Teil eines Wandgemäldes in der Kathedrale und Hauptkirche von Porto Foto: © Peggy Seehafer

Ende Mai trafen sich in Porto Geburtshelferinnen, Hebammen und Anästhesisten zur zweiten europäischen Intrapartum Care Konferenz unter dem Motto: „Making Birth Safer“. Das atlantische Klima mit seinem frischen Wind schuf eine Tagungsatmosphäre, die geeignet war, sich inspirieren zu lassen.

Porto liegt an der Mündung des Douro direkt an der Atlantikküste. Es ist mit 240.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Portugals und war als heimliche Hauptstadt Namensgeber für das ganze Land. Portus cale bedeutet auf Lateinisch „ruhiger Hafen”. Diese Lage eröffnete sehr früh vielfältige Seefahrts- und Handelsmöglichkeiten. Dazu gehören das Monopol auf den starken Portwein und die überall sichtbaren blau-weißen Azulejos, Fayence-Kacheln arabischer Herkunft. Die Kaufmannsstadt Porto gehört seit 1996 aufgrund der historischen Gebäude und bemerkenswerten Denkmäler zum UNESCO-Welterbe. Der Kongress fand mitten in der Altstadt in einem wundervollen ehemaligen Zollgebäude direkt am Flussufer statt.

Über den morbiden Charme der Stadt darf jedoch nicht vergessen werden, dass Portugal zu den armen Ländern Europas gehört. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 34,5 Prozent, was sich auch in Porto zeigt, obwohl es als Wirtschaftszentrum des Landes gilt.

Das in der ganzen Stadt sichtbare Bemühen, dieses Weltkulturerbe zu erhalten, zu pflegen und auch wieder aufzubauen, könnte man beinahe als Sinnbild für den Geburtshilfekongress ansehen.

„Vaginale Geburten sind ziemlich verbreitet”

Der beinahe bedauernd hingeworfene Satz im Vortrag eines Anästhesisten, „Vaginale Geburten sind ziemlich verbreitet”, charakterisiert auf eine besondere Weise die unterschiedlichen Ausgangspunkte der Betrachtung von Geburt und Gebären sowie Sicherheit. Während es für die südeuropäischen Hebammen schon eine Sensation darstellte, dass Hebammen und ÄrztInnen auf dem gleichen Kongress miteinander über inhaltliche Themen diskutieren, war das für die nordeuropäischen Geburtshelferinnen erstaunlich zu sehen, wie sehr sich mangelnde Wertschätzung der gegenseitigen Arbeit auf geburtshilfliche Ergebnisse auswirken darf, ohne sanktioniert zu werden.

Schließlich war aber davon auszugehen, dass alle 1.100 TeilnehmerInnen für das gleiche Ziel, die „Sichere Geburt”, angereist waren.

Die Vorträge waren Themenblöcken zugeordnet und rankten sich um:

  • Maßnahmen, die eine normale Geburtenrate beeinflussen
  • die Geburtseinleitung und die Wehen(über)stimulation
  • die Überwachung des Feten während der Geburt
  • Sectio caesarea
  • postpartale Blutungen
  • nichtphysiologische Plazentaanhaftung
  • die Wahl des Geburtsortes.

Hands-on-Workshops

Der Vorkongress bot einige Workshops zu instrumentellen Geburtsbeendigungen, der Naht von Sphinkterverletzungen und zur Nutzung der Robson-Skala für die Einteilung der unterschiedlichen Ausgangssituationen für eine Sectio (siehe auch Seite 34f.). Der Workshop zur Durchführung der instrumentellen Geburtsbeendigung enthielt sehr kontroverse Ansichten zum Umgang mit dem Perineum der Gebärenden. Während der eine Kollege wunderschöne Videos demonstrierte, wie auch bei einer Indikation für eine Vakuumextraktion ruhig und behutsam der Kopf über den intakten Damm gezogen werden kann, vertrat der andere Geburtshelfer, der die Zangengeburt erläuterte, das großzügige Anlegen einer mediolateralen Episiotomie auch durch den Sphinktermuskel hindurch. Sein Vorschlag für die spätere einfache Naht mit Einzelknopfnähten widersprach allen gängigen internationalen Guidelines und führte bei einigen anwesenden Spezialisten nicht nur zu Nachfragen, sondern auch zu Schnappatmung, angesichts des großzügigen Umgangs mit einer oft folgenreichen iatrogenen Verletzung.

Förderung der normalen Geburt

Die wissenschaftlichen Vorträge begannen mit einem Themenkomplex, der der Frage nachging, was sich auf eine normale Geburt auswirkt. Dabei wurde die Anwesenheit und Zuwendung der Hebamme genauso untersucht wie Lagerungsmöglichkeiten bei hinterer Hinterhauptslage. Besonders spannend war ein Vortrag von der Geburtshelferin Eva Wiberg-Itzel aus Schweden, die nachweisen konnte, dass eine wirkliche Wehendystokie mit messbaren Lactatveränderungen im Fruchtwasser einhergeht. Je höher der Wert, desto größer das Risiko, dass die Geburt in einer Sectio endet. Mit einer Bicarbonatlösung, die die Gebärende zu trinken bekommt, kann die Dystokie rechtzeitig aufgelöst werden. Das ist eine zukunftsträchtige und preisgünstige Lösung, die dazu beitragen könnte, dass weniger Oxytocin während der Geburt eingesetzt werden muss. Dazu demnächst mehr in der DHZ.

Die Psychologin Melanie Baas und ihre KollegInnen haben in den Niederlanden untersucht, wie sich schwierige Erlebnisse, auf die Arbeit und Psyche von GynäkologInnen auswirken und mit welchen Coping-Strategien sie dagegen arbeiten. Derartige Erlebnisse können unter anderem das Übersehen einer Diagnose, das Überbringen schlechter Nachrichten, ungerechte Anschuldigungen oder die Hilflosigkeit bei infauster Prognose sein. Ebenso eine Untersuchung wurde von ihnen mit ähnlichen Ergebnissen auch mit Hebammen durchgeführt. Diese wurde in Porto allerdings nicht präsentiert. Bei einer spontanen Umfrage im Saal, wer schon so einschneidende Erlebnisse in seinem Berufsleben erfahren hatte, blieb kaum ein Arm unten.

Sowohl in Vorträgen als auch in Posterpräsentationen wurde im Rahmen des Kongresses immer wieder gezeigt, dass Sport einem spontanen Wehenbeginn und einer physiologischen Geburt zuträglich ist.

Interventionen zum richtigen Zeitpunkt

In der Sitzung zum Thema Einleitung der Geburt und Unterstützung der Wehen wurden nicht nur Methoden vorgestellt und gegeneinander abgewogen. Der irische Geburtshelfer Michael Robson, Entwickler der WHO-Sectio-Skala, stellte sehr deutlich dar, dass entgegen der derzeitigen Metaanalysen mit nur ausgewählten Untersuchungen, die Einleitung doch zu einem signifikanten Anstieg der Sectio führe. Aus seiner Sicht sei es Augenwischerei, sich dieser Wahrheit zu verschließen.

Der Geburtshelfer Thorbjørn Moe Eggebø von der Universitätsklinik in Stavanger, Norwegen, konnte nachweisen, dass Oxytocin deutlich seltener angewendet wird, wenn nicht nach subjektiven Gefühlen im Sinne von „Da tut sich nichts …” entschieden wird. Der restriktive Einsatz von Oxytocin nach standardisierten WHO-Kriterien führte vor allen in den Gruppen 1 bis 4 der Robson-Skala zu einer Absenkung der Sectiorate, die sich im gesamten Land mit 17 Prozent schon auf einem relativ niedrigen Niveau befindet.

Beim Thema Sicherheit während der Geburt wurde natürlich auch der Einsatz des CTGs diskutiert. Dabei wurde die STAN-Methode (fetales EKG) zur intrapartalen Messung der fetalen Sauerstoffressourcen sehr kritisch bewertet: Falsch-positve und falsch-negative Resultate führen nicht zu einer deutlichen Verbesserung des fetalen Outcomes. Das Verfahren ist in Deutschland noch nicht sehr verbreitet, in Skandinavien dagegen sehr. Aber es scheint, als ob diese Welle eher schon wieder abklingt. Die Invasivität und die Ergebnisse würden in keinem zu rechtfertigendem Verhältnis stehen, so das Ergebnis der Diskussion.

Auch die MBU wurde sehr kritisch mit jeweils einem Vortrag pro beziehungsweise contra unter die Lupe genommen. Am Ende gab es kein Ergebnis, dass zu Handlungsempfehlungen oder Veränderungen der derzeitigen Praxis führen würde. Als extrem invasiv und begrenzt wirkungsvoll habe ich die Empfehlung zur Amnioinfusion bei grünem Fruchtwasser oder fetalem Stress durch Nabelschnurkompression erlebt. Sie wurde auch kontrovers diskutiert – dazu demnächst mehr in der DHZ.

Auch die Sectio als meistdurchgeführte geburtshilfliche Operation erhielt genügend Aufmerksamkeit mit einer eigenen Session. In dieser ging es sowohl um die Vermeidung als auch um alternative Geburtsbeendigungen zum Beispiel durch Forceps. Auch operative Techniken, deren Fokus natürlich auf der Vermeidung von übermäßigen Blutungen lag, wurden diskutiert.

Die rückseitige Terrassenaussicht des Kongresszentrums, eines alten Zollgebäudes der Stadt, direkt am Douro mit Aussicht auf die berühmten Portweinkellereien. Foto: © Peggy Seehafer

(Portweinverklärter) romantischer Blick auf die Altstadt von Porto. Foto: © Peggy Seehafer

Sectio kein zentrales Thema

Die Sectiorate in Portugal liegt bei mehr als 35 Prozent, in der Türkei sogar bei mehr als 50 Prozent. Während die staatlichen Kliniken in Portugal sich jetzt einer strengen Indikationsstellung durch eine Leitlinie unterwerfen und die Sectiorate von 35 Prozent auf 28 Prozent senken konnten, steigt die Zahl in den privaten Kliniken weiter über 60 Prozent an. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Frauen selbst wählen, dass sie in einer Privatklinik gebären möchten.

In Spanien hingegen betreuen die Hebammen physiologische Geburten selbst, den Dammschutz macht diejenige Person, die gerade in der Nähe ist, das kann eine Hebamme oder auch ein Arzt sein. Großbritannien und Irland hingegen versuchen wie die skandinavischen Länder eine Eins-zu-eins-Betreuung ab der aktiven Geburtsphase in jedem Fall zu ermöglichen. Das wirkt sich auch deutlich auf die Sectiofrequenz aus, bei vergleichbarem fetalen und maternalen Outcome. Die Folgen der hohen Sectiorate sind wachsende Probleme bei der Plazentation in der nächsten Schwangerschaft mit all ihren lebensgefährlichen Risiken, auf deren Diagnose und Behandlung ebenfalls besonders hingewiesen wurde. Die Auswirkungen des Geburtsortes auf das geburtshilfliche Outcome wurden leider als letzte Session präsentiert. Aus Hebammensicht war das schade, aber irgendein Thema musste den Reigen ja abschließen.

Schauplatz der Eitelkeiten

Gerade die Gespräche am Rande solcher Kongresse bringen Licht in abgedunkelte Verständnisecken, von denen man nicht ahnt, dass sie überhaupt existieren. Aber auch die demonstrativen Auftritte von Eitelkeiten einzelner Ärzte nach jedem einzelnen Vortrag: „I give a shit on your results”, und Ärztinnen: „Warum sollte die Frau ihre Geburtsposition selbst wählen, die versteht sowieso nichts davon”, während sie das Illustrationsmaterial eines Ausstellers durch den Raum wirft, gaben ein beeindruckendes Bild von einem hierarchischen Gefälle zwischen Ärztin und Patientin. Das lässt einen plötzlich verstehen, warum Guide­lines zur Betreuung von Schwangeren und Gebärenden einen wertschätzenden Umgang mit der Frau fordern müssen. Sie sind augenscheinlich nicht selbstverständlich. Und je weiter nach Süden, desto ausgeprägter zeigen sich „altmodische” patriarchale Strukturen, die von den Frauen in der Führungsposition gleichermaßen übernommen werden. Das Gefälle besteht nicht so sehr zwischen Mann und Frau als vielmehr in einer Art indischem Kasten-System, im welchem sich die ÄrztInnen in einer hohen Kaste meinen, und nach deutlichen Stufungen Hebammen und Patientinnen gleichermaßen in niedrigen Kasten existieren.

In so einem internationalen Kontext wie einem Kongress prallen dann schon mal Welten aufeinander. So sind portugiesische Hebammen zwar für die Pflege der Frau und des Neugeborenen zuständig, doch der Dammschutz wird immer von einem Arzt ausgeführt. Die Betreuung der Schwangeren obliegt ausschließlich ÄrztInnen. Angesichts dieses hierarchischen Gefälles fällt es leicht, sich vorzustellen, dass Schwangere nicht unbedingt in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt werden. Der portugiesische Arzt Diogo Ayres-de-Campos griff in seiner Präsentation zur Sectio selbst auf ein Zitat von Mark Twain zurück: „Kleingeister versuchen immer den Ehrgeiz anderer kleinzuhalten, nur die wirklich Großen geben dir das Gefühl, dass auch du selbst groß werden kannst.” Für Schwangere und Gebärende ist es natürlich essenziell, dass diejenigen, die ihnen zur Seite stehen, auch daran glauben, dass sie es schaffen können.

Babyfernsehen für Hebammen: Dammschutztechniken am Stand von GynZone. Die Geburt eines Kindes ist beim Zusehen für Hebammen viel schwerer auszuhalten als beim Arbeiten. Foto: © Peggy Seehafer

Luft nach oben

Planerisch hat die Kongressorganisation noch Luft nach oben. Ein Buch mit Abstracts ohne Seitenangaben, das erst am letzten Kongresstag online verfügbar ist, ermöglicht keine Vorbereitung und gezielte Auswahl der Themen für TeilnehmerInnen. 470 E-Posterpräsentationen auf nur vier Bildschirmen für 1.100 TeilnehmerInnen – das muss nicht weiter kommentiert werden. Der Frust bei den WissenschaftlerInnen, die mühevoll ihre Arbeiten so vorstellten, war entsprechend groß, zumal es keine Möglichkeit gab, das Poster, wie sonst üblich, in einer Kurzpräsentation zu erläutern. Es gab keine Möglichkeit mit den AutorInnen der Poster in Kontakt zu kommen. Das sind verschenkte Potenziale zum Netzwerken, zumal dieser europäische Kongress als bedeutungsvoll für die ganze Welt eröffnet wurde.

Fazit

Obwohl allen GeburtshelferInnen die gleichen wissenschaftlichen Evidenzen zugänglich sind, führt die praktische Umsetzung der Studienergebnisse zu sehr verschiedenen geburtshilflichen Situationen in Europa. Es stellt sich die Frage, welche weiteren Einflussfaktoren so groß sind, dass sich die Unterschiede damit erklären ließen.

Wer die Gelegenheit hat, sollte unbedingt nach Porto fahren und die Stadt erkunden. Und wer sich für Geburtshilfe mit seinen vielen Facetten interessiert, sollte den nächsten „Intrapartum Care” Kongress 2017 nicht verpassen. Der Veranstaltungsort wird zwischen Helsinki, Malmö und Stockholm noch ausgewählt.

Zitiervorlage
Seehafer P: Kongress “Intrapartum Care”: Making birth safer. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2015. 67 (8): 62–64
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