeprodukten den Säureschutzmantel der Haut zerstören, und heute wissen, dass bei unserem Klima einmal Baden in der Woche für Babys reicht und das sogar ohne Badezusatz und ohne anschließendes Eincremen.
Öffentliches Stillen
Eine Nigerianerin, die gerade in Köln ihr drittes Kind geboren hatte, wollte ihm sofort im Kreißsaal die Flasche geben. Obwohl sie ihre ersten zwei Kinder voll gestillt hatte und dieses Kind auch stillen wollte? Ich war verwirrt! Um sie zu überzeugen, dass das Kolostrum reiche, erzählte ich von den Bemühungen der WHO in Ghana, »exclusive breastfeeding« zu bewerben mit der Initiative Babyfriendly Hospital. Dazu zeigte ich ihr ein Video auf YouTube: »Notsi Nana«.
Sie selbst hielt aber das Flasche-Geben für modern. Die Hersteller von Babynahrung haben seit den 1970ern afrikaweit versucht, genau wie in Europa Formulanahrung populär zu machen. Leider mit Erfolg.
In Ghana kann sich zum Glück nicht jede Familie das Pulver leisten. Aber sobald das Geld dafür da ist oder wenn hier in Deutschland Formula verfügbar ist, möchten sie aber modern sein und die Flasche geben. Die Vorteile der Muttermilch überwiegen in Ghana genauso wie überall sonst, nur das hier noch die Gefahr hinzukommt, dass Wasser oder Milchpulver verunreinigt sein und zum Tod des Baby führen können.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, der unter Migrantinnen das Flasche-Geben fördert. Sie wollen nicht auffallen! Genauso wie wir in Deutschland keine Afrikaner:innen sehen, die ihren Koffer oder ihre Einkaufstasche rückenschonend auf dem Kopf tragen, so werden wir keine Afrikanerin sehen, die öffentlich stillt.
Auf meine Nachfrage hin erfuhr ich, dass viele Afrikanerinnen tatsächlich annehmen, dass Weiße nicht stillen würden – einfach, weil sie es nie sehen. Nicht im Fernsehen und nicht im Alltag. Umso wichtiger ist es, dass wir hier endlich so öffentlich stillen wie die Ghanaerinnen zu Hause. Die Signalwirkung geht weit über die Landesgrenzen hinaus.
Mein Gesprächseinstieg in Deutschland zum Thema Zufüttern bei einer Frau, die nach der Flasche verlangt, ist die Frage an meine Gesprächspartnerin, ob sie schon mal eine Weiße hat stillen sehen.