Viele betroffene Paare haben Bedenken, sie könnten auf Unverständnis stoßen, weil der Schwangerschaftsabbruch in einer Geburtsklinik geschieht, die sich sonst mit glücklichen Situationen beschäftigt. Foto: © Michael Plümer
Die Entscheidung, eine Schwangerschaft aktiv zu beenden, bedeutet immer eine schwerwiegende Konfliktsituation. Dies ist unabhängig von der Schwangerschaftswoche.
Unter juristisch klar festgelegten Voraussetzungen ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland straffrei. Unterschieden wird der Schwangerschaftsabbruch nach der sogenannten Fristenregelung von der medizinischen Indikation. Im Gesetz ist dies in Deutschland im § 218a geregelt. Die Fristenregelung besagt, dass nach eingehender Beratung und einer Bedenkzeit von drei Tagen bis zu einer Frist von abgeschlossenen zwölf Schwangerschaftswochen nach der Konzeption ein Abbruch straffrei ist. Die medizinische Indikation ermöglicht, dass ein Schwangerschaftsabbruch bei Leibes- oder Lebensgefahr für die Mutter bis zum Beginn der Geburt straffrei bleibt.
Durch verbesserte technische Möglichkeiten, aber auch sich ständig weiterentwickelnde medizinische Erkenntnisse, können Auffälligkeiten der Feten intrauterin sehr verlässlich diagnostiziert werden. Es ist das Ziel der PränataldiagnostikerInnen und in vielen Fällen besteht auch die technische Voraussetzung dazu, dass möglichst früh in der Schwangerschaft eine Diagnose gestellt werden kann. Weitergehende Untersuchungen werden zunehmend von den werdenden Eltern eingefordert. Dies gehört nicht mehr zu einer speziellen Diagnostik, die nur einer kleinen Zielgruppe vorbehalten ist. Immer mehr ÄrztInnen haben die Qualifikation für die Durchführung dieser Untersuchungen oder sehen es als notwendig an, ihre Patientinnen an entsprechend qualifizierte ÄrztInnen zu überweisen. Die allgemeine Akzeptanz der Eltern, eine von ärztlicher Seite angebotene weiterführende Diagnostik durchführen zu lassen, bringt es mit sich, dass fetale Fehlbildungen festgestellt werden. Nach gesicherter Diagnose kann dies dann zu dem Entschluss führen, die Schwangerschaft beenden zu wollen.
Auch wenn die Diagnose möglichst früh gestellt werden sollte, ist dies nicht immer möglich. Das kann daran liegen, dass erst mit 20 bis 22 Schwangerschaftswochen (SSW) der erste differenzierte Ultraschall erfolgt. Manche fetalen Auffälligkeiten sind in frühen Schwangerschaftswochen aber auch noch gar nicht zu diagnostizieren, wie zum Beispiel einige Hirnfehlbildungen. Aus diesen Umständen resultieren Abbrüche auch in späteren Schwangerschaftswochen, gegebenenfalls wenn der Fetus bereits lebensfähig wäre.
Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es im Jahr 2014 in Deutschland 99.715 Schwangerschaftsabbrüche, davon 3.635 aus medizinischer Indikation (3,64 Prozent), 2.196 zwischen 12 und 21 SSW und 584 oberhalb von 22 SSW. In 488 Fällen wurde ein Fetozid durchgeführt (Statistisches Bundesamt 2014). Beim späten Schwangerschaftsabbruch jenseits der Grenze der Lebensfähigkeit kommt zur Entscheidung gegen eine eigentlich gewünschte Schwangerschaft nun auch noch die Entscheidung für einen notwendigen Fetozid.
Wird bei einer Frau eine Schwangerschaft festgestellt und entscheiden sich die Eltern oder die Frau für diese Schwangerschaft, geht dies einher mit dem Wunsch, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen. Dafür sind die Frauen in den meisten Fällen auch bereit, ihre Lebensgewohnheiten deutlich umzustellen, sich gesund zu ernähren, nicht mehr zu rauchen und keinen Alkohol mehr zu trinken.
Möglichkeiten der modernen Pränataldiagnostik werden angeboten und erfragt und in zunehmender Häufigkeit auch in Anspruch genommen. Vor einer solchen weiterführenden Diagnostik ist eine umfassende Aufklärung über die Möglichkeiten und Konsequenzen vorgeschrieben, sei es bei einer nicht-invasiven Diagnostik im Blut der Mutter, einer invasiven Diagnostik wie Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese oder einer differenzierten Ultraschalluntersuchung. Auch wenn dies mehr in das Bewusstsein der betreuenden ÄrztInnen gerückt ist, so zeigte eine Befragung von Frauen nach Gesprächen und Untersuchungen aus dem Jahre 2007, dass es immer noch große Defizite bei der Aufklärung gibt (Woopen 2007). Besonders deutlich wird dies in der Aufklärung über die möglichen Konsequenzen, die sich aus einer solchen Untersuchung ergeben können. Das Gespräch darüber, dass ein Ergebnis auch anzeigen könnte, dass das Kind eine Behinderung oder eine schwere Krankheit hat und was dies dann für die Frau oder das Paar bedeuten würde, empfand nur die Hälfte der Frauen als ausreichend. Dagegen beschrieben über 90 Prozent der Befragten die Aufklärung über mögliche Risiken, bedingt durch den Eingriff selbst, als umfassend oder zumindest ausreichend (siehe Tabelle 1).
Etwa die Hälfte der Eltern hat sich zwar schon vor der Durchführung der Pränataldiagnostik mit der theoretischen Möglichkeit auseinandergesetzt, dass bei einer solchen Untersuchung ein schlechtes Ergebnis herauskommen könnte (siehe Grafik). Aber Im konkreten Fall ist dann alles anders. Der Verdacht und erst recht die gesicherte Diagnose einer fetalen Erkrankung führt bei den Frauen beziehungsweise bei dem Paar zu einem Schock. Sie haben Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Wut und Angst. Eine solche Situation ist emotional hochbelastend. Alle bisherigen Überlegungen, Wünsche und Pläne für die Zukunft mit diesem Kind zerbrechen schlagartig. Hatten sich die Eltern doch schon ausgemalt, wie ihr Leben mit dem Kind sein würde. Wünsche, was sie dem Kind mit ins Leben geben möchten, Ideen, wie es wohl aussehen würde, was die eigenen Eltern zu diesem Kind sagen würden, der Stolz, nun auch ein Kind zu bekommen, alle diese Aspekte sind ausgelöscht und es bleibt ein Vakuum. „Es fühlt sich an wie ein schlechter Traum, der gleich vorbei sein wird.“
Grafik: Prozentualer Anteil der Eltern, die sich über eine mögliche Behinderung des Kindes vor Durchführung der Pränataldiagnostik Gedanken gemacht haben (Woopen 2007)
ÄrztInnen, BeraterInnen, Hebammen, BetreuerInnen und alle anderen Beteiligten in dieser Situation sind genauso mit diesem Konflikt konfrontiert. Wenn sich eine negative Nachricht im Rahmen der Pränataldiagnostik abzeichnet, werden die Fachkräfte in höchstem Maße gefordert. Sie sind gewöhnlich nicht in der Situation, dass sie sich beliebig viel Zeit für ein Gespräch nehmen können. Ein volles Wartezimmer, ein straff geplanter Klinikalltag schaffen einen zeitlichen Druck, dem sie sich jedoch nicht beugen dürfen.
In ihrer hochspezialisierten Ausbildungen fehlt gewöhnlich eine gute Anleitung zur Gesprächsführung. Weder im Medizinstudium, noch in der sich anschließenden Weiterbildung ist dafür ein angemessener Raum vorgesehen gewesen. Fachwissen zu den speziellen medizinischen Gesichtspunkten der Erkrankung wird genauso erwartet wie ein hohes Maß an Professionalität im Umgang mit der Situation, Empathie fürs Gegenüber und ein Gespür für die Individualität der Situation. Der Frau, dem Paar muss der Raum und die Zeit gegeben werden, eine Entscheidung treffen zu können. ÄrztInnen und andere Fachkräfte sollen BeraterInnen und BegleiterInnen sein. Im Fall der getroffenen Entscheidung ist es dann ihre Aufgabe, den Eltern den Rücken zu stärken, wie auch immer die Entscheidung ausgefallen ist.
Auch wenn es zunächst unpassend erscheint: Gerade in einer solchen Situation ist ein strukturierter Ablaufplan eine große Hilfe. GeburtsbegleiterInnen können sich bis zu einem gewissen Grad trainieren, ihre Erfahrungen über die Jahre helfen dabei. Spezielle Kurse für den Umgang mit der Übermittlung schlechter Nachrichten geben ihnen zusätzliches Rüstzeug – das schließt auch Mimik, Gestik und das Schaffen der richtigen Atmosphäre mit ein. Aber trotz aller Vorbereitung und Auseinandersetzung besteht mit dem Eintreffen einer solchen Situation eine große Gefahr, im konkreten Fall dann ins Taumeln zu geraten. Sinnvoll ist es, einen klaren Leitfaden für die Gesprächsführung zu haben. Die betroffenen Eltern haben ein großes Bedürfnis, in dieser ausweglosen Situation Sicherheit und Halt zu verspüren.
Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Ziele der Beratung, die wichtigsten Aspekte und Inhalte dieser Gespräche. Die Mitglieder des geburtshilflichen Teams haben die Rolle der Berater, Informanten, Profis und Tröster. Nicht selten prallen ihnen in der ersten Phase des Gespräches negative Emotion, Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose und Ärger entgegen. Als ÜberbringerInnen der Diagnose fühlen sie sich leicht in die Rolle der Schuldigen gedrängt, „die etwas sehen, was noch keiner gesehen hat“, „es war doch bisher alles in Ordnung“. In dieser Phase hilft eine klare, sachlich orientierte Haltung. Um tatsächlich in dieser Realität anzukommen und die Diagnose zu verstehen, brauchen es die Eltern, dass ihnen die Diagnose mit deren Konsequenz mehrmals mitgeteilt wird. Unter Umständen sollten diese Zusammenhänge und nicht nur die Diagnose selbst auch schriftlich übermittelt werden. Emotionale Äußerungen und Mitgefühl können hier hilfreich sein.
In dieser ersten Phase müssen Frauen und Paare die Diagnose verstehen. Sie werden sich über zur Verfügung stehende Medien, vor allem das Internet, eigene Informationen einholen wollen. In diesem ersten Gespräch können sie nicht mehr aufnehmen als die Diagnose und deren Bedeutung.
Sehr zeitnah wird ein weiterer Termin vereinbart. Dieser kann genutzt werden, um die Diagnose noch einmal durch eine zweite Person bestätigen zu lassen und gegebenenfalls weitere Untersuchungen wie eine Fruchtwasserentnahme oder ein fetales MRT anzuschließen. Vor allem aber können die Betroffenen nun Fragen stellen. Sie haben eigene, mehr oder weniger intensive Recherchen durchgeführt. Diese Erkenntnisse sollen nun mit ihrer Situation abgeglichen werden. Denn das Internet hat den Nachteil, dass nicht ersichtlich wird, ob das, was dort beschrieben wird, auch für die konkrete Situation zutrifft.
Spätestens jetzt erfragen die Eltern weitere mögliche Schritte. Dies geschieht erst zu diesem Zeitpunkt, da sie meistens zuvor dazu nicht in der Lage sind. Nicht selten werden diese ersten beiden Phasen in einer pränataldiagnostischen Einrichtung erfolgen. In der zweiten Phase ist allerdings auch schon häufiger die weiter betreuende Klinik involviert. Da es sich also nicht selten um einen Wechsel der zuständigen Personen handelt, liegt hier eine wichtige Schnittstelle. Informationen wie noch zu klärende Unsicherheiten, bisher erfolgte Diagnostik, Bedarf an weitergehender Beratung, Selbsthilfegruppen, psychologischer Betreuung oder Therapieangebote sollten gegebenenfalls aktiv bei der Übergabe der Schwangeren erfragt werden. Selbstverständlich muss hier seitens der betreuenden Geburtsklinik geklärt werden, ob die rechtlichen Vorrausetzungen für einen Schwangerschaftsabbruch erfüllt sind oder ob noch wichtige Unterlagen oder Voraussetzungen fehlen. Eine Indikation für den Schwangerschaftsabbruch muss vorliegen, die erst drei Tage nach der Mitteilung der Diagnose und dem Angebot einer psychosozialen Beratung von einem Arzt ausgestellt werden darf, der an der Durchführung des Schwangerschaftsabbruches nicht beteiligt ist.
Der erste Kontakt mit der Klinik, in der dann der Schwangerschaftsabbruch stattfinden wird, ist häufig mit neuen Ängsten behaftet. Die Eltern verlassen die schützende Situation der Einrichtung der Erstdiagnostik, den Ort, in dem sie das erste Mal in dieser schwierigen Situation aufgefangen wurden. Das nun folgende Unbekannte, die Klinik, ist behaftet mit der Befürchtung, dass ihnen mit Unverständnis begegnet, dass die getroffene Entscheidung in Frage gestellt wird. Betroffene Paare äußern auch Bedenken, dass eine Geburtsklinik sich doch nur mit glücklichen Situationen der Schwangerschaft beschäftigen kann und will.
Die Aufgabe in der Klinik besteht nun darin, diese Ängste möglichst schnell zu entkräften. Es ist wichtig, den Eltern noch einmal ausreichend Zeit und Raum zu geben. Die gesetzliche Vorgabe sieht zwar vor, dass zwischen der Diagnose und der Ausstellung einer Indikation für den Schwangerschaftsabbruch mindestens drei volle Tage liegen müssen und dass es ein Angebot einer Beratung gegeben haben muss. Aber oft ist dieser Zeitraum für die Eltern nicht ausreichend, um sich mit den Angeboten der Beratung hinreichend auseinanderzusetzen. Gespräche über die Möglichkeiten, die Schwangerschaft fortzusetzen, unter Umständen auch nur für eine befristeten Zeitraum, Kontaktaufnahme mit anderen Betroffenen, psychologische Betreuung oder auch eine erneute Untersuchung können deutlich mehr als drei Tage benötigen.
Somit ist der Faktor Zeit keine Sache von juristischen Fristen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein ausführliches Gespräch mit den Frauen und Paaren zu empfehlen ist, bevor sie in der Klinik zum Schwangerschaftsabbruch aufgenommen werden. Der Vorteil der Distanz eines langen Telefonates, das der stationären Aufnahme vorgeschaltet ist und das für das Paar und den Arzt mit einem großen Zeitfenster erfolgen sollte, empfinden viele Eltern als erleichternd. Der Nachteil liegt allerdings darin, dass mimische Zusatzinformationen und auch wohltuende Gesten, wie das Reichen eines Taschentuches oder das Halten der Hand, nicht möglich sind.
Bei diesem Gespräch, sei es im direkten Kontakt oder am Telefon, sollte geklärt werden, ob alle Informationen vorhanden sind, ob noch einmal der Wunsch nach einem Ultraschall, zum Abschied nehmen oder nach einer erneuten Erklärung des Befundes besteht. Der Zeitpunkt der Aufnahme sollte besprochen werden, denn nicht selten ergibt sich erst jetzt, dass der ursprünglich angedachte Termin nicht stimmig für die Eltern ist. Wiederkehrende wichtige Daten sollten vermieden werden, wie Geburtstage oder Feiertage.
Immer wieder kommt der Wunsch auf, dass alles so schnell wie möglich erfolgen sollte. Dahinter verbirgt sich der Glaube, das durch diese Eile der Sachverhalt wie ungeschehen erscheint. Mit dem Wissen, dass dies nicht möglich ist, sondern die gegenteilige Wirkung hat, sollte an dieser Stelle auf zeitliche Entspannung geachtet und überstürztes Handeln vermieden werden. Lange psychologische Behandlungen oder auch schwerwiegende psychische Belastungssituationen nach einem Schwangerschaftsabbruch sind oft durch eine überstürzte Entscheidung zu erklären. Im Nachhinein ist eine Abwägung von Handlungsalternativen, die in der Bedenkzeit möglich war, nicht mehr nachzuholen.
Die Möglichkeit der deutlichen Verschiebung, nicht nur um Tage, sondern auch um Wochen, sollte dem Paar immer auch mit der Sicherheit gegeben werden, dass eine spätere Aufnahme zu jedem Zeitpunkt erfolgen kann. Erst dann kann sich die hilfreiche Wahlfreiheit entwickeln, noch ein bisschen Zeit mit dem ungeborenen Kind zu verbringen. Selbst wenn dadurch die Grenze der Lebensfähigkeit erreicht wird und ein Fetozid notwendig wird, ist dies für die Verarbeitung der Gesamtproblematik von großer Bedeutung und sollte immer angeboten werden.
Nun folgt die nächste Phase, in der Fragen nach dem konkreten Ablauf besprochen werden. Möglichkeiten des Abschiednehmens, Bestattung, Grabbeigaben, Kleidung für das Kind, Fotos und Fußabdruckkarten werden erklärt und abgestimmt. Für die Aufnahme in die Klinik sollte es ermöglicht werden, dass eine Person des Vertrauens die gesamte Zeit anwesend ist. Ein Einzelzimmer beziehungsweise ein geschützter Raum sollte zur Verfügung gestellt werden. An dieser Stelle erfolgt spätestens die notwendige Information über einen möglichen Fetozid. Dies sollte möglichst schon Thema der Beratung sein, ist es aber leider nicht immer.
Die Durchführung eines Spätabbruches, also einer Beendigung der Schwangerschaft nach Erreichen der Lebensfähigkeit des Feten, macht häufig einen Fetozid notwendig. Nicht alle Erkrankungen oder Fehlbildungen des Feten sind letal, trotzdem besteht die Indikation für einen Spätabbruch aus medizinischer Indikation. Bei einem Schwangerschaftsabbruch in einer solchen Situation ist der Fetozid ein dazugehöriger Bestandteil. Ohne ihn würde der Schwangerschaftsabbruch zu einer Lebendgeburt führen, mit den zusätzlichen Problemen der iatrogenen Frühgeburt und einer schweren fetalen Erkrankung oder Fehlbildung. Eine solche Situation kann nur durch einen Fetozid verhindert werden. Die Durchführung selbst, aber auch die Tatsache, dass ein Fetozid durchgeführt werden muss, stellt trotzdem für das betreuende Personal eine zusätzliche Belastung dar.
Die Durchführung ist häufig vom manuellen Ablauf her eine große Herausforderung. Zunächst wird unter Ultraschallsicht der Nabelschnuransatz an der Plazenta aufgesucht und dort dem Feten eine sogenannte „fetale Narkose“ verabreicht. Anschließend erfolgt die Gabe von 7,45-prozentiger Kaliumchloridlösung, was zum Herzstillstand des Feten führt. Bei ungünstigen Ultraschallbedingungen oder ungünstiger Kindslage kann dieser Prozess sehr langwierig sein. Gelegentlich ist auch bei überlagertem Nabelschnuransatz die intrakardiale Gabe notwendig.
Gerade in technisch schwierigen Situationen sind die durchführenden ÄrztInnen in einer Doppelbelastung. Die Situation erfordert höchste Konzentration für die Durchführung des Eingriffes und gleichzeitig eine souveräne Ausstrahlung für die Vermittlung eines regulären Ablaufes. Zusätzlich stellt der Fetozid unter Ultraschall die bildhafte Darstellung des Übergangs vom Leben zum Tod dar. Dem ist die ausführende Person direkt ausgesetzt, denn sie hat ja die Aufgabe, die Beendigung des Herzschlages zu beobachten und zu dokumentieren. Somit kann die Durchführung nicht von jeder Ärztin oder von jedem Arzt erwartet werden.
Führt der betreuende Arzt oder die Ärztin im Vorfeld schon einen Teil der Gespräche mit der Frau oder dem Paar und besteht ein tieferes Verständnis für die Gründe, die zu dieser schwierigen Entscheidung geführt haben, dann ist es leichter für den Arzt oder die Ärztin, diesen eigenen inneren Zwiespalt auszuhalten. Damit steht derjenige, der die intensiven Gespräche mit der Frau oder dem Paar geführt hat, in einer psychologisch besseren Situation als das restliche betreuende Team. Wenn man sich über diesen Zusammenhang im Klaren ist, dann wird es verständlich, warum eine gute Übergabe der Information an alle Beteiligten so bedeutend ist. Besonders im Falle von Spätabbrüchen in sehr weit fortgeschrittenen Schwangerschaften ist eine Erklärung der Umstände wichtig. Keine Frau hat mit Absicht bis ins dritte Trimenon gewartet. Doch die stille Geburt eines fast reifen Kindes ist auch für die Betreuenden besonders belastend.
In einer Hochrisikoklinik gibt es nicht selten Situationen, in denen im Kreißsaal die Betreuung der Geburt einer extremen Frühgeburt mit all den Unsicherheiten für den weiteren Verlauf des Kindes und die Betreuung eines Spätabbruches parallel erfolgen. Auch die Entscheidung, eine Schwangerschaft mit der Diagnose eines schwer kranken Kindes fortzusetzen auf der einen Seite und andererseits bei leichteren Fehlbildungen keine Möglichkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft zu sehen, muss das geburtshilfliche Team tragen. Diese klassischen Konflikte der Arbeit in einer Klinik, in der Spätabbrüche durchgeführt werden, müssen sensibel aufgefangen werden. Daneben ist auch für die Einzelnen im Team und je nach Tagessituation eine solche Konfliktsituation nicht immer auszuhalten.
Die Begleitung und Betreuung eines Fetozides im Team ist schwierig. Die daraus resultierenden Probleme müssen ernst genommen werden. Manchmal ist es ein diffuser Ärger über die High-Tech-Medizin, die die Frauen in ein solches Unglück stürzen, das nun das betreuende Team auffangen muss. Dabei stellt es keine generelle Lösung dar, dass sich Einzelne im Team der Situation entziehen könnten und die Betreuung bei einem Schwangerschaftsabbruch ablehnen. Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in der eigenen Einrichtung, auch ohne eigene Beteiligung, bedarf einer regelmäßigen Aufarbeitung und Supervision. Denn sonst verliert das Team den Zusammenhalt und die Identifizierung mit der Abteilung.
Sich aber dieser Verantwortung gänzlich zu entziehen, auf der einen Seite den technischen Fortschritt in der Pränataldiagnostik anzubieten und entsprechend ausgetüftelte Diagnosen stellen zu können, auf der anderen Seite bei einer sich daraus ergebenden Konfliktlage der Frau oder dem Paar nicht beizustehen, ist nicht zu rechtfertigen.
Woopen C: Modellprojekte zur psychosozialen Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik. Evaluationsergebnisse, Abstract und Folien 2007